11. Juni 2024 in Aktuelles
Der Saal des Abschiedsmahles, und nun der Sendung des Geistes Gottes, wird zum Mutterschoß, aus dem die Kirche ans Licht tritt: Pfingsten – Geburtstag der Kirche Jesu Christi. Von Walter Kardinal Brandmüller
Rom (kath.net/wb)) Segnend war Jesus von ihnen geschieden und seine Jünger kehrten – so Lukas – „hocherfreut“ vom Ölberg zurück in die Stadt. Nun warteten sie darauf, wie Jesus verheißen hatte, die Kraft des Heiligen Geistes zu empfangen, der auf sie herabkommen würde. Wann und wie dies geschehen sollte? Das hatte der Herr nicht gesagt. Von gespannter Erwartung erfüllt blieben sie zusammen, in jenem „Obergemach“ des Abschiedsmahles, beteten im Tempel. Wann, wo, wie sich das Kommen des Geistes ereignen sollte? Nun warteten sie auf jenen Augenblick. Fragten sie sich, wie sie denn den Befehl erfüllen sollten, in der ganzen Welt das Evangelium zu verkünden? Allen Völkern zu predigen und sie zu taufen?
Und dann, am Pfingsttag, der Sturm, die Feuerflammen des Geistes!
Der Saal des Abschiedsmahles, und nun der Sendung des Geistes Gottes, wird zum Mutterschoß, aus dem die Kirche ans Licht tritt: Pfingsten – Geburtstag der Kirche Jesu Christi.
So muss bekannt und betont werden: Die Kirche Jesu Christi ist nicht Ergebnis menschlicher Initiativen, sozialer, kultureller Faktoren und Prozesse. Ihre Entstehung mögen wir eher mit dem Einschlag eines mächtigen Meteors vergleichen, der aus den Tiefen des Alls hervorbrechend auf die Erde stürzt – mit gewaltigen Folgen.
So brachen am Pfingsttag Sturm und Feuer vom Himmel herein, und aus den Scharen, die bestürzt zusammengeströmt waren, versammelte der erhöhte Christus aus allen Sprachen, Stämmen und Völkern Sein Volk, Seine Kirche.
Und nun geschah es, als die Zeugen dieses Geschehens in ihre Heimat zurückkehrten, dass die Botschaft des Evangeliums sich ausbreitete, in alle Welt, so wie ein Tropfen Quecksilber auf die Erde fällt und in tausend glitzernde Tröpfchen zerstiebt. Das Psalmwort erfüllte sich: „… ihre Botschaft ging in die ganze Welt hinaus, ihre Kunde bis zu den Enden der Erde“. Und Markus berichtet: „Sie aber“ – die Apostel – „zogen aus und verkündigten überall. Der Herr stand ihnen bei und bekräftigte das Wort durch die Zeichen“ – Wunder -, „die es begleiteten.“
Noch vor dem Jahre 200 sprach Irenäus von Lyon von Christen in Germanien, Gallien und Irland. Es waren also gerade hundert Jahre vergangen, da hatte sich das Psalmwort schon erfüllt: „…ihre Botschaft ging in die ganze Welt hinaus“.
Bis dahin und bis zum Ende der Zeit führt nun der Weg der Kirche durch die Jahrhunderte. Oft durch unwegsames Gelände, Schluchten, Berge, Wüsten, da und dort auch durch freundliche Gefilde, doch meist sind es „wechselnde Pfade, Schatten und Licht“, bis am Ende aller Wege die Tore des Himmlischen Jerusalem sich öffnen. Das ist Ziel und Erfüllung der Kirche. Wie weit der Weg dorthin noch ist – wir wissen es nicht. Doch dieses Ziel im Auge gehen wir ihm in Glaube, Hoffnung und Liebe unverzagt entgegen.
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An welchem Punkte dieses Weges stehen wir, an der Schwelle des Heiligen Jahres 2025? Wie weit sind wir vom Ziel noch entfernt? Müßig, so zu fragen. Es ist das Hier und Jetzt, das uns herausfordert.
Ein rascher Blick zurück mag helfen, unseren Standort im Heute zu bestimmen. Da waren es denn schon Griechenland der Antike jene beiden Weisen, auf die Wirklichkeit zu blicken: die eine der Philosophen und die der Sophisten. Ging es den einen zuerst darum, Welt und Mensch zu erkennen, ihr Wesen zu ergründen und zu verstehen, so fragten die anderen, welchen praktischen Nutzen man daraus ziehen könne. Aus eben dieser letzteren Schau erwuchs schließlich jener Drang, die Welt, die Natur zu beherrschen, um sie schließlich den Zwecken des Menschen dienstbar zu machen. Und so griff man schließlich in den Makrokosmos aus, baute Raumstationen, während andere zugleich den Mikrokosmos erforschten, mit Elementarteilchen experimentierten oder das menschliche Genom zu manipulieren und mit beängstigendem Erfolg mit künstlicher Intelligenz den Menschen, das Ebenbild seines Schöpfers, gar zu ersetzen versuchten. „Hier sitz‘ ich, forme Menschen nach meinem Bild…“ lässt Goethe seinen Prometheus sagen. Doch, und das sagt der Dichter nicht, die Rache der Götter war furchtbar.
Hören wir aber nicht auch längst Goethes Zauberlehrling erschrocken ausrufen: „Herr, die Not ist groß. Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los“! Nun, dem Zauberlehrling kam im letzten Augenblick der „alte Hexenmeister“ zu Hilfe.
Im deutschen Katholizismus hingegen schleppen „die Geister“ unverdrossen die „Wassermassen“ herbei. Ein Bericht der Deutschen Bischofskonferenz vom 28. Mai 2024 „Wie können wir eine synodale Kirche in der Sendung sein“ lässt daran keinen Zweifel. Es sind – ungeachtet des römischen Einspruchs – mit Verzug die alten, schon von der Würzburger Synode der Jahre 1971-1975 erhobenen Forderungen samt neueren „Reformen“. Da geht es nunmehr um Leitungsvollmacht und Gewaltenteilung in der Kirche, Rechenschaftspflicht von Bischöfen und Priestern gegenüber Laiengremien, Laienpredigt, Leitungs- und Weiheämter für Frauen. Immer wieder steht auch der Zölibat zur Diskussion. Neuerdings geht es schließlich unter dem harmlosen Titel „Anthropologie“ sogar um die „dreigeschlechtliche“ Natur des Menschen. Das, freilich, ist nicht weniger als Aufstand gegen die Schöpfungsordnung, gegen den Schöpfer. Und – all dies in einer ach so fromm klingenden Sprache. Der römische Ordnungsruf wegen mehrfachen Widerspruchs zu fundamentalen Glaubenswahrheiten wird einfach ignoriert.
Damit aber kommt es zum Schwur. Sollte sich wahrhaftig der Aufstand Luthers gegen „Rom“ wiederholen? Unterdessen leeren sich die Kirchen – und werden zum Verkauf angeboten.
Waren es im Jahre 1990 noch 28,3 Millionen der deutschen Katholiken, so zählte man 2022 deren nur noch 20,5 Millionen. Die Zahl der Teilnehmer am Sonntagsgottesdienst betrug im Jahre 1990 noch 11,8 Millionen, dreißig Jahre danach waren es gerade noch 1,1. Ein Rückgang um 90 %.
Doch – davon unbeeindruckt – klappert der Synodale Apparat der Funktionärselite unverdrossen vor sich hin. Noch sprudelt ja die Quelle der Kirchensteuer. Im Jahre 2022 flossen trotz dem enormen Mitgliederschwund € 6,85 Milliarden in die Kassen. Nur: wie lange noch? Und was dann? Doch dieser Apparat ist nicht die Kirche!
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Komme jedoch, was kommen mag, auch hier im alt und müde gewordenen Europa gilt: „Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt“. Auch wenn das Feuer des Pfingsttages nur noch unter der Asche glimmt – da und dort lodert es schon heute wieder auf. „Der Geist weht, wo er will.“ Vitale Aufbrüche geistlichen Lebens in Kreisen der Jugend sprengen immer wieder das Prokrustesbett des erstarrten Apparates. Eine neue gläubige Jugend wächst heran – auch in Europa. Die „Weltjugendtage“, die Papst Johannes Paul II. 1984 ins Leben gerufen hat, versammelten seither alle zwei-drei Jahre hunderttausende von Jugendlichen aus aller Welt, um Christi Botschaft und Sakrament zu feiern, zu erleben.
Bis zum Jahre 2023 zählte man bei zehn der bisherigen Jugendtage von einer bis fünf Millionen Jugendlichen aus aller Welt. Denkt man an die damit für den Einzelnen verbundenen Kosten und Strapazen, dann genügen Abenteuerlust und Freude am „Massenevent“ nicht, um die Anziehungskraft der Weltjugendtage zu erklären. Immer wieder las man dann auch viel von Bekehrungen, Berufungen zum Priestertum und Ordensstand, die da erlebt wurden. Es ist Gottes Geist, der auf immer neue Weisen am Werk ist. Auch heute.
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