"Das unpräzise Pontifikat"

20. Februar 2024 in Kommentar


Streit und Negativschlagzeilen schaden den Kirchen immer mehr – "Papst Franziskus stiftet zusätzlich Verwirrung statt Klarheit" - Ein Gastkommentar vom evangelischen Pfarrer Jürgen Henkel


Selb (kath.net/ Ökumenische Quartalsschrift „Auftrag und Wahrheit“/jh) Das neue Jahr des Herrn 2024 ist noch jung. Und doch erschüttern manche Ereignisse schon in den ersten Wochen die Kirchen in Deutschland und auf der ganzen Welt.

Für bisher beispiellose Diskussionen und Verwerfungen in nie dagewesenem Umfang innerhalb der Katholischen Kirche, zwischen Bischofskonferenzen und dem Vatikan sorgt seit Wochen die umstrittene „Erklärung Fiducia supplicans über die pastorale Sinngebung von Segnungen“ vom 18. Dezember 2023 aus dem Glaubensdikasterium. Es trägt die Unterschrift des nicht weniger umstrittenen Präfekten Víctor Manuel Kardinal Fernández, ist aber mit ausdrücklicher Billigung von Papst Franziskus erschienen. Darin wird die Segnung gleichgeschlechtlicher (und wiederverheirateter) Paare unter bestimmten Umständen für zulässig erklärt, sofern diese Segenshandlungen nicht mit der kirchlichen Trauung verwechselt würden und nicht im Rahmen eines Gottesdienstes stattfänden. Wobei sich die Frage stellt, ob vor allem homosexuelle Paare sich einen solchen „Pseudo-Trausegen“ außerhalb eines Gottesdienstes als „halbe Lösung“ überhaupt wünschen.

Binnen weniger Tage braute sich weltweit so massiver Widerstand gegen dieses Dokument zusammen, dass das Glaubensdikasterium sich genötigt sah, am 4. Januar 2024 eine Presseerklärung nachzuschieben, um der teils vernichtenden Kritik entgegenzutreten. Das zentrale Problem an der Erklärung ist – wieder einmal – die inhaltliche Ungenauigkeit und Doppeldeutigkeit, besser gesagt das Mäandern zwischen Pastoral und Lehre. So werden einerseits solche Segnungen unter bestimmten Bedingungen erlaubt, um nicht zu sagen „abgesegnet“. Gleichzeitig wird aber ausdrücklich betont, dass am traditionellen „katholischen“ Verständnis von Ehe und Trauung festgehalten werde. Wie bei anderen offiziellen oder halboffiziellen päpstlichen Verlautbarungen und Äußerungen seit 2013 wird auch hier versucht, Progressive und Konservative bzw. traditionelle Christen und reformorientierte Kreise irgendwie gleichzeitig zufriedenzustellen. Wobei es nach elf Jahren mit Papst Franziskus im Amt eher so erscheint, als wolle er seine modernistische Agenda im Abendrot seines Pontifikats noch rasch mit autoritären Mitteln durchsetzen und die Konservativen und Traditionalisten höchstens noch „bei der Stange halten“.

Genau dieses Schwanken in der Position gerade in wichtigen und lehrrelevanten Fragen kennzeichnet dieses unpräzise Pontifikat immer wieder. Papst Franziskus will es allen recht machen und bei allen beliebt sein, eine Art „everybody’s darling“. Dieses Bemühen gleicht der Quadratur des Kreises. Damit löst er jedoch eher theologische Verwirrung aus, statt Klarheit zu stiften, was seines Amtes wäre. Eine explizite und eindeutige Position nimmt er nur bei den Themen Abtreibung und Gender-Ideologie sowie – ausgerechnet! – beim Verbot der alten Messe ein. Bei anderen Fragen gibt es immer wieder ein „sowohl als auch“. Seine Verlautbarungen und Texte sind meist so konzipiert, dass sich jeder nach gusto das Seine heraushören, herauslesen, herauspicken kann. Solche Unklarheit und fehlende theologische Präzision hat es unter den beiden wirklich großen Theologen und Vorgängerpäpsten, dem hl. Johannes Paul II. und Benedikt XVI., nie gegeben.

Das dürfte auch daran liegen, dass der Pontifex aus Argentinien immer wieder die Pastoral als Maßstab über die Lehre stellt und damit die Lehre der Katholischen Kirche einem von ihm selbst inhaltlich höchst subjektiv begründeten und definierten Primat der Seelsorge unterordnet. Und der von Franziskus installierte Glaubenspräfekt Kardinal Fernández sekundiert beflissen seinem Landsmann, Herrn und Meister, indem er diesem Papst ein ganz besonderes persönliches „Charisma“ in der Lehre attestiert bzw. andichtet. Dadurch aber würde jede theologische Aussage dieses konkreten Papstes die Qualität einer Lehre ex cathedra erlangen. Der frühere Glaubenspräfekt Gerhard Kardinal Müller hat zu dieser (w)irren wie abenteuerlichen Theorie die nötigen Klarstellungen geboten (siehe Link). Nicht ohne Grund gibt es außerdem die so wichtige Unterscheidung der zwei Ebenen oder Dimensionen: „kat akribiam“ („akribisch“, d.h. nach der „strengen, reinen Lehre“) und „kat oikonomiam“ (einfach formuliert: „gemäß seelsorgerlicher Verantwortung“). Für den jetzigen Papst scheint diese Unterscheidung nicht mehr relevant, sondern sogar störend bis obsolet zu sein. Und da wird es theologisch bedenklich. Wer übrigens zu diesen Fragen eine lehr- und glaubenstreue Position eines profilierten lutherischen Theologien nachlesen will, dem sei das Buch „Kirchliche Entscheidung in theologischer Verantwortung: Grundlagen, Kriterien, Grenzen“ (Göttingen 1991) des vor nicht allzu langer Zeit verstorbenen Dogmatikers Reinhard Slenczka (1931-2022) aus Erlangen empfohlen. Dieses Buch spiegelt natürlich nicht die Mehrheitsmeinung der protestantischen oder lutherischen Theologie „nach ‘68“ wieder, ist aber eine glasklare und präzise und bis heute relevante Stimme zum Thema aus der Meinungsvielfalt des Protestantismus.

Wie zu erwarten war, zeigt sich vor allem der bundesdeutsche Amts- und Funktionärskatholizismus natürlich begeistert von „Fiducia supplicans“ und wittert Morgenluft für seine Reformagenda. Im Gegensatz dazu haben bereits etliche Katholische Bischofskonferenzen wie zum Beispiel aus Weißrussland, Polen und Ungarn, aber auch die gesamte Konferenz der Katholischen Bischofskonferenzen in Afrika und Madagaskar angekündigt, dem Vatikan hier Gefolgschaft und Gehorsam zu verweigern und diese Erklärung nicht umzusetzen. Dies dürfte kirchengeschichtlich ein einmaliger Vorgang sein. Das Internetportal „kath.net“ und die katholische Wochenzeitung „Die Tagespost“ dokumentieren seit Veröffentlichung dieser Erklärung die dadurch ausgelöste Diskussion umfangreich (und oft mit vollem Textlaut entsprechender Äußerungen oder Erklärungen) und seien jedem empfohlen, der sich hier hintergründiger informieren will als nur aus den sonstigen linksgrünen, kirchenfeindlichen und woken deutschen (Leit)Medien. Diese feiern „Fiducia supplicans“ von den Öffentlich-Rechtlichen „Staatssendern“ bis zu den Regionalzeitungen enthusiastisch und fordern nach protestantischem „Vorbild“ bereits lautkehlig die nächsten Schritte bis hin zur vollgültigen Trauung gleichgeschlechtlicher Paare.

Entgegen aller sonstigen Barmherzigkeitsrhetorik gerade dieses Papstes geht es gegen die Kritiker einstweilen hart zur Sache. Das von der Deutschen Bischofskonferenz finanzierte „katholisch.de“ etikettiert die berechtigte Kritik an diesem Papier sogleich als Kampagne und schreibt: „Papstkritische und reaktionäre Internetportale haben eine Kampagne gegen das vatikanische Segensdokument „Fiducia supplicans“ gestartet. Ziel der vom kanadischen Internetportal „Lifesitenews“ initiierten Aktion sei es, den Vatikan dazu zu bewegen, die unter Umständen erlaubte Segnung homosexueller und wiederverheirateter Paare zurückzunehmen. Mit der Kampagne wolle man unter anderem jene Kardinäle und Bischöfe unterstützen, die sich bereits gegen die Erklärung ausgesprochen haben.“  Und der für seinen autoritären wie erbarmungslosen Umgang mit innerkirchlichen Andersdenkenden selbst aus höchsten Kreisen des Episkopats bereits berüchtigte Papst Franziskus tadelt und verunglimpft  Kritiker als „kleine ideologische Gruppen“.

Klar dürfte bei dieser Frage vor allem eines sein: dieses Dokument ist ein – wohl beabsichtigter – Dammbruch für die Katholische Kirche. Denn bei „außergottesdienstlichen“ und „nicht trauungsähnlichen“ Segnungen wird es sicher nicht bleiben, sollte sich diese Linie im Vatikan – auch beim nächsten Konklave – durchsetzen und diese Erklärung nicht wieder einkassiert werden. Auch in den protestantischen Kirchen war die einfache Segnung gleichgeschlechtlicher Paare immer nur der Auftakt zur theologischen Zeitenwende in der Neubewertung der Homosexualität und entsprechender Beziehungen und Handlungen bis hin zur kirchlichen Trauung für gleichgeschlechtliche Paare.

Die Evangelische Kirche in Deutschland hat indes ebenfalls für dicke Schlagzeilen gesorgt. Ein von der EKD beauftragtes unabhängiges Forscherteam stellte Ende Januar in Hannover seine „ForuM-Studie“ zum sexuellen Missbrauch in der Evangelischen Kirche vor. Darin ist von wesentlich mehr Betroffenen und Tätern als bisher die Rede. Laut der Studie sind seit 1946 mindestens 2.225 Betroffene und 1.259 mutmaßliche Täter in Kirche und Diakonie erfasst worden. Dies sei allerdings nur „die Spitze der Spitze des Eisbergs“, so Studienleiter Martin Wazlawik in Hannover. Bislang war von rund 900 Missbrauchsopfern die Rede. Es wurde eine verschleppte Aufklärung beklagt, zudem seien nicht genügend Akten zur Verfügung gestellt worden. Die Katholische Kirche habe für ihre Gutachten deutlich mehr Personalakten geliefert.

Wurde der sexuelle Missbrauch in der Katholischen Kirche bisher meist mit Zölibat und patriarchal-männlichen Kirchenstrukturen erklärt – auch um innerkirchliche Reformwünsche zu begründen –, so greift diese Sichtweise für die Evangelische Kirche definitiv nicht. Umso bitterer ist nun das Erwachen, für die katholischen Protagonisten und Propagandisten des spezifisch deutschen „Synodalen Wegs“ genauso wie für die evangelischen Kirchen im Land, die hier auffällig lange auffällig still waren – wohl in der Hoffnung, der Kelch des Missbrauchsskandals gehe von wenigen Einzelfällen abgesehen an ihnen vorüber. Auch die Medien identifizierten dieses Problem bisher als fast ausschließlich katholisches Phänomen und müssen nun umdenken und umschalten. Zu den Tätern im Bereich der Evangelischen Kirche zählten verheiratete Pfarrer und Kirchenmitarbeiter wie auch Familienväter. Die bisherige antikatholische und antizölibatäre Stoßrichtung der Berichterstattung und Meinungsmache wird sich nun hoffentlich differenzieren. Die Schande und das Verbrechen des sexuellen Missbrauchs durch Pfarrer, Priester und Kirchenmitarbeiter werden die Kirchen auch in Deutschland noch lange begleiten, beschäftigen und beschädigen. Umso wichtiger ist konsequente Aufklärung und Aufarbeitung.

Auch aus der Politik gibt es wenig Erfreuliches zu vermelden. Jüngst hat die derzeit in Berlin regierende sog. „Ampel-Koalition“ nach der Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen (§ 219 a) mit dem Verbot der „Gehsteigbelästigung“ – also des stillen Betens und des Gesprächsangebotes über Alternativen zur Abtreibung vor Kliniken zur vorgeburtlichen Kindstötung – ihren im Koalitionsvertrag ja angekündigten Feldzug gegen ungeborene Kinder weitgehend unbeachtet wie unwidersprochen von kirchlicher Seite entschlossen fortgesetzt. Nun sind die Kirchen derzeit natürlich voll ausgelastet mit ihrem „Kampf gegen Rechts“ (und alles, was nicht links oder grün ist) und den entsprechenden Demonstrationen in Dauerschleife. Aber es stellt sich doch die Frage, wo hier der laute kirchliche Protest und die Warnung auch vor diesen Parteien bleiben. Aber halt…: Lebensschützer und Abtreibungsgegner gelten ja mittlerweile per se als „rechts“ in deutschen Landen und in der westlichen politischen wie medialen Hemisphäre. Wir leben wahrlich in politisch, kirchlich und geistlich irren Zeiten.

Dr. Jürgen Henkel ist Gemeindepfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche Bayern in Selb (Oberfranken), Schriftleiter der Zeitschrift „Auftrag und Wahrheit – Ökumenische Quartalsschrift für Predigt, Liturgie und Theologie“ (Link zur aktuellen Ausgabe) und Prof. h. c. an der Fakultät für Orthodoxe Theologie der Babeş-Bolyai-Universität Cluj-Napoca/Klausenburg in Rumänien.

Archivfoto Papst Franziskus (c) VaticanMedia


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