19. Februar 2024 in Kommentar
„Die Diktatur des Relativismus duldet nicht, dass die Kirche den Anspruch erhebt, sie habe die Wahrheit, die sie von den Geboten Gottes und von Jesus Christus ableitet.“ Gastbeitrag von Prof. Hubert Gindert
Kaufering (kath.net/Zeitschrift „Der Fels“) Die Medienberichte über die Segnung homosexueller Paare und über die Lockerung des Zölibats erinnern an eine Begebenheit mit dem Propheten Samuel im Alten Testament. Dort heißt es: Die Ältesten Israels gingen zu Samuel mit der Forderung: „Setze einen König bei uns ein, der uns regieren soll, wie es bei allen Völkern der Fall ist“. Auch nach dem Hinweis auf die Rechte des Königs, der sie beherrschen wird, antworteten sie: „Wir wollen wie allen anderen Völker sein und einen König haben“ (1 Sam. 8,4-7 und 10-22a).
Die Medien berichteten, u.a. die Augsburger Allgemeine Zeitung (19.12.23) unter der Überschrift „Unter strengen Auflagen“ über die Segnung homosexueller Paare. In der AZ heißt es u.a.: „Papst Franziskus hat den Weg für die gleichgeschlechtliche Segnung durch die katholische Kirche frei gemacht“… in der Erklärung „Fiducia supplicans“ [Flehendes Vertrauen] ist von „der Möglichkeit der Segnung von Paaren in irregulären Situationen und von gleichgeschlechtlichen Paaren“ die Rede. „Die Frage gehört zu den großen Streitfragen der Kirche“. Die o.a. „Erklärung wurde vom vatikanischen Amt für die Glaubenslehre veröffentlicht… Der Papst hatte sie zuvor ausdrücklich gebilligt. Mit der Erklärung vollzieht der Vatikan einen Kurswechsel. Noch vor zwei Jahren hatte die Führung klargestellt, dass es ‚nicht erlaubt‘ sei homosexuelle Partnerschaften zu segnen. Die Zulassung von Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare war auch eine der Hauptforderungen des deutschen Reformprozesses Synodaler Weg. Trotz Kritik… wurde die Forderung im März (2023) von der Synodalversammlung offiziell beschlossen“. Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne), bezeichnete diese Entscheidung als „längst überfällig“. Die Erklärung zur Segnung homosexueller Paare hat glaubenstreue Katholiken irritiert und verwirrt, den Widerstand ganzer Bischofskonferenzen (z.B. aus Afrika) hervorgerufen, aber die Zustimmung von denen gefunden, die eine Institution Kirche wollen, die alles absegnet, was eine Welt ohne Gott will.
Anfangs Januar berichteten Medien, beispielsweise die AZ unter der Überschrift „Dürfen Priester bald heiraten?“ (10.1.24), dass der Erzbischof von Malta, Charles Scicluna, eine „ernsthafte Diskussion“ über den Zölibat gefordert habe. Der Verfasser des Artikels, Julius Müller-Meiningen, stellt darin fest… „Von seinem Pontifikat (Papst Franziskus) erwarten sich einige nicht mehr viel. Und doch kommt noch einmal Schwung in seine Amtszeit“. Der Artikelschreiber nennt in diesem Zusammenhang „im Dezember (2023) erlaubte er völlig überraschend die Segnung von Partnerschaften, die nicht dem katholischen Ehe-Ideal entsprechen. Nun hat sein enger Vertrauter (Erzbischof von Malta) eine Diskussion über den Zölibat angezettelt. Seine Abschaffung wäre ein nächster, vor allem im Westen lange erhoffter Reformfortschritt. Franziskus selbst habe erst im vergangenen März gesagt: ‚Es ist kein Widerspruch, wenn ein Priester heiratet‘ und auf die Frage, ob der Pflichtzölibat aufgegeben werden könne, antwortete der Papst ‚Ja, Ja‘… Zuvor hatte im Dezember der Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin bekräftigt: ‚Der Priester ist zölibatär – und will es sein – einfach, weil Jesus es war‘. Dass sich Grundsatzentscheidungen im Vatikan allerdings überraschend und unerwartet ändern können, wurde vor einigen Wochen deutlich, eben beim Thema Segnungen… Das ist auch in der Frage des Zölibats denkbar“.
Der Zölibat wird seit mehr als hundert Jahren diskutiert. Die eigentliche Frage ist: Warum ist das für die gesamte Gesellschaft wichtig? Was ist das Ziel der Reformfortschritte? Kardinal Ratzinger hat am 18. April 2005 vor dem Kardinalskollegium eine Lösung angedeutet: „Einen klaren Glauben nach dem Credo der Kirche zu haben, wird oft als Fundamentalismus abgestempelt, wohingegen der Relativismus, das sich ‚vom Windstoß irgendeiner Lehrmeinung hin- und hertreiben lassen‘, als die heutzutage einzige zeitgemäße Haltung erscheint. Es entsteht eine Diktatur des Relativismus, die nichts als endgültig anerkennt und als letztes Maß nur das eigene Ich und seine Gelüste gelten lässt“. Das ist das Credo der Welt. Es darf keine unumstößliche Wahrheit geben. Wenn sich der Mensch zum Gott macht, entscheidet er, was gilt und wie lange es gilt.
Die Diktatur des Relativismus duldet keine Widersprüche. Sie ist eben nicht, auch wenn sie das behauptet, liberal. Die Diktatur des Relativismus duldet nicht, dass die Kirche den Anspruch erhebt, sie habe die Wahrheit, die sie von den Geboten Gottes und von Jesus Christus ableitet. Das wird als bewusste Herabminderung derer gedeutet, die z.B. behaupten alle Formen der Sexualität seien gleichwertig und sie auch praktizieren. Wir haben bereits Fälle in Schweden und Finnland, bei denen Christen für Zitate aus dem Evangelium Probleme mit der Justiz hatten. In westeuropäischen Ländern werden Gläubige, die nicht im Gleichschritt mit dem Credo der Gesamtgesellschaft marschieren, verbal herabgesetzt, um sie gefügig zu machen.
Von wem wird Widerstand gegen das Credo der Gesamtgesellschaft erwartet? Wer soll verunsichert und verwirrt werden? Ihre Zahl wird überschätzt.
Joseph Ratzinger war nach seiner Priesterweihe als Kaplan in der Seelsorge in München tätig. Mit seinem klaren Blick erkannte er schon damals die wirkliche religiöse Situation. Er beschrieb sie im Aufsatz „Die neuen Heiden in der Kirche“ („Hochland“ I/59), wenn er sagt: „Die Statistik täuscht. Das dem Namen nach christliche Europa ist seit langem zur Geburtsstätte eines neuen Heidentums geworden, dass im Herzen der Kirche selbst unaufhaltsam wächst und sie von innen heraus auszuhöhlen droht. Kirche von Heiden, die sich noch Christen nennen, aber in Wahrheit zu Heiden wurden“. Das heißt, dass die Betroffenen „nicht mehr den Glauben zueignen, sondern eine sehr subjektive Auswahl aus dem Bekenntnis der Kirche zu ihrer eigenen Weltanschauung machen“…
Joseph Ratzinger erkannte die Situation bereits in den 50er Jahren, als die Statistik für Westdeutschland noch einen sonntäglichen Kirchenbesuch von 50,4% (1950) bzw. 56,1% (1960) auswies. Ende 2023 wird die Zahl mit ca. 5% angegeben. Nach der repräsentativen Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU vom November 2023) sehen sich noch 4% der Katholiken in Deutschland als „gläubig und kirchennah“. Die Übrigen praktizieren, selbst wenn die Statistik für die Bundesrepublik Deutschland noch knapp 21 Mio. Katholiken zählt, „eine sehr subjektive Auswahl aus dem Bekenntnis der Kirche als ihre eigene Weltanschauung“ (Joseph Ratzinger). Sie stören die gewollten „Reformen“ nicht. Es geht also darum, diese 4% der „gläubigen und kirchenverbundenen“ Katholiken zu verwirren. Sie könnten die „gleiche Gesellschaft“ in der Gott höchstens noch eine dekorative Rolle spielt, stören. Von ihnen ist auch eine Neuevangelisierung zu befürchten.
Der dreijährige Ablauf des deutschen „Synodalen Prozesses“ wurde – quälend für kirchenverbundene Katholiken – beschrieben. Das war informativ, hilft uns aber nicht weiter. Der Prozess der Entchristlichung umfasst Jahrzehnte. Auch eine Neuevangelisierung wird ein langer Prozess sein, wie Joseph Ratzinger in seinem Buch „Glaube und Zukunft“ (Kösel-Verlag 1970, S. 120 ff) geäußert hat. Jetzt geht es darum, den glimmenden Docht des Glaubens am Brennen zu erhalten. Jeder kann, in Gebetskreisen und in kleinen Gruppen, die sich im Glauben informieren und bestärken dabei mithelfen.
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