„Trick: man stellt die heterodoxe Position als pastoral sensibel der orthodoxen Position gegenüber“

7. September 2024 in Interview


Kardinal Müller: „Man stellt nicht den orthodoxen Glauben in Frage. Aber man psychologisiert die Vertreter des katholischen Glaubens als Pharisäer und Heuchler…“ InfoVaticana-Interview zur bevorstehenden Bischofssynode. Von Javier Arias


Vatikan (kath.net/InfoVaticana) Kardinal Gerhard Ludwig Müller, der emeritierte Präfekt der Glaubenskongregation und frühere Bischof von Regensburg (Deutschland), äußert sich im Interview mit Javier Arias, Chefredakteur von InfoVaticana, zur bevorstehenden Bischofssynode im Vatikan. kath.net dankt S.E. und InfoVaticana für die freundliche Erlaubnis zur Weiterveröffentlichung der Fragen und Antworten im deutschsprachigen Original.

InfoVaticana: In wenigen Wochen beginnt die letzte Phase der Synode. Wie sehen Sie dieser letzten Sitzung entgegen?

Kardinal Müller: Zur meiner völligen Überraschung war ich vom Papst zum Mitglied der Synode berufen worden. Die Begründung war, man brauche mehr theologische Kompetenz. Häretische Gruppen hingegen, die sich als Progressisten tarnen, kritisierten diese Entscheidung, relativierten sie als bloß taktisches Manöver des Papstes, welcher den rechtgläubigen Katholiken, die als Konservative oder gar als Traditionalisten diffamiert werden, ein Signal der Ausgewogenheit der Teilnehmerschaft senden wolle.

InfoVaticana: Wie haben Sie die Synodensitzung im Oktober letzten Jahres verlassen?

Kard. Müller: Es hätte schlimmer kommen können. Aber viele der Teilnehmer dieser Synode, die durch die Berufung von Nicht-Bischöfen eher zu einem theologisch-pastoralen Symposion mutiert ist, sind sich nicht klar über das Wesen, die Sendung und die Verfassung der katholischen Kirche.

Oftmals wurde das Narrativ widerholt, dass das II. Vatikanum im Bild der Pyramide gesprochen die Kirchenverfassung umgedreht habe. Die Basis, nämlich die Laien, seien nun oben und der Papst und die Bischöfe unten.

Was immer diese missglückte Bildsprache meinen mag, so hat doch das II. Vatikanische Konzil die apostolische Verfassung der Kirche bestätigt, wie sie der von Papst Franziskus zum Kirchenlehrer promovierte Irenäus von Lyon gegen die Gnostiker so klar formulierte. Alle Christen haben aufgrund von Taufe und Firmung Anteil an der Sendung der Kirche, die von Christus dem Hirten, Hohenpriester und Propheten des Neuen Bundes ausgeht.

Aber im Gegensatz zu der protestantischen Leugnung des Weihesakraments (Bischof, Priester, Diakon) existiert die hierarchisch-sakramentale Verfassung der Kirche kraft göttlichen Rechtes. Die Bischöfe und Priester handeln nicht als Beauftragte (Delegaten, Mandatare) des priesterlichen und königlichen Gottesvolkes, sondern im Auftrag Gottes für das Gottesvolk. Denn sie sind durch die Weihe vom heiligen Geist eingesetzt , um die Herde Gottes als Hirten zu weiden, die er sich durch das Blut seines eigenen Sohnes als das neue Gottesvolk erworben hat ( vgl. Apg 20, 28.

Deshalb wird das Bischofs- und Priesteramt durch ein eigenes Sakrament übertragen, so dass die so mit geistlicher Vollmacht ausgestatteten Diener Gottes im Namen und der Sendung Christi, des Herrn und Hauptes seiner Kirche handeln können in ihrem Lehr-, Hirten-, und Priesteramt  (II. Vatikanum, Lumen gentium 28; Presbyterorum ordinis 2).

InfoVaticana: Gibt es Grund zur Besorgnis darüber, was nach der Synode geschehen wird?

Kard. Müller: Die Gefahr besteht immer, dass selbsternannte Progressisten im Zusammenspiel mit antikatholischen Kräften in der Politik und den Medien in die Kirche die Agenda 2030 einbringen, deren Kern ein wokistisches Menschenbild ist, das der gottebenbildlichen Würde jeder menschlichen Person diametral widerspricht. Man hält sich für fortschrittlich und meint der Kirche einen Dienst erwiesen zu haben erfolgreich, wenn die katholische Kirche von dieser falschen Seite gelobt wird und zwar für den Verkauf unseres Erstgeburtsrechts am Evangelium Christi für das Linsenmus des Applauses in der ökomarxistischen Ideologen in der UNO und der EU

InfoVaticana: Kardinal Víctor Manuel Fernández sagte vor einigen Monaten, dass die Fiducia supplicans veröffentlicht wurde, damit die Segnungen für gleichgeschlechtliche Paare die Synode nicht vereinnahmen.

Kard. Müller: Da mag man sich selbst auf die Schulter klopfen für seine taktischen Spielchen. Es geht aber um die Wahrheit. Die pastorale Sorge für Menschen mit Problemen in ihrer Ausrichtung auf das andere Geschlecht, die der Logos des Schöpfers selbst es in unsere Natur hinein geschrieben hat, kann nicht auf Kosten der Wahrheit des Ehesakramentes oder der Segnung gehen, die die Zusage der Gnade Gottes ist, das Gute zu tun und die Sünde zu meiden.

InfoVaticana: Andere wie Kardinal Zen haben dieses Format der Bischofssynode kritisiert, weil es die Teilnahme von Laien, Ordensleuten und Priestern ermöglicht.

Kard. Müller: Das habe ich ja schon ausgeführt, dass es entweder eine Synode der Bischöfe gibt als Institution der ausgeübten Kollegialität aller Bischöfe mit und unter dem römischen Papst oder es handelt sich um eine Symposion mit Teilnehmern aus dem ganzen Gottesvolk, um sich über drängende Fragen und aktuelle Herausforderungen auszutauschen, zu beraten und auch zu  Vorschlägen zu kommen.

Auf keine Fall darf diese Versammlung wie der Parteitag in einem autoritären System aussehen, wo alle genau beobachtet und kontrolliert werden, ob sie gemäß den Wünschen der Obrigkeit reden und wo dann am Ende der einzige reale Machthaber nach Gutdünken entscheidet.

Die Kirche ist keine politische Vereinigung und ihre Verfassung hat nicht zu tun mit einer absoluten oder konstitutionellen Monarchie, einer aristokratischen Oligarchie und auch nichts mit einer libertären oder totalitären Volksherrschaft.

Die Kirche ist das Volk Gottes und jeder einzelnen Christi ist in seinem Gewissen und Gebet unmittelbar zu Gott. Und die Bischöfe sind als Hirten eingesetzt, um nach dem Herzen Jesu das Volk Gottes zu lehren, zu leiten und zu heiligen.

Die Kirche ist das Sakrament des Heils der Welt in Christus. Sie trägt auch zum Gemeinwohl und zur sozialen Gerechtigkeit und zum Frieden in der Welt bei durch Ermahnungen an die Mächtigen und das Gebet für sie.

Aber sie hat nicht unmittelbar eine politische Aufgabe und sie berücksichtigt die relative Autonomie der Sachgebiete (II. Vatikanum, Gaudium et spes 36).

Wir können in Fragen des Klimawandel, der Impflicht, der Immigration nicht eine legitime Meinung zugunsten der anderen sanktionieren mit geistlichen Strafen.

Sowenig die kirchliche Autorität neue Sakramente einsetzten kann, sowenig kann sie auch neue Todsünden erfinden. Es kann doch nicht ernsthaft derjenige mit der Höllenstrafe bedroht werden, der zum Klimawandel eine abweichende Meinung von der Mehrheit hat.

InfoVaticana: Der Papst hat umstrittene und heterodoxe Persönlichkeiten wie James Martin oder Maurizio Chiodi zur Teilnahme an der Synode und an den Arbeitsgruppen ernannt, was halten Sie davon?

Kard. Müller: Gewiss gibt es eine legitime Meinungsvielfalt in der Kirche in Fragen die nicht die Wahrheit der Offenbarung, sondern konkrete Ausführungen der Pastoral, der Organisation der katholischen Universitäten etc. betreffen.

Klar häretische Positionen dürfen nicht als gleichberechtigt anerkannt werden, weil sie so die Grundlage der Kirche in ihrem Glaubensbekenntnis unterminieren.

Der Trick besteht darin, dass man die heterodoxe Position als pastoral sensibel der orthodoxen Position gegenüberstellt. Man stellt nicht den orthodoxen Glauben in Frage. Aber man psychologisiert die Vertreter des katholischen Glaubens als Pharisäer und Heuchler, als kaltherzige Buchstabengelehrte, als vergangenheitsverliebte Traditionalisten oder geistig verbohrte Indiestristen.

Auf diesem intellektuellem Niveau lässt sich bestens der Schulterschluss mit kirchenkritischen Medien und den Ideologen des sozialistisch-kapitalistischen Globalismus organisieren.

InfoVaticana: Glauben Sie, dass andere Themen wie der priesterliche Zölibat, der weibliche Diakonat oder die Pro-LGBT-Seelsorge in dieser letzten Sitzung auf den Tisch kommen werden?

Kard. Müller: Die Protagonisten werden die Chance, die ihnen gegeben wurde , nutzen, um ihre Agenda voranzubringen, die aber nur zu weiterem Niedergang der Kirche führt, weil diese Ziele entweder dogmatisch nicht stimmig sind, noch irgendeinen spirituellen Tiefgang verraten.

InfoVaticana: Schafft diese Synode mehr Spaltung und Konfrontation innerhalb der Kirche?

Kard. Müller: Die Spaltung ist schon da. Diese „Nicht-Mehr-Bischofs-Synode“ oder besser gesagt dieses internationale katholische Symposion sollte die Gelegenheit bieten, die Einheit der Kirche sichtbar zu machen, die ein Prädikat der Kirche ist und die jenseits aller menschlichen Politik und Diplomatie eine Geschenk Gottes ist und die Einheit von Vater und Sohn und dem heiligen Geist sichtbar machen soll, damit die glaubt, das Jesus der Sohn des Vaters ist, der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen (Lumen gentium 4).

InfoVaticana: Die Kirche in Deutschland beobachtet genau, was auf der Synode in Rom geschieht. Welche Folgen könnte das Ihrer Meinung nach für Deutschland haben, wenn die progressiven Forderungen der deutschen Kirche nicht erfüllt werden?

Kard. Müller: Die Kirche in Deutschland befindet sich in einem rasanten geistigen und geistlichen Verfall besonders, was ihre offiziellen Vertreter angeht und auch die mit ihnen amalgamierten katholischen Funktionärskreise.

Dagegen gibt es noch viele Priester, Ordensleute und Laien und auch einige Bischöfe, die ohne Wenn und Aber katholisch sind und bleiben wollen. Diese werden aber von den „Synodalisten“ besserwisserisch verfemt und ausgegrenzt.

InfoVaticana: Schließlich besteht der Vatikan darauf, dass es bei dieser Synode um „Synodalität“ geht, könnten Sie erklären, was dieses neue Konzept bedeutet?

Kard. Müller: „Synodalität“ ist ein künstlich geschaffenes Abstraktum und Modewort, das von dem Konkretum der Synode ausgeht, nämlich der regionalen oder allgemeinen Versammlung der katholischen Bischöfe, die ihr Lehr- und Hirtenamt mit dem Papst ausüben, aber paradoxerweise seine Faszination durch die Leugnung eben der hierarchischen- sakramentalen Verfassung gewinnt.

Im weiteren Sinn kann man „synodal“ auch als eine Methode des optimalen Zusammenwirkens aller Glieder und Stände der Kirche betrachten, die eines Herzens und eines Sinnes sein sollen im Lob Gottes und im Dienst am Nächsten (Apg 2, 43-47).

Auf keinen Fall ist „synodal“ ein neues Attribut der Kirche oder sogar das Codewort für eine andere Kirche, die der säkularisierten Phantasie der Protagonisten einer universellen Einheitsreligion ohne Gott, Christus, die Dogmen und Sakramente des katholischen Glaubens entspringt.


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