Der Held von Montecassino

15. Februar 2024 in Chronik


15. Februar 1944 - Wie vor 80 Jahren Wehrmachtsoffizier Julius Schlegel einmalige Kulturgüter des Abendlands rettete. Gastbeitrag von Elmar Lübbers-Paal


Montecassino (kath.net) Bevor am 15. Februar 1944 durch die Alliierten das Ur-Kloster der Benediktiner auf dem Monte Cassino gnadenlos bombardiert wird, rettet ein österreichischer Offizier der Wehrmacht, der Wiener Julius Schlegel (*1895 † 1958), das kunstvolle Erbe, das sich innerhalb der Klostermauern befindet. In weiser Vorahnung sorgt er dafür, dass viele einmalige Kunstschätze per Wehrmachts-LKW-Konvoi abtransportiert und in der Engelsburg in Rom eingelagert werden. Mit diesem eigenverantwortlichen Kunstdenkmalschutz riskiert Offizier Schlegel einen Kriegsgerichtsprozess gegen sich, da die eigenmächtige Rettungsaktion nicht zu den kriegswichtigen Handlungen gehört. Gerade deshalb darf der heldenhafte Kulturretter nicht der Vergessenheit anheimfallen.

 „In dieser Stunde, in der wir das, was an Dir sterblich war, der Erde übergeben, da ertönen die Glocken der Benediktinerabteien in aller Welt, um Deiner heroischen Tat zu gedenken, die nicht nur das Mutterkloster des Benediktinerordens vor unersetzlichen Verlusten bewahrt hat, sondern auch Beweis dafür war, wie sehr ein Mensch in schwerer Zeit und Bedrängnis imstande war, Gutes zu tun.“ Mit diesen Worten seiner Grabrede ehrt am 14. August 1958 der Abt des Wiener Schottenstifts den Helden der Abtei Montecassino auf dem Döblinger Friedhof im 19. Wiener Gemeindebezirk.

Bereits im Ersten Weltkrieg gehörte Julius Schlegel der Fliegertruppe an. Dies war wohl auch der Grund, weshalb er bereits 1939 als Offizier der Luftwaffe einberufen wurde. Erfolgreich nahm er zunächst an den verschiedenen Feldzügen u.a. in Afrika, dem Westfeldzug und dem Kampf um Sizilien teil. Nachdem die Luftwaffe der deutschen Wehrmacht jedoch hohe Verluste bei ihren Einsätzen um die Einnahme der Insel Kreta zu verbuchen hatten, wurden auf Befehl Hitlers die Fallschirmjäger nicht mehr aus der Luft abgesetzt, sondern gleich als eine Erdkampftruppe eingesetzt. So kam Julius Schlegel zur „Fallschirm-Panzer-Division Hermann Göring“, die die sogenannte Gustav-Linie zu verteidigen hatte. Diese Verteidigungslinie in Mittelitalien, etwa 100 km südlich von Rom, sollte die im süditalienischen Salerno gelandeten und immer weiter gen Norden vorrückenden Alliierten aufhalten. Schlegel hat ein großes Kunstverständnis und kennt auch einige hochrangige Kunstgegenstände, die sich zu jener Zeit im Benediktinerkloster auf dem Monte Cassino befinden. So bittet er den Erzabt, die Kunstschätze in Sicherheit bringen zu dürfen. Natürlich erregt diese Bitte das Misstrauen des Abtes, der auch die Kunstschätze, die aus Museen zur sicheren Aufbewahrung dem Kloster anvertraut wurden, in seinem Kloster in Sicherheit wähnt. Das 529 durch Benedikt von Nursia gegründete Kloster gleicht doch äußerlich einer Festung und liegt auf einem 516 Meter hohen Felsenhügel. Wo sollten die wertvollen Kulturgüter besser aufgehoben sein? Durch das Aufzeigen der militärisch schwierigen Lage um den heiligen Berg und dank dem Zugeständnis, dass beim Abtransport nach Rom einige Mönche mitfahren dürfen, stimmt der Erzabt schließlich zu. Eigenmächtig, und somit ohne vorherige Einholung einer Erlaubnis seines Vorgesetzten, beginnt Schlegel, mit der Hilfe von Stabsarzt Maximilian J. Becker und Stabsarzt Dr. M. Becker die Rettungsaktion der historisch einmaligen Gegenstände zu organisieren. Auf den 120 LKW-Ladungen, die er sich während der laufenden Rettungsaktion genehmigen lässt, befinden sich 70.000 Buchbände aus der Klosterbibliothek, 1.200 einmalige Handschriften, beispielsweise von Cicero, Horaz, Ovid und Seneca, aber auch Urkunden, Statuen, Reliquien und Gemälde. Darunter sind Werke von Leonardo da Vinci, Tintoretto, Tizian und Raffael. Diese Rettungsaktion, bei der die Kunstgegenstände in Holzkisten verpackt werden, die teilweise erst noch gezimmert werden müssen, dauert vom 17. Oktober 1943 bis in den November hinein. Durch Spitzel bekommen die Alliierten Wind von dem Kulturgut-Transport. Diesen Vorgang nutzen sie propagandistisch, um am 23. Oktober über das Radio zu vermelden, dass die Deutschen das Kloster Monte Cassino plündern. Gerade noch rechtzeitig werden die Kunstschätze in der Engelsburg in Rom in sichere Verwahrung genommen. Die Einlagerung in Rom organisierte der in Altötting geborene, damalige Prior und Rektor der Universität von Sant Anselmo in Rom, der spätere Kurienkardinal Paul Augustin Mayer OSB (* 1911 † 2010) im persönlichen Auftrag von Papst Pius XII.

Nun bricht über dem Monte Cassino die Hölle los. In einer ersten Welle von Luftangriffen am 15. Februar 1944 um 9.30 Uhr werfen unzählige Kampfflugzeuge 257.000 kg Sprengbomben und 59.000 kg Brandbomben auf das Kloster ab. Bei einer zweiten Welle sind es insgesamt nochmal 300 Tonnen Sprengstoff. So verwandeln die United States Army Air Forces die prächtige Klosteranlage in eine Trümmerlandschaft. Und das, obwohl sich kein einziger bewaffneter deutscher Soldat auf dem Klostergelände befindet. Dies wurde sowohl vom Kloster selber, als auch vom Heiligen Stuhl den Alliierten vor der Bombardierung mitgeteilt. Außer den betenden Mönchen befinden sich zur Zeit des Bombenhagels etwa 800 italienische Flüchtlinge aus den umliegenden Dörfern in den Klostermauern, wie der spätere Franziskanerpater und damalige Soldat Gereon Goldmann (* 1916 † 2003) versicherte. Neben den Bataillonsärzten die 2,3 mal ins Kloster gerufen werden, um Frauen bei der Entbindung beizustehen, ist Soldat Goldmann der einzige Soldat im Kloster, aber auch nur, weil er von Papst Pius XII. eine Sondererlaubnis bei sich hat, dass jedweder Bischof der Kirche Goldmann zum Priester weihen darf. In drei Tagen wollte der Erzabt ihn die Priesterweihe spenden. Dazu kommt es aber nicht mehr. Der mit Fake news herbeigeführte Luftangriff verhindert das heilige Vorhaben. Immerhin gestehen die alliierten Vorgesetzten ihren Piloten zu, den Bombenangriff auf den heiligen Berg nicht fliegen zu müssen, da es sich um ein kirchliches Objekt handelt. Gleichzeitig jedoch setzt man sie aber unter Druck, indem man ihnen vorhält, dass in den letzten Tagen durch die Deutschen 2.000 amerikanische Soldaten gefallen seien. Außerdem behauptete man (absichtlich) falsch, dass sich in der Klosteranlage nur Deutsche befinden und das einstige Heiligtum zu einer Festung mit schwerer Artillerie ausgerüstet sei. So wird die „Mutter aller Klöster“ samt ihrer 1.500jährigen abendländischen Kulturgeschichte, auf Bitten des neuseeländischen Generals Bernard Freyberg, in eine Trümmerlandschaft, mit hunderten von toten Zivilisten, gebombt. Hat man auf der amerikanischen Seite tatsächlich nicht gewusst, dass Feldmarschall Kesselring eine soldatenfreie Zone bis 300 Meter um das Kloster herum angewiesen hat und das Betreten des Klosters durch bewaffneten Soldaten ausdrücklich verbot? Dies war nun der vierte Untergang des Klosters, das Benedikt von Nursia auf einem heidnischen Apollotempel baute. Die erste Zerstörung verantworteten im Jahre 577 die Langobarden, die folgende Plünderung und Verwüstung führten die Sarazenen 883 durch. Die dritte Zerstörung des Klosters verursachte ein Erdbeben 1349. Nun aber die größte und schlimmste Zerstörung, die mit einem Vielvölkersterben einherging. An der viermonatigen Schlacht, die nur kurzfristig zum Abtransportieren von Verletzten und Toten unterbrochen wird, sind Armeeangehörige aus 34 Nationen beteiligt. Es sterben auf alliierter Seite 55.000 Soldaten. Auf deutscher Seite sind 20.000 Wehrmachtsangehörige zu beklagen. Weitere 60.000 Kämpfer sollen verwundet worden sein.

Wer die Abtei Montecassino, die in einer Rekordzeit von nur 10 Jahren wieder aufgebaut werden konnte, besucht, sollte unbedingt auch die unterhalb gelegenen Friedhöfe besuchen, um auch nur annähend die verheerenden Folgen eines Krieges auf kleinster Fläche nachempfinden zu können. Der Aufbau der Klosteranlage - nach den original Bauplänen - konnte nur deshalb durchgeführt werden, weil sich auch diese unter den Kunstschätzen befanden, die Julius Schlegel vor der Zerstörung rettete. Zur Einweihung der wiedererrichteten Klosteranlage kam Papst Paul VI. persönlich angereist. Julius Schlegel, den die italienische Bevölkerung den Ehrennamen „Der Held von Montecassino“ verlieh, verlor noch während eines Jagdbomberangriffs in Italien ein Bein. Nach dem Krieg warfen ihm die Alliierten zunächst vor, der „Plünderer von Montecassino“ zu sein. Nach den Aussagen der Mönche entpuppte sich diese falsche Anschuldigung und führte zu einem Freispruch. Für die „Österreichische Volkspartei“ saß Julius Schlegel in den 1950er Jahren im Wiener Gemeinderat.

Einen cineastischen Einblick in das damalige Geschehen bietet der 1958 erschienene Film „Die grünen Teufel von Monte Cassino“, der über die Internetplattform „youtube“ kostenlos angesehen werden kann.


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