Armenien: Katholikos kritisiert "barbarische Akte" Aserbaidschans

18. Mai 2024 in Chronik


Armenisches Kirchenoberhaupt Karekin II. im "Kathpress"-Interview über Zerstörung der armenischen christlichen Kulturgüter in Berg-Karabach und die Friedensverhandlungen zwischen Armenien und Aserbaidschan.


Jerewan (kath.net/ KAP)
Der armenische Katholikos Karekin II. mahnt Friedensverhandlungen zwischen Armenien und Aserbaidschan, die diesen Namen auch verdienen, sowie den Schutz der armenischen christlichen Kulturgüter in Berg-Karabach (Artsach). Das Oberhaupt der Armenisch-apostolischen Kirche äußerte diese Forderungen dieser Tage gegenüber dem Innsbrucker Bischof Hermann Glettler, den er am Sitz der Kirche in Edschmiadzin bei Jerewan empfangen hat. Der österreichischen Delegation gehörten auch Journalisten an.
Im Interview mit "Kathpress" und weiteren Medien übte der Katholikos Kritik an den "barbarischen Akten" Aserbaidschans, das die Geschichte und Existenz des armenischen Volkes und Christentums in Berg-Karabach komplett auslöschen wolle. Immer öfter würden Kirchen zerstört oder Friedhöfe dem Erdboden gleichgemacht.
Aktuell ist in Berg-Karabach das Schicksal von mehr als 4.000 ungeschützten Kulturdenkmälern ungewiss, darunter etwa 300 Kirchen und Klöster, aber etwa auch viele Friedhöfe.
Am 19. September 2023 hatte Aserbaidschan Berg-Karabach mit überlegenen militärischen Mitteln angegriffen. Schon nach einem Tag war der Krieg entschieden. Dem Angriff vorausgegangen war eine rund neun Monate dauernde Totalblockade Berg-Karabachs durch Aserbaidschan. Mehr als 100.000 Armenier mussten noch im September 2023 über Nacht ihre Heimat verlassen. Mit Ende 2023 hat Artsach auch offiziell aufgehört zu existieren. Schon nach dem Karabach-Krieg von 2020 waren zudem bis zu 30.000 Karabach-Armenier dauerhaft nach Armenien geflüchtet, sodass das kleine Land insgesamt mehr als 130.000 Vertriebe aufgenommen und versorgt hat bzw. immer noch versorgt und zu integrieren versucht.
Katholikos Karekin II. hat in den vergangenen Monaten wiederholt offiziell zum gesellschaftlichen bzw. nationalen Zusammenhalt in Armenien aufgerufen. Nur so sei es möglich, den aserbaidschanischen Expansionsbestrebungen und Übergriffen auf armenischen Staatsgebiet zu widerstehen. Die Regierung habe nicht nur zu wenig getan, um Berg-Karabach zu unterstützen, sondern würde nun auch schlecht verhandeln. Noch dazu ohne Garantien vonseiten des Westens oder Russlands.
Der aserbaidschanische Präsident Alijew spreche offen aus, dass er sich mit dem bisher Erreichten nicht zufriedengeben wolle, so Karekin II. im "Kathpress"-Interview. Er verwies auf aserbaidschanische Ansprüche auf Dörfer in Armenien und einen Korridor im Süden des Landes, der Aserbaidschan mit der Enklave Nachitschewan verbinden soll. Bei den Verhandlungen werde auch an keiner Stelle eingemahnt, dass die Karabach-Armenier ein Recht auf eine sichere Rückkehr in ihre Heimat hätten. Und auch das Schicksal der Soldaten und Politiker von Artsach in Händen Aserbaidschans sei völlig ungewiss.
Im Gespräch mit "Kathpress" wollte sich der Katholikos nicht auf internationale, geostrategische Fragen einlassen. Die Armenisch-apostolische Kirche sei eine weltweite Kirche, der Großteil der Gläubigen leben verstreut in aller Welt. Umso mehr sei der Kirche um gute Beziehungen zu allen Staaten gelegen, so der Katholikos zur Frage, wie sich die Kirche im Spannungsfeld der bestehenden Beziehungen zu Russland und einer möglichen intensiveren Annäherung an die EU positionieren wolle.

Heftige innenpolitische Turbulenzen
Armenien wird derzeit von heftigen innenpolitischen Turbulenzen gebeutelt. Immer mehr Menschen demonstrierten in den vergangenen Tagen gegen die Politik von Ministerpräsident Nikol Paschinjan. Einer der führenden Köpfe der Protestbewegung gegen Paschinjan ist der armenisch-apostolische Erzbischof von Tavush, Bagrat Galstanyan. Er ist von den politischen Verhandlungen direkt betroffen. Mitte April hatte die Regierung von Nikol Paschinjan beschlossen, vier Dörfer in der Grenzregion Tavush an Aserbaidschan zurückzugeben, die Armenien in den 1990er-Jahren besetzt hatte. Gleichzeitig einigten sich beide Länder darauf, den umstrittenen Grenzverlauf in der Region verbindlich festzulegen.
Auch die armenische Kirchenleitung hat bereits deutlich Stellung bezogen. "Wir halten die Aktivitäten in den Grenzgebieten von Tavush, die im Namen der Grenzfestlegung und -markierung durchgeführt werden, für sehr gefährlich", hieß es vor einigen Tagen in einer Erklärung der Armenisch-Apostolischen Kirche. Das bestätigte nun auch Galstanyan im Gespräch mit Bischof Glettler und Kathpress in Jerewan. Er wollte zudem nicht von politischen Demonstrationen gegen die Regierung sprechen, sondern von einer "nationalen spirituellen Bewegung". Auch Katholikos Karekin stehe hinter dieser Bewegung, so Bischof Galstanyan.

Gute Beziehungen zu Österreich
Katholikos Karekin II. wies gegenüber Kathpress abseits der schwierigen politischen Verhältnisse in Armenien auf die guten Beziehungen zur Kirche in Österreich hin. Viele armenische Geistliche (z.B. auch der Katholikos selbst oder der aktuelle Wiener armenische Bischof Tiran Petrosyan) hätten in Österreich studiert. Es bestünden langjährige persönliche Freundschaften. Mehrmals führten seine Reisen das armenische Kirchenoberhaupt bereits nach Österreich. In Armenien wiederum konnte er heimische Bischöfe, etwa Bischof Alois Schwarz - ein Freund aus Studienzeiten - oder Bischof Manfred Scheuer, willkommen heißen. Freundschaftlich verbunden ist der Katholikos auch mit Kardinal Christoph Schönborn. Bereits seit 2001 ist Karekin II. auch Protektor der Wiener Stiftung "Pro Oriente".
Eng verbunden ist der Katholikos auch mit dem Salzburger "Zentrum zur Erforschung des Christlichen Ostens" (ZECO). Dieses setzt sich unter der Leitung der Armenien-Expertin Jasmine Dum-Tragut intensiv für die Bewahrung des christlichen Erbes in Berg-Karabach ein. Dum-Tragut hat u.a. ein offizielles Amt am Heiligen Stuhl von Etschmiadzin inne. Sie ist wissenschaftliche Beraterin im "Mother See of Holy Etchmiatzin's office for Artsakh Spiritual-Cultural Heritage Issues".
Der Besuch von Bischof Glettler in Armenien, wie auch jener des steirischen Bischofs Wilhelm Krautwaschl vor wenigen Wochen seien eine Ermutigung für die armenische Kirche und das armenische Volk, so Karekin II. Er würdigte zudem die Arbeit bzw. Zusammenarbeite der österreichischen und armenischen Caritas. Seit rund 20 Jahren ist Armenien ein Schwerpunktland der Caritas der Diözese Innsbruck und der Diözese Feldkirch.

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