Um Gottes willen: ‚die Waffen nieder‘!

22. Juli 2024 in Spirituelles


Ein Blick auf die Liturgie in der Geschichte. Je mehr auf der einen Seite Willkür und liturgisches Durcheinander herrschten, desto entschiedener verhärtete sich auf der anderen die Ablehnung jeder Weiterentwicklung. Von Walter Kardinal Brandmüller


Rom (kath.net/wb/as) Nicht seit Sacrosanctum Concilium des II. Vatikanums, wohl aber seit der Umsetzung der Liturgiereform nach dem Konzil geht ein Riss durch weite Teile der Katholiken, ist daraus unguter Streit zwischen „Progressisten“ und „Ewiggestrigen“ entstanden.

Indes, ist dies zu verwundern? Keineswegs, zeigt dies doch nur, welch zentrale Rolle die Liturgie im Leben der Gläubigen spielt. So ist denn „Liturgiestreit“ keineswegs erst nach dem II. Vatikanum bekannt – und auch nicht nur im katholischen Umfeld.

Als Patriarch Nikon und Zar Alexej I. im Jahre 1667 eine Liturgiereform anordneten, spalteten sich mehrere Gruppen ab, von denen eine sogar auf Priester keinen Wert mehr legte - die Spaltungen dauern bis heute an.

Im lateinischen – katholischen wie protestantischen – Westen kam es zur Zeit der Aufklärung an mehreren Orten zum teilweise erbitterten Streit um neu einzuführende Gesangbücher.

Im katholischen Frankreich stieß die Einführung eines neuen Missale Romanum anstelle der alten Gallikanischen Liturgie auf erbitterten Widerstand.

Summa summarum: In all diesen Fällen ging es nicht wie bei Arius oder Martin Luther um das Dogma, die geoffenbarte Wahrheit. Letzteres wird eher in intellektuellen Milieus zum Streitfall. Den Alltag der Frömmigkeit hingegen berühren Riten, Bräuche des alltäglichen religiösen Lebens. Da entzündet sich dann der Streit selbst an Nebensächlichkeiten wie etwa Textvarianten in Liedern und Gebeten. Je, im Grunde, irrationaler der Streitpunkt ist, desto heftiger der Streit darum. Auf derart vermintem Boden darf freilich kein Bulldozer zum Einsatz kommen.

In vielen Fällen ist freilich die Glaubenslehre dadurch gar nicht berührt – wohl aber das Gemüt, die liebgewonnene fromme Formel, die Gewohnheit. Und eben das greift tiefer als eine abstrakte theologische Formel – erlebensmäßig.

Gleichermaßen verfehlt ist es jedoch, mit der Parole „unter den Talaren Muff von tausend Jahren“ Abbruch, Umbruch des Überlieferten zu fordern, da doch damit nicht nur das christliche, sondern allgemein das menschliche Wesenselement der Überlieferung unbeachtet bliebe.

Das ist grundsätzlich bei allen Reformversuchen zu beobachten. Insbesondere jedoch, wenn es um die religiöse Alltagspraxis geht, wie etwa Neuordnungen von Sprengelgrenzen etc., die in das Alltagsleben eingreifen.

Diese allgemein zu beobachtende Skepsis gegenüber, wenn nicht sogar Ablehnung von Neuerungen ist nun – erstaunlich genug – im Großen und Ganzen ausgeblieben, als Pius XII. im Jahre 1951 erst die Feier der Osternacht, dann 1955 die gesamte Liturgie der Heiligen Woche grundlegend neu geordnet hat. Vf. hat dies als Seminarist und junger Priester miterlebt. Abgesehen von skeptischen Reaktionen, die da und dort im ländlich-bäuerlichen Umfeld zu beobachten waren, wurden diese Reformen eher mit erwartungsvoller Freude, wenn nicht mit Begeisterung von den Gläubigen begrüßt – wo sie denn in rechter Weise verwirklicht wurden.

Im Rückblick darauf mag man sich dagegen heute die Frage stellen, wie es denn im Zuge der Reformen unter Paul VI. zu den allzu bekannten Reaktionen kommen konnte: im ersteren Falle erlebte die Kirche einen liturgischen Aufbruch, im zweiten sahen nicht wenige einen liturgischen Bruch mit der Überlieferung.

Nach dem Pontifikat Pius’ XII. war die Wahl Johannes‘ XXIII. in manchen Teilen der Kirche als eine Befreiung von lehramtlichen Zwängen empfunden worden. Nunmehr war auch die Tür zum Dialog mit Marxismus, Existenzialphilosophie, der Frankfurter Schule, Kant und Hegel geöffnet – und damit für eine neue, ganz andere Art, Theologie zu verstehen. Nun hatte die Stunde für den Individualismus der Theologen, des Abschieds vom „Ewiggestrigen“ geschlagen.

Für die Liturgie hatte diese Wende schwerwiegende Folgen. Willkür, Wildwuchs, ungezügelter Individualismus führten vielerorts zum Ersatz des Messbuchs durch Eigenfabrikate, die dann in Form von Ringbüchern von Zelebranten individuell zusammengestellt wurden. Die Folge davon war ein liturgisches Chaos und eine bis dahin nicht gekannte, bis heute – trotz der Liturgiereform durch Paul VI. – andauernde Massenflucht aus der Kirche.

Die Antwort darauf bestand dann in der Bildung von Gruppen, Kreisen, die dem Chaos mit einer entschiedenen Beharrung auf dem Missale Romanum Pius‘ XII. entgegentraten.

Je mehr nun auf der einen Seite Willkür und liturgisches Durcheinander herrschten, desto entschiedener verhärtete sich auf der anderen die Ablehnung jeder Weiterentwicklung – ungeachtet der mit den Reformen Pius’ XII. gemachten positiven Erfahrung. Dementsprechend traf auch die Reform des Missale Pauls’ VI., die zweifellos nicht ohne Mängel war, auf Kritik und Widerstand. Dabei mochte dieser Widerstand auch vielfach begründet sein – berechtigt, theologisch berechtigt, war er nicht.

Der Novus Ordo war vom Papst in Kraft gesetzt, und so war er – bei aller berechtigten Kritik – im Gehorsam anzunehmen.

Der Apostel Paulus schreibt: Christus „ward gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tod am Kreuz“, und durch seinen Tod hat er die Welt erlöst. Wenn also in der eucharistischen Feier Jesu Christi „Gehorsam bis zum Tod“ gegenwärtig wird, dann kann diese Feier nicht im Ungehorsam begangen werden.

Was aber geschah? Den einen gingen die „Reformen“ nicht weit genug, sie blieben weiter bei ihrer „Ringbuch-Liturgie“ individualistischer Kreativität, die anderen setzten dem das Beharren auf der „Messe aller Zeiten“ entgegen, wobei man nicht zur Kenntnis nehmen wollte, dass der Ritus der hl. Messe sich nicht nur im Laufe der Jahrhunderte entwickelt, verändert, sondern auch in Ost und West dem jeweiligen Kulturkreis entsprechend ausgeprägt hat. Die „Messe aller Zeiten“ besteht nur in den - überdies in verschiedenem Wortlaut in den Evangelien überlieferten – Wandlungsworten. Das (!) ist die „Messe aller Zeiten“. Wo man sich dessen nicht bewusst war – oder sein wollte – sahen nicht wenige die Fronten abgesteckt, und der „Kampf“ dauert bis heute an.

Nicht zu vergessen ist jedoch, dass zwischen beiden „Lagern“ die authentische, im Namen der Kirche gewissenhaft vollzogene Liturgie vielerorts selbstverständlich ist. Dennoch bleibt die Frage, warum eine solche konfliktreiche Entwicklung möglich war.

Ein Blick in die Geschichte lässt eines erkennen: Bei den in der Vergangenheit ausgefochtenen Kämpfen ging es - nach dem Konzil von Trient - zunächst keineswegs mehr um das Wesen der hl. Eucharistie. Das neue „Missale Romanum“ Pius‘ V. wurde in den einzelnen Ländern allmählich – zuletzt im Frankreich des späten 19. Jahrhunderts – eingeführt, alte regionale, ordenseigene Riten blieben in Kraft, ohne dass sich daraus irgendwelche Konflikte ergaben.

Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts flammte im Gefolge des Modernismus auch die Kontroverse um das Messopfer wieder auf, nunmehr aber nicht um den Ritus, sondern um das Wesen des Messopfers. Es war der Ausbruch des I. Weltkriegs samt seinen Europa umwälzenden Folgen, der eine solide Aufarbeitung des Problems verhindert hat, das ungelöst im Untergrund weiter schwelte. Die in den Nachkriegsjahren bedeutende „Liturgische Bewegung“ betraf – von Ausnahmen abgesehen – nicht so sehr das Wesen, sondern den Vollzug der Liturgie, besonders des Messopfers durch die gläubige Gemeinde.

Eine wirkliche Lösung verhinderte dann die Machtergreifung der kommunistischen, faschistischen und nationalsozialistischen Diktaturen und der bald darauf folgende II. Weltkrieg samt seinen Folgen.

Pius XII. war es, der inmitten der Probleme der Nachkriegszeit im Wissen um die ungeklärten Probleme um das hl. Messopfer in seiner Enzyklika Mediator Dei vom Jahre 1947 das Thema neu aufgriff, das Dogma des Konzils von Trient bekräftigte, erklärte, und schließlich wichtige Anleitungen zum würdigen Vollzug in der liturgischen Feier bot.

Dass es in der Folge dennoch zu den bis heute andauernden Auseinandersetzungen kam, lag wohl auch daran, dass es bei dem Aufleben der Kontroverse nunmehr viel weniger um den Ritus, sondern erneut um das Wesen des eucharistischen Opfermahles ging. Vor allem die Überbetonung, ja Verabsolutierung des Mahl-Charakters der hl. Messe führte, und führt noch immer, zu zahlreichen, da und dort geradezu blasphemischen liturgischen Missbräuchen. Missbräuche, die sich aus grundlegenden Missverständnissen des Mysteriums der Eucharistie ergeben.

Hinzu kommt, dass es fast immer von den einzelnen Priestern abhängt, ob die hl. Messe im gewissenhaft beobachteten Novus Ordo gefeiert oder den subjektiven Einfällen der Zelebranten freie Bahn gegeben wird. Die Fälle, in denen bischöfliche Behörden gegen Missbräuche eingeschritten wären, dürften Ausnahmen sein. Dass diese Auflösung der liturgischen Einheit eine Folge von Unsicherheit oder gar Verlust des authentischen Glaubens ist, und damit eine ernste Gefahr für die Einheit im Glauben darstellt, scheint weithin nicht bewusst zu sein.

Es muss also – sollen verhängnisvolle Brüche der Einheit der Kirche vermieden bzw. wieder repariert werden – zum Frieden oder wenigstens zum Waffenstillstand an der Liturgie-Front kommen.

Darum: „Die Waffen nieder“! (so der Titel des seit 1889 in 37 Auflagen und 15 Übersetzungen erschienenen Antikriegs-Romans von Bertha von Suttner).

Das hieße, zunächst die Sprache zu entschärfen, wenn von Liturgie die Rede ist. Ebenso wäre es notwendig, Schuldzuweisungen jeder Art zu unterlassen. Keine der beiden Seiten sollte die Ernsthaftigkeit der Absichten der anderen in Frage stellen - kurzum, es gilt, Toleranz zu üben, und Polemik zu vermeiden. Auf beiden Seiten wäre für eine den jeweiligen Vorschriften gewissenhaft entsprechende Liturgie zu sorgen. Der Erfahrung nach ist diese Mahnung nicht nur an die „Neuerer“, sondern auch an die Anhänger der „alten Messe“ zu richten.

Beide Seiten sollten das Kapitel II der Konzilskonstitution Sacrosanctum Concilium des II. Vatikanums unvoreingenommen gewissenhaft studieren, und an deren Normen die nachfolgenden Entwicklungen messen. Dabei würde offenkundig, in welchem Maße die nachkonziliare Entwicklung sich von der Konstitution, der einst auch Erzbischof Lefebvre zugestimmt hatte, entfernt hat.

Alsdann wäre in aller Stille und mit viel Geduld an einer behutsamen Reform der Reform zu arbeiten, die eben den wirklichen Weisungen von Sacrosanctum Concilium entspricht. So könnte schließlich der Augenblick kommen, an dem eine die Anliegen der einen wie der anderen Seite würdigende Reform vorgelegt würde.

Bis dahin, noch einmal, um Gottes willen, „die Waffen nieder“!

“There were 45,000 tabernacles in Lucas Oil Stadium. Because everybody who had received Holy Communion had Our Lord in them”

- Fr James Misko at the National Eucharistic Congress

Video: Thomas Graves pic.twitter.com/szSFVtOx2X

— Sachin Jose (@Sachinettiyil) July 20, 2024

Tens of thousands of people praise the Lord in Eucharistic adoration in an NFL stadium at the National Eucharistic Congress in Indianapolis. pic.twitter.com/2WRhdwsAYl

— Courtney Mares (@catholicourtney) July 17, 2024

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