Wenn Gott in unsere Zeit eintritt, wird die ganze Zeit größer, weiter, reicher…

15. August 2024 in Weltkirche


Papst Benedikt XVI.: Nur wenn Gott groß ist, ist auch der Mensch groß. Maria wurde mit Leib und Seele in die Herrlichkeit des Himmels aufgenommen, und mit Gott und in Gott ist sie die Königin des Himmels und der Erde. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) „Früher mal“ war der 15. August ein besonderer Tag für die Kirche in Rom. Der Papst weilte in der Regel im Sommersitz von Castel Gandolfo, der an Menschen arme Petersplatz glühte in der Hitze (ein altes römisches Wort besagte ironisch: „im August sind nur Touristen und Hunde in Rom unterwegs“), der sonntägliche Angelus lockte die Pilger in die kleine Stadt in den Albaner Bergen, im August dann auch die Generalaudienzen, die der Papst nach der Ruhezeit im Juli wieder aufnahm. Diese Zeit gehört der Vergangenheit an.

Der Apostolische Palast, zusammen mit den Gärten, ist nur noch ein Museum oder eine Parkanlage. Touristen können sich anmelden und so zum Beispiel durch die Schlafgemächer der Päpste und die anderen Säle schlendern. Obligatorische Photos mit den Smartphones dürfen da natürlich nicht fehlen. Man will ja den Ort festhalten, an dem Pius XII. und Paul VI. gestorben sind, wo Johannes Paul II. seine ruhigen Tage verbrachte, wo Benedikt XVI. einst im Garten zum Beispiel das Paulus-Jahr vorbereitete, den letzten Band der Jesus-von-Nazareth-Trilogie beendete… Und es gefällt dann wohl, sich dort, wo Päpste geschlafen haben, irgendwie anders (oder auch nicht?) zu fühlen.

Die Musealisierung des einst atmenden „Hauses des Papstes“ hat dem alles Leben genommen. Castel Gandolfo - es ist nichts anderes als ein (relativ schlecht besuchter) „Ausflugsort“, dem jeder Geist der einstigen Geschichte und Lebendigkeit fehlen.

Das Hochfest Mariä Himmelfahrt, mit dem ehemals eine kleine sommerliche Fastenzeit endete, die auf den Tag der Entschlafung der Gottesmutter vorbereiten sollte, - auch dieses liturgische Fest wich in den letzen Jahren einem Alltag, ohne dass der Papst eine heilige Messe zu diesem Anlass feiern würde. Das Fest - es ähnelt nun nichts anderem als jedem beliebigen „Sonntag im Jahreskreis“ mit einem „üblichen Angelus“ für die wenigen Besucher auf dem Petersplatz.

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Papst Benedikt XVI. feierte die Messe an diesem Hochfest in der kleinen Pfarrkirche San Tommaso da Villalba gleich neben dem Apostolischen Palast. San Tommaso da Villanova ist der wichtigste Ort der Anbetung und geistlichen Sammlung in der Stadt Castel Gandolfo. Die Kirche wurde von Gian Lorenzo Bernini entworfen und von Papst Alexander VII. in Auftrag gegeben. Sie verdankt ihre Bedeutung gerade eben dem nahe gelegenen päpstlichen Villenkomplex von Castel Gandolfo.

Benedikt XVI. „nutzte“ diesen Moment der Feier zu Ehren der in den Himmel aufgenommenen Mutter Gottes stets, um dem Volk eine seiner homiletischen Perlen zu schenken, die dieses tief in das Geheimnis der christlichen Verkündigung hineinzuziehen vermochten. An jedem 15. August, mitten in den „Ferien“, an „Ferragosto“ (den alten „feriae augustales“ - den Feiertagen des Kaisers Augustus), nahm der Papst während seines Pontifikats die Gläubigen gütig bei der Hand und predigte die Schönheit Christi und seiner Mutter, die Tiefe und Einzigartigkeit dessen, was das Christentum ist.

Im Folgenden die erste dieser Predigten aus der Frühzeit des Petrusdienstes Benedikts XVI. - kurz vor seiner ersten Apostolischen Reise zum XX. Weltjugendtag in Köln, der vom 16. bis zum 21. August 2005 stattfand.

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15. August 2005, Hochfest der Aufnahme Mariens in den Himmel

(…) Das Hochfest der Aufnahme Marias in den Himmel ist ein Tag der Freude. Gott hat gesiegt. Die Liebe hat gesiegt. Das Leben hat gesiegt. Es hat sich gezeigt, daß die Liebe stärker ist als der Tod. Gott gehört die wahre Macht, und seine Macht ist Güte und Liebe.

Maria wurde mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen: Auch für den Leib ist in Gott Raum. Der Himmel ist für uns nicht mehr eine weit entfernte und unbekannte Sphäre. Wir haben eine Mutter im Himmel. Es ist die Mutter Gottes, die Mutter des Sohnes Gottes, sie ist unsere Mutter. Er selbst hat es gesagt. Er hat sie zu unserer Mutter gemacht, als er zu seinem Jünger und uns allen gesagt hat: »Siehe, deine Mutter!« Der Himmel steht offen, der Himmel hat ein Herz.

Im Evangelium haben wir das Magnificat gehört, diese großartige Dichtung, die aus dem Munde, ja aus dem Herzen Marias kam und vom Heiligen Geist inspiriert war. In diesem wundervollen Lied spiegelt sich die ganze Seele Marias wider, ihre ganze Persönlichkeit. Wir können sagen, daß dieser Gesang ein Porträt, eine wahre Ikone Marias ist, in der wir sie so sehen können, wie sie ist. Ich möchte nur zwei Aspekte dieses großartigen Gesangs hervorheben. Er beginnt mit dem Wort »Magnificat«: Meine Seele »macht den Herrn groß«, das heißt sie »preist die Größe des Herrn«. Maria möchte, daß der Herr in der Welt, in ihrem Leben groß ist, daß er unter uns allen gegenwärtig ist. Sie hat keine Angst, daß der Herr ein »Konkurrent« in unserem Leben sein könnte, daß er uns durch seine Größe etwas von unserer Freiheit, unserem Lebensraum nehmen könnte. Sie weiß, daß wenn Gott groß ist, auch wir groß sind. Unser Leben wird nicht unterdrückt, sondern es wird erhöht und weitet sich: gerade dann wird es groß im Glanz Gottes.

Die Tatsache, daß unsere Stammeltern das Gegenteil dachten, war der Kern der Erbsünde. Sie fürchteten, daß wenn Gott zu groß wäre, er ihnen etwas von ihrem Leben nehmen würde. Sie dachten, sie müßten Gott zurücksetzen, um Freiraum für sich selbst zu haben. Das war auch die große Versuchung der Moderne, der letzten drei bis vier Jahrhunderte. Immer häufiger hat man gedacht und auch gesagt: »Aber dieser Gott läßt uns nicht unsere Freiheit, mit all seinen Geboten engt er unseren Lebensraum ein. Gott muß also verschwinden; wir wollen autonom sein, unabhängig. Ohne diesen Gott werden wir selbst Götter sein und das tun, was wir wollen.« Dies waren auch die Gedanken des verlorenen Sohnes, der nicht verstanden hat, daß er gerade dadurch, daß er im Haus des Vaters war, »frei« war. Er ging weit weg in fremde Länder und verschleuderte sein Vermögen. Letztendlich sah er ein, daß er – gerade weil er sich vom Vater entfernt hatte – anstatt frei zu werden, ein Sklave geworden war. Er erkannte, daß er nur durch die Rückkehr in das Haus des Vaters wirklich frei sein würde, in der ganzen Schönheit des Lebens. So ist es auch in der Moderne. Zuerst dachten und glaubten wir, wir würden, wenn wir Gott beiseite ließen und autonom würden und nur unseren Ideen, unserem Willen folgten, wirklich frei, weil wir alles tun könnten, was wir wollten, ohne daß uns irgend jemand irgendwelche Befehle geben könne. Aber wo Gott verschwindet, wird der Mensch nicht größer.

Im Gegenteil: Er verliert seine göttliche Würde, er verliert den göttlichen Glanz auf seinem Angesicht. Schließlich erweist er sich nur als das Produkt einer blinden Evolution und als solches kann er gebraucht und mißbraucht werden. Gerade das hat die Erfahrung dieser unserer Zeit bestätigt.

Nur wenn Gott groß ist, ist auch der Mensch groß. Mit Maria sollen wir beginnen zu verstehen, daß dies so ist. Wir dürfen uns nicht von Gott entfernen, sondern wir müssen Gott gegenwärtig werden lassen. Wir sollen Ihn in unserem Leben groß sein lassen, dann werden auch wir göttlich werden, und all der Glanz der göttlichen Würde wird dann auch uns zuteil. Es ist wichtig, daß Gott unter uns groß ist, im öffentlichen und privaten Leben. Im öffentlichen Leben ist es wichtig, daß Gott zum Beispiel durch das Zeichen des Kreuzes in den öffentlichen Gebäuden gegenwärtig ist und daß er in unserem gemeinschaftlichen Leben gegenwärtig ist, denn nur wenn Gott gegenwärtig ist, haben wir eine Orientierung, einen gemeinsamen Weg. Andernfalls werden die Gegensätze unversöhnlich, weil die Anerkennung einer gemeinsamen Würde fehlt. Lassen wir Gott groß sein im öffentlichen und privaten Leben. Das bedeutet auch, daß wir Gott jeden Tag im persönlichen Leben Raum geben, angefangen beim morgendlichen Gebet, und daß wir Gott Zeit geben, indem wir den Sonntag Gott schenken. Wir verlieren unsere freie Zeit nicht, wenn wir sie Gott schenken. Wenn Gott in unsere Zeit eintritt, wird die ganze Zeit größer, weiter, reicher.

Eine zweite Bemerkung. Dieses Gedicht Marias – das Magnificat – ist vollkommen neuartig; dennoch ist es zugleich ein »Gewebe«, das ganz aus »Fäden« des Alten Testaments besteht, aus dem Wort Gottes. Und so sehen wir, daß Maria sozusagen im Wort Gottes »zu Hause« war, vom Wort Gottes lebte und vom Wort Gottes durchdrungen war. In dem Maß, in dem sie mit den Worten Gottes sprach, mit ihnen dachte, waren ihre Gedanken die Gedanken Gottes, waren ihre Worte die Worte Gottes. Sie war vom göttlichen Licht durchdrungen und deshalb war sie so leuchtend, so gütig, so strahlend vor Liebe und Güte. Maria lebt vom Wort Gottes, sie ist vom Wort Gottes durchdrungen. Und dieses Eingetaucht- Sein in das Wort Gottes, diese vollständige Vertrautheit mit ihm schenkt ihr auch das innere Licht der Weisheit. Wer mit Gott denkt, denkt gut, und wer mit Gott spricht, spricht gut. Er hat Urteilskriterien, die für alle Dinge dieser Welt gelten. Er wird klug, weise und gleichzeitig gut; er wird auch stark und mutig mit der Kraft Gottes, die dem Bösen widersteht und das Gute in der Welt fördert.

Und so spricht Maria mit uns, sie spricht zu uns und lädt uns ein, das Wort Gottes kennenzulernen, das Wort Gottes zu lieben, mit dem Wort Gottes zu leben, mit dem Wort Gottes zu denken. Dies können wir auf ganz verschiedene Weise tun: indem wir die Heilige Schrift lesen, und vor allem indem wir an der Liturgie teilnehmen, in der die heilige Kirche im Lauf des Jahres vor uns das Buch der Heiligen Schrift öffnet. Sie öffnet es für unser Leben und läßt es in unserem Leben gegenwärtig werden. Aber ich denke auch an das Kompendium des Katechismus der Katholischen Kirche, das wir vor kurzem veröffentlicht haben und in dem das Wort Gottes auf unser Leben angewendet, die Wirklichkeit unseres Lebens interpretiert wird. Es hilft uns, in den großen »Tempel« des Wortes Gottes einzutreten, es lieben zu lernen und wie Maria von diesem Wort durchdrungen zu werden. So wird das Leben voller Licht und wir haben ein Kriterium, auf dessen Grundlage wir Urteile fällen können; wir empfangen Güte und Stärke zugleich.

Maria wurde mit Leib und Seele in die Herrlichkeit des Himmels aufgenommen, und mit Gott und in Gott ist sie die Königin des Himmels und der Erde. Ist sie etwa dadurch weit von uns entfernt? Das Gegenteil ist wahr. Denn gerade weil sie mit Gott und in Gott ist, ist sie jedem von uns ganz nahe. Als sie auf der Erde war, konnte sie nur wenigen Menschen nahe sein. Weil sie in Gott ist, der uns nahe ist, der vielmehr uns allen »innerlich« ist, hat Maria Anteil an dieser Nähe Gottes. Weil sie in Gott und mit Gott ist, ist sie jedem von uns nahe, sie kennt unser Herz, sie kann unsere Gebete hören, sie kann uns mit ihrer mütterlichen Güte helfen und sie ist uns – wie der Herr gesagt hat – als »Mutter« gegeben, an die wir uns in jedem Augenblick wenden können. Sie hört uns immer, sie ist uns immer nahe, und weil sie die Mutter des Sohnes ist, hat sie Anteil an der Macht des Sohnes, an seiner Güte. Wir können immer unser ganzes Leben dieser Mutter anvertrauen, die niemandem von uns fern ist.

Danken wir dem Herrn an diesem Festtag für das Geschenk seiner Mutter, und bitten wir Maria, daß sie uns hilft, jeden Tag den rechten Weg zu finden. Amen

 


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