Papst fordert im reichen Singapur Einsatz für die Schwächsten

12. September 2024 in Weltkirche


Franziskus erinnert in Ansprache vor politischer Führungsschicht eines des wohlhabendsten Länder der Erde an Schicksal der Gastarbeiter - VIDEOS


Singapur (kath.net/KAP/red) Papst Franziskus hat in Singapur besondere Aufmerksamkeit für die Schwächsten der Gesellschaft gefordert. In seiner Ansprache vor den politischen Verantwortungsträgern des fünfreichsten Land der Erde am Donnerstagmorgen (Ortszeit) mahnte er vor allem Unterstützung für ältere Menschen, "deren Mühen den Grundstein für das Singapur gelegt haben", wie für die vielen Gastarbeiter an, "die so viel zum Aufbau der Gesellschaft beitragen und denen ein angemessener Lohn garantiert werden muss".

Rund 1,5 Millionen Arbeitsmigranten leben in dem 5,6-Millionen-Einwohner-Land, das nicht einmal zweimal so groß wie Wien ist. Knapp die Hälfte von ihnen fällt in die unteren Einkommensklassen, Menschen aus Indien, Myanmar oder Bangladesch arbeiten etwa als Haushaltshilfen oder auf Baustellen.

Franziskus warb darum, dass Singapurs seine Bemühungen um soziale Gerechtigkeit und Gemeinwohl so lange fortsetze, bis alle Einwohner voll daran beteiligt seien. "In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Gefahr hinweisen, die ein gewisser Pragmatismus und eine gewisse Überbewertung der Leistung mit sich bringen, nämlich die unbeabsichtigte Folge, dass dadurch die Ausgrenzung derjenigen legitimiert wird, die kaum an den Errungenschaften des Fortschritts teilhaben", warnte der Papst.

Zugleich lobte er das hohe Entwicklungsniveau des seit 1965 eigenständigen Stadtstaates. Der "Wald modernster Wolkenkratzer" veranschauliche menschliches Erfindungsreichtum, die Dynamik der Gesellschaft Singapurs sowie den Scharfsinn des Unternehmergeistes, der "hier einen fruchtbaren Boden gefunden habe, um sich auszudrücken". Dennoch dürfe bei all den hochentwickelten Technologien und den rasanten Entwicklungen bei der Nutzung künstlicher Intelligenz nicht vergessen werden, "dass es wesentlich ist, reale und konkrete menschliche Beziehungen zu pflegen".

Dialog und Respekt statt Extremismus

In dem harmonischen "Mosaik von Ethnien, Kulturen und Religionen" lobte Franziskus den konstruktiven Dialog in Singapur, der Extremismus und Intoleranz verhindere. Gegenseitiger Respekt, Zusammenarbeit und Dialog seien entscheidende Bedingungen für den Erfolg und die Stabilität des Landes, so der Papst.

Weiter erinnerte der 87-Jährige an die Rolle Singapurs in der internationalen Ordnung, die von Konflikten und blutigen Kriegen bedroht werde. "Ich ermutige Sie, sich weiterhin für die Einheit und Geschwisterlichkeit der Menschheit zu engagieren, für das gemeinsame Wohl aller Völker und Nationen, mit einem Verständnis, das weder ausgrenzend noch auf nationale Interessen beschränkt ist."

Präsident: Religiöse Vielfalt Pfeiler der Identität

Vor der Ansprache, die der Papst im Theater des Kulturzentrums der Nationalen Universität vor rund 1.000 Zuhörern aus Politik, Diplomatie und Zivilgesellschaft hielt, war der Papst im Parlamentsgebäude von Singapur mit einer Willkommenszeremonie empfangen worden, ehe er bei Präsident Tharman Shanmugaratnam einen Höflichkeitsbesuch abstattete und auch Premierminister Lwrence Wong traf.

Präsident Shanmugaratnam hob in seiner Begrüßungsrede die Rolle der religiösen Gemeinschaften in Singapur hervor und lobte die katholische Kirche für ihre Beiträge in den Bereichen Bildung und Gesundheitswesen: "Unsere ältesten katholischen Schulen, die St. Joseph's Institution und das Convent of the Holy Infant Jesus, haben Generationen von Singapurern inspiriert und geprägt." Er betonte die Wichtigkeit der multikulturellen Harmonie: "Unsere ethnische und religiöse Vielfalt ist ein zentraler Pfeiler unserer nationalen Identität."

Shanmugaratnam unterstrich Singapurs Vorreiterrolle in der Nachhaltigkeit, die seit der Unabhängigkeit ein zentrales Thema sei: "Unser Singapore Green Plan 2030 ist ein umfassender Leitfaden für die Bewältigung der Klimakrise", so das Staatsoberhaupt. Papst Franziskus hatte in seiner Rede Singapurs Engagement im Bereich der nachhaltigen Entwicklung gewürdigt und zur globalen Verantwortung aufgerufen. Dank des einzigartigen Standortes habe das Land Zugang zu Ressourcen, "die zu Innovationen führen können, welche dem Wohl unseres gemeinsamen Hauses zugutekommen", hatte er gesagt.

Mit einer symbolischen Geste wurde nach der Veranstaltung eine Orchideenzüchtung enthüllt, die zu Ehren von Papst Franziskus benannt wurde.

Singapur ist die letzte Station der knapp zweiwöchigen Asien-Pazifik-Reise des Papstes. Am Nachmittag (Ortszeit) feiert er dort noch eine Stadionmesse, am Freitag kehrt er nach Begegnungen in einem Altersheim und mit Jugendlichen nach Rom zurück.

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Die Ansprache im Wortlaut

Herr Präsident,
Herr Premierminister,
verehrte Autoritäten,
sehr geehrte Repräsentanten der Zivilgesellschaft,
Mitglieder des Diplomtischen Korps
!

Ich danke dem Herrn Präsidenten für die freundlichen Begrüßungsworte, die er an mich gerichtet hat und die mich dankbar an seinen jüngsten Besuch im Vatikan erinnern. Ich bin allen Autoritäten dankbar für den herzlichen Empfang in Ihrem Stadtstaat, der ein besonders wichtiger Handelsknotenpunkt und ein Ort der Begegnung zwischen verschiedenen Völkern ist.

Wer zum ersten Mal hierherkommt, wird unweigerlich von dem Wald modernster Wolkenkratzer beeindruckt sein, die sich scheinbar aus dem Meer erheben. Sie sind ein anschauliches Zeugnis für den menschlichen Erfindungsreichtum, die Dynamik der Gesellschaft Singapurs und den Scharfsinn des Unternehmergeistes, die hier einen fruchtbaren Boden gefunden haben, um sich auszudrücken.

Die Geschichte Singapurs ist eine Geschichte des Wachstums und der Widerstandsfähigkeit. Von bescheidenen Anfängen aus, hat diese Nation ein hohes Entwicklungsniveau erreicht und bewiesen, dass dies das Ergebnis rationaler Entscheidungen und nicht des Zufalls ist. Es ist das Ergebnis eines kontinuierlichen Einsatzes in der Durchführung von Projekten und Initiativen, die gut durchdacht und auf die besonderen örtlichen Gegebenheiten abgestimmt sind. Gerade in diesen Tagen jährt sich zum 101. Mal der Geburtstag von Lee Kuan Yew, dem ersten Premierminister der Republik Singapur, der dieses Amt von 1959 bis 1990 innehatte und der dem schnellen Wachstum und Wandel des Landes einen starken Impuls gab.

Wichtig ist außerdem, dass Singapur nicht nur zu wirtschaftlicher Blüte gelangt ist, sondern sich auch um den Aufbau einer Gesellschaft bemüht hat, in der soziale Gerechtigkeit und das Gemeinwohl einen hohen Stellenwert besitzen. Ich denke dabei vor allem an Ihr Engagement für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Bürger durch eine öffentliche Wohnungsbaupolitik, für ein hochwertiges Bildungswesen und ein effizientes Gesundheitswesen. Ich hoffe, dass diese Bemühungen so lange fortgesetzt werden, bis alle Einwohner Singapurs voll daran beteiligt sind.

Und in diesem Zusammenhang möchte ich auf die Gefahr hinweisen, die ein gewisser Pragmatismus und eine gewisse Überbewertung der Leistung mit sich bringen, nämlich die unbeabsichtigte Folge, dass dadurch die Ausgrenzung derjenigen legitimiert wird, die kaum an den Errungenschaften des Fortschritts teilhaben.

In dieser Hinsicht lobe ich anerkennend die verschiedenen politischen Maßnahmen und Initiativen zur Unterstützung der Schwächsten und hoffe, dass den Armen, den älteren Menschen – deren Mühen den Grundstein für das Singapur gelegt haben, das wir heute kennen – und auch dem Schutz der Würde der Gastarbeiter, die so viel zum Aufbau der Gesellschaft beitragen und denen ein angemessener Lohn garantiert werden muss, besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird.

Die hochentwickelten Technologien des digitalen Zeitalters und die rasanten Entwicklungen bei der Nutzung künstlicher Intelligenz dürfen uns nicht vergessen lassen, dass es wesentlich ist, reale und konkrete menschliche Beziehungen zu pflegen und dass diese Technologien dann am ergiebigsten sind, wenn man sie nützt, um einander näher zu kommen, um Verständnis und Solidarität zu fördern, und nicht dazu, um sich auf gefährliche Weise in einer fiktiven und ungreifbaren Wirklichkeit zu isolieren.

Singapur ist ein Mosaik von Ethnien, Kulturen und Religionen, die in Harmonie zusammenleben, und dieses Wort ist sehr wichtig: die Harmonie. Die Erlangung und Bewahrung dieser positiven Inklusivität wird durch die Unparteilichkeit der öffentlichen Behörden erleichtert, die einen konstruktiven Dialog mit allen führen, der es jedem ermöglicht, seinen eigenen einzigartigen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten, und nicht zulässt, dass Extremismus und Intoleranz an Stärke gewinnen und den sozialen Frieden gefährden. Gegenseitiger Respekt, Zusammenarbeit, Dialog und die Freiheit, sich in Treue zum allgemeinen Recht zu den eigenen Überzeugungen zu bekennen, sind entscheidende Bedingungen für den Erfolg und die Stabilität Singapurs und Voraussetzungen für eine nicht konfliktträchtige und nicht chaotische, sondern ausgewogene und nachhaltige Entwicklung.

Die katholische Kirche in Singapur hat von Anfang an versucht, ihren eigenen Beitrag zum Weg dieses Landes zu leisten, insbesondere in den Bereichen Bildung und Gesundheitswesen, und sich dabei auf den Opfergeist und die Hingabe der Missionare und der Gläubigen gestützt. Im Geiste des Evangeliums Jesu Christi ist die katholische Gemeinschaft, auch was die Werke der Nächstenliebe betrifft, ganz vorne mit dabei, indem sie einen bedeutenden Beitrag zu den humanitären Bemühungen leistet und zu diesem Zweck mehrere Gesundheitseinrichtungen betreibt wie auch zahlreiche humanitäre Organisationen, darunter die Caritas, die wir alle kennen.

Die Kirche hat zudem – gemäß den Weisungen der Erklärung Nostra Aetate des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Beziehungen zu den nichtchristlichen Religionen – den interreligiösen Dialog und die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Glaubensgemeinschaften im Geiste der Offenheit und des gegenseitigen Respekts, die für den Aufbau einer Gesellschaft, die gerecht und friedlich sein soll, von grundlegender Bedeutung sind, stets gefördert.

Mein Besuch findet dreiundvierzig Jahre nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und Singapur statt. Er beabsichtigt, die Katholiken im Glauben zu stärken und sie zu ermutigen, mit Freude und Hingabe die Zusammenarbeit mit allen Männern und Frauen guten Willens fortzusetzen, um eine gesunde und stabile Zivilgesellschaft aufzubauen, das Gemeinwohl zu fördern und ein klares Zeugnis für ihren eigenen Glauben zu geben.

Singapur kommt auch eine besondere Rolle in der internationalen Ordnung zu – das dürfen wir nicht vergessen –, die heute von Konflikten und blutigen Kriegen bedroht wird, und ich begrüße es, dass es verdienstvoll den Multilateralismus gefördert und sich für eine Ordnung eingesetzt hat, die auf Regeln beruht, die von allen geteilt werden. Ich ermutige Sie, sich weiterhin für die Einheit und Geschwisterlichkeit der Menschheit zu engagieren, für das gemeinsame Wohl aller, aller Völker und Nationen, mit einem Verständnis, das weder ausgrenzend noch auf nationale Interessen beschränkt ist.

Und lassen Sie mich auch an die Rolle der Familie erinnern, die der erste Ort ist, an dem jeder lernt, mit anderen in Beziehung zu treten, geliebt zu werden und zu lieben. Unter den heutigen gesellschaftlichen Bedingungen werden die Grundpfeiler, auf denen die Familie steht, in Frage gestellt und drohen geschwächt zu werden. Es ist notwendig, dass die Familien in die Lage versetzt werden, jene Werte zu vermitteln, die dem Leben Sinn und Form geben, und den jungen Menschen beizubringen, solide und gesunde Beziehungen einzugehen. Darum sind die Bemühungen zur Förderung, zum Schutz und zur Unterstützung der Einheit der Familie durch die Arbeit der verschiedenen Institutionen zu begrüßen.

Wir können nicht verbergen, dass wir heute in einer Umweltkrise leben, und wir sollten den Einfluss, den eine kleine Nation wie Singapur darin haben kann, nicht unterschätzen. Ihr einzigartiger Standort verschafft Ihnen Zugang zu Kapital, Technologie und Talenten – Ressourcen, welche die Innovationen dahin führen können, sich um das Wohl unseres gemeinsamen Hauses zu sorgen.

Ihr Engagement für eine nachhaltige Entwicklung und die Bewahrung der Schöpfung ist vorbildlich, und Ihre Suche nach innovativen Lösungen für die ökologischen Herausforderungen kann andere Länder ermutigen, es Ihnen gleichzutun. Singapur ist ein leuchtendes Beispiel dafür, was die Menschheit erreichen kann, wenn in Harmonie, mit Verantwortungsbewusstsein und im Geiste der Inklusivität und Geschwisterlichkeit zusammengearbeitet wird. Das ist wie eine Zusammenfassung Ihrer Haltung: in Harmonie zusammenzuarbeiten, mit Verantwortungsbewusstsein und im Geiste der Geschwisterlichkeit und Inklusivität. Ich ermutige Sie, diesen Weg weiterzugehen, im Vertrauen auf Gottes Verheißung und seine väterliche Liebe zu allen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, Gott helfe Ihnen, auf die Bedürfnisse und Erwartungen Ihres Volkes einzugehen, und er ermutige Sie zu erfahren, dass er mit denen, die demütig und dankbar bleiben, zum Wohle aller Großes vollbringen kann.

Gott segne Singapur!

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