Weil wir alle „ein Bisschen queer“ sind…

4. April 2024 in Kommentar


Das Buch „Gott queer gedacht“ erklärt Gott, Jesus und uns alle für queer – Ideologie als Surrogat von Theologie – Von Jürgen Henkel


Würzburg (kath.net/jh) Beim vorliegenden Buch ist schon der Titel theologischer Nonsens und das Coverbild Blasphemie. Wenn es da heißt: „Gott queer gedacht“, dann zeugt bereits dies davon, dass hier nicht mehr von der für menschliches Denken und Verstehen stets unergründlichen Wirklichkeit und dem realen Sein des lebendigen Gottes ausgegangen wird, der sich in der Allerheiligsten Dreifaltigkeit als Vater, Sohn und Heiliger Geist offenbart und in der Heiligen Schrift als Wort Gottes zu uns spricht. Denn Gott ist in Seinem Sein und Wesen so, wie Er ist – und nicht wie die Menschen sich Ihn denken, vorstellen oder einbilden, weil und insofern Er von sich selbst sagt: „Ich bin, der Ich bin“ (2. Mose 3,14). Gott ist in Seiner Hoheit, in Seiner Allmacht, in Seiner Allwissenheit der, der Er ist! Er muss und kann nicht „gedacht“ werden. Ein Gott, der „gedacht“ wird, ist immer nur ein „erdachter“ Gott, ist als lebendige Person inexistent und höchstens ein Abgott oder ein falsches Idol, ja eine Chimäre als Ergebnis spindisierenden und subjektiven Denksports ohne realen Inhalt, denkerisch nichts anderes als eine aufgewärmte Wiederholung der Feuerbachschen Projektionsthese.

Das Cover wiederum sprengt alle Vorstellungen. Ein Christus in Pumps sitzt in Anspielung an berühmte Darstellungen des Letzten Abendmahls bei Sekt und Chips mit einem Sammelsurium grell geschminkter Männer in Frauenkleidung zu Tisch, im Vordergrund trottet ein Hund durchs Bild. Ein Tiefpunkt unwürdiger Christusbilder: das Letzte Abendmahl als Transenparty.

So weit, so schlecht. Dieser erste Eindruck täuscht indes nicht und der Leser weiß wenigstens genau, was ihn – oder sie? – erwartet. Wobei Gott – bzw. das Phantasiegebilde, das der Autor mit der führenden Literatur der „queeren“ Theologie hier postuliert – im Innenteil des Buches nur noch mit Gendersternchen vorkommt: „G*tt“. Ziel dieses Buches ist es also, Gott queer zu denken. Das schließt die radikale Dekonstruktion des Christentums und seiner überkommenen religiösen Bilder ein, was auch explizit so gefordert wird. Das soll neue, „ungeahnte“ Zugänge zu einem Gott schaffen, „der*die“ sich als immer schon anders erweise als von den Menschen gedacht. Natürlich darf dabei auch die allgegenwärtige Judith Butler nicht fehlen.

Das Buch führt in queer-theologische Diskurse ein, die sich bislang vor allem im angelsächsischen Sprachraum entwickelt haben, aber dank der zunehmenden Dominanz des Wokismus in Staat, Gesellschaft, Medien, Universitäten, Kirche und Theologie sich auch in Deutschland zunehmend als maßgeblich und normativ verbreiten. Der Wokismus und die Gender-Ideologie sind gerade dabei, zur Staatsdoktrin zu werden. Ein offener Diskurs ist mittlerweile kaum mehr möglich, Kritiker und Skeptiker werden umgehend als „rechts“ und rassistisch, queerfeindlich und homophob diffamiert mit dem Ziel, sie mundtot zu machen. Aktuell erleben das gerade die bayerische Kabarettistin Monika Gruber und Fürstin Gloria von Thurn und Taxis. Das vorliegende Werk macht deutlich, dass der Begriff „queer“ längst mehr ist als ein Modewort, er ist zum Leitbegriff dieser Kulturrevolution geworden. Um den Totalanspruch der Gender-Ideologie durchzusetzen, ist es nur konsequent, dass dann auch die christliche Theologie im Sinne dieser Strömung neu interpretiert und transformiert werden muss. Andreas Krebs führt nun genau dies in letzter Konsequenz und Radikalität vor.

„Queere G*ttesrede“ wird zunächst abgegrenzt von der klassischen Theologie des Christentums. Dieses erzähle von Menschen, die Gott als Mann und Frau erschuf. „Fruchtbar sollen sie sein und sich mehren. Sexualität darf einzig dem Kinderkriegen dienen. Eine gegengeschlechtliche Bindung, lebenslang gültig und ausgerichtet auf das Ziel der Fortpflanzung – dieses heteronome Ideal setzt das Christentum dem Willen des Schöpfers gleich. Alles andere, so heißt es, sei ‚gegen die Natur‘.“ (S. 9) Den Kirchen wird Hetze gegen queere Menschen vorgeworfen; unter anderem nennt er die Römisch-Katholische Kirche in Polen, die Orthodoxe Kirche, Evangelikale Kirchen in den USA, Pfingstkirchen in Südamerika sowie „fast alle“ christlichen Kirchen in Afrika.

Demgegenüber behaupteten nun queere „Theolog*innen“, „das“ Christentum sei schon immer queer gewesen (S. 13). So gehöre zu queerer Theologie immer auch eine „konsequente Theologie-Kritik“: „Erst in solch einer kritisch-selbstkritischen Haltung kann queere Theologie auch einen konstruktiven Beitrag leisten. Dann ist sie in der Lage – in Auslegung von Schrift und Tradition, Deutung religiöser Erfahrung und theologischer Reflexion –, jenseits heteronormativer Muster neue Räume zu eröffnen.“ (S. 15) Hier bekennt sich die „queere Theologie“ dazu, die Theologie auf der Basis der Gender-Theorien komplett neu zu erfinden, was diese Theologie jedoch zur heterodoxen Ideologie macht.

„Jenseits des Geschlechterdualismus“ sieht Krebs den von „G*tt“ erschaffenen Menschen verortet, der nicht als „Mann und Frau“, sondern laut Urtext als „männlich und weiblich“ erschaffen sei, was auch die Einheitsübersetzung aufgreife. Es gehört viel denkerische Rabulistik dazu, diese Begriffe aus Genesis 1,27 als für jeden Menschen gleichermaßen zutreffend zu interpretieren, um das queere Anliegen schon in den Schöpfungsbericht und die protologische Anthropologie zu interpolieren. Natürlich gibt es in dieser Interpretation auch viele „Übergänge und weitere Möglichkeiten“. Krebs moniert: „Der Geschlechter-Dualismus ist nicht nur, aber gerade auch im Christentum zur Obsession geworden.“ (S. 21) Exegetisch wird hier geirrlichtert, zentrale theologische Argumente etwa von Thomas von Aquin (1225-1274) werden verkürzt dargestellt. Immerhin gesteht der Autor selbst zu, dass dem biblischen Text zur Ermöglichung queerer Interpretation Bedeutungen abzugewinnen seien, die seinen „Verfasser*innen“ (welche Autorinnen biblischer Schriften meint Krebs hier mit der femininen Form? Oder geht er davon aus, dass auch hier schon queere Personen am Werk waren?) niemals in den Sinn gekommen wären (S. 52). Und natürlich sind Bibel und Christentum auch für die „abgründige Ambivalenz von Begehren und Gewalterfahrung“ verantwortlich, in die viele Frauen durch das Patriarchat gezwungen würden.

Die Selbstzuschreibung und -bestimmung der geschlechtlichen und sexuellen Identität wird zum Ergebnis subjektiver Selbstwahrnehmung und Selbsterfahrung nach je eigener „Lesart“ von sich selbst. Die Bibel spreche bei Geschlechterrollen gerade nicht von einer „immergleichen menschlichen Natur“. Doch sind in der Bibel – wie in der Natur und Biologie – Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt durchaus klar dem weiblichen Geschlecht zugeordnet und damit genau die geschlechtliche bzw. sexuell-regenerative Qualität des Menschen der Selbstbestimmung und –verfügung entzogen. Dem Mann hingegen ist besonders die Mühe der schweren körperlichen Arbeit verheißen (vgl. Gen 3,16-19). Dass heute Frauen auch in „klassischen“ Männerberufen arbeiten, widerspricht dem nicht.

Während die Bibel hier eindeutige Aussagen trifft, erfährt der Leser in dem Band die bunte Vielfalt der Genderwelt und wird aufgeklärt, was die Begriffe queer und nonbinär, demigender, bigender, trigender, pangender, inter, genderfluid, genderqueer und agender, trans und „cis“, biromantisch, polyromantisch und polysexuell, panromantisch und pansexuell, aromantisch und asexuell bedeuten. Die „heteronormative Fixierung auf eine Art, Geschlecht und Begehren zu leben“ mache jedenfalls für den „Reichtum der Möglichkeiten blind“ (S. 35); queere Begriffsbildungen wollten hier „Befreiungserfahrung“ ermöglichen.

Immer wieder arbeitet sich Krebs an der lebenslangen monogamen Ehe zwischen Mann und Frau ab. Auf die empirisch durch Umfragen und Studien verifizierbare Frage, ob nach wie vor nicht die große Mehrzahl der Paare aus Mann und Frau auf eine monogame Beziehung in Treue hinstrebt und gerade junge Paare dies nach wie vor als Ideal sehen, geht Krebs an keiner Stelle ein. Auch auf die Frage, welche Rolle Kinder und das Kindeswohl in diesem Ringelspiel variierender sexueller „Lesarten“ von sich selbst und wechselnder Identitäten spielen und wie sie innerhalb dieser sexuell-geschlechtlichen Selbstdefinitionen von Eltern noch vorkommen, geht diese Einführung in die „queere Theologie“ an keiner Stelle ein; das interessiert Krebs und die von ihm zitierten Gender-Propheten überhaupt nicht.

Am gravierendsten erscheint es, wenn hier dafür plädiert wird, neu geborenen Kindern grundsätzlich keine biologische Identität mehr zuzusprechen: „Wird bei der Geburt etwa gesagt: ‚Es ist ein Mädchen‘, ist dies eine ‚performative Sprechhandlung‘, welche die Wirklichkeit, die sie aussagt, selbst erschafft. ‚Es ist ein Mädchen‘ spannt nämlich das Neugeborene in ein Netz aus Begriffen, Normen und Erwartungen, die es in der Folge erst zum ‚Mädchen‘ machen. (…) Weil das Neugeborene zugleich einen ‚weiblichen‘ Namen erhält, wiederholt und verfestigt jede Anrede die Geschlechtszuschreibung.“ (S. 45) Dies alles konsequent zu Ende gedacht würde bedeuten, künftig Neugeborenen keine Namen mehr zu geben, nur noch Nummern, und sie auf keine Namen mehr zu taufen, bis das Kind als Jugendlichende/r wohl mit 12, 13 oder 14 Jahren irgendwann weiß, wie es sich selbst gerne „lesen“ möchte. Wobei die Gesetzgebung der sog. „Ampelkoalition“ in unserer heute buntesdeutschen „Genderrepublik“ schon vorsieht, dass diese Entscheidung regelmäßig nach tagesaktueller Lesart variiert werden kann. Und wenn heute statt von Vater und Mutter immer öfter bis in offizielle Texte hinein von „Elter 1“ und „Elter 2“ die Rede ist, was sogar der Europarat angeregt hat, dann ist es ja wohl nur recht und billig, auch die Kinder bis zur erstmaligen geschlechtlichen Selbstfindung künftig einfach durchzunummerieren, oder?

So kommt dem Buch immerhin der Verdienst zu, in aller Klarheit aufzuzeigen, welche die Familie nihilierende und damit auch gesellschaftszersetzende Auswirkungen die Gender-Ideologie in Reinkultur haben wird, wenn diese woke Kulturrevolution, die bereits voll im Gange ist, nicht rechtzeitig gestoppt wird und diese Ideologie bald als Staatsdoktrin auch legislativ umgesetzt wird – natürlich inklusive Gesinnungsüberwachung von Skeptikern und Kritikern durch den Bundesverfassungsschutz. Ein an Absurdität nicht mehr zu überbietendes Beispiel der Konsequenzen seiner Thesen liefert der Autor dankenswerterweise übrigens selbst, wenn er festhält: „Im gegenwärtigen Kontext erfordert also der Sinn des Liebesgebotes dessen inklusive Formulierung: Liebe deine*n Nächste*n wie dich selbst. Liebe deine*n Nächste*n, denn dein*e Nächste*r ist wie du.“ (S. 54) Deutschlehrer und die gesamte Republik werden in Zeiten desaströser Pisa-Studien ihre große Freude an solcher Sprache haben.

Dass die „queeren Theologien“ zu einer grundlegenden Veränderung der gesamten Theologie führen sollen und wollen, wird hier jedenfalls ehrlich ausgesprochen, behaupteten sie doch „die Notwendigkeit, Theologie im Ganzen (Hervorhebung im Orig.; J.H.) neu zu denken – von der G*tteslehre bis zu den Letzten Dingen.“ (S. 60) Klarer kann man es kaum formulieren, dass diese Strömung die bisherige Theologie in ihrer Bindung an Schrift und Tradition, Lehre und Bekenntnis schlicht ad acta legen will. Das wird offen zugegeben – und das muss jeder wissen, der mit pastoralem Pathos und seelsorgerlichem Anspruch derlei queere Postulate und Sprachspiele aufnimmt und gedankenlos nachspricht. Ziel ist hier ein grundsätzlich anderes Menschenbild und eine grundlegend andere Theologie, die im Blick auf die bisherige jedoch höchstens ein Surrogat ist. Begeistert zitiert Krebs die „vielbeachtete Queer-Theologin“ Marcella Althaus-Reid und deren Forderung nach einem „queeren Widerspruchsgeist, um Theologie und Kirche zu revolutionieren“ (S. 59). Sie will auch „den am priesterlich-göttlichen Phallus orientierten Geschlechterdualismus durcheinanderbringen“ (S. 79). Das Kreuz ist für diese führende Queer-Theologin „letztlich der Versuch, einen queeren Messias und mit ihm eine queere G*ttheit aus der Welt zu schaffen.“ (S. 81)      

Vieles gäbe es zu diesem Buch noch zu sagen. Die vermeintliche Sexualfeindlichkeit des Christentums etwa wird darin begründet, dass asketische Strömungen zu dessen Entstehungszeit in Mode gewesen seien, die das Christentum dann übernommen habe; Krebs erwähnt Epikur, die Kyniker und die Stoa. Hier wird‘s auch historisch falsch und schräg. Einerseits ist das Christentum in Jerusalem entstanden, nicht in Rom. Und genauso in Mode wie Askese waren zur Zeit der Ausbreitung des Christentums im Römischen Reich dionysische Orgien und die Knabenliebe. Gruslig wird es bei der These: „Der kirchliche Christus wurde ein misogyner, homophober Unterdrücker.“ (S. 66) Dabei war es gerade Jesus, der mit Frauen diskutierte und ihnen gleichberechtigt gegenübertrat (Joh 4), der eine Ehebrecherin vor der Steinigung rettete (Joh 8,1-11) und sich von einer Sünderin salben ließ (Lk 7,36-50). Und es sind auch solche Bibeltexte, die das kirchliche Christusbild in Sonntags- und Feiertagslesungen prägen.

Bestritten wird im Übrigen wider alle Evidenz, dass Jesus ein Mann war: „Besser bleibt man dabei, dass man über Jesu Sexualität und geschlechtliche Identität nichts weiß.“ (S. 71) Allerdings verweist Krebs selbst auf die Beschneidung Jesu und damit auf äußere Geschlechtsmerkmale (S. 87), um kurz danach wieder zu dozieren: „Jesu Leib ist in einem eminent theologischen Sinne queer und trans*“, wurde aber, „was seine Identität auch immer war, als Mann gelesen.“ (S. 90) Auch hielt Jesus das Letzte Abendmahl im Kreis von „Jünger*innen“ (S. 86). Nachdem Gott, Jesus, seine Jünger und letztlich alle Menschen mit den wichtigsten Kronzeugen queerer Theologie für queer erklärt werden, folgert und fordert Krebs folgerichtig, dass die Kirche selbst queer ist und sein müsse.

Warum nun eine so ausführliche Rezension und so viele Worte über ein solches Buch? Und wir gehen sogar noch einen Schritt weiter und empfehlen ausdrücklich die Lektüre! Weshalb? Weil man selten in solcher Klarheit und Konzentration die Grundlagen, Argumente und Konsequenzen der Gender-Ideologie für die Theologie anhand von Aussagen führender Theoretiker der queeren Theologie als aktuelle Bewegung vorgeführt bekommt wie hier. In dieser Einführung wird überdeutlich, wie unvereinbar diese in die aktuelle Theologie seit geraumer Zeit eingetragene zeitgeistige Strömung mit der auf Schrift, Tradition  und Bekenntnis verpflichteten christlichen Theologie und dem christlich-biblischen Menschenbild ist, trotz aller hier angewandten exegetischen und rhetorischen Tricks.

Dass Menschen mit geschlechtlichen und sexuellen Identitätsproblemen in der Seelsorge und im zwischenmenschlichen wie kirchlichen Umgang aus christlicher Nächstenliebe mit Zuwendung, Respekt und Achtung zu begegnen ist, steht bei all dem außer Frage. Das Buch stammt übrigens weder von einem Protestanten, noch von einem römisch-katholischen Autor. Der Verfasser Dr. phil. Andreas Krebs ist Inhaber des Lehrstuhls für Alt-Katholische und Ökumenische Theologie sowie Direktor des Alt-Katholischen Seminars der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

Andreas Krebs: Gott queer gedacht. Würzburg: Echter Verlag 2023

Dr. Jürgen Henkel ist Gemeindepfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche Bayern in Selb (Oberfranken), Schriftleiter der Zeitschrift „Auftrag und Wahrheit – Ökumenische Quartalsschrift für Predigt, Liturgie und Theologie“ (Link zur aktuellen Ausgabe) und Prof. h. c. an der Fakultät für Orthodoxe Theologie der Babeş-Bolyai-Universität Cluj-Napoca/Klausenburg in Rumänien.


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