26. August 2024 in Kommentar
Den Verfassungsauftrag zu erfüllen, wäre eine gute Sache. Noch besser wäre es, die Beteiligten Länder und Kirchen ins Boot zu holen. So wird es leider wieder scheitern. Der Montagskick von Peter Winnemöller
Linz (kath.net)
Die Ampelkoalition, die in Deutschland die Bundesregierung stellt, zeichnet sich nicht gerade durch eine erfolgreiche Regierungsarbeit aus. Wirtschaftlicher Niedergang, unkontrollierte Einwanderung, drastische Zunahme der Kriminalität, Verfall der Infrastruktur und massive Entwertung des Eigentums der Bürger. So sieht grob gezeichnet die Erfolgsquote aus. Im Umkehrschluss dekonstruierte man die Familie und die Biologie und man möchte die Tötung ungeborener und alter Menschen komplett freigeben.
Alle diese aufgezählten Punkte sind nicht dazu angetan, von den Bürgern als Erfolge angesehen zu werden. Da möchte man doch gerne noch ein Projekt, das im Grunde schon erledigt ist, am Ende noch mit Gewalt in ein Gesetz gießen: Die Ablösung der Staatsleistungen der Bundesländer an die Bistümer und Landeskirchen. Es gibt einen uralten Verfassungsauftrag dazu, nämlich den Artikel 140 Grundgesetz, der die Rechtsnormen der Weimarer Reichsverfassung übernimmt, nach denen die Staatsleistungen abzulösen sind. Die Grundsätze dazu hat der Bund festzulegen. Im Koalitionsvertrag der derzeitigen Bundesregierung steht: „Wir schaffen in einem Grundsätzegesetz im Dialog mit den Ländern und den Kirchen einen fairen Rahmen für die Ablösung der Staatsleistungen.“
Nach derzeitigem Stand der Dinge sind diese Pläne der Regierungsparteien gescheitert. Bei seinem Besuch im Vatikan im Juni diesen Jahres betonte der bayrische Ministerpräsident Söder dem Papst gegenüber, es werde keine Ablösungen der Staatsleistungen geben. Auch weitere Ministerpräsidenten erteilten den Regierungsplänen eine klare Absage. Eine vom Innenministerium eingesetzte Arbeitsgruppe tagte bis Januar 2023 und stellte danach die Arbeit ein. Kirchenvertreter zeigten sich nach wie vor offen für die Ablösung der Staatsleistungen. Es wurde allerdings auch von Kirchenvertretern kritisiert, dass die Länder als diejenigen, die die Ablösung vornehmen und bezahlen müssen, nicht hinreichend eingebunden waren.
Umso überraschender war der Bericht in der FAZ in der vergangenen Woche, in der der religionspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Castellucci, bekanntgab, man wolle noch im Herbst ein Grundsätzegesetz zur Ablösung der Staatsleistungen in den Bundestag einbringen, das zum einen im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig sei, die Länder aber verpflichte innerhalb eines festgelegten Zeitraumes abzulösen. Trotz aller Bedenken und Proteste sowie rechtlicher Vorbehalte, ob es ein solches Gesetz ohne Zustimmung im Bundesrat geben können, will die Ampel an dem Vorhaben festhalten.
Es ist mehr als fraglich, ob das Gesetz durch den Bundestag kommt, denn auch von der SPD regierte Länder sind gegen das Gesetz, hier könnten Landesparteien Druck auf ihre Abgeordneten ausüben, die das Gesetz zu Fall bringen könnten. Man kann die Sicherheit des Sozialdemokraten Castellucci als Pfeifen im Walde auffassen. Hier will die Koalition dann doch noch mal ein Gesetz durch den Bundestag bringen, der wie ein Lagerfeuer aller drei grundsätzlich religionskritischen Regierungsparteien wirkt.
Tatsächlich wäre es eine historische Chance gewesen, diese Ablösung vorzunehmen. Erstmals war eine Bundesregierung bereit, es in Angriff zu nehmen. Die Bistümer und Landeskirchen zeigten schon länger Bereitschaft. Gesellschaftlich sind die Staatsleistungen immer schwerer zu kommunizieren. Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt diese Zahlungen ab oder bringt ihnen Unverständnis entgegen. Dies könnte langfristig dazu führen, dass ein oder mehrere Bundesländer die Zahlungen einfach einstellen. In der DDR-Zeit bekamen die Landeskirchen und Bistümer auf dem Gebiet der DDR keine Staatsleistungen. Das könnte als Beispiel angesehen werden, dass es geht. Wer will es denn wo einklagen. Natürlich würde der Heilige Stuhl diplomatisch intervenieren, aber mit welchen Folgen.
Eine Ablösung der Staatsleistungen wäre für alle Beteiligten von Vorteil gewesen. Eine solche Entflechtung von Staat und Kirche kann nur sinnvoll sein, zumal die Staatsleistungen vor allem dazu dienen, die Gehälter von Bischöfen und Domkapitularen zu zahlen. Bischöfe waren einst Landesherren. Sie werden noch heute wie Ministerpräsidenten vergütet und sind mit Dienstwagen, Fahrer, Sekretärinnen und mehreren Referenten ähnlich ausgestattet. Sie sind ebensoweit von den Menschen entfernt, wie ein Ministerpräsident. Sie bewegen sich ebenfalls in einer künstlichen Blase aus Beamten und Funktionären. Das ist ein systemimmanent, aber es ist ein Fehler, der aus mehreren Gründen dringend zu beseitigen wäre. Bei einer Neuevangelisation wirklich näher an den Menschen zu sein, wäre eine unbedingte Erfordernis. Jährlich erhalten Bistümer und Landeskirchen in Deutschland 600 Millionen Euro von den Bundesländern. Eine Ablösung, die den historischen Lasten gerecht wird müsste mit dem Faktor 10 bis 18 multipliziert werden. Es gibt aber auch andere Lösungsmöglichkeiten.
Schon länger wird darüber diskutiert, ob der Staat nicht der Verpflichtung aus Art. 140 GG auch dann gerecht werden kann, wenn man die Staatsleistungen durch verstetigte Zahlungen ablösen würde. Das Bundesland Sachsen hat eine solche Lösung bereits gewählt. Treppenwitz der Geschichte, das geplante Grundsätzegesetz des Bundes könnte Sachsen hier die Petersilie verhageln, indem die gewählte Form der Ablösung nicht anerkannt wird.
Auch die Rückgabe von Ländereien und Immobilien könnte eine Lösung sein. Ferner wäre eine über zehn oder 15 Jahre gestreckte Zahlung machbar. Darüber hinaus gibt es noch eine Fülle von Kombinationen aus Einmalzahlung, Verstetigung von Landeszuschüssen und Rückgabe von Sachwerten. Wo ein Wille wäre, wäre eine Erfüllung des Verfassungsauftrages nur eine Frage von seriösem Gesetzgebungshandwerk auf Seiten des Bundes und guter Verhandlungen auf Seiten der Länder, Bistümer und Landeskirchen.
Das erwartbare Scheitern des historischen Vorhabens Ablösung der Staatsleistungen ist nurmehr ein weiteres Beispiel die Regierungsunfähigkeit der gegenwärtigen Koalition. Es geht dabei nicht einmal um Klientelpolitik, sondern um ein allgemeines Interesse aller Beteiligten. Deutschland ist ein laizistischer Staat, der eine radikale Trennung von Staat und Kirche verlangt. Die Verfassung des Bundes und die Verfassungen der Länder sowie die Gesamtheit der Rechtsnomen in unserem Land sind auf ein ausgewogenes und partnerschaftliches Verhältnis zwischen Staat und Kirche ausgerichtet. Wesentliche Teile der Bildung und der sozialen Fürsorge sind vom Staat an Bistümer, kirchliche und landeskirchliche Einrichtungen übertragen. Kirchliche Feiertage und Bräuche werden vom Staat geschützt. In der Tat stellen die Staatsleistungen hier eine staatskirchenrechtliche Umklammerung dar, die weder für den Staat noch für die Kirche sinnvoll ist.
Ausgehend vom Reichsdeputationshauptschluss im Jahr 1803, das ist 221 Jahre her, in dem kirchliche Besitztümer enteignet wurden, um weltliche Fürsten für linksrheinische Besitzungen zu entschädigen, wurde im Umkehrschluss den Fürsten ein Ausgleich für die entgangenen Erträge der Kirche auferlegt. Mit dem Ende der adeligen Landesherren traten die deutschen Länder deren Rechtsnachfolge an. Die Weimarer Verfassung zeigte die Absicht dieses schädliche Konstrukt zu beenden. Doch es ist, wie man sieht, leichter ein Unrecht zu begehen, als ein Unrecht wiedergutzumachen. Längst haben die die meisten Bistümer wirtschaftlich so entwickelt, dass die Staatsleistungen ersatzlos gestrichen werden könnten, ohne die Bistümer in ihrer wirtschaftlichen Existenz zu bedrohen. Aber ein Bistum Magdeburg wäre bei Wegfall der Staatsleistungen ernsthaft in Not. In manchen Ländern sind die Staatsleistungen sehr gering, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen. Anders ist es in Bayern und Baden-Württemberg, dort erhalten Bistümer und Landeskirchen hohe Staatsleistungen.
Die meisten Menschen können sich kaum vorstellen, dass über 200 Jahre alte Rechtstitel noch immer Bestand haben, doch es ist nun einmal im Öffentlichen Recht, Staatskirchenrecht gehört in diesen Bereich, hat jedoch, insofern der Heilige Stuhl involviert ist, auch völkerrechtliche Aspekte. Da sind 200 Jahre nicht viel. Populäre Irrtümer über die Trennung von Staat und Kirche sowie ein dramatischer Imageverlust der Kirche tun ein Übriges, die gesellschaftliche und staatliche Akzeptanz der Staatsleistungen zu minimieren. So stehen wir also gegenwärtig vor einem Dilemma. Die gegenwärtige Bundesregierung kann mit dem Gesetzgebungsversuch scheitern und damit eine historische Chance vertan haben. Sie könnte mit dem Gesetz durchkommen und damit ebenso krachend scheitern, weil sie den erbitterten Widerstand der Bundesländer zu erwarten hat und diese alles versuchen würden, das Gesetz wieder wegzubekommen oder es schlicht zu ignorieren. Leider bleibt hier nichts anderes, als von einem weiteren Scheitern der Ampel, diesmal zu Lasten der Bürger und der Kirche auszugehen. Ob es in näherer Zukunft noch einen weiteren Versuch geben wird, den Verfassungsauftrag zu erfüllen, darf bezweifelt werden.
Bild: Jahr für Jahr fließt viel Geld von den Ländern an Bistümer und Landeskirchen. Foto: Pixabay
© 2024 www.kath.net