20. Juli 2024 in Interview
Morven McLean im kath.net-Interview: „Viele Kirchen werden angezündet, vorwiegend Christen werden vertrieben. Dschihadistengruppe Islamischer Staat Mosambik (IS-M) fordert, ein Kalifat oder eine islamische Regierung in Cabo Delgado zu errichten.“
Binz (kath.net) „Die Berichte sind entsetzlich. Menschen, die es geschafft haben, aus ihren Dörfern zu fliehen, berichten, dass die Aufständischen oft Warnhinweise an Bäume genagelt haben. Die Dorfbewohner fliehen, und dann kommen die Terroristen, brennen die Kirchen und Häuser nieder und foltern und enthaupten diejenigen, die nicht fliehen konnten und sich weigern, zum Islam zu konvertieren. Die Pfarrer in Cabo Delgado schlafen nachts in voller Montur und stellen vor dem Schlafengehen eine Tüte mit Lebensmitteln neben die Tür, falls sie fliehen müssen.“ Das erläutert im kath.net-Interview Morven McLean. Sie ist Researcher bei der Christian Solidarity International (CSI) und befasst sich unter anderem mit den Entwicklungen in Mosambik. Christian Solidarity International (CSI) ist eine internationale christliche Menschenrechtsorganisation, die sich weltweit für verfolgte Christen einsetzt.
kath.net: Frau McLean, seit 2017 kommt es in Mosambik immer wieder zu schweren Übergriffen auf Christen. In den letzten Monaten hat sich das nochmal verschärft. Was ist der Hintergrund?
Morven McLean: Islamisten im Norden Mosambiks begannen 2017 einen Aufstand. Seitdem hat die Dschihadistengruppe Islamischer Staat Mosambik (IS-M) die Provinz Cabo Delgado wiederholt mit tödlichen Anschlägen terrorisiert.
Mosambik ist ein mehrheitlich christliches Land, aber die Provinz Cabo Delgado ist mehrheitlich muslimisch und eine der ärmsten Regionen des Landes. Viele Menschen dort fühlen sich von der Zentralregierung in Maputo ausgegrenzt. Im Jahr 2011 wurden vor der Küste von Cabo Delgado große Erdgasfelder entdeckt. Sie wurden von drei ausländischen multinationalen Energieunternehmen erschlossen, doch die Gewalt der Aufständischen hat dieses Projekt zum Stillstand gebracht.
Ende 2023 schienen die mosambikanischen Behörden, unterstützt von ruandischen Truppen und einem Militärkontingent der Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrika, den Aufstand unter Kontrolle gebracht zu haben. Im Jahr 2024 ist er jedoch wieder aufgeflammt. Seit Anfang des Jahres wurden Dutzende Menschen getötet und Zehntausende vertrieben. Mindestens 18 Kirchen wurden niedergebrannt.
kath.net: Steckt hinter den Übergriffen eine größere Strategie?
McLean: Die Christen scheinen zum Hauptziel der Aufständischen geworden zu sein, wie das Anzünden von Kirchen und die Vertreibung von hauptsächlich christlichen Dorfbewohnern aus ihren Häusern zeigt. Dies steht auch im Einklang mit dem offensichtlichen Ziel der Gruppe, ein Kalifat oder eine islamische Regierung in Cabo Delgado zu errichten.
Nach der Einnahme von Mucojo, einem Militärstützpunkt an der Küste des Indischen Ozeans, im Februar haben die Aufständischen Berichten zufolge ein Alkoholverbot verhängt und eine Kleiderordnung eingeführt, die einer strengen Auslegung der Scharia entspricht. Andernorts forderten sie, dass Nicht-Muslime die Dschizya (Kopfsteuer) zahlen müssen.
kath.net: Was für Berichte erhalten Sie noch von dort?
McLean: Die Berichte sind entsetzlich. Menschen, die es geschafft haben, aus ihren Dörfern zu fliehen, berichten, dass die Aufständischen oft Warnhinweise an Bäume genagelt haben. Die Dorfbewohner fliehen, und dann kommen die Terroristen, brennen die Kirchen und Häuser nieder und foltern und enthaupten diejenigen, die nicht fliehen konnten und sich weigern, zum Islam zu konvertieren. Die Pfarrer in Cabo Delgado schlafen nachts in voller Montur und stellen vor dem Schlafengehen eine Tüte mit Lebensmitteln neben die Tür, falls sie fliehen müssen.
kath.net: Bis vor wenigen Jahren lebten die Religionen im Land friedlich zusammen. Was hat sich geändert, dass dies nicht mehr der Fall ist?
McLean: In den meisten Teilen Mosambiks koexistieren die verschiedenen Religionen noch friedlich. Die Probleme beschränken sich auf den Nordosten des Landes – die Provinzen Cabo Delgado und Nampula – wo der Aufstand wütet. Diese Provinzen haben zusammen acht Millionen Einwohner von insgesamt 33 Millionen Einwohnern im ganzen Land.
Die schwere Armut und die Entbehrungen in der Region haben islamistischen Fundamentalisten in die Hände gespielt, die in der Rückkehr zu einer strengen Version des Islams die Antwort auf diese Misere sehen. In den letzten Jahren haben radikale muslimische Prediger aus Kenia und Tansania in der entrechteten Jugend der Region ein empfängliches Publikum gefunden und Anhänger für den IS-M gewonnen.
Es sei darauf hingewiesen, dass prominente muslimische Führer in Mosambik die Anschläge im Norden des Landes immer wieder verurteilt und erklärt haben, dass die von den Verantwortlichen gepredigte strenge Version des Islam nicht mit der traditionellen islamischen Kultur und Praxis des Landes übereinstimmt.
kath.net: Wie groß ist die Gefahr, die vom IS-M für das Land ausgeht?
McLean: Der IS-M stellt seit 2017 eine wachsende Gefahr für Mosambik dar. In den letzten Monaten haben sich die Kämpfe verschärft und breiten sich nach Süden aus. Sie bedrohen die Stabilität des Landes zu einem wichtigen Zeitpunkt für die Erschließung von Erdgasvorkommen und im Vorfeld der im Oktober anstehenden nationalen Wahlen.
Die Angriffe hatten erhebliche menschliche, soziale und wirtschaftliche Auswirkungen auf Mosambik.
Was die Menschen betrifft, so hat der Aufstand rund 5.000 Menschenleben gefordert und mehr als 1 Million Menschen aus ihren Häusern vertrieben. Viele haben extreme Gewalt erlebt und mussten mit ansehen, wie ihre Verwandten und Nachbarn enthauptet oder durch Schüsse getötet wurden. Einige haben ihre gesamte Familie verloren.
In der Konfliktzone sind die öffentliche Infrastruktur und die Dienstleistungen beeinträchtigt, und die Zerstörung von Gesundheitseinrichtungen schränkt den Zugang zur medizinischen Grundversorgung ein. Auch die Bildung der Kinder wurde stark beeinträchtigt.
Der Konflikt belastet auch den Haushalt des Landes, da Milliarden von Dollar für die nationale Sicherheit ausgegeben werden. Die konfliktbedingten Verzögerungen beim Erdgasprojekt in Cabo Delgado haben ebenfalls zu Einnahmeverlusten der Regierung geführt.
kath.net: Wie reagiert die Regierung?
McLean: Mit der Unterstützung anderer afrikanischer Länder hat die Regierung Mosambiks versucht, die Ordnung in der Provinz wiederherzustellen. Bis Ende letzten Jahres schien sie die Schlacht zu gewinnen, doch in letzter Zeit musste sie schwere Verluste hinnehmen.
Für viele Mosambikaner ist das Leben aufgrund der Auswirkungen des Konflikts auf die Wirtschaft, der massiven Vertreibung der Bevölkerung und der Zerstörung der Infrastruktur schwieriger geworden. Die Frelimo-Partei, die Mosambik seit 1975 regiert, hat nicht zuletzt aufgrund von Korruptionsvorwürfen die öffentliche Unterstützung verloren. Es gab Spekulationen, dass Präsident Filipe Nyusi eine Verfassungsänderung plante, um eine dritte Amtszeit zu ermöglichen, doch im Mai kündigte die Frelimo-Partei an, dass sie bei den Wahlen im Oktober einen neuen Kandidaten aufstellen werde, Daniel Francisco Chapo, den einige Analysten für fähig halten, die Sicherheit im Nordosten wiederherzustellen.
kath.net: Wie viele Menschen haben aufgrund der Gewalt ihre Häuser verlassen, wohin fliehen sie und wie werden sie versorgt?
McLean: Das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) schätzt die Zahl der Vertriebenen auf 1,2 Millionen. Etwa die Hälfte davon ist in ihre Herkunftsgebiete zurückgekehrt. Den Rückkehrern fehlt es jedoch an grundlegenden Dienstleistungen und angemessenen Lebensbedingungen.
Viele Familien haben Zuflucht in anderen Bezirken gesucht. Einige haben versucht, ins benachbarte Tansania zu fliehen, wurden aber von den mosambikanischen Behörden zurückgewiesen.
Das UNHCR warnte im März vor einer "eskalierenden humanitären Krise", nachdem die Kämpfe zugenommen hatten. Fast 90 Prozent der Vertriebenen seien Frauen, viele von ihnen schwanger, Menschen mit Behinderungen und ältere Menschen, hieß es.
Die Partner von CSI berichten, dass viele Flüchtlingslager überfüllt sind. Sie sagen auch, dass die anwesenden Hilfsorganisationen mit dem Ausmaß des Problems völlig überfordert sind und ihnen die Mittel fehlen, um den Flüchtlingen ausreichend zu helfen.
kath.net: Kann der Konflikt auch Auswirkungen über Mosambik hinaus entwickeln?
McLean: Da es sich um einen islamistischen Aufstand handelt, könnte der Konflikt leicht auf benachbarte Länder übergreifen und die Region destabilisieren. In den letzten Jahrzehnten haben sich gewalttätige dschihadistische Bewegungen in der gesamten Sahelzone, in weiten Teilen Westafrikas sowie in der Demokratischen Republik Kongo im Süden und Mosambik im Südosten Afrikas ausgebreitet.
Mit Zustimmung der Regierung von Mosambik haben sich Tansania, Ruanda und eine von Südafrika geführte Friedenstruppe, die sogenannte Southern African Development Community, dem Kampf gegen IS-M angeschlossen, um dessen Ausbreitung zu verhindern.
kath.net: Sollte es nicht gelingen, das Land zu befrieden, mit was ist zu rechnen?
McLean: Wenn die Regierung und ihre Verbündeten nicht in der Lage sind, den Frieden wiederherzustellen, ist mit weiterer Gewalt gegen einheimische Christen und im schlimmsten Fall mit der Errichtung eines Kalifats in Cabo Delgado zu rechnen.
kath.net: Könnte das auch Konsequenzen für Europa haben?
McLean: Die weitere Ausbreitung des Konflikts hätte enorme humanitäre Folgen, zu deren Bewältigung Europa aufgerufen wäre. Es könnte auch zu einer weitreichenden Destabilisierung in der Region und zu großen Flüchtlingsströmen führen. Dies würde sich auch auf die Sicherheit in Europa auswirken.
Eine Verschärfung des Konflikts würde wahrscheinlich auch das Ende der geplanten 20-Milliarden-Dollar-Flüssiggasanlage bedeuten, die das französische Unternehmen TotalEnergies gebaut hat – und die derzeit auf Eis liegt –, was sich auf die Deckung des Energiebedarfs in Europa auswirken könnte.
kath.net: Wie hilft CSI vor Ort?
McLean: In Zusammenarbeit mit lokalen Partnern verteilt CSI Lebensmittelpakete an einige der ärmsten Familien, die gezwungen waren, aus ihren Häusern zu fliehen, und an Kinder, die ihre Eltern verloren haben und von lokalen Kirchen betreut werden. Wir versorgen auch Pfarrer, die an der Küste leben, mit dem, was sie für eine Evakuierung im Falle eines Angriffs benötigen. Wir werden die Situation weiterhin genau beobachten.
Foto: Frauen in Mosambik (Symbolbild) (c) Pixabay
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