Lernen Sie Europa, solange es noch geht

12. August 2024 in Kommentar


Es gibt in der Tat noch Lehre in der abendländischen Tradition. Die Gustav-Siewerth-Akademie im Schwarzwald müht sich darum und der jährliche Sommerkurs lohnt sich immer wieder. Der Montagskick von Peter Winnemöller


Linz (kath.net)

Die Überschrift ist zu provokant? Stimmt. Sie knackt im Gehirn wie Krokant zwischen den Zähnen. Natürlich ist die Assoziation zum Titel von Geiersturzflug sehr gewollt. In den 80er Jahren hieß ein Lied der Musikgruppe „Besuchen Sie Europa, solange es noch steht“. Es war die Angst vor dem Atomkrieg, die die Band dies spöttische Lied singen ließ. Dennoch war der Song mit reichlich finster schwarzem Humor gewürzt. Lernen Sie Europa, solange es noch geht, ist nicht weniger finsterer Humor, denn der Untergang des Abendlandes scheint nicht mehr aufzuhalten zu sein. Wahrheit ist ein durch und durch abendländischer Begriff. Wer den Sommerkurs der Gustav-Siewerth-Akademie in diesem Jahr besucht hat, konnte sich mit dem Thema Wahrheit aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln auseinandersetzen. Namhafte Redner hatte das Organisationsteam um Albrecht Graf von Brandenstein-Zepplin und Mechthild Löhr eingeladen und sie waren alle gerne gekommen. Der Priester und Physiker Winfried König, Dogmatiker Manuel Schlögl, der Historiker David Engels, der Theologe und YouCat-Gründer Bernhard Meuser, die Patrologe Michael Fiedrowicz, der Schriftsteller Martin Mosebach, die Philosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz und die Dominikanerin Sr. Theresia Mende  beleuchteten das Thema Wahrheit aus ihrer je eigenen Perspektive.

Die Wahrheit und die Schönheit (Mosebach), die Wahrheit und die Liebe(Gerl-Falkovitz), einen Blick auf den Wandel der Geschichtsmorphologie warf David Engels. Diese willkürliche Auswahl soll an dieser Stelle reichen. Ehrlich gesagt war es letztgenannter, der mich zur der Überschrift verleitet hat. In einem Parforceritt durch die Hochkulturen der Welt zeigte der Historiker die Parallelen von Aufstieg, Höhepunkt und Niedergang, wieder erstarkter Aufstieg in einer Erstarrung, die zum Untergang führt. Wo befindet sich die abendländische Kultur wohl gerade? Richtig! In der Endphase ihres Niederganges und, so die These von Engels, stehen wir einem Wiederaufstieg eines bürgerlichen Kultur-Christentums in einer erstarrten, kristallinen Form. Es hat sich zu deutlich gezeigt, dass keine Kultur ohne eine geistige – also transzendente - Grundlage nur auf Basis einer innerweltlichen Ideologie bestehen kann. Angesichts der gerade erlebten Migration dürften sich die in Europa unvermeidlichen zumeist islamischen Einwanderer an eine solche Kultur eher anschließen wollen als an eine linksgrüne dekonstruktivistisch-hedonistische Ideologie. Als bräuchte es diesen Beweis noch, lobte jüngst der kämpferische Atheist Richard Dawkins die christliche Kultur und outete sich als Kulturchrist. Auch christliche Politik ist unserer Tage eher kulturchristlich. Der letzte Bundeskanzler, der eucharistische Anbetung pflegte, war Helmut Kohl.

Europa wird seine abendländische Kultur nicht bewahren können, es ist bereits zu viel davon verloren gegangen. Engels warnte davor, Abendland und Christentum gleichzusetzen. Weder junge asiatische Kirchen noch die Altorientalen würden sich als kulturelle Abendländer auffassen wollen, ihnen das Christentum absprechen zu wollen, wäre nicht nur beleidigend, es wäre fatal. Also, so die Ermahnung des Historikers, bringen wir bitte die abendländische Hochkultur an ein würdiges Ende, so dass eine ihr folgende Kultur von ihren Früchten so profitieren kann, wie wir von der griechischen oder der römischen Antike. Hier setzt meine Provokation an und ups… sie ist ernst gemeint.

Also ja, ich mache gerne Werbung für die Sommerakademie, die im kommenden Jahr vom 13. bis 16. August in Höchenschwand im Hochschwarzwald stattfinden wird. Doch das ist längst nicht alles. Es gibt so vieles, was unsere abendländische Kultur ausmacht. Musik, bildende Kunst, Literatur (Lesen Sie Mosebach! Nein, ich bekomme keine Provision.) aber auch die Lebensform der christlichen Familie ist es wert, sie zu erlernen. Die Caritas (grch. Agape) ist eine Form der Liebe, die einzigartig im Christentum ist, es wäre zu schade, ginge sie verloren. An der Caritas kann man sehr gut zeigen, wie eine Kristallisierung unter Ausblendung der Transzendenz aussieht. Sie mündet im Sozialstaat, der sich nun in Gestalt des Bürgergeldes selbst pervertiert. Sie mündet ebenso in einer Caritas als Großkonzern des Sozialdienstes, der sich mehr durch seine Profite als durch seine gelebte Nächstenliebe auszeichnet. Lernen und lehren wir doch die abendländischen Traditionen in ihrer eigentlichen Gestalt neu. Ist es wirklich Bruderliebe, den nächsten unfähig zu machen, für sich selbst zu sorgen? Oder wäre es mehr Caritas, denen zu helfen, die sich selbst nicht helfen können und den anderen Hilfe zur Selbsthilfe zu gewähren? Man sieht, selbst in Fragen der Caritas haben wir viel zu lernen. Wie Liebe und Wahrheit zusammen gehören, hat die Philosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz eindrücklich beleuchtet.

Allen Rednern gemeinsam war, zu erklären, inwiefern Wahrheit zu unserer Kultur gehört und wie sie sich auswirkt. Allein die Religion der römischen Antike, die olympischen Götter, waren nicht nur selbst eine verlogene und intrigante Bande, auch ihr Kult war verlogen. Die Götter waren den Menschen so gleichgültig wie die Menschen den Göttern. Verehrung gegen Schutz – Do ut des – mehr war nicht drin. Wie anders ist der Gott der Christen, der sich anreden lässt, der nicht nur von den Menschen geliebt werden will, sondern sich selber in Liebe nach dem Menschen verzehrt. Wo gibt es das noch? Am Ende der Konferenz ging es im Vortrag von Sr. Theresia Mende um die Mission als Antwort auf die Sehnsucht nach Wahrheit. Der Mensch in seiner gebrochenen Natur sehnt sich danach, wieder mit Gott vereint zu werden. Die Antwort auf diese Sehnsucht ist das Zeugnis der Gläubigen, die Verkündigung des Evangeliums, die diese Sehnsucht zu stillen vermag. Mission ist Teil der europäischen Kultur und kann auch oder gerade in unserer Zeit nicht abreißen. Ein Untergang des Abendlandes bedeutet, wir erinnern uns, nicht den Untergang des Christentums. Ein wenig liegt es vielleicht auch an uns mitzuwirken, dass eine künftige europäische Hochkultur eine christliche sein kann.

Dieser Turbodurchgang durch vier dichte Tage des Sommerkurses soll vor allem eines zeigen: Es gibt keinen Grund zur Resignation. Wir haben politisch, gesellschaftlich, kulturell und ganz sicher aus spirituell reichlich Fronten an denen es zu kämpfen gilt. Es gibt dazu viel zu lernen, zu wissen und zu bedenken. Die Philosophie aber auch die Theologie sind gute Werkzeuge, dieses Lernen auch in andere Wissensbereiche zu erweitern. Dass in einem solchen Kontext täglich sehr schöne Liturgien gefeiert werden, ist eigentlich kaum einer Erwähnung wert. Und doch! Man muss es sagen. Wir binden unser Reden und Denken, unser Erwägen und Argumentieren an den Allmächtigen zurück, der uns geschaffen hat und der uns liebt.

Europa, das war das Abendland. Mit der Krönung Karls des Großen und nimmt man es ganz ernst, vorbereitet durch die Begegnung von Papst Leo und König Karl im Jahr 799 in Paderborn, sehen wir hier den Beginn des Abendlandes. Wie man zuweilen – sieben-fünf-drei Rom schlüpft aus dem Ei – auch bei anderen Hochkulturen den Beginn sehr genau festlegen kann, ist das Ende immer diffus. Auch am Ende der römischen oder griechischen Hochkultur war man über das, was die Kultur ausmachte, sehr gut im Bilde. Trotzdem bedurfte es der Araber, die die Bücher der großen Philosophen und Staatsmänner aufbewahrten. Klöster konservierten das Wissen der Antike, bis es ausgehend vom Hochmittelalter bis in die Renaissance zur vollen Blüte kam.

Es gibt sicher viel Grund zu pragmatischem Pessimismus angesichts politischer, gesellschaftlicher, kultureller und religiöser Probleme. Wir können etwas dagegen tun, indem wir „Europa lernen“, unsere Kultur pflegen, unseren Glauben wieder verkünden und vieles andere mehr. Bildung ist ein Aspekt, der eindeutig zu Europa gehört und der gerade stirbt. Bildung stirbt gerade auch in der Kirche, wo sich Akademien einfach einem linksgrünen Mainstream verschreiben, statt die christliche Tradition zu lehren. Bildung – lernen Sie Europa – geschieht heute in kleinen Akademien, Thinktanks und Initiativen. Wir müssen es nur tun. Und so, mit dem Blick auf den Rhein bei Worms, wo ich eine kurze Zwischenstation auf dem Rückweg aus dem Schwarzwald mache, klingt mir die Klage der Rheintöchter über das geklaute Gold im Ohr. Am Ende bekommen sie es zurück und Walhalla liegt in Schutt und Asche. Götterdämmerung.

Nicht nach dem Gold sollten wir streben, kein Walhalla sollen wir bauen wollen, sondern es gilt das zu lernen und anzustreben, was noch immer unseres ist. Lernen gehörte im Abendland immer dazu. Also lernen wir Europa, solange es noch geht. Es gibt viele Akademien, Initiativen und Kurse, wo das noch immer möglich ist. Eine davon steht im wunderbaren Hochschwarzwald mit Blick auf die Alpen in Deutschland, der Schweiz und Frankreich.

 

Bild oben: Ein Podium mit Bernhard Meuser, Manuel Schlögl und Martin Mosebach (v.l.n.r) – Foto: © Peter Winnemöller


© 2024 www.kath.net