8. Juli 2024 in Kommentar
Eine enthauptete Statue im Linzer Dom führt zu einer Kontroverse über Kunst im kirchlichen Umfeld. Wir haben jegliche Form religiöser Kunstsprache verlernt. Der Montagskick von Peter Winnemöller
Linz (kath.net)
Zu Beginn gibt es gleich fünf Euro für das Phrasenschwein: Kunst kommt von Können, käme es von Wollen, hieße es Wunst. Gekonnt ist an der Statue einer gebärenden Frau im Linzer Dom, die nach Angabe ihrer Herstellerin die Gottesmutter darstellen soll gar nichts. Man mag die handwerkliche Ausführung vielleicht als akzeptabel ansehen, doch damit erschöpft es sich. Etwas provokant könnte man sagen, dass die Statue erst durch die Arbeit eines namenlosen Aktionskünstlers wirklich zu einem Objekt von Kunst wurde. Sowohl die Statue selbst als auch der Akt der Enthauptung und nicht zuletzt das Ergebnis dieser gewaltsamen Handlung wurde in katholischen Medien breit diskutiert. Die Enthauptung der blasphemischen Marienverspottung, könnte man das Gesamtkunstwerk aus Statue und guerillakünstlerischer Veredelung nun nennen. Ist das zynisch? Nein, in der Tat wirft sowohl die Statue als auch die gewaltsame Beschädigung Fragen nach der Kunst an sich und der Kunst im sakralen Umfeld auf. In der Diskussion sollte man unbedingt auch die narzisstische Kränkung der Herstellerin der Statue bedenken, die ja durch einen unzweifelhaft gewaltsamen Akt von dem von ihr hergestellten Objekt entfremdet wurde. Man könnte es auch eine Art Kunstpiraterie nennen, das Kunstwerk eines anderen für seine eigene Performance zu nutzen. Rechtlich ist klar, die Enthauptung der Statue erfüllt den strafrechtlich relevanten Tatbestand der Sachbeschädigung. Doch wann in der Geschichte der Kunst unterwarfen sich Künstler bourgeoisen Rechtsvorstellungen? Schon die Herstellung und Ausstellung der Linzer Statue einer gebärenden Frau, die angeblich die Gottesmutter sein soll, ist ein Akt, der in Deutschland nach §166 StGB (in Österreich §188 StGB) verurteilt werden könnte. In der Tat könnte der Akt der Enthauptung der Statue als Indiz für ein Ärgernis im Sinne der oben genannten Rechtsnormen angesehen werden. Also kann man auch hier feststellen, dass sich schon die Herstellerin der Statue einen feuchten Kehricht um bürgerliche Rechtsnormen gekümmert hat.
Da die Statue ein eindeutig mit feministischer Ideologie aufgeladenes Objekt ist, dessen Verteidigung gegenüber religiöser Empörung zudem mit Sprachfiguren aus der Sphäre der Abtreibungsbefürworter betrieben wurde, ist klar, dass die veröffentlichte Meinung auf Seiten der Statue und ihrer Herstellerin ist. Nun ist Kunst doch eigentlich seit Beginn der Aufklärung immer Provokation. Und es ist jeweils der der größere Künstler, der in höherem Maße zu provozieren versteht und dabei (Wir erinnern und Können und Wollen) das bessere handwerklich Können an den Tag legt. Man kann viel über Joseph Beuys sagen und noch mehr über ihn schimpfen oder spotten. Er legte einen Psalm aus, indem er ein Schwert zu einer Pflugschar umschmiedete. Zwar muss man ihm einen sehr naiven Pazifismus bescheinigen, doch handwerklich schwang er den Hammer gar meisterlich. „Ist das Beuys oder wird hier wirklich gebaut?“, hörte ich in Stuttgart in der Staatsgalerie. Berechtigte Frage, wie eine eigene Inaugenscheinnahme ergab. Ist es Kunst, wenn man erst fragen muss, ob es Kunst ist? Vermutlich entsteht Kunst wirklich erst im Auge des Betrachters. Wenn dem so ist, wird niemand diese Frage beantworten können. Wenn dem so ist, dann erst lässt sich erfassen, welche erstaunlich große Künstler Rubens, Dürer, Raphael und viele andere mehr waren, bei deren Werken im Auge ausnahmslos jeden Betrachters Kunst entsteht.
In der Krypta des Paderborner Domes steht seit der jüngsten Renovierung eine Statue von einem Mann in schwarzer Hose und weißem Hemd auf einem Baumstamm neben einem Pfau. Der Mann hat ein Dutzendgesicht, in seiner rechten Hand hält er ein Buch, auf dem drei Steine liegen. Sowohl der Hersteller dieser Statue als auch das Metropolitankapitel von Paderborn behaupten, diese Statue stelle den Heiligen Liborius dar. Liborius von Le Mans war Bischof in Frankreich. Da man heilige Bischöfe immer mit bischöflichen Insignien abbildet, darf die Interpretation von Hersteller und Metropolitankapitel bezweifelt werden. Es könnte ein Tourist sein, dem Ein Pfau zugelaufen ist. Andere sehen in ihm einen Oberkellner. In den allermeisten Fällen ist die Statue Objekt von Spott und Häme, was sich kein Paderborner dem Bistumspatron gegenüber erlauben würde. Die Statue kann also bei Licht betrachtet nicht wirklich den Patron des Bistums darstellen. Der Hersteller dieser Statue zeichnet sich dadurch aus, den dargestellten Mann mit immer dergleichen Statur und immer demgleichen Gesicht in verschiedenen Kontexten, meistens auch exakt so gekleidet darzustellen. Es kursiert eine Darstellung mit exakt jener Figur mit jenem Gesicht, die völlig unbekleidet ist und eine beeindruckende Erektion aufweist. Dieses Bild wurde mir zugesandt, mit dem spöttischen Hinweis: „Der Heilige Liborius kurz vor dem Tusch.“ Möge der Heilige uns den Sarkasmus nachsehen, ich habe schallend gelacht. Ist das Kunst? Oder sind es Aktionskünstler, die von der grob gearbeiteten Statue Splitter abknibbeln, so dass man die Schäden inzwischen recht deutlich sieht. Ist das Kunst?
Ein junger Mann, der sich sehr viel mit – auch religiöser – moderner Kunst befasst, sagte mir, er könne ja verstehen, was der Künstler ausdrücken wolle, doch wer bitte solle denn vor sowas beten. Peng! Bei aller Sanftheit und Rücksicht, die sich in dieser Aussage ausdrückte, hätte die Ohrfeige nicht schallender sein können. Das ist gekonnte Kunstkritik. Religiöse Kunst, hier ganz spezifisch christliche Kunst dient immer einem Ziel, die Sinne für Gott zu öffnen. Eine völlig säkularisierte Gegenwartskunst findet hier keine Sprache, diese Wirkung zu erzeugen.
Um zu verstehen, was religiöse Kunst wirklich ist, muss man an die Wurzeln der Kunst zurück gehen. Was malt ein Kind? Ein Kind malt das, was es anders nicht ausdrücken kann. Malt ein Kind ein Gesicht, malt es Augen und Mund, manchmal eine angedeutete Nase. Drumherum kommt ein großer Kreis. Mamas Augen, die mich ansehen, Mamas Mund der zu mir spricht. Der Kreis ist Ausdruck der Geborgenheit und Sicherheit, die Mama mir schenkt. Das ist das Mondgesicht, das Kinder malen. Kleinkinder können aus einem einfachen Grund kein Selbstporträt malen, weil sie sich selber nicht getrennt von ihrer Umwelt wahrnehmen. Diese zwei grobgeschnitzten Aspekte zur (Be-)Deutung der Kinderzeichnung mögen hier reichen. Der Künstler und Kunstdidaktiker Walter Schrader hat ein ganzes Buch zur Kinderzeichnung geschrieben. Es lohnt sich zu lesen.
Von der Kinderzeichnung zur religiösen Kunst ist es nur ein kleiner Schritt. Das Kind Gottes malt (oder modelliert), was es nicht zu verstehen mag. Nur so lässt sich erklären, dass die Ikone einen goldenen Hintergrund hat. Das Heilige Bild hat Anteil an dem, den es abbildet und wer den Heiligen in der Ikone betrachtet, wird vom Heiligen selbst betrachtet. Bitte, wer soll das verstehen? In der weiteren Kunstgeschichte entwickeln sich Maltechniken, die plastischen Welten darstellen. Wer vor einem Caravaggio steht, taucht förmlich ein in das Geschehen. Und dennoch ist es kaum zu verstehen, was wirklich geschieht, wenn ein Zöllner zum Jünger wird. Nur wer selber Zöllner war, den Herrn gesehen hat und Jünger wurde, der versteht sofort, dass der Künstler das gemalt hat, was man niemals in ganzer Tiefe in Worte fassen kann. Das ist Kunst, eine Darstellungsform zu finden für das, was ich niemals in Worte würde fassen können. Wer sich fragt, warum Joseph Ratzinger nicht gemalt hat, hat nie eine seiner Predigten gehört. Es gibt Menschen, die malen ihre Bilder oder gestalten ihre Statuen mit Worten. Diese Künstler brauchen nur die Feder, nicht den Pinsel und nicht den Meißel. Aber auch das ist Kunst, das zu sagen, für das es im Grunde gar keine Worte gibt. Die Bildrede Jesu war sozusagen die Editio typica der Kunst an sich. Durch Bilder der Welt erklärte der Herr uns die Dinge des Himmels. Und wer wollte bestreiten, dass die Gleichnisse des Herrn geradezu meisterlich sind.
Salto rückwärts nach Linz. Wie so viele andere Versuche auch lehrt uns der Fall der gebärenden Frau aus dem Linzer Dom vor allem eines, stumpfe Provokationen mit gewollter Blasphemie sind ungeeignet, die Herzen zu erheben. Allenfalls kommt einer und erhebt die Säge. Jede moralische Empörung, die allem avantgardistischem Gehabe zum Trotz am Ende doch nur postmodernes Spießertum ist, führt nur dazu, dass sich der Aktionskünstler mit der Säge bestätigt fühlt, denn von denen, die er zu vertreten glaubte, den frommen Katholiken bekam er seinen Applaus. Pachamama landete im Tiber, die Gebärende von Linz verlor ihren Kopf und der Oberkellner noch Paderborn wird Splitter für Splitter abgetragen. Den Verantwortlichen kann man nur sagen, wenn ihr provozieren wollt, dann wundert euch doch bitte nicht, wenn die Leute sich provozieren lassen und ihrer Provoziertheit auch Ausdruck verleihen. Was in einem Museum oder einer Gemäldegalerie geht, geht noch lange nicht in einem Dom. Die gebärende Frau von Linz würde auch in einer säkularen Galerie noch hinreichend provozieren. In einem Dom ist sie ein Ärgernis, das Gläubige nicht hinnehmen müssen, denn schließlich kommen sie in dies Haus nicht, um provoziert zu werden, sondern um Gott zu loben, anzubeten, die Sakramente zu empfangen oder eben auch, um Trost zu finden. Und wen bitte soll so ein Bild trösten?
Bleibt eine letzte Frage: Ist die gebärende Frau von Linz nun Kunst oder nicht. Nun, wenn der modernen Kunsttheorie zu Folge Kunst im Auge des Betrachters entsteht, dürften sich wohl die meisten Besucher des Domes sehr klar positioniert haben: Nein, es ist keine Kunst.
Alle Verantwortlichen in Domen, Diözesen, Pfarreien und letztendlich den Künstlern selbst, kann man nur bitten, sich von Fehlschlägen nicht entmutigen zu lassen und die Versuche nicht aufzugeben, Brücken zu schlagen zwischen dem Glauben und der Kunst, denn in der Tat ist es ein nicht zu unterschätzendes Defizit unserer Zeit und auch ein Ausdruck der Kirchenkrise, dass es in unserer Zeit keine funktionierende sakrale Kunstsprache gibt. Wenn nicht einmal die Künstler mehr in der Lage sind, das unausdrückbare auszudrücken, wer soll es dann tun?
Foto: Berufung des Hl. Matthäus (Michelangelo Merisi da Caravaggio) Das Bild ist zu sehen in Rom in der Kirche San Luigi dei Francesi - Gemeinfrei
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