„Wenn das Salz seinen Geschmack verliert, ….. Die Wahrheitsfrage im Dickicht des Relativismus!“

2. September 2024 in Kommentar


„Der Verlust des Glaubens, also der Relativismus im Glauben, führt zum Aberglauben, zum Götzendienst, zur Wissenschaftsgläubigkeit, zu politischem Religionsersatz.“ Referat bei der Theologischen Sommerakademie in Aigen. Von Dekan Ignaz Steinwender


Zell am Ziller (kath.net) kath.net dokumentiert das Referat von Dekan Ignaz Steinwender; Pfarrer in Zell am Ziller, bei der Theologischen Sommerakademie in Aigen in voller Länge und dankt für die freundliche Erlaubnis zur Veröffentlichung:

Exzellenzen! Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen!

Das Thema der Tagung lautet „Das Salz der katholischen Wahrheit!“ Mein Thema lautet: „Wenn das Salz seinen Geschmack verliert, ….. Die Wahrheitsfrage im Dickicht des Relativismus!“

Was meinen wir mit Salz, worin besteht das Salz sein, das Geschmack haben, sagen wir, um gleich auf das Tagungsthema zu kommen, was ist das Salz der katholischen Wahrheit? Warum ist die katholische Wahrheit Salz? Es geht also um die Wahrheitsfrage.

Jesus sagt den Jüngern: „Ihr seid das Salz der Erde.“ (Mt 5,13) „Ihr seid das Licht der Welt!“ (Mt 5,14). Das Salz verleiht Geschmack, das Salz macht die Speisen genießbar, das Salz macht auch haltbar, damit nichts verdirbt. Das Salz ist so ein Symbol für etwas, das sich vom Anderen abhebt, etwas, das nicht für sich selbst da ist, sondern zum Weiterschenken, um eben Speisen würzig, genießbar und haltbar zu machen.

Um wieder auf die Schrift zurückzukommen: Jesus sagt vor Pilatus: „Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege.“ (Joh 18,37) Er sagt weiters: „Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen.“ (Joh 8,32) Den Jüngern verheißt er: „Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird euch in die ganze Wahrheit einführen.“ (Joh16,13) Dies bedeutet doch, dass die Kirche die ganze Wahrheit, die Fülle der Wahrheit haben wird bzw. im Laufe der Geschichte diese ganze Fülle erfassen wird. Der Apostel Paulus sagt im Brief an Thimoteus, dass es Wille Gottes ist, „dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen.“ (Tim 2,4)

Das zweite vatikanische Konzil bestätigt dies, wenn es in Dignitatis Humanae im Zusammenhang mit der Gewissensbildung sagt:

„Bei ihrer Gewissensbildung müssen jedoch die Christgläubigen die heilige und sichere Lehre der Kirche sorgfältig vor Augen haben. Denn nach dem Willen Christi ist die katholische Kirche die Lehrerin der Wahrheit; ihre Aufgab ist es, die Wahrheit, die Christus ist, zu verkünden und authentisch zu lehren, zugleich auch die Prinzipien der sittlichen Ordnung, die aus dem Wesen des Menschen selbst hervorgehen, autoritativ zu erklären und zu bestätigen. Ferner sollen die Christen bemüht sein, in Weisheit wandelnd vor den Außenstehenden, „im Heiligen Geist in ungeheuchelter Liebe, i Wort der Wahrheit“ (2 Kor 6, 6-7) , mit der Tapferkeit der Apostel bis zur Hingabe des Blutes das Licht des Lebens mit allem Freimut zu verbreiten (DH 14).

In der Bibel und in der Lehre der Kirche geht es also um die Wahrheit Gottes, damit um die Wahrheit des Glaubens und um die Wahrheit des Menschen.

Es geht hier in diesem Diskus nicht um menschliche Meinungen in Sachfragen, um politische Standpunkte, wo es sich um autonome Sachbereiche handelt, wo es auch für Christen legitime Meinungsunterschiede geben kann und sogar soll! Es geht um die Wahrheit vor allem im theologischen, aber auch philosophischen, metaphysischen Sinne.

Der heilige Thomas sagt ens et verum convertuntur! Wahrheit und Sein sind austauschbar! Das heißt doch, was wahr ist, ist, was ist, ist notwendigerweise wahr!

Damit verbindet sich die Frage nach der Gotteserkenntnis, nach der Erkenntnis des Menschen selbst, und im weiteren über die Sicht der Schöpfung Gottes. Das bedeutet auch, dass das Erkennen von Wahrheit dazu führt, dass der erkennende Geist tiefer in das Sein eindringt, dass man dann den Dingen und auch sich selbst gerecht werden kann.

Irgendwie ist es doch für jeden Menschen entscheidend, dass er erkennt, wer er ist, was der Sinn seines Daseins ist, wohin er geht und welcher Weg zum Ziel führt? Gotteserkenntnis führt zur Selbsterkenntnis! Wahrheitserkenntnis gehört zur Würde des Menschen!

Wenn ein Mensch Sinn, Ziel und Weg erkennt, dann findet er eine tiefere Identität, eine größere Motivation, sich auf den Weg zu begeben, er findet Freude am Weg, er kann aufbauend, wegweisend wirken. Dies führt den Menschen zu einem tieferen Sein, zu Erfüllung etc. Diese Wahrheit ist dann eben das Salz, das Speisen würzen kann.

Wahrheitsfrage und Relativismus – Kernthema in der heutigen Gesellschaft!

Die Wahrheitsfrage wird heute gesellschaftlich sehr unterschiedlich gesehen und ist für viele sogar ein Reizthema geworden. Eigentlich befinden wir uns schon eher in einem antimetaphysischen Zeitalter. Wir können heute religiös einen weit verbreiteten Atheismus (Ablehnung der Wahrheit Gottes und des Glaubens) oder einen Deismus (Leugnung der Erkennbarkeit von ewigen Wahrheiten) beobachten, philosophisch ist heute der Skeptizismus oder auch ein Nihilismus zu sehen, erkenntnistheoretisch scheint heute der Relativismus vorzuherrschen, die Relativierung theologischer und philosophischer Wahrheiten und zugleich der Wahrheitsfähigkeit des Menschen. Im Gegensatz dazu oder vielleicht gerade deswegen treten immer mehr Ideologien auf, die sehr wohl und oft im Widerspruch zum von ihnen vertretenen Relativismus einen Wahrheitsanspruch stellen und diesen oft mit vielen, auch fragwürdigen Mitteln durchsetzen wollen. Wir befinden uns gesellschaftlich im Dickicht des Relativismus‘ auf dem Weg zur Diktatur!

Nun einige Gedanken zum Relativismus, der in unserer Gesellschaft zum Kernproblem geworden ist. Dabei muss man verschiedene Ebenen unterscheiden. Während man in der der Philosophie und in der Theologie die Tendenz gibt, alles zu relativieren, was zu einer antimetaphysischen, materialistischen, hedonistischen Gesellschaft führt bzw. schon geführt hat, werden gleichzeitig politische Meinungen, wissenschaftliche Erkenntnisse und Ideologien verabsolutiert, mit einem Wahrheitsanspruch vertreten und zusehends mit einem diktatorischen Geltungsanspruch versehen. Immer mehr bewahrheitet sich, dass der Mensch, der nicht an Gott glaubt, am Ende alles glaubt. Der Verlust des Glaubens, also der Relativismus im Glauben, führt zum Aberglauben, zum Götzendienst, zur Wissenschaftsgläubigkeit, zu politischem Religionsersatz wie dies im NS und im Kommunismus der Fall ist, und kann in letzter Konsequenz zum Übermenschen Nietzsches oder zum irdischen Paradies, das sich als totalitärer Staat entpuppt, führen.

Der Relativismus im Bewußtsein, in der Lehre und Praxis der Kirche

Die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, ja sogar Jahrhunderte haben natürlich zu einer neuen kirchlichen Bewusstseinslage geführt. Kardinal Ratzinger sprach 2003 davon in einem Interview mit „Die Tagespost“, befragt über die Lage der katholischen Kirche in Deutschland befragt.[1] Während es bis zur Aufklärung und darüber hinaus noch eine gewisse Evidenz gegeben hatte, dass die Welt einen Schöpfergeist spiegle und dass Gott „in der Bibel selber zu uns spricht“, sei das Weltbild heute umgekehrt. Statt der kollektiven Grundvoraussetzung, irgendwie in den Glauben einzustimmen, sei heute alles materiell erklärbar. Gott wird nicht mehr gebraucht, die Evolution ist gleichsam die neue Gottheit. Die Bibel sei uns gleichsam aus der Hand gerissen worden als ein Produkt, dessen Entstehung man historisch erklären könne.[2] In dieser neuen Bewusstseinslage, in der das, was man für Wissenschaft halte, die als neue Autorität auftrete, sei es viel schwerer, Gottes gewahr zu werden und vor allen Dingen auch dem Gott in der Bibel, dem Gott in Jesus Christus anzuhangen, ihm zuzustimmen und in der Kirche die lebendige Gemeinschaft des Glaubens zu sehen.

Johannes Paul II. ortet in seinem Nachsynodalen Apostolischen Schreiben Ecclesia in Europa[3] zu Beginn des dritten Jahrtausends besorgniserregende Zeichen, die die Hoffnung trüben.[4] Dazu zählt der Papst den „Verlust des christlichen Gedächtnisses und Erbes und Überhandnahme des Säkularismus“ auf. Der Papst schreibt, dass es in vielen öffentlichen Bereichen einfacher sei, „sich als Agnostiker denn als Gläubigen zu bezeichnen. Es sei der Eindruck, dass sich das Nichtglauben von selbst versteht, während Glauben einer gesellschaftlichen Legitimation bedarf, die weder selbstverständlich (sei), noch vorausgesetzt“ (werde).[5] Schließlich schreibt der Papst: „Die europäische Kultur erweckt den Eindruck einer „schweigenden Apostasie“ seitens des satten Menschen, der lebt, als ob es Gott nicht gäbe.“[6] Diese neue Bewusstseinslage macht eigentlich den Verlust Gottes, den Verlust der Metaphysik, den Verlust der Wahrheit deutlich. Es ist klar, dass diese Bewusstseinslage das Eindringen des Relativismus in das Innere der Kirche begünstigt hat und eine Hauptursache für die gegenwärtige Glaubenskrise angesehen werden kann.

Der Geschmack des Salzes, die Wahrheit, die die Kirche lehrt, vieles, was früher vorausgesetzt wurde, ist heute nicht mehr selbstverständlich. Das Eindringen des Relativismus kann man natürlich als jahrhundertelange Entwicklung sehen, die dann insbesondere seit dem zweiten Vatikanischen Konzil beschleunigt wurde und jetzt irgendwie einem Höhepunkt zustrebt. In protestantischen Kirchen scheint ein gewisser Relativismus schon viel weiter fortgeschritten zu sein, wobei zu bedenken ist, dass der Relativismus im Protestantischen fast ein gewisses Wesensmerkmal ist, und zwar insofern, weil der Protest gegen katholische Wahrheiten zu einem gewissen Selbstverständnis gehört. Protestantisch bedeutet doch auch irgendwie relativ zu katholisch, dass eben gewisse katholische Wesensmerkmale wie Messopfer, Beichte oder Heiligenverehrung abgelehnt werden. Vereinfacht gesagt. Alle Glaubensspaltungen, die ja nicht gottgewollt waren, weshalb Ökumene ein Auftrag Gottes ist, haben irgendwie doch den Grund darin, dass das Gesamte der Wahrheit irgendwie verloren gegangen ist und sind so auch Folge bzw. Ausdruck eines Relativismus‘.

Der Relativismus ist heute tief in das kirchliche Lehren und Leben eingedrungen. Der später Papst Joseph Kardinal Ratzinger führte den Relativismus auf Kant zurück, der die Wahrheitsfähigkeit des Menschen leugnet und die Auffassung vertritt, dass die Behauptung einer allgemein gültigen Wahrheit die Freiheit des Menschen einschränke. Kardinal Ratzinger bemerkt, dass die herrschende Philosophie des Relativismus „zum zentralen Problem für den Glauben in unserer Stunde geworden“ sei.[7] Dieser Relativismus erscheine nicht nur als „Resignation vor der Unermesslichkeit der Wahrheit, sondern definiert sich auch positiv von den Begriffen der Toleranz, der dialogischen Erkenntnis und der Freiheit her.“ Kardinal Ratzinger räumt ein, dass dieser Relativismus im politischen Bereich weitgehend berechtigt sei. Das Problem sei jedoch, dass dieser auf das Feld der Religion und der Ethik angewandt werde.[8]

Dieser Relativismus hat sich nach dem II. Vat. Konzil innerhalb der Kirche stark ausgebreitet und scheint nun fast zu einer allgemeinen Befindlichkeit geworden und ganz oben angelangt zu sein. Eine irreale Fortschrittseuphorie, die Abschaffung bewährter Dinge, der Ersatz von Mission durch Dialog, der Überzeugungsarbeit durch unverbindliche Diskussionen, die weitgehende Aufgabe eines geistigen Kampfes und schließlich die Unterwanderung der Kirche haben dieses Eindringen des Relativismus‘ in Theologie und Moral ermöglicht bzw. beschleunigt.

Für das Eindringen des Relativismus in die Theologie kam es in diesem Zusammenhang – wie schon Kardinal Ratzinger anführte – durch die

pluralistische Theologie der Religionen.[9] Ratzinger sieht als Folge davon eine Rücknahme der Christologie, indem Jesus bewusst „zu einem der religiösen Genies unter anderen relativiert werde. Es sei klar, daß damit Kirche, Dogma, Sakramente gleichfalls ihre Unbedingtheit verlieren müssen.“ Damit wird der menschgewordene Gott relativiert, er ist einer von mehreren, damit ist er nicht mehr der lebendige Gott, zu dem ich unmittelbar Beziehung haben kann. Ein relativierter Gott kann dann weniger Geschmack verleihen.

Durch diese relativistische Sicht wird, in Verbindung mit anderen Entwicklungen in der Gesellschaft, das Kirchenbewusstsein verdunkelt. Die katholische Kirche wird relativiert, sie erscheint als eine Konfession neben anderen. Dies führt dann auch zur interreligiösen Ansicht, dass die christliche Religion eben bloß eine Religion neben anderen sei. Die übernatürliche Wirklichkeit der Kirche als eine mit himmlischen Gaben beschenkte Gemeinschaft wird kaum mehr gesehen.[10] Damit wird auch die Glaubwürdigkeit und die Zeugniskraft und die Wirksamkeit der Kirche relativiert. Man nimmt Brauchbares und Nützliches vom Glauben der Kirche an, sofern es einem einleuchtet oder dem eigenen Lebensstil nicht zuwiderläuft, aber es ist nicht mehr das Wort Gottes, das durch die Kirche die Herausforderung bildet, den Willen Gottes anzunehmen und zu tun. Die Kirche wird dann nur mehr menschlich, soziologisch gesehen und sie verliert ihre prägende Kraft.

Dieser immer mehr vorherrschende Relativismus hat auch das missionarische Bewusstsein der Kirche geschwächt. Die Bekehrung Andersgläubiger gilt nicht mehr als erstrebenswert.[11]

Hand in Hand mit dem Schwinden des missionarischen Bewusstseins geht auch der Verlust der Bedeutung des Apostolates. Immer weniger erscheint das Apostolat der Christen in der Welt wichtig. Man will lieber im unverbindlichen Rahmen bleiben. Apostolat wird vielfach abgelöst durch einen falsch verstandenen Dialog um seiner selbst willen, der nicht mehr die Überzeugung des Anderen zum Ziel hat. Diese Haltung fördert die fortschreitende Paganisierung, eben den Geschmackverlust.

Die relativistische Grundbefindlichkeit wirkt sich auch auf die Sakramentenpastoral aus. Immer mehr Leute begehren zwar den Empfang der Sakramente, wollen aber nicht mehr aus dieser Kraftquelle leben. Sie feiern nicht mehr den Glauben, sondern konsumieren ein Fest. Die Sakramente werden auf diese Weise degradiert. Dem vielgebrauchten Slogan Jesus ja, Kirche nein, könnten man heute den Slogan Jesus nein, Kirche ja, bzw. Sakrament ja, Glaube nein beifügen. Die Sakramente haben ihren eigentlichen Geschmack verloren. Sie haben nur mehr dekorativen Charakter.

Bei liturgischen Feiern tritt Gott immer mehr aus dem Zentrum. Die feiernde Gemeinde tritt an die Stelle Gottes in den Mittelpunkt. Der Priester wird reduziert zum Zeremonienmeister, der stimmungsvolle Feiern machen soll. In diesem Sinne gibt es sogar einen Klerikalismus. So wird das und der Heilige relativiert und Gottesdienste werden immer mehr zu selbstgemachten Feiern.

Natürlich wird dann auch das Priestertum relativiert. Der Priester wird immer von einem Mittler, der Christus repräsentiert, zu einem Funktionär reduziert, der gewisse religiöse Bedürfnisse erfüllen soll. Er wird nicht mehr als Hirte gesehen, der für den Gottesdienst und das Heil der Seelen zuständig ist, sondern als religiöser Beamter. So ist auch die Priesterausbildung in eine Krise geraten. Sie sollte die künftigen Priester nach dem Vorbild unseres Herrn Jesus Christus (...) zu wahren Seelenhirten formen.[12] In dieser Sichtweise zielt die Priesterausbildung nicht so sehr darauf ab, Bekenner des Glaubens zu fördern und zu formen, sondern eher sollen die Anpassungsfähigkeiten gefördert werden, die eine Neigung zum Konformismus verstärken. Viele wollen heute noch einen Pfarrer, aber nicht mehr den Priester, den Seelenhirten.

Besonders schlug sich der Relativismus in Moral und Ethik, teilweise sogar in der Lehr und natürlich in der Praxis nieder. Es kam zur Leugnung oder Relativierung der Naturrechtslehre der katholischen Kirche. Dadurch konnte auch der moderne Freiheitsbegriff entstehen, der letztlich, wie Kardinal Ratzinger schreibt, ein Freisein vom Von- sein, vom Für-sein und vom Mit-sein bedeute. Dieses radikale Freiheitsverständnis gipfelt letztlich in die Verneinung Gottes und ist eine „Rebellion gegen das Menschsein“.[13]

Die Nichtanerkennung der Naturrechtslehre wurde zunächst deutlich im Dissens gegen die Lehre der Kirche über Humanae vitae, der selbst innerhalb der katholischen Kirche weite Kreise umfasste und bis hinauf zu Bischofskonferenzen reichte.[14] Damit war in zweifacher Weise ein Damm gebrochen. Man berief sich auf das Gewissen gegen die Lehre der Kirche und öffnete dadurch das Tor dafür, auch in anderen ethischen Fragen das autonome Gewissen gegen die Morallehre der Kirche setzen zu können. Ein weiterer Dammbruch geschah dadurch, dass die Mentalität der Verhütung auch indirekt die Mentalität der Abtreibung gefördert hat. Dieser Weg führte in einer gewissen Dynamik schließlich so weit, dass man nun von einem Recht auf Abtreibung spricht und die Lebensschützer kriminalisiert.

Dieser Dammbruch wird heute wirksam in der Frage der Euthanasie, Gentechnik, in der Auseinandersetzung mit der Genderideologie und LGBT. Und man kann sagen, dass heute generell alle Gebote in Frage gestellt werden bzw. deren Haltung nicht mehr eingefordert wird. Diese moralische Beliebigkeit hat zu einem moralischen Abfall geführt. Dazu muss man bedenken: Wer den Glauben, die Wahrheit nicht lebt, erkennt auch immer weniger und die Gewissen stumpfen immer mehr ab.

Folgen des Geschmackverlustes für die Gläubigen, die Kirche und die Gesellschaft

Wenn der Relativismus in die Kirche, in die Theologie und Morallehre eintritt, dann zeigen sich sehr bald auch verschiedene Folgen, einerseits für den einzelnen Christen, für die Kirche selbst und natürlich dann indirekt für die Gesellschaft.

Es ist irgendwie klar, wenn Gott einer von verschiedenen ist, wenn Theologie und Morallehre relativiert werden, dann schwächt das die Identität des einzelnen Christen. Es lohnt sich nicht, sich für etwas einzusetzen, von dem man nicht mehr sicher überzeugt sein kann. Das führt zum Verlust der Überzeugungskraft und auch zum Verlust der Bereitschaft, um die die Wahrheit zu ringen, um eine tiefere Gotteserkenntnis zu kämpfen und um die Wahrheit zu bekennen. Dies alles führt zu Lauheit, Angepasstheit, letztlich zum Verrat am Evangelium.

Es ist völlig klar, dass dadurch die Überzeugungskraft verloren geht, die innere Motivation, die Hingabebereitschaft und damit auch das Interesse, apostolisch tätig zu sein. Mit der Überzeugung schwindet natürlich auch die Freude, die Antriebskraft. Der Relativismus kann als Bewegung zum Nihilismus sogar eine verborgene, tiefere Ursache für manche diffuse Ängste sein

Was geschieht, wenn in der Kirche nicht mehr klar ist, dass sie die Fülle der Wahrheit hat, dass sie Lehrerin der Wahrheit ist, wenn sie sich sozusagen selbst relativiert. Erstens kommt es natürlich zu Spaltungen, die Kirche verliert ihre Wirkkraft, sie wird dann leichter missbraucht oder instrumentalisiert für Ideologien (Klima, Kriegsgeschehen, Corona, ….). Dann kehrt man ihr den Rücken (Kirchenaustritte), es folgt eine gesellschaftlicher Bedeutungsverlust, und schließlich kommt die Verfolgung, sie wird zertreten.

Eine Folge der nachkonziliaren Entwicklungen und der theologischen Probleme ist die Spaltung bzw. Spaltungen in der Kirche, die latent vorhanden sind, immer tiefer um sich greifen und mehr und mehr ans Tageslicht treten. Ein Teil der Gläubigen hält bewusst an der Treue zur überlieferten Lehre der Kirche fest, während ein Teil der Katholiken in gewissen Lehrfragen in offenem Dissens zum Lehramt steht. Das geht heute soweit, dass sich Pfarrer im Pfarrgemeinderat rechtfertigen müssen für katholische Positionen und natürlich auch umgekehrt, das katholische Christen wegen ihrer ganz normal katholischen Einstellung von Priestern oder kirchlichen Kreisen geächtet werden.

In Österreich erreichte diese innere Gespaltenheit der Kirche durch das in Tirol 1995 entstandene Kirchenvolksbegehren, das irrige Auffassungen und Vorurteile über Glauben und Kirche in das Volk hineintrug und sich in Österreich und darüber hinaus verbreitete.[15] Mittlerweile ist die Spaltung soweit fortgeschritten, dass der, der einfache katholischen Wahrheiten vertritt, innerhalb der Kirche wie ein Ärgernis betrachtet wird. Während man sich früher abgrenzte vom Atheismus, von gewissen Strömungen oder auch die Unterschiede zum Protestantismus sah, kommt jetzt immer mehr eine relativistische Sicht, dass man für alles offen ist, außer für den sogenannten Rechtgläubigen in den eigenen Reihen. Das Eintreten für Wahrheit gilt als anstößig, polarisierend, extrem, einheits- und harmoniegefährdend. Es gibt keine Apologetik, wer für Wahrheit eintritt, wird wie ein Feind und Störenfried betrachtet.

Eine Kirche, die den eigentlichen Wahrheits- bzw. Geltungsanspruch nicht mehr aufrechterhält, verliert an Bedeutung. Kirchliche Vertreter neigen dann oft dazu, die heißen Eisen zu meiden und sich auf politische Schauplätze zu begeben. Sie nehmen Stellung zu Fragen, die eigentlich zu autonomen Sachbereichen gehören würden, wie etwa Klimafrage etc. Dabei lassen sie sich dann benützen und vor den Karren gewisser Strömungen spannen. Ein Beispiel möge dies verdeutlichen. Die Bischöfe Österreichs haben mehrfach Verständnis für die Klimakleber gezeigt und das Klimanarrativ sozusagen mit geistlicher, moralischer Legitimation versehen, während idealistische jugendliche Lebensschützer kaum Unterstützung erfahren oder man ihnen sogar in den Rücken fällt. So kam es vor, dass einem Marsch für den Lebensschutz ein Bischof meinte, man solle besser miteinander reden als demonstrieren. So verliert die Kirche zusehends ihr Wächteramt in wichtigen moralischen Fragen und wird instrumentalisiert für Ideologien.

Diese Entwicklung wird verstärkt durch die innerkirchliche Bewusstseinslage, wo der Bekenner wie ein Störenfried gesehen wird und die standpunktlosen, profillosen Harmonisierer sich großer Akzeptanz und Achtung erfreuen und gefördert werden.

In der Übergangsphase wird die Kirche benützt für weltliche Themen, bis sie dann endgültig überflüssig ist! Ein Extrembeispiel ist Nicaragua, wo einst jesuitische Befreiungstheologen in einer sandinistischen Linksregierung Ministerämter ausübten, während mittlerweile die katholische Kirche immer mehr Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt wird.

Eine Form oder Facette des Geschmacksverlustes ist auch die Beschäftigung mit sich selbst. Wie ein Mensch ohne Identität um sich kreist, Egoist oder Narzisst wird, so gibt es auch einen kirchliche Selbstfixierung durch das Kreisen um sich selbst. Die nachkonziliare Entwicklung – das ist vielfach ein Geschmacksverlust, der gekennzeichnet war von endlosen Sitzungen und Selbstbeschäftigung von Gremien - geht jetzt offenbar in das Finale der Selbstsäkularisierung.

Beim vorletzten Konklave warnte der künftige Papst vor einer Diktatur des Relativismus, die mittlerweile immer konkretere Formen annimmt

Beim letzten Konklave warnte der künftige Papst von einer Kirche, die um sich selbst kreist, selbstbezogen und egozentrisch und theologisch narzisstisch sei und glaube, sie habe eigenes Licht. Er sprach von der mondänen Kirche, die in sich, von sich und für sich lebe.

Hier könnte man kritisch die Frage stellen: Ist diese Gefahr nicht gegenwärtig. Befindet sich der synodale Prozess in Deutschland und auch in Rom nicht in dieser Gefahr?

Synoden hatten in der Kirche die Bedeutung, dass man im heiligen Geist versucht hat, herauszufinden, was der Herr der Kirche in der Gegenwart sagt oder wie dieses oder jenes zu verstehen ist. Synoden waren dazu da, Streitfragen in Lehre und Pastoral zu klären und vor allem, um sozusagen tiefer in die ein für allemal geoffenbarte Wahrheit einzudringen, in diesem Sinne gab es einen Erkenntnisfortschritt.

Bei der jetzigen Synode würde ich hingen folgende Gefahren sehen:


- Erstens das Problem, dass irgendwie alles zu Disposition zu stehen scheint, der Schatz der Wahrheit, in den die Kirche durch den Heiligen Geist tiefer hineingeführt wurde, scheint nicht mehr bewusst zu sein. Man möchte offenbar nicht von dem, was man hat, weiter in die Tiefe zu schreiten, sondern vieles, das gilt und wertvoll ist, einer Veränderung aussetzen, was leicht in einen Rückschritt ausarten könnte.

- Zweitens erweckte man durch weltweite Befragungen von Gläubigen den Eindruck, einzelne Menschen könnten einfach bestimmen, was die Kirche künftig lehrt, die Wahrheit komme also von unten und sei das Ergebnis eines Diskussionsprozesses. Beim Wort Prozess denke ich immer gleich an Hegel und den postmodernen neomarxistischen Diskurs, wo man meint, Wahrheit durch Diskurse schaffen zu können.

- Drittens sind die Hauptthemen eher struktureller Natur, also die Beschäftigung mit innerkirchlichen Fragen. Es scheinen kaum inhaltliche, theologische Fragen auf. Die Beschäftigung der Synode mit der Synodalität der Kirche, also mit einer Eigenschaft des internen Miteinanders, birgt doch die Gefahr eines Kreisens um sich selbst, eines kirchlichen Narzissmus‘ oder die Gefahr, dass so ein Prozess von gewissen Kreisen gesteuert wird, um dann gewisse Agenden durchzusetzen.

- Viertens besteht natürlich die Gefahr, dass der Profilverlust, die Selbstrelativierung bzw. auch Selbstsäkularisierung der Kirche sogar gefördert wird und weiter fortschreitet damit sie dann als letztes Hindernis zu einer Art neuen Weltordung religiöser oder profaner Art die schon Gestalt anzunehmen scheint, wegfällt.

Wenn die Kirche so Geschmack verliert, dann wird weggeworfen. Sie verliert nach und nach ihre gesellschaftliche Bedeutung, sie wird aus vielen Bereichen verdrängt, ihre Aussagen werden immer irrelevanter, die Christen treten aus der Kirche aus, für manche ist es ein noch ein gewisses Angebot, das man von Fall zu Fall in Anspruch nimmt, eine Art Servicestation, wenn man etwas braucht. Das Salz wird innerhalb der Kirche weggeworfen. Oft steht katholisch drauf, ist aber nicht mehr drin. Es führt letztendlich zur Selbstauflösung! Dann wird das Salz auch zertreten. Das kann durch eigene Handlungen geschehen wie derzeit durch die Zerschlagung von Strukturen, die über Jahrzehnte, ja Jahrhunderte gewachsen sind. Es wird im Inneren der Kirche Tragendes eliminiert! Oder die Kirche wird als solche in manchen Regionen nicht mehr geduldet oder sogar eliminiert. Eine Kirchenverfolgung ist die logische Konsequenz des Geschmackverlustes.

Wenn das Salz seinen Geschmack verliert, dann wirkt sich das auf die Speise aus, hier möchte ich nur einige Punkte bzw. Vergleiche anführen. Man könnte es mit einem einzigen Satz ausdrücken. Wenn das Salz seinen Geschmack verliert, dann verliert nicht nur das Salz seine Identität, sondern auch die Suppe, die Speise! Hier seien einige Punkte aufgezählt:

- Der Leib verliert seine Ordnung, wenn die Seele in Unordnung ist oder fehlt. Die Welt gerät aus den Fugen, wenn keine höhere geistige Ordnung da ist.

- Die Schöpfung kommt aus dem Gleichgewicht, wenn die Ordnung des Geistes nicht mehr da ist. Im Römerbrief schreibt der Apostel Paulus, dass die Schöpfung seufzt und auf das Offenbarwerten der Söhne Gottes wartet. Die Heilige Hildegard hat Zusammenhänge gesehen zwischen der geistigen Unordnung und der dann folgenden Unordnung im Kosmos.

- Die Demokratie kann ihre Voraussetzungen, die sie sich nicht selbst nicht geben kann, verlieren. Demokratie würde eine Moral voraussetzen, die Moral kommt vom lebendigen Glauben an die Wahrheit. Deswegen führt der Glaubensverlust durch den Relativismus zu Verlust der Demokratie.

- Durch den Relativismus in der Moral verkommt auf Dauer der Rechtsstaat, wenn z. B. das Naturrecht nicht mehr anerkannt wird (Lebensschutz, Mann und Frau in der Schöpfungsordnung). Dann erlahmen die aufbauenden Kräfte, die Gesellschaft wird dekadent, sie zerfällt, der Niedergang ist vorprogrammiert, eine Gesellschaft ohne Gott, ohne, Glaube, ohne Wahrheit ist dem Verfall preisgegeben, am Ende dieser Entwicklung wird jeder gegen jeden sein, ein Volk wird sich gegen das Andere erheben!

- Wenn eine Gesellschaft, die christlich irgendwie durchdrungen war, das Christentum verliert, dann fällt sie tiefer als eine heidnische Gesellschaft!

Die Widerstandfähigkeit der katholischen Kirche in der Geschichte hängt mit der Fülle der Wahrheit zusammen. So haben z. B. die Alliierten vor dem Einmarsch in Deutschland und Österreich festgehalten, dass die katholische Kirche als einzige Institution personell und inhaltlich autark geblieben sei. Kardinal Newman ist zur katholischen Kirche konvertiert, weil er diese damals noch als das Bollwerk gegen den Liberalismus gesehen hat.

In der Coronazeit ist erschreckend zutage getreten, wie schnell es möglich ist, demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien und die Menschenwürde aufs Spiel zu setzen. Hier wäre es die Aufgabe aller Christen und natürlich besonders aller Vertreter der Kirche gewesen, Widerstand gegen unrechte und überzogene Maßnahmen zu leisten, Hoffnung statt Angst zu verbreiten, einer Spaltung der Bevölkerung entgegenzuwirken und Raum für freie Meinungsäußerung zu geben. Das kritiklose Mittun vieler Vertreter oder die moralische Unterstützung für fragliche Maßnahmen, das Schweigen danach und die Nichtaufarbeitung dieser Vorkommnisse sind Ausdruck des Geschmackverlustes einer selbstsäkularisierten Kirche.

Exkurs über Wahrheit und Toleranz

Gegen das Vertreten von Wahrheitsansprüchen im religiösen Bereich und gegen jegliches Überzeugtsein davon gibt es heute jedoch weit verbreitete Vorurteile.

Durch den postmodernen Relativismus aller Standpunkte ist eine Atmosphäre entstanden, die sich geradezu durch eine Aversion gegenüber absoluten Wahrheitsansprüchen auszeichnet. Es gehört geradezu zur Höflichkeit des Dialogisierens, zur „interkulturellen correctness“, eigene Wahrheitsansprüche zurückzunehmen. Die Meinung, dass alle Religionen nur verschiedene, prinzipiell jedoch gleich taugliche und damit auch „gleich-gültige“ Wege zum Ziel seien, ist im Westen fast Allgemeingut geworden. Die pluralistische Religionstheologie verbindet den christlichen Wahrheitsanspruch mit unberechtigter Anmaßung und Selbstüberschätzung und lässt christliche Verkündigung als Ideologie erscheinen, die sich allen Menschen aufzwingen wolle. Christliche Mission wird als Imperialismus verdammt. Dies wird scheinbar bestätigt durch die Auffassung, wer Wahrheitsansprüche stellt, der gefährde den Dialog.

Demgegenüber möchte ich festhalten. Das Überzeugtsein von Wahrheit oder die Ansicht, es gibt Wahrheit, die auch erkannt werden könne, ist Voraussetzung für jeden echten Dialog. Es gehört geradezu zur Würde des Menschen, Wahrheit zu erkennen. Der Mensch hat die Pflicht, Wahrheit zu suchen.

Es gehört zum Wesen der Religion, dass man sie für wahr hält und von ihr überzeugt ist. Hier muss auch erwähnt werden, dass die Vertreter des postmodernen Relativismus inkonsequent sind, da sie ihren relativistischen Standpunkt ebenfalls mit großer Überzeugungskraft vortragen und dafür letztlich auch den Wahrheitsanspruch stellen.[16] Der wahre Dialog setzt daher einen eigenen Standpunkt voraus und impliziert die Wahrheitssuche und auch den Willen, zu überzeugen. Zur Haltung des Dialogs gehört nach Bischof Adriaan van Luyn neben dem respektvollen Zuhören, dem verständlichen Reden, dem glaubwürdigen Handeln und dem tätigen Dienen das fest entschlossene Bezeugen.[17]

Der Relativismus, so Weihbischof Eleganti, verhalte sich in seinem Anspruch auf allgemeine Geltung „nicht weniger absolutistisch“, sei aber diesbezüglich – im Gegensatz zu den Religionen – „selbstwidersprüchlich und weniger ehrlich“. Die Herrschaft über Andersdenkende beginne „nicht mit Glaubensüberzeugungen als solchen“, zu denen Eleganti auch die relativistische zählt, sondern „mit dem äußeren Zwang gegen Andersdenkende“ bzw. –gläubige, mit dem Druck auf ihre Existenz, ihr Denken und Handeln“.[18] Weihbischof Marian erwähnt in diesem Zusammenhang auch jene „subtilen Formen von Intoleranz und Druck, welche die allgemeine Meinung oder die political correctness ausüben können“.[19]

Die katholische Kirche hält an der Wahrheitsfähigkeit des Menschen fest, hat ein tolerantes Verhältnis zu anderen Religionen und bewies in der Vergangenheit eine besondere Resistenz gegenüber totalitären Systemen. Sie kann den Wahrheitsanspruch Christi mit Überzeugung vertreten und mit Dialog und Toleranz verbinden.

 Es ist zu fürchten, dass jene, die sich am Wahrheitsanspruch der Kirche stoßen, diese Voraussetzungen für den Dialog und die Toleranz nicht mitbringen. Hinter der angeblichen Toleranz der pluralistischen Religionstheologie steckt eine Ideologie, die sich zu einer neuen, vielleicht bisher subtilsten Form der Diktatur ausarten könnte. Man kann heute unschwer erkennen, wie sich dies schon vor unseren Augen aufzurichten scheint.

Wie kann man das Salz wieder salzig machen im Dickicht des Relativismus?

Kommen wir nun zur Frage Jesu: Wie bzw. womit kann man das Salz wieder salzig machen?

Ich möchte hier einige Punkte anführen:

- Erstens die Erkenntnis, dass man es aus eigenem nicht kann. Man kann es nicht! Für Menschen ist es unmöglich! Wenn heute jemand ein bisschen einen Realismus hat, ein bisschen übernatürlich denkt, dann wird er zum Schluss kommen. Menschlich gesehen ist es so: Man kann es nicht!

- Aber, und das ist zweitens die damit verbundene wichtige Erkenntnis: Für Gott ist nichts unmöglich! Ich denke hier an die Worte des jüdischen Ratsherrn Gamaliel, der über die freimütig verkündenden Apostel, die man vernichten wollte sagte, wenn das Werk aus Gott ist, dann kann es niemand zerstören. Das heißt umgekehrt, wenn wir alles von Gott erwarten, wenn ER das Zentrum ist, dann ist die Kirche SEIN Werk, dann ist es SEINE Kirche, dann ist die Kirche nicht zerstörbar, weil der Herr selbst ihr Geschmack ist und ihr Geschmack verleiht.

- Das bedeutet nun Drittens: Eine radikale Umkehr zu Gott ist Not-wendig! Die Einsicht, dass dieser gegenwärtige Weg (der Weg der Neuzeit, der jetzt seinen Höhepunkt erreicht) ein Abkommen von Gott und damit ein Weggehen von der Wahrheit ist. Deshalb gilt: In der Theologie muss es zuerst um den lebendigen Gott gehen, in der Liturgie muss die Heiligkeit Gottes aufleuchten und ER der Hauptakteur sein. In der Lebensgestaltung muss es zuerst darum gehen, was der Wille Gottes ist.

- Das heißt viertens, dass der Christ das Heil nicht zuerst von strukturellen Änderungen erwartet, sondern von Gott, von der Bekehrung und dem Streben nach Heiligkeit.

- Fünftens geht es um die Annahme von Gott und der Wahrheit, d. h. Vertiefung der katholischen Wahrheit und Festhalten an der Wahrheitsfähigkeit des Menschen.

- Sechstens bedeutet dies, Wahrheit bekennen, leben, weitergeben und verteidigen, wie es der Katechismus für jeden Gefirmten eigentlich vorschreibt, für die Wahrheit einzutreten und bereit sein, dafür zu leiden.

- Dies heißt siebtens Bereitschaft zum Kämpfen. Ein geistiger Kampf gehört zum Christsein, d. h. kämpfen um die Liebe, um eine lebendige Gottesbeziehung, um den Erwerb von Tugenden und um das Bestehen in Versuchungen. Kämpfen heißt auch, in der Gesellschaft die weltanschauliche Auseinandersetzung führen, für den Glauben, die Familie, den Lebensschutz etc. eintreten. Es ist ein geistiges Gesetz: Wer kämpft und bekennt, bekommt viele Gnaden und er wird stärker. Wer hat, dem wird dazugegeben! Wer kämpft und versucht, den Glauben zu leben, wird den Glauben tiefer erkennen und innerlich stärker werden. Das Bekenntnis führt zur tieferen Erkenntnis und zur inneren Stärkung des Willens. Wer nicht kämpft, verliert an Erkenntnis und an Kraft.

- Achtens: Zeichen des Widerspruchs sein! Jesus sagt: Wehe, wenn euch die Menschen loben! Sich weder von Lob noch Tadel leiten lassen, wie es der Bekennerbischof Graf von Galen als Leitspruch hatte, sondern sich vom Heiligen Geist leiten lassen!

- Neuntens: Die Mittel einsetzen als Schätze, als Kraftquellen, als Ort, wo ER wirkt! Das Wort Gottes, die Sakramente, das Gebet, Tugendstreben! Sakramentalien!

- Zehntens: Die Wahrheit in Liebe tun. Das Kreuz ist das eigentliche Zeichen der Toleranz. Die Liebe Gottes ist schöpferisch, erlösend und vollendend. Das haben uns die Heiligen vorgelebt. Sie haben die Wahrheiten tiefer erkannt und sie waren mutig, oft bis zur Hingabe des eigenen Lebens. Und sie haben gesiegt. Sie verehren bedeutet, selbst nach Heiligkeit streben. Die Heiligkeit ist letztlich das, was dem Salz Geschmack verleiht!

Abschließend noch fünf erhellende, bekräftigende Feststellungen!

- Der Geschmack des Salzes ist die Wahrheit, die der Kirche geschenkt ist, die der Herr selbst ist, der Heilige. Und dieser Herr hat schon gesiegt! Der Sieg ist schon vollbracht! Nach menschlichem Ermessen scheint es in der heutigen vom Pluralismus und vom Relativismus geprägten Zeit unmöglich zu sein, den Glauben an Christus zu verbreiten oder wenigstens zu bewahren. In der Schlussbetrachtung zum Nachsynodalen Apostolischen Schreiben Ecclesia in Europa geht Johannes Paul II. auf das in der Apokalypse des Johannes geschilderte große Zeichen ein, das am Himmel erschienen ist. Es ist der ungleiche Kampf zwischen dem Drachen, der der Teufel und Verführer der Menschen ist, und der wehrlosen, leidenden Frau, die in Geburtswehen liegt. In dieser Frau dürfen wir auch die Kirche erkennen. Der Papst schreibt dann: „Der wirkliche Sieger aber wird das von der Frau geborene Kind sein. In diesem Kampf steht eines sicher fest: Der große Drache ist bereits besiegt (Offb 12,9). Und auch wenn der Drache seinen Widerstand fortsetzt, braucht man sich nicht zu fürchten, denn seine Niederlage hat schon stattgefunden.“[20] Von dieser Gewissheit des schon vollbrachten Sieges waren die Märtyrer vergangener Zeiten getragen. Ihr Zeugnis möge uns Christen heute beflügeln und auch jene Gewissheit geben, dass der mächtige Drache, der heute im Gesicht des Relativismus erscheint, schon besiegt ist.

- Wer kämpft, ist schon auf der Seite des Siegers! Der Apostel Paulus rühmt sich im Römerbrief der Bedrängnis und schreibt, dass Bedrängnis Geduld bewirkt, die Geduld Bewährung, und die Bewährung Hoffnung! Die Hoffnung aber – so schreibt er weiter - lässt nicht zugrunde gehen! (Röm 5,3-4) Dies heißt insbesondere, wer sich auf Gott einlässt, wer kämpft und in der Bedrängnis ausharrt, der wird gestärkt. Er ist schon auf der Seite des Siegers!

- Die Wahrheit hat ein Sein, die Lüge nicht! Das ist eine philosophische Gewissheit. Die Lüge, die auf dem Sand des Relativismus baut, kann mächtig, scheinbar übermächtig sein, aber es kommt die Zeit, da fällt sie wie ein Kartenhaus zusammen.

- Die Wahrheit macht frei, sie erfüllt, sie ist aufbauend, sie ist der Geschmack des Salzes und führt zur Liebe, die alles durchdringen kann!

- Wer in der Wahrheit ist, ist Salz, er IST!

Fußnoten:
[1] Vgl. Die Tagespost Nr. 118, 4. Oktober 2003, S 5 f.
[2] Vgl. Die Tagespost Nr. 118, 4. Oktober 2003, S f f.
[3] Vgl. Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 161, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Ecclesia in Europa, 28. Juni 2003, Nr. 7. Die Europasynode hatte 1999 stattgefunden.
[4] Vgl. Johannes Paul II., Ecclesia in Europa, Nr. 7.
[5] Vgl. Johannes Paul II., Ecclesia in Euriopa, Nr. 7.
[6] Vgl. Johannes Paul II., Ecclesia in Europa, Nr. 9.
[7] Vgl. Ratzinger, Glaube Wahrheit Toleranz, 95.
[8] Vgl. Ratzinger, Glaube Wahrheit Toleranz, 95.
[9] Kardinal Ratzinger schreibt, daß die pluralistische Theologie im Hinblick auf die Wucht ihrer Problematik wie der Präsenz in den verschiedenen Kulturräumen einen der Befreiungstheologie der 1980er Jahr vergleichbar zukommende Stellung einnehme (vgl. Ratzinger, Glaube Wahrheit, Toleranz, 95-96).
[10] Vgl. II. Vat. Konzil, Kirche 8. Dort wird dargelegt, dass die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche als eine komplexe Wirklichkeit zu sehen sind, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst.
[11] Ein katholischer Geistlicher in Österreich, der im Katechumenat für muslimischen Taufbewerber engagiert ist und auf wachsendes Interesse stößt, hatte große Mühe, eine katholische Pfarrkirche für die Abhaltung der Taufe von Muslimen zu finden, weil katholische Pfarrer – offenbar aus einem interreligiös-pluralistischem Verständnis – ihm die Kirche dazu nicht zur Verfügung stellen wollten.
[12] Vgl. II. Vat. Konzil, Priesterausbildung 4.
[13] Vgl. Ratzinger, Glaube Wahrheit, Toleranz, 200.
[14] Als Beispiel sei hier die Königsteiner Erklärung der Deutschen Bischöfe vom 30. August 1968 angeführt, derzufolge den Gläubigen die Möglichkeit eingeräumt wurde, in Ausnahmefällen eine Gewissensentscheidung gegen die Norm von Humanae vitae zu treffen. Kardinal Scheffczyk meinte dazu: Was die Hirten hier noch als Ausnahmefall bei einzelnen konzedieren zu müssen glaubten, wurde vom „Gottesvolk“ zur allgemein gültigen Norm erhoben und veranlasste in der Folge den Einbruch der sexuellen Revolution in die Kirche, die ihre Auswirkungen bis zum heutigen Tag zeitigt und bis in die Jugendpastoral hineinreicht (vgl. Leo Kardinal Scheffczyk, Kirche auf dem Weg in die Sezession, in: Medizin und Ideologie, Informationsblatt der Europäischen Ärzteaktion, 23. Jg., Ausgabe 1/2001, 25 – 32, abgedruckt aus der Zeitschrift Theologisches.
[15] In Österreich wurde das Kirchenvolksbegehren nicht zuletzt deshalb ein Erfolg, weil viele kirchliche Stellen dieses Volksbegehren öffentlich mitunterstützten und auch Vertreter der Kirchenleitung diesem Volksbegehren durch gewisse Verständnis- und Dialogbekundungen indirekten Auftrieb gaben. Die spärlichen Gegenäußerungen zeigten die Immunschwäche der Kirche.
[16] Roger Scuton sagt: Derjenige, der Ihnen sagt, daß es die Wahrheit nicht gibt, fordert Sie auf, ihm nicht zu glauben. Also tun Sie es auch nicht (vgl. Roger Scuton, Modern Philosophy, London 1999, zitiert bei Weihbischof Marian Eleganti, Überzeugung und Toleranz. Vortrag bei den Salzburger Hochschulwochen, 4./5. August 2003. Manuskript, S 4).
[17] Vgl. Dr. Adriaan H. van Luyn, SDB, Bischof von Rotterdam, Der Dialog mit Nicht-Gläubigen in einer säkularisierten und indifferenten Kultur. Eine Betrachtung aus westeuropäischer Sicht (keine Seitenangaben). Vortrag anlässlich des Jahresempfanges der Diözese Augsburg am 7. Oktober 2003. Verlautbart durch die Pressestelle der Diözese Augsburg.
[18] Vgl. Weihbischof Dr. theol. Marian Eleganti, OSB, Überzeugung und Toleranz. Vortrag bei den Salzburger Hochschulwochen, 4./5. August 2003. Manuskript, S 9.
[19] In diesem Zusammenhang könnten man den enormen Druck anführen, der heute gerade in westlichen Ländern von Medien auf Bischöfe ausgeübt wird, die moderne Tabus wie Abtreibung, Homosexualität usw. in ihrer Verkündigung aufzugreifen wagen. Es kann grundsätzlich gesagt werden: Wenn ein Christ heute die Lehre der Kirche ohne Abstriche vertritt, wird er über kurz oder lang Schwierigkeiten bekommen. Die pluralistische Gesellschaft hat ihre neuen Tabus, der Verletzung mit öffentlicher Ausgrenzung und Diffamierung (hiefür gibt es die Totschlagkeulen wie Fundamentalist, Konservativer, Fanatiker usw.) bestraft wird.
[20] Vgl. Verlautbarungen des Apostolischen Stuhles 161, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Ecclesia in Europa, 99.


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