28. Juli 2024 in Kommentar
Ein Gastkommentar von Stefan Fleischer.
Grenchen (kath.net)
Gott erfahren, das ist heute ein Grundbegriff der modernen Religionspädagogik. Sicher, es gibt sie, diese direkte, unerwartete Gotteserfahrung. Es gibt das Wunder, dass Gott direkt und klar erkennbar, für eine konkrete Person erfahrbar wird. Gottes Wege sind unergründlich. Persönlich habe ich solches in meinem bisherigen, langen Leben nie erlebt. Sicher, auch für mich gab es Erfahrungen, welche ich auf Grund meines Glaubens Gott zuordnen konnte, ja musste. Auf die Frage aber, was zuerst war, der Glaube oder die Erfahrung, war die Antwort stets der Glaube. Ich habe Gott hin und wieder spürbar erfahren, weil ich bestimmte Ereignisse und/oder Erfahrungen auf Grund meines Glaubens Gott zuordnen musste. Ohne diesen Glauben wäre all das Zufall gewesen. Im Glauben aber erkannte ich, dass Zufall das ist, was Gott mir in seiner Vorsehung zufallen lässt.
Nicht umsonst heisst es in der Schrift: «Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden.» (Mk 16,16) Von Gotteserfahrungen im Sinn dieser Religionspädagogik habe ich dort bisher nichts gefunden. Es geht um den freien Willen des Menschen. Wir können im Glauben annehmen, was Gott uns geoffenbart hat. Dann werden wird Gott erfahren, und zwar so, wie wir an ihn glauben. Wir können aber auch seine Offenbarung ablehnen, wir können selbst wissen, selbst bestimmen wollen, was richtig und was falsch, was gut und was böse ist. Dann werden wir ihn so erfahren, wie wir glauben, dass er sei. Das aber werden wir dann nicht Gott zuschreiben, sondern uns selbst.
Wie gesagt, Gott kann uns direkte und persönliche Gotteserfahrungen schenken, wenn er dies will, wenn er dies für nützlich hält, für uns, für unsere Nächsten, für die Kirche, für die ganze Welt. Doch was nützen solche Erfahrungen, wenn wir nicht glauben, wenn wir sie allem Möglichen zuschreiben, nur nicht Gott? Er aber kann auch unseren Weg durch die finsterere Schlucht führen. (vgl. Ps 23,4) Auch dann müssen wir ihn erkennen, und das heisst glauben.
Deshalb muss die Kirche wieder klar und unmissverständlich Gott verkünden, den ganzen, grossen, herrlichen, allmächtigen, allwissenden, dreifaltig einen Gott, der uns ganz nahe ist und doch so erhaben über uns, voll Erbarmen und doch der gerechte Richter der Lebenden und der Toten. Er ist absolut unbegreiflich und doch offenbart er sich uns so, dass unser begrenzter Verstand sagen kann: «Ja, Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben.» (vgl. Mk 9,21-24)
© 2024 www.kath.net