"Wer Hoffnung gibt, führt!"

5. Juni 2024 in Aktuelles


Der Philosoph und Theologe Johannes Hartl, Leiter des Gebetshauses Augsburg, sprach vor Unternehmern über die Zukunft. Von Petra Knapp.


Wien (kath.net / pk) „Was sagt es über eine Gesellschaft, wenn unsere Vorstellungskraft, was die Zukunft betrifft, fast nur noch ausschließlich negativ ist, besonders bei jungen Menschen?“ Das sagte der deutsche Theologe und Philosoph Johannes Hartl in einem Vortrag zum Thema „Mit Hoffnung führen“ vor christlichen Unternehmern, der auf YouTube veröffentlicht wurde.

Hartl, der auch Gründer des Gebetshauses Augsburg ist, befasste sich mit negativen Zukunftsprognosen, etwa der Studie „Die Grenzen des Wachstums“, die der Club of Rome 1972 veröffentlichte. Dort wurde ein baldiger Kollaps der Erde prognostiziert, ebenso im Bestseller des amerikanischen Biologen Paul Ehrlich, „Population Bomb“.

Ehrlich malte die Zukunft komplett schwarz: Die Katastrophe stehe unmittelbar bevor, in den nächsten beiden Jahrzehnten – also zwischen 1970 und 1990 – würden die Lebensstandards komplett kollabieren, da die Bevölkerung rascher wachse als die Wirtschaft.

Was ist nun aus diesen Prognosen geworden? Es sei alles „ganz leicht anders gekommen“, analysiert Hartl. „Obwohl seit Paul Ehrlich die Weltbevölkerung von 3,5 Milliarden auf 8 Milliarden gestiegen ist, produzieren wir heute weltweit viel, viel mehr Lebensmittel als wir weltweit brauchen. Die damals ärmsten Länder der Welt wie Indien sind heute die größten Reisexporteure der Welt.“

Ehrlichs Buch sei „in jeder Hinsicht völlig daneben gelegen“, so Hartl. „Aber wir haben uns in den letzten 50 Jahren daran gewöhnt, permanent von einer Negativprognose zur nächsten zu gehen“, bedauert er die „Mentalität der Hoffnungslosigkeit“, an die wir uns gewöhnt haben.

Hartl zitierte den Philosophen Ludwig Wittgenstein, der einmal meinte, wir denken die Zukunft der Welt immer so, als würde sie einfach so weiterlaufen, wie wir sie jetzt laufen sehen; uns komme nicht in den Sinn, dass dieser Weg in die Zukunft nicht gerade verlaufe, sondern in einer Kurve bzw. sich die Richtung konstant ändere.

Hartl: „Dieses Zitat könnte man auch einfacher und unphilosophischer übersetzen mit folgendem Wort: Du darfst hoffen, denn nichts ist so lustig wie sich Zukunfts-Vorhersagen von vor zehn Jahren anzuschauen. Da kannst du echt mal laut auflachen!“

Er lud seine Zuhörer ein, eine ganz andere Zukunft zu denken. „Ihr seid als Unternehmer ständig gefordert, innovativ zu sein und eine neue Zukunft zu denken, obwohl die Prognosen schlecht sind und obwohl alles sagen, es läuft nicht gut“. 

„Wir sind berufen, nicht nur praktisch geradeaus zu denken, sondern mitzudenken“, sagte Hartl. Es sei wichtig, „dass es Menschen gibt, die um die Kurve denken können“. Hartl brachte das Zitat „whoever gives hope leads“ – „wer Hoffnung gibt, führt!“.

Hartl meinte, „dass wir zunehmend in einer Gesellschaft leben, die wirklich nicht mehr weiß, wo oben und unten ist, die auch so erstarrt ist in ihren Dystopien, von denen vielleicht manche stimmen, viele auch nicht stimmen, sodass die Frage ist: Wer kann denn Hoffnung generieren? Wer kann Antworten generieren und sagen: Okay, es ist vielleicht alles Mögliche schlecht – aber wir generieren hier trotzdem etwas Neues und gestalten Zukunft!“

Er empfinde manchmal, dass wir „vergessen haben, was Menschsein ausmacht“. Hartl nannte drei wesentliche Elemente, die wichtig sind für das Menschsein: Verbundenheit, Sinn und Schönheit.

Es gebe nicht nur eine „Ökologie des Planeten“, sondern auch „Ökologie des menschlichen Herzens“, merkte er an. „Das heißt, wenn wir CO2 neutral sind und aber Sinn, Verbundenheit und Schönheit verloren haben, dann sterben wir auf andere Weise aus“. Auch das menschliche Herz sei heute „eine vom Aussterben bedrohte Art“, es gebe „Ressourcen des Menschlichen, die genauso wichtig sind, wie wenn wir den Planeten schützen“.

Verbundenheit sei, die „Fähigkeit, auf eine tiefe Weise mit jemand anderem eine tiefe Beziehung einzugehen“. Er verwies auf eine Metastudie, die mehrere tausend Einzelstudien zusammenfasste, und die die Forschungsergebnisse zum Verhältnis von sozialen Beziehungen und Sterblichkeit darstellte.

Das Ergebnis: Einsamkeit macht krank. Sie sei „genauso tödlich wie Rauchen“, nur es wird viel weniger davor gewarnt. Jeder wisse, dass Alkoholismus gefährlich ist, aber keiner spreche über die Gefahren, die Vereinsamung mit sich bringe. Hartl sprach von einer „Pandemie der Einsamkeit“ und verwies darauf, dass in Großstädten über fünfzig Prozent der Menschen alleine lebten, sehr viele davon gegen ihren Willen.

Unsere Gesellschaft baue „Raubbau an der Verbundenheit, durch mindestens drei Faktoren“, analysierte Hartl. Der erste Faktor sei die „Beschleunigung“, erklärte er. „Wir haben mehr Kontakte, aber die Kontakte sind oberflächlicher. Wir haben eine kontaktreiche Beziehungsarmut. Du hast 130 Freunde irgendwo auf WhatsApp oder Facebook, aber weniger intensiv. Beschleunigung ist ein Feind von Beziehung.“

Tiefe resonante Beziehungen lerne der Mensch in den ersten Lebensjahren, nannte Hartl den zweiten Faktor. Hier lerne ein Kind, dass Bindungen verlässlich sind. Heute sei die Ansicht verbreitet, es sei wichtig, früh wieder arbeiten zu gehen, und es sei egal, wer sich um das Kind kümmere, bedauert der Philosoph. In Wahrheit habe es hohe soziale Folgekosten, wenn Kindern diese Bindefähigkeit fehle, verwies er auf aktuelle Studien. Dritter Faktor des Raubbaus an Verbundenheit sei, dass stabile Ehen und Beziehungen allgemein viel zu wenig wertgeschätzt würden.

Das zweite Element, das Menschsein ausmache, sei der Sinn. Der Mensch ertrage fast jedes „Wie“, wenn er ein „Warum“ habe, zitierte er Friedrich Nietzsche. Hartl verwies auf eine Studie, die zeigte, dass Menschen, die ein sinnerfülltes Leben führten, seltener an Alzheimer oder Herzerkrankungen leiden.

Im Business könne man sich hier die Frage stellen „Bringe ich was Positives in diese Welt?“ bzw. individuell könne man sich fragen, wie motiviert man noch für seinen Job sei. Als Führungskraft sei die Frage nach dem Sinn wesentlich, denn in Unternehmen sei es manchmal so wie in einem Fußballspiel, wo zwar alle Spieler Feld seien, aber keiner wisse, wo das Tor ist.

In vielen Unternehmen werde von Mitarbeitern erwartet, dass sie ihr Bestes geben. „Aber es ist völlig unklar, wo das Tor ist. Es ist deine Pflicht als Führungskraft, zu definieren, wo das Tor ist.“ Im Letzten sei „die Frage nach dem Sinn eine ganz schön heftige weil sie eigentlich am Ende des Tages die Frage stellt: Was ist dir am allerwichtigsten im Leben?“

Hartl nannte den Jesuitenpater Alfred Delp, der in Berlin von den Nazis zum Tode verurteilt wurde, und der in der Todeszelle, unmittelbar vor seiner Hinrichtung, mit gefesselten Händen Briefe geschrieben hatte. Freiheit sei wichtiger als Brot, hielt er fest, am wichtigsten sei jedoch die ungebrochene Treue und die Anbetung.

Delp habe sich geweigert, sich vor dem Nazi-Regime zu beugen, und er habe mit seinem Leben dafür bezahlt. „Aber im letzten bezahlt jeder von uns mit seinem Leben“, erinnert Hartl. „Du lebst für irgendetwas, und die Frage ist: Was ist dein höchstes Gut?“

Der dritte Punkt, der Menschsein ausmache, sei die Schönheit. Es gäbe Studien, die belegen, dass in Stadtteilen, die begrünt sind, weniger Kriminalität sei, dass Schulen mit schönen Räumen weniger Vandalismus herrsche. „Wir Menschen brauchen Schönheit“, unterstrich der Philosoph.

Es mache nachdenklich, wenn in Architektur und Kunst das Schöne verloren gehe. In der Design-Branche gab es das Credo „form follows function“ („Die Form folgt der Funktion“), also dass alles möglichst einfach und funktional gestaltet werden solle.

„Das Problem ist: Wenn etwas nur funktional ist und die Funktion sich aber ändert, wird das Ding weggeworfen“, erklärte Hartl. „Ein Supermarkt, der nur dafür gebaut ist, als Supermarkt zu funktionieren, wird abgerissen, sobald die Funktion sich ändert. Ein schönes Gebäude aus dem 17. Jahrhundert, ein Fachwerkhaus, das war vielleicht ein Wohnhaus, wurde dann eine Apotheke, dann vielleicht ein Frisörsalon und kann nachher eine Kunstgalerie sein – das heißt, unterschiedliche Funktionen finden darin Platz, weil das Gebäude an sich schön ist.“

Schön sein bedeutet, etwas ist „wertvoll um seiner selbst willen – es ist nicht nur Funktion“. „Wir Menschen brauchen mehr zum Leben, mehr als Funktion, wir leben nicht nur zum Arbeiten, Essen, Schlafen und Fortpflanzen, sondern wir machen Musik, wir gehen in Kunstausstellungen, wir schauen uns Sonnenuntergänge an.“

Hartl: „Wir sind in Gefahr, das Menschliche zu verlieren, wenn wir den Menschen reduzieren auf eine Funktion. Deswegen ist es so wichtig, dass wir in unserer Gesellschaft mit Menschen gut umgehen, die eine Behinderung haben, dass wir den Wert des Menschlichen hochhalten.“

Hartl schloss mit den Worten: „Wir brauchen heute Menschen, die nicht nur sagen ,Ja, es ist ganz schlimm, was in der Welt passiert‘, sondern die Zukunft gestalten und zwar Zukunft mit einem menschlichen Antlitz – und damit kannst du anfangen bei dir selbst, in deiner Firma und in deinem Leben.“

Mit Hoffnung führen (Johannes Hartl) (youtube.com)


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