'Ich würde sagen, er ist ein Heiliger'

6. März 2024 in Prolife


Sie kam als Wissenschaftlerin zu ihm und ging als Lebensschützerin und gläubige Christin wieder heim: Maria del Pilar Calva Mercado im Interview über den „ehrwürdigen Diener Gottes“ Jérome Lejeune.


Wien (kath.net / pk) „Ich würde sagen, er ist ein Heiliger. Nur damals hatte ich diesen Begriff noch nicht in meinem Wortschatz, also hätte ich gesagt, er sei ein weiser Mann.“ Das erzählt die mexikanische Wissenschaftlerin Maria del Pilar Calva Mercado über den renommierten Genetiker und Kinderarzt Jérome Lejeune (1926-1994), Mitglied der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften und Freund von Johannes Paul II.

Der bekennende Katholik und Lebensschützer entdeckte 1959 die genetische Ursache für das Down-Syndrom, das überzählige Chromosom 21. Anfang 2021 wurde ein Seligsprechungsverfahren für ihn eröffnet; er darf seither „ehrwürdiger Diener Gottes“ genannt werden. Die Genetikerin Mercado lernte ihn in Paris kennen, wo sie bei ihm ihre medizinische Abschlussarbeit fertig stellte. In einem Interview mit „The Pillar“ reflektiert Mercado diese Zeit und wie sie durch Lejeune zum Glauben fand.

Sie habe ihn 1982 kennen gelernt und acht Monate beim ihm studiert. Seine Positionen zum Lebensschutz habe sie nicht gekannt, erzählt sie. „Ich hatte eher eine sehr materialistische, sehr pragmatische Denkweise“, bekennt sie. Sie sei allein deswegen interessiert gewesen, bei Lejeune zu studieren, „weil er einen hohen wissenschaftlichen Ruf hatte“.

„Mein erster Eindruck war, dass ich es mit einem äußerst intelligenten Mann zu tun hatte, aber seine Augen vermittelten viel Demut. Ich entdeckte ihn als einen weisen Mann - einen Menschen, der viel wusste, aber der dieses Wissen für einfache Leute verständlich machen konnte. Das habe ich später in der Praxis erlebt, als ich beruflich mit ihm zusammenarbeitete.“

Heute würde sie ihn jedoch mit einem anderen Wort beschreiben, beschreibt Mercado die Veränderung in ihr selber. „Ich würde sagen, er ist ein Heiliger. Aber damals hatte ich dieses Wort noch nicht in meinem Wortschatz, also hätte ich gesagt, er sei ein weiser Mann.“

Die Zusammenarbeit mit ihm habe rückblickend ihr Leben komplett auf den Kopf gestellt. „Als ich in Paris ankam, dachte ich, dass ich eine gute Dissertation schreiben würde, dass ich viel von jemandem mit hohen Qualifikationen lernen würde – aber ich hätte nie gedacht, dass ich eine Bekehrung des Herzens und des Verstandes erleben würde. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich für den Schutz des Lebens einsetzen würde. Und an eine Bekehrung habe ich schon gar nicht gedacht.“

Ausschlaggebend dafür sei das Leben Lejeunes gewesen, sein Zeugnis. „Er hat mich nie gefragt, wie ich lebe, ob ich in einem Zustand der Gnade bin, ob ich sonntags zur Messe gehe. Diese Themen haben wir nie angesprochen. Stattdessen ging es einfach darum, sein tägliches Leben zu sehen… Es war beeindruckend, wie er den Familien half, sich von Anfang an in ihre behinderten Kinder im Krankenhaus zu verlieben, auch wenn sie das Leid sahen, das sie durchmachen würden. Das waren kleine ethische Lektionen, die er mir erteilte.“

Sie selber habe an einer katholischen Universität studiert, „aber dort hat man mir beigebracht, wie man Verhütungsmittel verschreibt, man hat mir die Mentalität der Kultur des Todes beigebracht“. Lejeune habe ihr gesagt, er würde keine Pränataldiagnostik machen, und ebenso wenig eine Abtreibung; er würde nicht einmal daran mitarbeiten, denn „das wäre eine Zusammenarbeit mit dem Bösen“.

Dieses Engagement habe sie berührt, „es hat mich völlig verändert“, bekennt die Ärztin. „Ich erinnere mich, dass er mir sagte, es sei eine wissenschaftliche Feigheit zu denken, dass es in der Medizin darum ginge, die Kranken zu beseitigen, wenn wir die Krankheit nicht beseitigen könnten. Und jeder Arzt weiß das, ob er gläubig ist oder nicht: Die Medizin ist dazu da, Krankheiten zu beseitigen, nicht die Kranken.“

Nach den acht Monaten habe sie ihm gesagt: „Herr Doktor, Sie haben mich verändert. Ich kam hierher und dachte, dass Sie von Montag bis Samstag den weißen Kittel anziehen und das Kruzifix ablegen, und dann am Sonntag das Kruzifix wieder tragen und den weißen Kittel ausziehen. Aber Sie haben mich gelehrt, den weißen Kittel und das Kruzifix gleichzeitig zu tragen.“

Lejeune sei stets liebevoll und geduldig mit den Patienten umgegangen, erinnert sich Mercado. Er versuchte die Eltern zu überzeugen, ihr Kind, das mit einer genetischen Störung geboren wurde, liebevoll anzunehmen. Er habe sich um viele Eltern persönlich gekümmert, wenn sie vor der Entscheidung standen, ihr Kind eventuell abzutreiben, weil es möglicherweise einen Gendefekt hatte. Er habe nach dem Motto gelebt „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“, resümiert die Wissenschaftlerin.

Lejeune habe sehr darunter gelitten, dass seine wissenschaftliche Entdeckung missbraucht wurde. „Er wollte nicht, dass seine Entdeckung ein Todesurteil ist“, sagt die Genetikerin. „Er hat das Down-Syndrom erforscht, um zu helfen.“ Auf die Angriffe von außen habe er stets mit großem inneren Frieden reagiert, erinnert sie sich. Sein Vermächtnis sei, „dass Glaube und Vernunft vereinbar sind“.


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