Confiteor: Ich bin ein Synder gegen die Sünodalität

23. September 2024 in Kommentar


Das geplante Bekenntnis bewegt sich theologisch in einem luftleeren Raum und wirft mehr als nur eine Frage auf. Ein Vergleich mit dem „Mea culpa“ von 2000 macht die Probleme deutlich. Der Montagskick von Peter Winnemöller


Linz-Rom (kath.net)

Der letzte Teil der Weltsynode zur Synodalität steht an. Sinn und Zweck dieses Megaprozesses ist es, zu klären, wie eine synodale Kirche aussehen soll. In mehreren Stufen und mit zwei Vollversammlungen in Rom will der Papst klären lassen, wie denn diese Synodalität, von der er so schwärmt, aussehen soll. Angesichts des jüngsten Sparappells des Heiligen Vaters kann man schon fragen, warum man sich in so kurzer Zeit derart viele weltweite Zusammenkünfte in Rom leistet. Die Dichte der Weltsynoden war noch nie so hoch wie in den vergangenen elf Jahren. Jedes Mal müssen hunderte nach Rom eingeflogen werden (Ist das nicht eine Sünde gegen das Klima?). Es müssen hunderte in Rom untergebracht und verköstigt werden (Ist das nicht eine Sünde gegen die Armut?). Und nun soll der letzten der beiden globalen Versammlungen nach geistlichen Übungen – OK, der Papst ist Jesuit – ein Bußgottesdienst vorgeschaltet werden. Ein Schreiben dazu wurde in der vergangenen Woche von Rom veröffentlicht. (kath.net hatte es dokumentiert.) Angesichts des vorliegenden Textes konnte es sich der Verfasser dieser Zeilen nicht verkneifen, sein persönliches Confiteor auf X zu posten: „Ich denke schon, dass ich ein Synder gegen die Sünodalität bin.“

In der Tat wirkt die zu bekennende Sündenliste nicht unproblematisch. Da geht es um Sünde gegen den Frieden, gegen die Schöpfung, gegen indigene Völker, gegen Migranten. Die Sünde des Missbrauchs wird genannt. Die Sünde gegen Frauen, Familie, Jugend soll bekannt werden. Die Sünde, die Doktrin als Steine zu verwenden, die man werfen kann, gehört ebenso zu dem sonderbaren Katalog. Die Sünde gegen die Armut und die Sünde gegen die Synodalität / Mangel an Zuhören, [gegen] die Communio und Teilnahme aller runden den Katalog ab. An dieser Stelle bräuchte es einer sinnvollen moraltheologischen Einordnung, auf die man in den vergangenen Tagen hätte hoffen können. Leider ist nichts dergleichen erfolgt.

Rückblende: Am 12. März 2000 sprach der Heilige Papst Johannes Paul II. ein großes „Mea culpa“ der Kirche. Lange und tiefgreifende Diskussionen gingen diesem Bußakt voraus. Johannes Paul II. selbst war ein großer Moraltheologe, der als Präfekt der Glaubenskongregation den Mozart der Theologie, Joseph Ratzinger, an seiner Seite wusste. Im Jahr 1994 schrieb der Heilige Papst den Kardinälen ins Stammbuch: die Kirche bedürfe angesichts des Jubiläumsjahres 2000 der Umkehr, der „Einsicht in historische Schuld und Versäumnisse ihrer Mitglieder gegenüber den Anforderungen des Evangeliums“. Ganze sechs Jahre Nachdenken, Überlegen, Durchbeten, theologisch Durchdringen, das war es, was der Heilige Papst den Kardinälen und deren Mitarbeitern auf den Weg gab. Es wurde hart gerungen, vor allem wurde um die Frage gerungen, ob „die Kirche“, die das Credo als heilig bekennt, Sünde auf sich geladen haben könnte. Das Ergebnis dieser theologischen Durchdringung, die der heilige Papst angeregt hatte, war ein auch im Nachgang kritisch diskutiertes sehr filigranes theologisches Konstrukt. „Die Kirche ist heilig, insofern sie vom Vater durch die Vermittlung des Kreuzesopfers des Sohnes in Heiligkeit konstituiert wurde.“ Sünderin ist die Kirche dem Dokument zufolge „in einem gewissen Sinn“, insofern sie „real die Sünden derer, die sie wie eine Mutter in der Taufe als ihre Kinder geboren hat, auf sich nimmt“. Ferner konkretisiert der Text im Weiteren den Gedanke noch, wonach die Kirche nicht Sünderin in dem Sinn sei „dass sie selber Subjekt und Täterin der Sünde ist“, sondern indem sie sich „in mütterlicher Solidarität“ die Sünden ihrer Glieder auflade. Die Diskussion und die damalige theologische Auflösung dieses komplexen Gedankens, wie die heilige Kirche unter Bewahrung ihrer Heiligkeit denn Sünde hat auf sich laden können, steht hier pars pro toto für den Unterschied zwischen den Bußakten 2000 und 2024. Ob die damals gefundene Lösung tragfähig ist oder nicht kann und soll hier nicht entschieden werden. Es gibt nach wie vor von unterschiedlichster Seite Kritik daran, die ebenso wenig trivial ist, wie die damalige Lösung der Internationalen Theologischen Kommission.

Der Unterschied zum Bußakt 2024 liegt klar auf der Hand. Während man sich 2000 sechs Jahre Vorbereitung gegönnt hatte, schießt man 2024 aus der Hüfte. Während es zum Bußakt 2000 eine umfassende tiefgründige Untersuchung der Internationalen Theologischen Kommission gab, die auf 40 Seiten pdf-Dokument kommt, reicht Papst Franziskus und seinen Synodalcowboys ein einseitiges Papier, das wie ein Steckbrief in jeden Saloon genagelt wird. Ein wenig erinnert der Schnellschuss an ein päpstliches Bonmot aus jüngerer Zeit. Im Rahmen seiner Ostasienreise bemerkte der Papst, jede Religion führe zu Gott und erweckte damit den Eindruck, die Heilsnotwendigkeit der Kirche in Abrede gestellt zu haben. Schwupps glaubten mal wieder einige, man habe den Papst bei einer Häresie erwischt. In der Tat, hätte der (S)Pontifex hier lehramtlich gesprochen, hätte man den Papa haereticus gehabt, den sich einige so herbeiwünschen, wie ihn sich andere herbeifürchten. Doch so wenig wie es möglich ist, einen Wackelpudding mit Hammer und Nagel an einer Wand zu befestigen, so wenig kann man von Papst Franziskus lehramtliche Rede verlangen. Dieser Papst, der sich selbst am liebsten als Bischof von Rom bezeichnet, möchte Weltpastor sein. Man könnte es noch konkretisieren, er möchte der Dorfpastor der Welt sein. Dazu kommt seine tiefe Verachtung für europäische kirchliche Traditionen und für diplomatische Konventionen. Des Weiteren war dieser Papst im Gegensatz zu seinen beiden Vorgängern nie Theologieprofessor, er hat nicht einmal promoviert. Sein Scheitern an einer eigenständigen wissenschaftlichen Arbeit in Frankfurt kann ein Erklärungsversuch für seine Abneigung gegen die vor allem westlich geprägte und stark philosophisch untermauerte akademische Theologie sein.

Und da wird der Unterschied deutlich. In einem Gespräch mit einem japanischen Teemeister – eine geradezu unvergessliche Stunde – stellte sich mir wirklich und sehr ernsthaft die Frage, wie Gott einem solchen so tief in der Wahrheit gegründeten Menschen das Heil verweigern sollte, nur weil er nicht getauft ist. In der Tat kann jede Religion, den Pfad zur Wahrheit offenlegen, in der Tat kann auch die reine Vernunft den Weg zu Gott weisen. Aber warum sollte man, wenn man gesehen hat, dass die Kirche, mit Evangelium, Lehr- und Liturgietradition wie eine Autobahn zum Heil wirkt, verglichen mit den huckeligen Feldwegen der Welt, nicht den Weg der Kirche wählen? Am Ende wird alle Vernunft immer zu Christus führen, sagen große christliche Denker. Leider leben wir Menschen nur oft genug nicht lange genug, um das zu erkennen. In geistlicher Rede und in geistlicher Atmosphäre gesprochen sind diese Worte des Papstes gut und wahr. Der Fehler ist, dass sie den Raum und den Kontext, in dem sie gesprochen wurden, verlassen konnten. Lehramtlich gesprochen, was die Öffentlichwerdung der Worte dann eben doch nahelegt, wäre es in der Tat eine Häresie.

In der europäischen Tradition der vergangenen 150 Jahre, in denen wir Päpste hatten, bei denen druckreife lehramtliche Rede der Normalfall war, wirkt ein theologischer Goucho, der den Dorfpfarrer der Welt gibt, wie eine Katastrophe. Das merken übrigens inzwischen auch die linkskatholischen Franziskus-Fans der frühen Tage seines Pontifikats. Auf seine – uns traditionskatholischen Europäern völlig fremde Weise – ist dieser Papst erstaunlich konservativ und bei allem Pastoralgeschwätz recht sattelfest in der Lehre.

Schaut man sich vor diesem Hintergrund – und bitte noch einmal im Vergleich mit dem „Mea culpa“ von 2000 den geplanten Bußakt an, kann einen nur das Gruseln erfassen. Natürlich ist jede Tat, die den Frieden stört, eine Sünde. Dennoch ist es für jedes Volk legitim sich zu verteidigen, wenn es angegriffen wird. Theologische Klärung? Fehlanzeige. Sünde gegen Schöpfung, indigene Völker, Migranten – was soll das sein? Hier kann jeder beliebige NGO-Ideologe seine woke Agenda hineinlesen und sich plötzlich auf den Papst berufen. Sünde des Missbrauch – was? Sexuell? Geistlich? Macht? Geld? Päpstliche Gewalt? Auch hier fehlt jegliche theologische Klärung. Man kann das durch die gesamte Liste hindurch deklinieren. Es kann – ganz und gar jesuitisch(!) – am Ende jeder hineinlesen, was er mag. Was die Sünde gegen die Doktrin als Steine angeht, sei hier auf den Beitrag von Kardinal Müller verwiesen. Bleibt noch die Synodalität. Hier hat weder die Theologie noch die Kirchengeschichtsschreibung ihr letztes Wort gesprochen. Es bleibt ein gewisses Unbehagen gegen das päpstliche Verständnis von Synodalität. In der Geschichte der Kirche ist eine Synode eine Versammlung von Bischöfen. Sicher haben sich diese zuvor auch von Laien beraten lassen. Entschieden hat bei weltkirchlichen Fragen am Ende immer der Papst. Die Bischöfe beraten, der Papst entscheidet. Allen Zuhören und Teilnahme aller, das ist ein Element, das in die kleine Einheit gehört. Das gehört in ein Kloster, eine Ordensgemeinschaft oder vielleicht in eine Pfarrei. Schon auf der Ebene einer Diözese wäre das eine Überforderung, die schief gehen muss. Im Hinblick auf den deutschen Synodalen Weg ist es sogar eine dreiste Lüge, denn wer nicht mit dem Mainstream der Funktionäre konform ging, wurde ausgebuht, gemobbt und vertrieben. Würde der Papst erklären, dass der deutsche Synodale Weg in seiner Gesamtheit eine Sünde gegen die Synodalität wäre, könnte man dem sogar zustimmen.

Dennoch bleibt bei der Frage der Synodalität der fade Nachgeschmack, es könne sich bei der Synodalität am Ende um einen Synodalismus handeln, der nichts als ein zeitgenössischer Aufguss des bekannten Konziliarismus ist. Halten wir daran fest, dass die Kirche mit vier Attributen – einig, heilig, katholisch und apostolisch – hinreichend umschrieben ist, dann gehen wir nicht fehl. Vermutlich ist das im Sinne der Verfasser des Neosündenkataloges sowohl eine Synde gegen die Sünodalität als auch ein Doktrinalstein, der geworfen wurde. Solange es aber keine in eine gesunde Moraltheologie eingeordnete Beschreibung dieser neu erfundenen Sünden gibt, muss man diese weder beichten noch sonst in irgendeiner bereuen, es sei denn, man erkennt in seiner Handlung tatsächlich einen Verstoß gegen ein Gebot Gottes oder eine Sittenlehre der Kirche. In der Wahrheit bleiben sollte man schon.

Bild oben: Seine Sünden regelmäßig zu bekennen dürfte kein Fehler sein. Die Sünden, die aber auf den jüngsten Sündenkatalog des Vatikans stehen sind sehr fragwürdig. Foto: Pixabay


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