26. Jänner 2024 in Buchtipp
Werk eines katholischen Theologen und eines Historikers erklärt den Satan (wieder mal) zur reinen Erfindung. Rezension des evangelischen Pfarrers Dr. Jürgen Henkel
Freiburg (kath.net/jh) Der Teufel ist nicht nur in Bibel und Christentum, sondern auch in anderen Religionen und in der Kultur bis heute als Chiffre oder Repräsentant des Bösen in Person eine relevante Größe. Das Böse übte ohnehin schon immer eine große Faszination aus. Auch Satanisten finden bis heute Zulauf für ihre Geheimrituale, die besonders aufgrund ihrer Tabuisierung für manche erst recht interessant sind. Und die Weltgeschichte bringt immer wieder Kriegsereignisse und Gewaltexzesse sowie psychopathische Massenmörder wie Hitler, Stalin oder Pol Pot hervor, die nicht mehr mit normalen Kategorien von gut und böse zu erklären sind. Seit jeher wurden Vorstellungen des Bösen auch personalisiert, genauso wie Gottesvorstellungen. Für Christen, die an den wahren und in der Heiligen Schrift sich als reale Person offenbarenden dreifaltigen Gott glauben, stellt sich dabei nicht so sehr die Frage, ob sie auch an das Böse als Person in Form des Teufels oder des Satans glauben, sondern eher, ob sie mit ihm als Gestalt des Bösen rechnen. Der Teufel wirkt indes nach christlichem Glauben immer in Geschichte und Gegenwart als „Fürst dieser Welt“.
So ist es zunächst begrüßenswert, wenn ein neues Buch in konzentrierter Form grundlegende Informationen zur Kultur- und Religionsgeschichte des Teufels zusammenstellt:
Der Bibelwissenschaftler Simone Paganini von der RWTH Aachen und der Historiker Sebastian Huncke begeben sich im vorliegenden Band auf eine Spurensuche. Diese Reise beginnt im Alten Orient und führt über die Schlange im Garten Eden, die Versuchung Jesu durch den Satan, spätere Manifestationen wie Werwolf-Legenden und Tierverwandlungen bis zu modernen Vorstellungen. Auch der Ziegenbock, Frösche und Kröten sowie schwarze Katzen konnten neben der Schlange satanische Züge als „Inkarnation des Teufels“ zugesprochen bekommen. Die Autoren bieten dabei viele Details und historische Beispiele. Sie klären Begrifflichkeiten und verschiedene Motive in der Wahrnehmung des Teufels und zeichnen die religionsgeschichtliche Entwicklung aufschlussreich nach. Auch die Vorstellung gefallener Engel wird angesprochen. Es handelt sich nicht um eine wissenschaftliche Abhandlung, sondern eine populärwissenschaftliche Darstellung, was dem Buch jedoch keinen Abbruch tut und nicht gegen die Publikation spricht.
Fragwürdig sind indes zwei grundsätzliche theologische Vorentscheidungen der Autoren. So sehen sie zum einen im Teufel „vor allem eine Projektionsfläche“ (S. 11). Die reale Existenz des Teufels als Person und von Dämonen wird prinzipiell bestritten. Dies widerspricht freilich dem biblischen Zeugnis, das von der wirkmächtigen und spürbaren Existenz von Teufel und Dämonen ausgeht. Selbst der Reformator Luther warf auf der Wartburg mit einem Tintenfass nach dem Teufel und thematisiert den „alt bösen Feind“ in seinem bekanntesten Lied „Ein feste Burg“. War er darin noch Mensch des ausgehenden Mittelalters oder zeugt dies doch von realer und persönlicher Erfahrung des Bösen und der Anfechtung durch den Diabolos und Versucher? Und jede Taufe ist außerdem ein Herrschaftswechsel für den Täufling vom irdischen Reich des „Fürsten diese Welt“ zum Reich Gottes. Zum zweiten wird den Kirchen pauschal die Instrumentalisierung des Teufelsglaubens zur Disziplinierung und Einschüchterung der Gläubigen unterstellt: „Die verschiedenen Kirchen haben in Predigten und Katechesen sehr häufig Dämonen und Teufel als Mittel gebraucht, um den Menschen Angst einzujagen und sie empfänglicher für ihre eigene Botschaft zu machen.“ (Ebda) Auch wenn dies im Einzelfall zutreffen mag und der Teufelsglaube auch zu widerlichen Exzessen wie den Hexenverbrennungen geführt hat, wird hier doch recht platt und oberflächlich verallgemeinert. Der Satan ist keine reine Erfindung der Kirche zur Disziplinierung der Gläubigen. Immerhin konzedieren beide, dass trotz eines massiven Rückgangs der Zahl an Christen (sc. in Deutschland und Europa, im Rest der Welt das anders) die Anzahl der Menschen, die an eine reale Existenz des Teufels glauben, erstaunlich stabil bleibt. Zudem erlebe der Teufel „eine regelrechte Wiederentdeckung, auch in der Popkultur“ (S.10).
Das Buch erhebt ausdrücklich nicht den Anspruch, eine „Biografie des Teufels“ oder eine historisch-soziologische Studie zur Teufelsgestalt zu bieten, sondern eine „Betrachtung seiner mannigfaltigen Erscheinungsformen und Eigenschaften, die durch die Menschen, ihre Taten und ihre Lebenswelt im Laufe der letzten 2500 bis 3000 Jahre geprägt worden und in ihre Vorstellungen eingegangen sind“ (S. 13). Hier kommt die atheistische Feuerbachsche Projektionsthese nun auch für den Teufel zur Anwendung…
Die Darstellung ist insgesamt durchaus informativ. Der Historiker und der Theologe spannen das Thema bis zur Gegenwart. Wichtige Fragen werden verhandelt wie etwa die Wirkungs- und Erfahrungsebenen zwischen Unterwelt, Erde und Himmel, in die die Mythologie teuflisches und göttliches Wirken einzeichnet, oder die Frau als Verkörperung des Bösen und damit die vor allem weibliche Sexualisierung des Satanischen. Sowohl die ägyptische, als auch die mesopotamische Mythologie stellten die Verbindung von Frau und Schlangendämon her. In der biblischen Erzählung von Adam und Eva in der Urgeschichte wird die Schlange freilich nicht explizit mit einem Dämon in Verbindung gebracht, wobei sie in manchen altorientalischen Kulturen und Religionen als Sinnbild von Gottes Widersacher gilt, was dann aber sehr wohl die Offenbarung des Johannes aufgreift. Das Buch rezipiert neben biblischen Referenzen epochenübergreifend relevante Schriften zum Thema. Auch der Kampf zwischen Engeln und Teufeln um die Seelen der Menschen nach dem Tod (vgl. Judas 9) wird angesprochen. Die Autoren gehen auf Teufelspakte und -beschwörungen sowie den Zusammenhang von Teufelsglauben, Hexenwahn und Zauberei ein und beschreiben tiefgründig, dass Gott in seiner Hoheit laut biblischem Zeugnis keinen Eigennamen habe, während dem Teufel eine Vielzahl unterschiedlicher Eigennamen zugeschrieben werde; zu den berühmtesten avancierten wohl Satan, Luzifer und Beelzebub. Treffend stellen beide fest: „In krassem Unterschied zu dem einen, einzigen Gott sind die Teufel unzählbar.“ (S. 70)
Theologisches Trendsettertum begegnet in Formulierungen wie „hebräische Bibel“ für das Alte Testament (S. 100, 155) und auch der Tatsache, dass die Wunder Jesu recht unverblümt bestritten werden – erstaunlicherweise außer den Exorzismen! –, wenn Huncke und Paganini schreiben: „Jesus ist vor allem für seine Wunder und sein heilendes Wirken bekannt. Allerdings ist man sich in der modernen Bibelforschung einig, dass von den vielen überlieferten Wundertaten lediglich seine Exorzismen (…) historisch tatsächlich so stattgefunden haben dürften.“ (S. 101) Auch die Begegnung zwischen Christus und dem Teufel (Mt 4,1-11; Lk 4,1-13) wird kurzerhand für „nicht historisch“ erklärt. Vielleicht hängt der bestürzende wie beschämende Niedergang des Christentums in Deutschland und der westlichen Welt auch damit zusammen, dass zu viele Theologen die Heilige Schrift nicht mehr ernst genug nehmen und sich selbst mit solchen Urteilen über das Zeugnis der Heiligen Schrift stellen. Immerhin erkennen die Autoren an: „Mit großer Selbstverständlichkeit gehen die Texte des Neuen Testaments von der Existenz der Teufel und Dämonen aus.“ (S. 109) Sie halten fest: „Bis heute gilt jedenfalls als unumstößlich, dass der Teufel existiert. (…) Die gesamte Christenheit glaubt daran.“ (S. 140)
Nach dieser material- und faktenreichen Darstellung, bei der der manchmal zu ironische und saloppe Ton dem Thema nicht immer gerecht wird und einzelne theologischen Aussagen auch in einem allgemeinverständlichen Werk etwas mehr Tiefenschärfe verlangt hätten, erwartet den Leser zuletzt freilich ein „Abschlussgespräch“ zwischen beiden Autoren, in dem diese ihre höchst subjektive Sicht auf Glauben und Heilige Schrift noch einmal unterstreichen (S. 154-164). Offenbar gehört die eigenmächtige Emanzipation vom Wort Gottes, von Lehre und Tradition der Kirche als Norm, Maßstab und Kriterium für viele akademische Theologen mittlerweile zum guten Ton.
Paganini meint hier: „Ich als Theologe sehe in der Erfindung des Teufels einen billigen Trick, der uns hilft, die Existenz des Bösen in der Welt zu erklären. (…) Ich denke, dass die christliche Theologie auch ganz gut ohne Teufel auskommt.“ (S. 154 f.) Der Historiker Huncke ergänzt: „Der Teufel hat(te) eine ganz klare Sündenbockfunktion.“ (S. 155) Paganini meint weiter: „Anstatt sie mündig zu machen, versuchten religiöse und auch zivile Autoritäten die Menschen mit der Vorstellung von Teufeln, Dämonen und der Hölle einzuschüchtern. Ein aufgeklärter Glaube, der Gott ernst nimmt, braucht den Teufel nicht.“ (S. 156) Die Rede vom Teufel und Dämonen sei seiner Meinung nach „einfach nicht mehr zeitgemäß“, daher sei es „höchste Zeit, sich auch vom Teufel zu verabschieden“ (S. 160). Ganz nebenbei erfährt der Leser noch, dass „heute“ niemand mehr daran glaube, dass Jesus als Mensch auf dem Wasser gehen konnte. Offenbar hat Paganini – wie viele andere Theologen seit Aufklärung, Rationalismus und Liberaler Theologie – mit der wahren Gottessohnschaft Jesu Christi so seine Probleme. So deutlich wurde aber selten die Selbstermächtigung formuliert, die Heilige Schrift vom eigenen Erfahrungshorizont und subjektiven persönlichen Meinungen aus zu beurteilen, statt das eigene Leben und die eigenen Gedanken, Worte und Werke von der Heiligen Schrift als dem geoffenbarten Wort Gottes beurteilen zu lassen. Wer gerade angesichts des aktuellen Zustands dieser gefallenen wie gespaltenen Welt und Gesellschaften und der Tatsache, dass wir nur noch einen Hauch vom Dritten Weltkrieg entfernt sind – die Existenz des Teufels leugnet, mag sich aufgeklärt wähnen und dünken, ist in Wirklichkeit aber vor allem naiv.
Sebastian Huncke/Simone Paganini: Wer zur Hölle ist der Teufel? Die Faszination des Bösen in Bibel und Geschichte (mit Zeichnungen von Christian Wischnewski). Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2023, 172 S., geb. ISBN 978-3-451-03344-5
Dr. Jürgen Henkel ist Gemeindepfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche Bayern in Selb (Oberfranken), Schriftleiter der Zeitschrift „Auftrag und Wahrheit – Ökumenische Quartalsschrift für Predigt, Liturgie und Theologie“ und Prof. h. c. an der Fakultät für Orthodoxe Theologie der Babeş-Bolyai-Universität Cluj-Napoca/Klausenburg in Rumänien.
Titelblatt des Buches (c) Herder Verlag
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