12. September 2024 in Spirituelles
„Ihre Gültigkeit wurde von Seinem Eingeborenen Sohn Jesus Christus im Neuen Testament bestätigt. Mehr noch. In der Kraft des Heiligen Geistes erkennt man über das Lesen den tiefen Sinn der Gebote, die der Herr zur Fülle gebracht hat.“
Berlin (kath.net) kath.net dokumentiert die Predigt S.E. Apostolischer Nuntius Erzbischof Dr. Nikola Eterović am 01. September 2024 in Berlin in voller Länge und dankt S.E. für die freundliche Erlaubnis zur Weiterveröffentlichung – Dtn 4,1.6-8; Ps 15; Jak 1,17-18.21-22.27; Mk 7,1-8.14-15.21-23
„Ihr gebt Gottes Gebot preis und haltet euch an die Überlieferung der Menschen“ (Mk 7,8).
Liebe Schwestern und Brüder!
Das Wort Gottes an diesem zweiundzwanzigsten Sonntag im Jahreskreis warnt uns vor einer oberflächlichen, nur äußeren Religiosität, die man formell oder ritualistisch nennen könnte. Der Herr Jesus betont hingegen die Bedeutung einer authentischen Religion, die das Herz des Menschen berührt, das heißt die ganze Person betrifft. Aufgrund der offenkundigen Verfasstheit des Menschen bringt sie sich über äußere Zeichen und Rituale zum Ausdruck. Das Streitgespräch, das Jesus mit den Pharisäern und Schriftgelehrten hatte betrifft nicht nur das Judentum, sondern alle übrigen Religionen gleichermaßen, einschließlich der christlichen Religion.
„Ihr sollt die Gebote des Herrn, eures Gottes, bewahren“
(Dtn 4,2).
Der Herr Jesus wirft den Pharisäern und Schriftgelehrten vor, das Gebot Gottes zu missachten und stattdessen menschlichen Satzungen zu folgen. In der ersten Lesung aus dem Buch Deuteronomium wird schon zwischen Gebot, Gesetz und Vorschriften (Rechtsentscheide) unterschieden. Im Namen von JHWH ermahnt der Patriarch Mose das jüdische Volk: Nachdem er es aufgefordert hatte: „Und nun, Israel, hör auf die Gesetze und Rechtsentscheide, die ich euch zu halten lehre“ (Dtn 4,1) führt er aus: „Ihr sollt dem Wortlaut dessen, worauf ich euch verpflichte, nichts hinzufügen und nichts davon wegnehmen; ihr sollt die Gebote des Herrn, eures Gottes, bewahren, auf die ich euch verpflichte“ (Dtn 4,2). In diesem Kontext sind die Worte des Herrn Jesus im heutigen Evangelium zu verstehen, die uns an die Zehn Gebote erinnern, die JHWH dem erwählten Volk am Berg Sinai offenbart hat (Ex 20,2-17; Dtn 5,6-21). Mit der Zeit sind zu diesen Geboten, die wir das Grundgesetz nennen können, zahlreiche Normen und Rechtsvorschriften hinzugekommen. In der Zeit Jesu bis heute hat ein frommer Jude 613 Gebote und Verbote zu beachten. Einige dieser Regeln sind im Markusevangelium genannt und beziehen sich auf das rituelle Händewaschen oder die Waschungen vor den Mahlzeiten. All das kann die wahre Religion verdunkeln, weil man sich zu sehr auf äußere und rituelle Aspekte konzentriert, jedoch die Herzensangelegenheiten vernachlässigt. Darum macht der Herr den Vorwurf: „Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, sein Herz aber ist weit weg von mir. Vergeblich verehren sie mich; was sie lehren, sind Satzungen von Menschen“ (Mk 7,6-7).
„Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken“ (Mk 7,21).
Jesus Christus betont die innere, personale und tiefe Dimension des Menschen mit Blick auf seine Beziehung zu Gott und macht die Menschen frei von den Vorschriften über unreines Essen. Nach dem Herrn ist nämlich das Herz die Quelle der eigentlichen Unreinheit und nicht irgendwelche Speisen, die ein Gläubiger nicht essen soll. Um diese Wirklichkeit zu verdeutlichen, bietet Jesus konkrete Beispiele von Sünden, die aus dem menschlichen Herzen entstammen: „Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Lästerung, Hochmut und Unvernunft“ (Mk 7,21-22). Dieser Sündenkatalog lässt uns verstehen, dass der Herr Jesus an die Zehn Gebote denkt, wenn er im Markusevangelium den Pharisäern und Schriftgelehrten vorwirft, das Gebot Gottes preiszugeben (vgl. Mk 7,8). Um die Sinnspitze des Willens Gottes zu verdeutlichen, wonach sich die Jünger richten sollen, erlässt Jesus Christus das Doppelgebot der Liebe zu Gott und dem Nächsten: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten“ (Mt 22,37-40).
Im Zusammenhang dieser Überlegungen ist angebracht, die pädagogische Bedeutung der göttlichen Gebote zu unterstreichen, die es zu kennen und zu befolgen gilt. Im Abschnitt aus dem Buch Deuteronomium heißt es: Haltet und befolgt die Gebote, „denn darin besteht eure Weisheit und eure Bildung in den Augen der Völker. Wenn sie dieses Gesetzeswerk kennenlernen, müssen sie sagen: In der Tat, diese große Nation ist ein weises und gebildetes Volk. … Welche große Nation besäße Gesetze und Rechtsentscheide, die so gerecht sind wie alles in dieser Weisung, die ich euch heute vorlege?“ (Dtn 4,6.8). Daher haben die Gebote eine Funktion mit Blick auf die ganze Gemeinschaft, auf das ganze Volk. Darüber hinaus haben die Gläubigen mit ihren Gebeten und Bitten über die Gebote leichter und sicherer den Zugang zu Gott: „Denn welche große Nation hätte Götter, die ihr so nah sind, wie der Herr, unser Gott, uns nah ist, wo immer wir ihn anrufen?“ (Dtn 4,7).
„Ein reiner und makelloser Gottesdienst ist es vor Gott, dem Vater“ (Jak 1,27).
In der Treue zur Lehre Jesu fordert der Apostel Jakobus die Christen auf, Gott mit dem Herzen und nicht allein mit Worten zu ehren. Das ist möglich, wenn der Gläubige nicht nur das Wort Gottes hört, sondern es in die Tat umsetzt. Hierzu schreibt der Apostel: „Nehmt in Sanftmut das Wort an, das in euch eingepflanzt worden ist und die Macht hat, euch zu retten! Werdet aber Täter des Wortes und nicht nur Hörer, sonst betrügt ihr euch selbst“ (Jak 1,21-22). Am Ende des Abschnitts aus dem Jakobusbrief gibt es einige praktische Weisungen über die Beziehung zwischen der Religion als Gottesdienst und den äußeren Ausdrucksweisen. „Ein reiner und makelloser Gottesdienst ist es vor Gott, dem Vater: für Waisen und Witwen in ihrer Not zu sorgen und sich unbefleckt von der Welt zu bewahren“ (Jak 1,27).
Schon im Alten Testament hat Gottvater den Menschen die Zehn Gebote anvertraut. Ihre Gültigkeit wurde von Seinem Eingeborenen Sohn Jesus Christus im Neuen Testament bestätigt (vgl. Mt 5,17-19). Mehr noch. In der Kraft des Heiligen Geistes erkennt man über das Lesen den tiefen Sinn der Gebote, die der Herr zur Fülle gebracht hat. Es reicht eben nicht aus, nicht zu töten, sondern schon der Zorn gegenüber dem Bruder ist nicht erlaubt (Mt 5,21-22); man soll nicht nur den Nächsten lieben, sondern auch die Feinde (vgl. 5,43-44) etc. Jesus Christus ermahnt uns zum wahren Gottesdienst, den der heilige Apostel Jakobus „rein und makellos vor Gott dem Vater“ nennt. Es handelt sich um einen Gottesdienst, der die ganze menschliche Person betrifft und mit dem Herzen seinen symbolischen Ausdruck findet. Man muss Gott mit dem Herzen und nicht nur mit den Lippen lieben (vgl. Mt 7,6). Aufgrund unserer menschlichen Bedingtheit muss sich dieser Gottesdient oder diese reine Religion über konkrete Gesten, Normen, Vorschriften und Aktionen ausdrücken. Jedoch muss man darauf achten, dass diese Ausdrücke nicht die wahre Bedeutung der Gebote und des Gesetzes Gottes verdunkeln. Religionsphänomenologisch können wir sagen, dass es eine dauerhafte Spannung gibt zwischen den göttlichen Geboten, dem reinen Gottesdienst und dessen Ausdruck über Gesetze und Vorschriften. Sie sind nötig, doch sie sind immerfort zu läutern, damit sie den wahren Gottesdienst nicht ersetzen und den wirklichen Glauben wie auch die echten Gebote nach der Lehre des Herrn Jesus nicht verdunkeln.
Liebe Brüder und Schwestern, vertrauen wir unser demütiges Gebet der Fürsprache der seligen Jungfrau Maria an, der Mutter der Kirche, damit der gute und barmherzige Gott uns von der nur äußerlichen Beachtung der Gebote und Gesetze befreie und uns schenke, ihn mit ganzem Herzen zu ehren (vgl. Mk 7,6), indem wir Gott lieben und aus dieser Liebe auch den Nächsten lieben (vgl. Mt 22,37-40). Amen.
Archivfoto Nuntius Eterović (c) Apostolische Nuntiatur Berlin
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