21. Februar 2024 in Spirituelles
Kölner Kardinal in Predigt bei DBK-Vollversammlung: „Darum geht es eigentlich immer – damals in Ninive und heute bei uns: Um dieses Wunder der Umkehr und den Sieg des Guten über das Böse.“
Augsburg-Bonn (kath.net/DBK) kath.net dokumentiert die Predigt von Kardinal Rainer Maria Woelki (Köln) in der Eucharistiefeier zur Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am 21. Februar 2024 in Augsburg in voller Länge. Es gilt das gesprochene Wort – Lesung: Jona 3,1–10; Evangelium: Lk 11,29–32
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
wir haben heute in der Lesung gehört, wie Gott dem Jona einen wichtigen Auftrag anvertraut. Er soll das Wort Gottes in der großen Stadt Ninive verkünden. Keine leichte Aufgabe. Denn seine Predigt, die ihm von Gott aufgegeben ist, ist deutlich und schrecklich zugleich: „Noch vierzig Tage und Ninive ist zerstört!“ (Jona 3,4) Und dann das Unglaubliche: Die Leute glauben Gott. Sie rufen ein Fasten aus. Groß und Klein bekehrt sich. Und Gott? Er lässt sich davon bewegen und führt seine Drohung nicht aus. Wahrhaftig: Das Wort Gottes kann wirklich zu allen Zeiten und an allen Orten das Wunder der Umkehr und den Sieg des Guten über das Böse bewirken. Jona und die Leute von Ninive stehen dafür.
Wir befinden uns am Beginn der österlichen Bußzeit. 40 Tage umfasst sie. 40 Tage die Chance und die Gelegenheit, unser Leben, unsere Beziehungen, unsere Abhängigkeiten, unser Verhältnis zu Gott anzuschauen. Es neu zu ordnen, uns – ähnlich wie die Menschen in Ninive – auch unserem Umgang mit Schuld, Sünde und Versagen zu stellen. Das fällt keinem leicht. Wir neigen eher manchmal dazu, den Umgang damit zu verniedlichen. Wenn wir uns etwa mit einem Augenzwinkern eingestehen, dass wir am vergangenen Wochenende mal wieder gesündigt haben, weil wir an einem viel zu üppigen Essen teilgenommen haben. Und selbst wenn einer beim Übertreten der Geschwindigkeit oder beim Falschparken erwischt wird, erntet er zumeist eher Mitleid angesichts des Bußgeldes als Schimpf und Schande.
Machen wir uns nichts vor: Keiner hat sich zu 100 Prozent im Griff. Kein Mensch ist perfekt. Und doch bleibt mitunter ein schaler Nachgeschmack, weil im Grunde klar ist: Was ich da getan habe, war nicht in Ordnung. Im Klartext: Schuld betrifft jeden. Mitunter schwer. Die gegenwärtigen Tage der österlichen Bußzeit laden uns ein, uns neu zu orientieren, Balast abzuwerfen, wieder neu zu uns selbst zu finden, uns zu versöhnen – mit uns selbst, mit dem Nächsten, mit Gott. Denn im christlichen Sinn ist – wie auch schon Ninive zeigt – von Sünde und Schuld niemals ohne Barmherzigkeit zu sprechen. Deshalb ist in diesen Tagen mehr drin als nur eine reine Gewichtsreduzierung. Denn diese Tage auf Ostern zu rühren an meine Schattenseiten und an das Dunkle, das mich belastet – und davon hat, da bin ich mir sicher, jeder von uns eine Ahnung.
Die Frage ist: Wie damit umgehen? Alles aushalten? Alles weiter mit sich herumschleppen? Oder gar alles verdrängen? Ich denke, das kostet letztlich viel mehr Kraft, als mich diesem Schweren und Dunklen in meinem Leben zu stellen. Genau dabei wollen die vor uns liegenden Tage helfen, da sie doch aufs Engste mit Gottes Barmherzigkeit verbunden sind. Denn sie laden uns ein, das Verdrängte endlich heraus und das Dunkle in uns endlich ans Licht kommen zu lassen. Diese Tage der Fastenzeit wollen mich als eine Zeit der Barmherzigkeit Gottes nicht niederdrücken, sondern aufrichten. Sie wollen mich nicht einfach drei gerade sein lassen, sondern mich gerade sein lassen, auf dass ich aufrecht und aufrichtig durchs Leben zu gehen vermag. Ninive zeigt: Gott lässt niemanden fallen! Mehr noch: Gott kommt mir mit weit geöffneten Armen entgegen. Denn dieser Gott ist Barmherzigkeit pur. So vor diesem barmherzigen Gott mit seinen weitgeöffneten Armen stehend, kann ich endlich voll und ganz zu mir stehen – eben auch zu meinen Fehlern. Ja, ich kann sie sogar beim Namen nennen: Ich habe das falsch gemacht. Ich habe Mist gebaut. Ich bin schuldig geworden. Ich habe gesündigt.
Und das heißt: Ich habe mich abgewendet, abgesondert von dem, was eigentlich an Grundgutem in mir ist. Ich habe mich abgewendet von dem Guten schlechthin, der mir immer zugewandt ist, der mich leben lässt und mich liebt – von Gott. In seiner Zuwendung kann ich umdrehen, umkehren. Darin liegen die Chance und die Einladung dieser Tage. Darum geht es eigentlich immer – damals in Ninive und heute bei uns: Um dieses Wunder der Umkehr und den Sieg des Guten über das Böse. Gott jedenfalls will dieses Wunder immer und überall wirken.
Amen.
Foto: Kardinal Rainer Maria Woelki in der Hl. Messe bei der DBK-Vollversammlung in Augsburg © DBK/Marko Orlovic
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