23. März 2024 in Spirituelles
Mögen besonders zwei Grundstimmungen diese Tage beherrschen: der Lobpreis, wie bei denen, die Jesus in Jerusalem mit ihrem „Hosanna“ empfangen haben, und der Dank, weil Jesus uns sein Leben schenkt - Gedanken zum Palmsonntag - Von Benedikt XVI.
Rom (kath.net)
Der Palmsonntag ist das große Portal, das uns in die Karwoche eintreten läßt, in die Woche, in der Jesus, der Herr, dem Höhepunkt seines Erdenlebens entgegengeht. Er geht nach Jerusalem hinauf, um die Schrift zu erfüllen und ans Kreuz gehängt zu werden; es ist der Thron, von dem aus er auf ewig herrschen, die Menschheit aller Zeiten an sich ziehen und allen das Geschenk der Erlösung anbieten wird. Aus den Evangelien wissen wir, daß Jesus sich gemeinsam mit den Zwölf auf den Weg nach Jerusalem gemacht hatte und daß sich ihnen nach und nach eine immer größer werdende Schar von Pilgern angeschlossen hatte. Der heilige Markus erzählt uns, daß es schon beim Verlassen Jerichos eine „große Menschenmenge“ gab, die Jesus folgte (vgl. 10,46).
Auf diesem letzten Wegstück ereignet sich etwas Besonderes, das die Erwartung dessen, was sich da anbahnt, steigert und bewirkt, daß sich die Aufmerksamkeit noch mehr auf Jesus konzentriert. An der Straße, die aus Jericho herausführt, sitzt ein Blinder namens Bartimäus und bettelt. Sobald er hört, daß Jesus von Nazareth vorbeikommt, beginnt er laut zu rufen: „Sohn Davids, Jesus, hab Erbarmen mit mir!“ (Mk 10,47). Man versucht, ihn zum Schweigen zu bringen, doch vergeblich, bis Jesus ihn rufen läßt und ihn auffordert, näher zu kommen. „Was soll ich dir tun?“, fragt er ihn. Und der Blinde erwidert: „Rabbuni, ich möchte wieder sehen können“ (V. 51). Darauf sagt Jesus: „Geh! Dein Glaube hat dir geholfen“. Bartimäus erhält sein Sehvermögen zurück und folgt Jesus auf seinem Weg (vgl. V. 52). Nach diesem wunderbaren Zeichen in Verbindung mit jenem Ruf: „Sohn Davids“ breitet sich in der Menge plötzlich eine Welle messianischer Hoffnung aus, die in vielen die Frage aufkommen läßt: Ist dieser Jesus, der ihnen nach Jerusalem vorangeht, vielleicht der Messias, der neue David? Und ist mit seinem schon unmittelbar bevorstehenden Einzug in die Heilige Stadt vielleicht der Moment gekommen, in dem Gott endlich das Reich Davids wiederherstellt?
Auch die Vorbereitung des Einzugs, die Jesus gemeinsam mit seinen Jüngern trifft, trägt dazu bei, diese Hoffnung zu steigern. Wie wir im heutigen Evangelium gehört haben (vgl. Mk 11,1-10), kommt Jesus von Betfage und vom Ölberg aus nach Jerusalem, also über die Straße, auf der der Messias kommen sollte. Von dort aus sendet er zwei Jünger voraus und trägt ihnen auf, ihm ein Eselfohlen zu bringen, das sie unterwegs finden würden. Sie finden tatsächlich den jungen Esel, binden ihn los und führen ihn zu Jesus. An diesem Punkt überkommt die Herzen der Jünger und auch der anderen Pilger die Begeisterung: Sie nehmen ihre Mäntel und legen sie auf den Esel; andere breiten sie auf der Straße vor Jesus aus, der auf dem Esel voranreitet. Dann schneiden sie Zweige von den Bäumen und beginnen, Worte aus Psalm 118 zu rufen, alte Segensworte für die Pilger, die in diesem Zusammenhang zu einer messianischen Proklamation werden: „Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn! Gesegnet sei das Reich unseres Vaters David, das nun kommt. Hosanna in der Höhe!“ (V. 9-10). Diese von allen vier Evangelisten überlieferte freudige Akklamation ist ein Segensruf, ein jubelndes Loblied: Es drückt die einmütige Überzeugung aus, daß Gott in Jesus sein Volk besucht hat und daß endlich der ersehnte Messias gekommen ist. Und alle sind dort in zunehmender Erwartung des Werkes, das Jesus vollbringen wird, wenn er in die Stadt eingezogen ist.
Doch was ist der Inhalt, der tiefste Widerhall dieses Jubelrufs? Die Antwort erhalten wir aus der gesamten Heiligen Schrift, die uns daran erinnert, daß der Messias die Segens-Verheißung Gottes zur Erfüllung bringt, die ursprüngliche Verheißung, die Gott dem Abraham, dem Vater aller Glaubenden, gemacht hatte: „Ich werde dich zu einem großen Volk machen und dich segnen … Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen“ (Gen 12,2-3). Es ist die Verheißung, die Israel im Gebet immer lebendig gehalten hatte, besonders im Psalmengebet. Darum ist derjenige, der von der Menge als der Gesegnete bejubelt wird, zugleich der, durch den die gesamte Menschheit Segen erlangen wird. So erkennt sich im Licht Christi die Menschheit zutiefst geeint und gleichsam in den Mantel des göttlichen Segens eingehüllt, eines Segens, der alles durchdringt, alles trägt, alles erlöst, alles heiligt.
Hier können wir eine erste große Botschaft entdecken, die das heutige Fest uns übermittelt: die Aufforderung, die gesamte Menschheit in der rechten Weise in den Blick zu nehmen, die Völker, aus denen sich die Welt zusammensetzt, ihre verschiedenen Kulturen und Zivilisationen. Der Blick, den der Glaubende von Christus empfängt, ist der Blick des Segens: ein weiser und liebevoller Blick, der fähig ist, die Schönheit der Welt zu erfassen und mit ihrer Gebrechlichkeit mitzuleiden. Durch diesen Blick scheint der Blick Gottes selbst hindurch, den er auf die Menschen richtet, die er liebt, und auf die Schöpfung, die das Werk seiner Hände ist. Im Buch der Weisheit lesen wir: „Du hast mit allen Erbarmen, weil du alles vermagst, und siehst über die Sünden der Menschen hinweg, damit sie sich bekehren. Du liebst alles, was ist, und verabscheust nichts von allem, was du gemacht hast … Du schonst alles, weil es dein Eigentum ist, Herr, du Freund des Lebens“ (11,23-24.26).
Kehren wir zum heutigen Evangelium zurück und fragen wir uns: Was bewegt denn wirklich die Herzen derer, die Christus als den König Israels bejubeln? Sicher hatten sie eine eigene Vorstellung vom Messias, eine Vorstellung davon, wie der von den Propheten verheißene und lang erwartete König handeln müsse. Es ist kein Zufall, daß wenige Tage später die Menschenmenge von Jerusalem, anstatt Jesus zuzujubeln, Pilatus zuruft: „Kreuzige ihn!“. Selbst die Jünger wie auch andere, die ihn gesehen und ihm zugehört hatten, verstummen und sind verstört. Die meisten waren nämlich enttäuscht von der Art, die Jesus gewählt hatte, sich als Messias und König Israels zu zeigen. Genau hier liegt der Kern des heutigen Festes, auch für uns. Wer ist Jesus von Nazareth für uns? Welche Vorstellung haben wir vom Messias, welche Vorstellung haben wir von Gott? Das ist eine entscheidende Frage, die wir nicht umgehen können, um so weniger, als wir gerade in dieser Woche aufgefordert sind, unserem König zu folgen, der als Thron das Kreuz wählt; einem Messias zu folgen, der uns nicht ein einfaches irdisches Glück zusichert, sondern das Glück des Himmels, die Seligkeit Gottes. So müssen wir uns also fragen: Was sind unsere wahren Erwartungen? Welches die tiefsten Wünsche, mit denen wir heute hierher gekommen sind, um den Palmsonntag zu feiern und die Karwoche zu beginnen?
Liebe junge Freunde, die ihr hier zusammengekommen seid! Dies ist in besonderer Weise euer Tag, überall in der Welt, wo die Kirche gegenwärtig ist. Darum begrüße ich euch sehr herzlich! Möge der Palmsonntag für euch der Tag der Entscheidung sein – der Entscheidung, den Herrn aufzunehmen und ihm bis zum Äußersten zu folgen; der Entscheidung, sein Pascha von Tod und Auferstehung zum eigentlichen Sinn eures Lebens als Christen zu machen. Es ist die Entscheidung, die zur wahren Freude führt, wie ich bereits in der Botschaft – „Freut euch im Herrn zu jeder Zeit!“ (Phil 4,4) – an die Jugendlichen zu diesem Tag erwähnt habe und wie es die heilige Klara von Assisi erlebte, die vor achthundert Jahren – hingerissen vom Beispiel des heiligen Franziskus und seinen ersten Gefährten – gerade am Palmsonntag das elterliche Haus verließ, um sich ganz dem Herrn zu weihen: Sie war achtzehn Jahre alt und hatte im Glauben den Mut und die Liebe, sich für Christus zu entscheiden, da sie in ihm die Freude und den Frieden fand.
Liebe Brüder und Schwestern, mögen besonders zwei Grundstimmungen diese Tage beherrschen: der Lobpreis, wie bei denen, die Jesus in Jerusalem mit ihrem „Hosanna“ empfangen haben, und der Dank, weil Jesus, der Herr, uns in dieser Karwoche von neuem das denkbar größte Geschenk machen wird: Er wird uns sein Leben schenken, seinen Leib und sein Blut, seine Liebe. Doch auf ein so großes Geschenk müssen wir in angemessener Weise antworten, das heißt mit dem Geschenk unserer selbst: unserer Zeit, unseres Gebetes, unseres tiefen, liebevollen Verbundenseins mit Christus, der für uns leidet, stirbt und aufersteht. Die Kirchenväter haben ein Symbol all dessen in der Geste der Menschen gesehen, die Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem folgten, in der Geste, ihre Mäntel vor dem Herrn auszubreiten. Vor Christus – sagten die Väter – müssen wir unser Leben, unser ganzes Sein ausbreiten, in einer Haltung der Dankbarkeit und der Anbetung. Hören wir zum Abschluß noch einmal die Stimme eines dieser alten Väter, des heiligen Bischofs Andreas von Kreta: „Breiten wir also demütig vor Christus uns selber aus und nicht die Mäntel oder leblose Zweige und grüne Blätter, welche die Augen nur für wenige Stunden erfreuen und deren Schicksal es ist, mit dem Pflanzensaft auch ihr Grün zu verlieren. Breiten wir uns selber aus, bekleidet mit seiner Gnade oder besser: mit ihm selbst ganz und gar … und werfen wir uns wie ausgebreitete Mäntel ihm zu Füßen … damit wir dem Sieger über den Tod nicht mehr einfache Palmzweige, sondern Siegestrophäen darbringen können. Indem wir die geistlichen Zweige der Seele schwingen, rufen auch wir jeden Tag, gemeinsam mit den Kindern, in heiligem Jubel: »Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn, der König Israels!«“ (PG 97,994). Amen!
(Predigt Petersplatz, 1. April 2012)
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