„Die atheistischen Ideologen des Neomarxismus werten die Rolle der Frau als Mutter ab“

20. August 2024 in Interview


„Wenn wir Christen sind, wissen wir, dass wir auch als Vater und Mutter unser Taufpriestertum ausüben, wenn wir die Kinder im Glauben erziehen, dass sie den Weg der Nachfolge Christi gehen und das ewige Leben erlangen.“


Piekary Śląskie (kath.net) Das erläuterte Kardinal Gerhard Müller, der emeritierte Präfekt der Glaubenskongregation,  in einem Podiumsgespräch bei der von ca. 50.000 Teilnehmerinnen besuchten Wallfahrt für Frauen und Mädchen in Piekary Slaskie bei Kattowitz (südliches Polen).

kath.net dokumentiert die Antworten des Kardinals im deutschsprachigen Original, die Fragen in einer Arbeitsübersetzung, und dankt S.E. für die freundliche Erlaubnis zur Veröffentlichung.

Frage: Über die Frauen in der Kirche In seiner Lehre über die Frau ermutigte uns Johannes Paul II., die „Genie der Frauen“ anzuerkennen. Gilt dieser Aufruf in der Kirche noch?

Kardinal Müller: Gott hat die menschliche Natur sowohl im männlichen als auch im weiblichen Geschlecht geschaffen. Aber als Individuen sind wir Personen in einer direkten Beziehung zu Gott dem Vater und Gott dem Sohn und Gott dem Heiligen Geist. Wir sind Söhne und Töchter Gottes, wir haben teil am Verhältnis des Sohnes zum Vater und sind im Heiligen Geist Freunde Gottes. Also in unserem personalen Verhältnis zu Gott ist unsere Gotteskindschaft in Christus und Gottesfreundschaft im Heiligen Geist die höchste Verwirklichung unserer Gottesebenbildlichkeit. Das ist das, was uns als geistige und freie Geschöpfe auszeichnet und über den Rest des Universums unendlich erhebt.

Der Mensch hat als Mann und als Frau eine besondere Aufgabe, zuallererst bei der Weitergabe des Lebens. Wenn wir Christen sind wissen wir, dass wir auch als Vater und Mutter unser Taufpriestertum ausüben, wenn wir die Kinder im Glauben erziehen, dass sie den Weg der Nachfolge Christi gehen und das ewige Leben erlangen.

Was Gott sich in seiner unendlichen Weisheit mit der Erschaffung der Hälfte der Menschheit als Frauen gedacht hat, kommt am schönsten zum Ausdruck in Maria, aus der der ewige Sohn des Vaters unsere menschliche Natur angenommen hat. So ist Maria die Mutter des Sohnes Gottes, der zum unserem Heil vom Himmel herabgekommen ist und unser Fleisch angenommen und unter uns gewohnt hat, um uns von Sünde und Tod zu erlösen.

Die atheistischen Ideologen  des Neomarxismus werten nicht nur die Rolle der Frau als Mutter ihrer Kinder und liebevolle Gefährtin ihres Mannes, sondern sogar ihr Menschsein ab.

Vatersein und Muttersein oder Brudersein und Freundsein ist übrigens keine Rolle wie im Theater, in die man hineinschlüpfen und wieder herausschlüpfen kann, sondern ein inniges Verhältnis von Person zu Person in voller Sympathie und Solidarität. Sie verfehlen auch den Sinn der geschlechtlichen Differenz, die für uns als Werk des Schöpfers durch und durch gut ist, so dass sich jeder Mann und jede Frau in ihre Haut wohl fühlen soll.

Niemand kann in einem falschen Körper leben, weil Gott uns in der Einheit von Geist und Materie geschaffen hat zu dieser konkreten Person in ihrer geistig-leiblichen Natur. Nicht der katholische Glaube vertritt ein überholtes Menschenbild, sondern diejenigen, die klüger sein wollen als Gott und die mit ihrem Versuch die Schöpfung zu verbessern alles zerstören und die Menschen unglücklich machen.

Frage: Wie ist der Begriff „das Genie der Frau“ zu verstehen? Wie kann eine Frau es zum Wohl der Kirche entwickeln?

Kard. Müller: Natürlich meinen wir mit ‚Genie‘ nicht die ganz außerordentlichen Fähigkeiten, die etwa schon beim kleinen Mozart auf einen der größten Komponisten der Geschichte vorausgewiesen haben. Gemeint sind die spezifischen Gaben, mit denen Gott die männliche oder weibliche Natur ausgestattet hat, damit sie im Zusammenwirken dem Wohl der Menschen in der Abfolge der Generationen dienen. Jeder weiß spontan aus seiner Lebenserfahrung, was ihm in ihrer harmonischen Verschiedenheit seine Mutter und sein Vater bedeuten. Die Bereitschaft sich wechselseitig zu ergänzen und zu vervollkommnen und heilig zu machen, das ist der Genius oder das von der Natur gegebene Talent und das vom Heiligen Geist eingegossene Charisma, womit wir mitwirken am Aufbau einer besseren Welt und des Reiches Gottes in unseren Herzen und in unserem sozialen Leben.

Frage: Das Thema der diesjährigen Wallfahrt sind die Worte: „Ich bin in der Kirche, also gehe ich ...“. In welchen Bereichen des kirchlichen Lebens sollten Frauen stärker einbezogen werden?

Kard. Müller: Die Kirche ist nicht einfach eine soziale Einrichtung, die man an ihren politischen, sozialen und historischen Wirkungen messen kann. Nur im Glauben erfassen wir das innere Wesen der Kirche als Haus und Volk Gottes, des Vaters, als Leib Christi und als Tempel des Heiligen Geistes. Durch die Taufe sind wir Glieder am Leib Christi. Gestärkt durch den Heiligen Geist in der Firmung haben wir Anteil an der priesterlichen, prophetischen und königlichem (Christus als Hirt und König) Amt Jesu, des Hauptes seiner Kirche. Erst in zweiter Linie kommen hinzu die spezifischen Dienste in der Kirche, nämlich das sakramentale Amt der Bischöfe, Priester und Diakone und die ehren- und hauptamtlichen kirchlichen Ämter, zu denen ohne Unterschied Frauen und Männer vom Bischof oder von Pfarrer berufen werden können.

Frage: In einem Ihrer Interviews sagten Sie, Herr Kardinal, dass Sie nichts dagegen hätten, wenn eine Frau Apostolischer Nuntius, Staatssekretärin oder Präsidentin der Vatikanischen Bank (IOR) werde. Glauben Sie, Herr Kardinal, dass Frauen in naher Zukunft wichtige Positionen in den Machtstrukturen der Kirche einnehmen können?

Kard. Müller: Der Vatikan als Staat mit seinen Einrichtungen ist übrigens nicht zu verwechseln mit der römischen Kurie, die eine kirchliche Einrichtung ist, die dem Papst und dem Kardinalskollegium bei der geistlichen Leitung der Kirche dient.

Die Funktionen beim Vatikanstaat sollten m. M. nach sowieso von fachkundigen Laien, seien es kompetente Männer oder Frauen, besetzt werden. Beim diplomatischen Dienst ist die Frage, ob der Papst als Staatsoberhaupt oder als bischöflicher Nachfolger Petri vertreten wird. Deshalb gibt es keine so eindeutige Antwort, wobei es sich ohnehin nicht direkt um ein dogmatisches Thema handelt. Entscheidend ist vielmehr, dass alle getauften Frauen im Laien- oder Ordensstand ihr spezifisches Charisma ausüben, den Glauben bezeugen und vorleben und damit ihr ewiges Heil wirken. Entscheidend ist nicht, was wir vor den Menschen gelten, sondern was wir vor Gott sind.

Frage: Könnte eine größere Präsenz von Frauen in verantwortungsvollen Positionen dazu beitragen, einige der internen Probleme der Kirche zu lösen und ihre Mission in der modernen Welt positiv zu beeinflussen?

Kard. Müller: Die Kirche ist von Christus gestiftet und sie lebt in ihrer Verkündigung und ihrer sakramentalen und pastoralen Mission vom Heiligen Geist. Die Kirche hat deshalb keine Probleme. Das was wir Probleme nennen ist von uns Menschen verursacht und lässt keineswegs auf einen Geburtsfehler der Kirche schließen, denn sie ist aus dem geöffneten Herzen Jesu am Kreuz geboren. Es wird gewiss nicht besser, wenn in der Kirche Macht verteilt wird, um den Herrsch- und Geltungstrieb oder Karrieredrang, von wem auch immer, zu befriedigen.

Überhaupt sollten wir den Begriff Macht nicht im politischen Sinn als Befehlsgewalt des einen über den andern verstehen. Allein Christus ist vom Vater alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben, aber zu dem Zweck, die Menschen von Elend, Sünde und Tod zu erlösen und ihnen die Herrlichkeit und Freiheit der Kinder Gottes zu schenken (Röm 8, 21).

Den Apostel und ihren Nachfolgern, den Bischöfen und Priestern ist geistliche Vollmacht gegeben, um die Menschen mit Gottes Kraft in der Taufe zu Jüngern Christi zu machen (Mt 28, 19f), ihnen ein guter Hirte sein in fürsorgender Vaterliebe.

Frage: Im selben Interview erklärten Sie, Herr Kardinal, dass die Zukunft der Frauen in der Kirche auf der Grundlage zweier Kompasse entschieden werden sollte – Liebe und Macht. Was bedeutet das in der Praxis?

Kard. Müller: Wie gesagt geht es um die geistliche Vollmacht, die nur in selbstloser Liebe zum Heil der anderen ausgeübt werden kann. In der Praxis ist es das, was Laien als Männer und Frauen immer getan haben und tun sollten im Namen Christi in allen Bereichen unseren Lebens – angefangen bei Ehe und Familie, im Beruf, in Kunst und Kultur, im öffentlichen Leben in Medien und Politik – jeweils nach den Herausforderungen, d.h. den Zeichen der Zeit. Das aber ist nicht der Zeitgeist und der Mainstream oder die herrschende Propaganda und Demagogie, sondern der Heilige Geist, der uns Gedanken und Herzen beschenkt mit seinen sieben Gaben der Weisheit, der Einsicht, des Rates und der Stärke, der Erkenntnis, der Gottesfurcht und der Frömmigkeit (Jes 11, 2).

Frage: Welche der in den letzten Jahrzehnten lebenden Frauen ist nach Ansicht des Kardinals besonders inspirierend für zeitgenössische Frauen, die an Christus glauben?

Kard. Müller: Gott sei Dank gibt es Millionen von christlichen Frauen auf der ganzen Welt, die vorbildlich den Weg der Nachfolge Christ gegangen sind, in der Gegenwart gehen und in der Zukunft gehen werden. Ich darf eine Frau exemplarisch für so viele nennen, die uns auch in Deutschland und Polen miteinander verbindet. Das ist die hl. Edith Stein, die als Jüdin im damaligen deutschen Breslau geboren wurde, die sich katholisch taufen ließ und die als die bedeutendste Philosophin des 20. Jahrhunderts anerkannt ist. Sie trat in den Karmel ein und wurde während der deutschen Besatzung in den Niederlanden 1942 verhaftet und als Angehörige des jüdischen Volkes in Auschwitz ermordet und von dem polnischen Papst Johannes Paul II. am 11 Oktober 1998 heiliggesprochen.

Ich persönlich verehre auch besonders das Ehepaar Josef und Wiktoria [Ulma] mit ihren sieben Kindern, die von den Nazischergen grausam ermordet wurden zusammen mit den acht jüdischen Männern und Frauen, die sie versteckt und damit retten wollten. Wiktoria war zu diesem Zeitpunkt schwanger und ist zusammen mit dem Kind in ihrem gesegneten Leib als Märtyrerin von Jesus unmittelbar in die himmlische Seligkeit aufgenommen worden.

Frage: Zur Lage der Kirche in Polen. Sie besuchen unser Land oft. Wie ist die aktuelle Situation des Glaubens in Polen im Vergleich zu Kirchen in anderen Teilen Europas und der Welt?

Kard. Müller: Ich bewundere das polnische Volk, dass es seine grausame Teilung von 123 Jahren und die zwei blutigsten Diktaturen des 20. Jahrhunderts, den deutschen Nationalsozialismus und den sowjetrussischen Kommunismus in der Kraft des Glaubens und dem Mut von Helden überstanden und seine kulturelle und christliche Identität bewahrt hat.

Ich bete darum, dass auch die Polen von heute, die Verführung durch den in den Medien und Politikerköpfen allmächtigen Genderwahn der Woke-Ideologie erkennen und dem für die polnische Identität tödlichen Zerstörungswahn des neomarxistischen Nihilismus so heldenhaft widersteht. Polen ohne den katholischen Glauben ist nichts weiter als ein herrenloses Territorium, dessen sich jeder Eroberer mühelos bemächtigen kann. Ein Pole, der die katholische Kirche bekämpft, ist ein Widerspruch in sich selbst, und nichts weiter als elender Verräter an seinem geistigen Vaterland.

Frage: Was sind Ihrer Einschätzung nach die Stärken und Schwächen der Kirche an der Weichsel?

Kard. Müller: Die Stärke besteht in der Sicherheit des Glaubens, der sich auf das Wort Gottes in Jesus Christus stützt und sich der Fürbitte Marias, der Königin Polens anvertraut. Die Schwäche könnte uns zum Verhängnis werden, wenn man sich einreden lässt, Polen müsste den Brüsseler Bürokraten und woken US-Ideologien die Schleppe hinterhertragen, anstatt ihnen mit dem Licht des Evangeliums den Weg zur wahren Heimat in Gott zu weisen.

Frage: Auf welche Fehler, die in den vergangenen Jahrzehnten in vielen westeuropäischen Kirchen begangen wurden, sollte die Kirche in Polen achten, um sie nicht zu wiederholen?

Kard. Müller: Die Fehler der katholischen Kirche in Holland, Frankreich, Deutschland etc. bestehen in der Anpassung an einen Modernismus, der den Zweck der Kirche in weltimmanenten Zielen sieht. In Wirklichkeit hat die Kirche mit den Ideologien des Progressismus und Konservatismus und den (ziemlich dümmlichen) politischen Einteilungen in „linke“ und „rechte“ Parteien nicht das Geringste zu tun. Wenn überhaupt, müssen wir diese Konflikte dämpfen und die Menschen zu Friede und Versöhnung aufrufen. Politische Gegner dürfen in einem christlich geprägten Land sich unter keinen Umständen in Wort und Tat wie Feinde behandeln.

Ein echter Katholik weiß in dem vom Heiligen Geist eingegossenem Glauben: „Die Kirche ist in Jesus Christus gleichsam das Sakrament, Zeichen und Werkzeug der innigsten Vereinigung der Menschen mit Gott und für der Einheit der Menschen.“ (II. Vatikanum, Lumen gentium 1).

Frage: Über die persönliche Dimension der Pilgerfahrt nach Piekary Śląskie. Waren Sie schon einmal nach Piekary gepilgert?

Kard. Müller: Ja, ich war schon einmal hier zur Männerwallfahrt im Jahre 2015.

Frage: Mit welchen Absichten wenden Sie sich, Herr Kardinal, an die Mutter der Gerechtigkeit und der Nächstenliebe?

Kard. Müller: Ja, ich freue mich zusammen mit so vielen gläubigen christlichen Frauen die hl. Messe zu feiern. Das ist sakramentale Vergegenwärtigung des Erlösungsopfers Christi zum Heil der Welt und ihnen das Wort Gottes zu verkünden, durch das wir zur Erkenntnis Christi gelangen.

Maria ist das Vorbild aller Frauen in ihrem Frausein, aber auch aller Männer und Frauen in ihrem Menschsein vor Gott. Sie hat zur Empfängnis und zur Geburt des Göttlichen Wortes als Mensch in ihrem Leib in voller Freiheit und mit Hilfe der Göttlichen Gnade Ja gesagt. Und sie ist bei Jesus geblieben bis unter das Kreuz. Sie hat sich für ihn nicht geschämt als er am Kreuz von den Intellektuellen und Mächtigen seiner Zeit verspottet und schuldlos zum Tode verurteilt wurde. Sie war aber bei den Jüngern, auf die der erhöhte Herr, ihr Sohn, den Heiligen Geist herabsandte.

Uns sie ist jetzt mitten unter uns gegenwärtig. Sie ist das tröstende und Mut machende Vorbild für das pilgernde Gottesvolk auf dem Weg zur ewigen Heimat. Im Himmel bittet sie bei Christus, ihrem Sohn, für uns. Und sie ist das Urbild der Erlösung, der sie ist bereits mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen. Und sie stellt in ihrer Person das volle Heil dar, das uns einst zuteil werden soll: die Auferstehung des Leibes und das ewige Leben.

 


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