2. Mai 2024 in Deutschland
Managementprofessor: „Ich finde es nicht verständlich, dass die ja seit mehr als zehn Jahren auch von Papst Franziskus erneut priorisierte Neue Evangelisierung in Deutschland nun auch auf dem Katholikentag so konsequent ignoriert wird.“
Köln (kath.net/pl) Das Online-Programm des Katholikentags in Erfurt (29. Mai – 2. Juni 2024) liefert bei der Stichwortsuche null Treffer zum Thema „Neuevangelisierung“. Darauf macht der Kölner Professor Riccardo Wagner in einem Tweet aufmerksam (siehe unten). Wagner ist Professor für Nachhaltiges Management & Kommunikation an der Hochschule Fresenius in Köln, Leiter der Media School, Studiendekan sowie Autor. kath.net hat diese Aussage zum Fehlen des Stichwortes „Neuevangelisierung“ überprüft und kann sie für das Datum 2.5.2024 bestätigen.
Prof. Wagner nahm auf Anfrage von kath.net dazu Stellung:
Der Kern meiner Kritik ist, dass ich befürchte, dass hier auch in der nachfolgenden Diskussion die Prioritäten auf dem Kopf stehen. Dennoch, es geht mir nicht darum, pauschal gegen die geplanten Themen auf dem Katholikentag zu sein – ich möchte weder den Organisatoren noch den Teilnehmern absprechen, dass sie sich mit großer Leidenschaft für die Zukunft der Kirche engagieren und sich ebenfalls um den Zustand der Kirche sorgen, noch das die geplanten Themen unwichtig wären – allein, das immer noch zentrale Anliegen eine Kirche zu gestalten, die ein sicherer Ort der Arbeit und des Glaubens für alle ist, zwingt zu bestimmten Diskussionen.
Ich möchte auch nicht gegen, sondern ausdrücklich für etwas sein – und ich finde es nicht verständlich, dass die ja seit mehr als zehn Jahren auch von Papst Franziskus erneut priorisierte (Evangelii Gaudium 2013) Neue Evangelisierung in Deutschland und nun auch auf dem Katholikentag so konsequent ignoriert wird. Und ich glaube, die Neuevangelisierung gehört auch nicht nur implizit mitgedacht bei den geplanten Themen, sondern explizit und in die Agenda. Wenn wir hier nicht konsequent und konkret das selbstbewusste Ziel diskutieren, wie wir wieder mehr Menschen für die Kirche und unseren Glauben gewinnen, wird sich das auch nicht nebenbei ergeben. Und gewinnen werden wir die Menschen auch nicht Dank einer sozialpolitischen Agenda. Wer sich hier engagieren möchte, hat hunderte Vereine und Organisationen zur Auswahl und deren Mitgliedschaft ist vermutlich auch billiger.
Kardinal Paul Cordes hat es mal ganz gut ausgedrückt: “Sometimes Church discussion gives the impression that we could construct a just world through the consensus of men and women of good will and through common sense. Doing so would make faith appear as a beautiful ornament, like an extension on a building – decorative, but superfluous.” (https://philarchive.org/archive/ROWCEA) Paul Cardinal Cordes, Not Without the Light of Faith: Catholic Social Doctrine, speech at The Australian Catholic University, 27 November 2009) [„Manchmal erweckt die Diskussion in der Kirche den Eindruck, dass wir eine gerechte Welt durch den Konsens von Männern und Frauen guten Willens und durch gesunden Menschenverstand konstruieren könnten. Dadurch würde der Glaube wie ein schöner Schmuck erscheinen, wie eine Erweiterung eines Gebäudes – dekorativ, aber überflüssig.“]
Wir müssen dafür sorgen, dass wir diese Reihenfolge und Prioritäten nicht vergessen.
Ich bin seit 20 Jahren in der strategischen Beratung von Unternehmen und Organisationen tätig. Ich benutze hier gern die Metapher des Fahrersitzes. Keine Organisation kann erfolgreich bleiben oder werden, wenn sie nicht im Fahrersitz ist und Richtung und Umsetzung der Strategie selbst bestimmt. Im Fahrersitz ist die Organisation, die weiß, was ihre Kernwerte sind, die Vertrauen hat in die eigenen Überzeugungen, ihr Wissen und ihre Kultur hat und aus dieser Basis überzeugend eine Grund und Auftrag für die eigene Existenz ableiten kann. Dieses Fundament gibt Orientierung und, ganz wichtig, Energie und Selbstvertrauen, wenn es schwierig wird – man ist im Fahrersitz und bestimmt die eigene Reise. Habe ich das alles nicht, bin oder werden ich Passagier, sobald es schwierig wird, und andere diktieren meine Agenda und meinen Weg.
Die überall mit Händen greifbare Verunsicherung der Kirche und der Wunsch nach größerer gesellschaftlicher Akzeptanz bringt die Gefahr mit sich, dass uns die Agenda geschrieben wird und wir vor allem ignorieren oder an den Rand schieben, welche Herangehensweise uns als Kirche eigentlich auszeichnet und unterscheidet, wie Cordes gut auf den Punkt gebracht hat.
Was ich hier in der Kommunikation und Programmplanung des Katholikentages sehe, spiegelt ja durchaus adäquat die sonstige Debatte um den Zustand, die Themen und die Zukunft der Kirche wieder. Und dieses Programm zeigt aus meiner Sicht vor allem eines: dass die Kirche in keiner Form im Fahrersitz ist. Ich sehe keine Organisation, die begierig ist hinauszugehen in die Welt und die überzeugt ist, dass der Glaube an Jesus Christus und der Katholizismus antworten hat auf die großen Fragen unserer Zeit und die überzeugt ist, dass sie mit Autorität die Wahrheit verkündet.
Jetzt kann man leicht sagen „ok, der typische Furor des Konvertiten. er ist seit 5 Minuten Katholik, was weiß er schon – aber ich habe mich mehr als ein Jahrzehnt intensiv genau mit dieser Frage befasst und mit mir und der katholischen Lehre und Kirche gerungen – „Warum sollte ich dieser Kirche beitreten?“ – und letztlich kann es da nur eine Antwort geben: weil es die Wahrheit ist und die aktuelle Kommunikation der deutschen Kirche hat nur wenig dazu beigetragen, dass ich am Ende zu dieser Einsicht gelangt bin und das sollte sich ändern.
Diskussionen um operative Themen des politischen und gesellschaftlichen Alltags, eine klare politische Positionierung, um Prozesse und Strukturen sind wichtig - aber sie überzeugen niemanden Teil dieser Kirche zu werden. Engagierter und dauerhafter Teil der Kirche wird, wer an Gott den Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn glaubt und die Beziehung mit ihm sucht und der zudem an unsere Kirche und deren Heiligkeit glaubt, weil sie von Jesus Christus begründet wurde und diese daraus stammende Authorität, v.a. in Form der Sakramente auch heute noch besitzt. Es gibt sonst keinen anderen Grund, der nicht auch von anderen Organisationen bedient werden kann.
Eine solche Überzeugung gibt Orientierung, Sinn und Hoffnung und ich sehe hier oft mit Erstaunen, wie offensichtlich und auch wie selbstverständlich fundamentale Elemente der kirchlichen Lehre und unseres Glaubens ignoriert und angezweifelt werden, auch von Personen, die gern in verantwortungsvolle Positionen in kirchlichen Organisationen gewählt werden wollen. Das heißt nicht, dass Kritik und Diskussion unerwünscht sind oder dass sich in der Art, wie wir Kirche denken, nicht auch Veränderungen möglich sein sollten, im Gegenteil – aber die Prioritäten sollten genauso klar sein wie das gemeinsame Ziel und unser gemeinsames Fundament.
Weiterführender Link - Prof. Wagner im kath.net-Interview: Riccardo Wagner wurde katholisch: „Ich wollte nie Christ sein. Ich war Atheist“
Archivfoto Prof. Wagner (c) Riccardo Wagner/privat
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— Prof.Dr. Riccardo Wagner (@riccardo_wagner) April 30, 2024
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