15. Mai 2024 in Spirituelles
„Dem Zeitgenossen, der sich oft in vielen Möglichkeiten und gegensätzlichen Wegen verliert…, sollen die Christen den auferstanden Herrn Jesus Christus vorschlagen, der Einzige nämlich, der sagen kann: ‚Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben‘.“
Berlin (kath.net/pl) kath.net dokumentiert die Predigt S.E. Apostolischer Nuntius Erzbischof Dr. Nikola Eterović in Berlin, 05. Mai 2024 in voller Länge und dankt S.E. für die freundliche Erlaubnis zur Weiterveröffentlichung - Apg 10,25-26.34-35.44-48; Ps 98; 1 Joh 4,7-10; Joh 15,9-17
„Liebt einander“ (Joh 15,17).
Liebe Schwestern und Brüder!
Nachdem wir über die innige Verbundenheit zwischen Jesus Christus, dem Weinstock, und uns, seinen Jüngern, den Reben, nachgedacht haben, wollen wir mit der Betrachtung der Lehre des auferstandenen Herrn, der in seiner Kirche gegenwärtig ist, fortfahren. Sie führt uns zur unergründlichen Tiefe der barmherzigen Liebe Gottes, der nämlich die Liebe ist: „Gott ist die Liebe“ (1 Joh 4,6). Öffnen wir uns der Gnade des Heiligen Geistes und verweilen wir bei einigen Eigenschaften dieser Liebe, die eine so große Bedeutung für das Leben eines jeden Christen, wie für das Leben der Kirche hat. In diesem Monat Mai, der traditionell der seligen Jungfrau und Gottesmutter Maria geweiht ist, wollen wir ihrer großen Liebe zu Gott und zu uns allen, ihren Söhnen und Töchtern, gedenken.
„Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt“
(Joh 15,9).
In dem kurzen Abschnitt aus dem Johannesevangelium, der uns heute zur Betrachtung vorgelegt ist, kommt das Wort Liebe viermal und das Adjektiv geliebt fünfmal vor. Wenn man die zweite Lesung aus dem ersten Johannesbrief hinzunimmt, wird klar, dass Gott ist die Liebe das Hauptthema der heutigen frohen Botschaft ist. Es handelt sich nicht um irgendeine Liebe, sondern um jene, die engstens mit Gott verbunden ist, so dass man Gott selbst mit dieser Liebe identifiziert und definieren muss: Gott ist die Liebe. Nach dem Evangelisten Johannes, dem Jünger, den Jesus liebte (vgl. Joh 13,25), können wir zusammenfassen, dass die Quelle dieser Liebe Gottvater ist. Die Liebe des Vaters manifestiert sich durch Jesus, den Eingeborenen Sohn des Vaters. Sie geht durch das Herz des Herrn Jesus und ergießt sich auf uns, seine Jünger. Denn der Herr Jesus sagt: „Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt“ (Joh 15,9). Wir Christen sind in der Liebe Jesu vereint und haben so Anteil an seiner Liebe zum Vater. In jedem Fall aber geht die Initiative von Gott aus: Er hat uns zuerst geliebt und lädt uns ein, an seiner Liebe teilzuhaben. „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt“ (Joh 15,16).
In diesem Zusammenhang versteht man die Aussage über unsere Gotteskindschaft gut. Dank der Liebe Gottes, sind wir nicht mehr Knechte, sondern Brüder Jesus Christi und Kinder Gottes. Während Jesus der eingeborene Sohn des himmlischen Vaters ist, wurden wir durch die Taufe als Kinder angenommen. „Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe“ (Joh 15,15).
„Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage“
(Joh 15,14).
Freunde Gottes und Brüder und Schwestern Jesu Christi zu sein, das ist eine große Würde, die das ganze christliche Leben kennzeichnet. Dies ist aber nur in dem Maße möglich, wie der Christ eins mit dem Herrn Jesus bleibt, gemäß seiner Aufforderung: „Bleibt in meiner Liebe“ (Joh 15,9). Doch diese Bedingung ist mit der Verantwortung verbunden, was zwei Pflichten einschließt. Nach dem Herrn zeigen seine Freunde ihre Liebe dadurch, dass sie seine Gebote erfüllen. Es sind Gebote, die von dem dreieinen Gott kommen und schon im Alten Testament in Gestalt der Zehn Gebote offenbart worden sind (vgl. Ex 20,1-17). Doch es handelt sich auch um das neue Gebot, das der Herr Jesus verkündet hat: „Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben“ (Joh 13,34). Zu dieser horizontalen Dimension tritt die vertikale hinzu, welche der Angelpunkt des großen Gebotes ist: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Mt 22,37-39). Jesus Christus hat die Wahrheit dieser Liebe zum Vater und zum Nächsten durch sein Beispiel gezeigt. Er hat sein Leben für uns hingegeben und aus freiem Willen das Leiden und den Tod angenommen, so hat er die Gebote seines Vaters befolgt und ist in seiner Liebe geblieben (vgl. Joh 15,10). Gleichzeitig hat er jene Aussage in die Tat umgesetzt: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“ (Joh 15,13).
Der Herr erwartet ein ähnliches Verhalten auch von seinen Freunden, das heißt von jedem Christen: „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage“ (Joh 15,14).
Die Worte Jesu sind fordernd, und wir müssen erkennen, dass unsere menschlichen Kräfte nicht ausreichen, sie zu verwirklichen. Wir haben aber die Hilfe der Gnade des Heiligen Geistes, den wir in verschiedenen Sakramenten empfangen haben, wie die bleibende Gegenwart des auferstandenen Herrn in unseren Herzen und in seiner Kirche: „Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20). In diesem Zusammenhang verstehen wir die Aussage: „Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben, so wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe“ (Joh 15,10). Der Gebrauch des Plural bei den Geboten weist auf die Liebe zu Gott und die Liebe zum Nächsten hin. Sie lenken das christliche Leben auf seine volle und fruchtbringende Verwirklichung hin. Das Gebot im Singular ist die Liebe, welche die Erfüllung der anderen Vorschriften erleichtert, so zum Beispiel die Zehn Gebote. Mit dieser Sichtweise verstehen wir die Aussage Jesu besser: „Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; und ihr werdet Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht“ (Mt 11,29-30). Die Gebote Gottes sind nicht so aufzufassen, dass sie die Freiheit des Menschen einengen oder angesichts der vielfältigen Wahlmöglichkeiten als Belastungen demütigen. Sie sind im Gegenteil Mahnungen an den Menschen, sich nicht in Einbahnstraßen zu verirren oder auf die Pfade des Verderbens zu verlieren. Sie lenken die Freiheit des Menschen auf die positive Entscheidungen hin, die zur Verwirklichung seines Lebens gut sind, um die wahre Glückseligkeit zu erlangen. Und das ist, was der Herr von jedem von uns wünscht: „Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird“ (Joh 15,11).
Liebe Brüder und Schwestern, dem Zeitgenossen, der sich oft in den vielen Möglichkeiten und gegensätzlichen Wegen zur Verwirklichung verliert, die sich ihm im Leben bieten, sollen die Christen den auferstanden Herrn Jesus Christus vorschlagen, der Einzige nämlich, der zurecht sagen kann: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). ER zeigt darüber hinaus den Weg zur vollen Verwirklichung unserer menschlichen und christlichen Möglichkeiten: „Niemand kommt zum Vater außer durch mich“ (Joh 14,6).
Die Liebe ist die Kraft, die das Gebet der Gläubigen wirksam macht. Das versichern die Worte Jesu Christi: „Dann wird euch der Vater alles geben, was ihr in meinem Namen erbittet“ (Joh 15,16). Und nochmals beteuert er: „Dies trage ich euch auf, dass ihr einander liebt“ (Joh 15,17).
Vertrauen wir unsere Gedanken der mächtigen Fürsprache der Gottesmutter Maria an, der Königin des Friedens, die wir in diesem Monat Mai besonders verehren, wenn wir den Rosenkranz beten, auf dass wir das Wort Gottes annehmen können und immer mehr das große Gebot der Liebe zu Gott und dem Nächsten leben in der Liebe des Herrn Jesus. Amen.
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