„Der so Hoffende entscheidet sich bewusst, Gott zu vertrauen“

25. September 2024 in Spirituelles


Berliner Erzbischof Koch bei DBK: „Es bleibt dabei: Die alles entscheidende Frage im Leben des Menschen und im Leben der menschlichen Gemeinschaft ist die Frage nach Gott.“


Fulda (kath.net/DBK) kath.net dokumentiert die Predigt von Erzbischof Dr. Heiner Koch (Berlin), bei der Eucharistiefeier zur Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am 25. September 204 in Fulda:

Es vergeht wohl kaum ein Tag, an dem die meisten Menschen das Wort „hoffentlich“ nicht aussprechen, denken oder empfinden: „Hoffentlich fährt der Zug, hoffentlich schaffe ich die Verabredung, hoffentlich gelingt mir dieses Vorhaben, hoffentlich ist das Wetter gut.“

Oft sind es schwere, das ganze Leben prägende Hoffnungen, die wir in unseren Herzen tragen oder ins Wort bringen: „Hoffentlich verläuft die Operation gut, hoffentlich ist diese Krankheit nicht lebensbedrohend, hoffentlich finde ich einen beruflich guten Platz, hoffentlich findet dieses Gesetz keine Mehrheit, hoffentlich finden wir in unserer Gesellschaft Versöhnung (...).“

In dem Wort „hoffentlich“ klingt nicht selten die Sorge, ja oft die Angst mit, dass das Erhoffte nicht Wirklichkeit wird, dass sich unsere Hoffnung zerschlägt und wir zumindest in diesem Punkt nicht auf dem Weg in eine erhoffte Zukunft sind. Dann raten die einen uns, uns mehr anzustrengen, um das Erhoffte zu erreichen, zu schaffen, zu bewerkstelligen. Andere wollen uns schulen in einer irgendwie doch positiven Sicht der Dinge, der Entwicklungen oder Ereignisse, die unsere Hoffnungen platzen lassen oder sie als Illusion oder Utopie erweisen.

Wie oft aber sagen wir sogar „hoffentlich“ und sind dabei überzeugt, dass diese Hoffnungen nie erfüllt werden. So hoffen wir, dass der Krieg in der Ukraine oder in Israel und Palästina schnell ein Ende findet und glauben doch immer weniger daran und wagen es schon gar nicht mehr zu hoffen, dass in diesen und so vielen anderen Kriegsgebieten sogar der Friede sich ausbreitet.

Enttäuschte Hoffnung, verlorenes Vertrauen darauf, dass es eine gute Zukunft gibt: Wie sehr sind viele Menschen mit ihrer Angst vor der Zukunft von dieser Haltung geprägt, wieviel Unsicherheit ist darin begründet. Auch das Leben des Patrons des heutigen Tages, des hl. Niklaus von Flüe, war in manchen seiner Lebensphasen von Niedergeschlagenheit, Unsicherheit und Zukunftsangst geprägt. So litt er etwa an der Bestechlichkeit und Geldgier der anderen Richter und der Mitmenschen in seiner Umgebung, gesundheitliche Anfälle plagten ihn und er war oft stundenlang nicht ansprechbar. Das Ringen um sein Leben und das seiner Familie und seiner Frau, die er um Entlassung bat, die aber zunächst entsetzt ablehnte, wurde zur Last für ihn. Manche Jahre in seinem Leben waren von Depressionen und Zweifeln geprägt. Sie waren aber auch eine Zeit, in der die Überzeugung in ihm wuchs, dass es eine Hoffnung auf Gott und seine Nähe gibt, die nicht durch menschlichen Optimismus und leichte Heiterkeit oder größere Anstrengungen und schnelle Lösungen erfüllt werden könne. Gerade in der für ihn schweren Zeit oftmaliger Niedergeschlagenheit lernte er, auf Gott und seine Verheißungen zu setzen, ohne dass sich dadurch alle Probleme umgehend in Luft auflösen würden, alle Wolken über seinem Leben weggeschoben und alle Zukunftsfragen geklärt würden.

Solche Lebenshoffnung ging auch bei ihm weit über das Verfügbare, das Plan- und Produzierbare hinaus. Solche Hoffnung ist Gnade, weil die Zukunft, auf die sie hofft, gute Gabe Gottes ist. Den Zugang zu ihr öffnet das menschliche Vertrauen, nicht das menschliche Wissen und Handeln. Die alles erfüllende, bergende, Sinn und Lebenserfüllung schenkende Hoffnung ist kein Ergebnis unseres Handelns, sie ist Erlösung und Befreiung.

Solche Hoffnung ist wesentlich Vertrauen, dass alles Leben sinnvoll ist, selbst wenn ich es im Moment nicht als solches wahrnehme. Sie ist von dem unerschütterlichen Glauben erfüllt, dass es in Gott einen Sinn gibt und eine erfüllte und erfüllende Zukunft uns von ihm geschenkt wird. Dies ist die Hoffnung Abrahams, die Paulus im Römerbrief in der Übersetzung Martin Luthers so beschreibt: „Abraham hat geglaubt auf Hoffnung, wo nichts zu hoffen war“ (Röm 4,18 in der Übersetzung der zweiten kirchenamtlichen Revision der Lutherbibel von 1912). Solche Hoffnung ist letztlich ein Sich-Verstehen und Vertrauen auf Gott und seine unermessliche Größe und Weite hin. Der so Hoffende entscheidet sich bewusst, Gott zu vertrauen und sich und seine Zukunft ihm zuversichtlich anzuvertrauen, auch in aller Unsicherheit und in allem Zweifel und aller manchmal gegebenen Hoffnungslosigkeit.

Der frühere Kämpfer für die Menschenrechte gegen den Kommunismus und spätere Präsident der Tschechoslowakei, Václav Havel, umschrieb dies so: „Hoffnung ist eine Dimension unserer Seele und in ihrem Wesen nicht abhängig von irgendwelchem Beobachten der Welt oder Abschätzen von Situationen. Hoffnung ist keine Prognostik. Sie ist Orientierung des Geistes, Orientierung des Herzens, die die unmittelbar gelebte Welt übersteigt und irgendwo in der Ferne verankert ist, hinter ihren Grenzen. Ihre tiefen Wurzeln spüre ich also transzendent. Je ungünstiger die Situation ist, in der wir unsere Hoffnung bewähren, desto tiefer ist diese Hoffnung. Hoffnung ist eben nicht Optimismus. Es ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat. Diese Hoffnung vor allen Dingen ist es, die uns die Kraft gibt zu leben und es immer aufs Neue zu versuchen, seien die Bedingungen äußerlich auch so hoffnungslos“ (Václav Havel, Fernverhör, Reinbek bei Hamburg 1990).

Als Christen glauben wir an den guten Gott, der unser Leben und unsere Geschichte und die Zukunft der Welt und die unseres Lebens in seinen guten Händen hält. Glauben wir wirklich voller Hoffnung an Gott, der den Himmel aufgerissen hat und uns eine heile, sinnvolle und erfüllende Zukunft schenkt, die uns miteinander leben lässt und unser Leben zur Entfaltung führt? „Unsere Heimat ist im Himmel!“ (Phil 3,20) heißt es im Philipperbrief. Die Strahlkraft dieser Verheißung leuchtet kontrastreich zu allen Dunkelheiten dieser Welt oft umso mehr auf, je tiefer die Hoffnungslosigkeit und das Dunkel in und um uns herrschen. Es ist die Hoffnung auf den Gott, der „denen, die Gott lieben, alles zum Guten gereicht“ (Röm 8,28). Es ist die Hoffnung auf Gott, der alles, auch unsere unerfüllten Hoffnungen, in die Erfüllung führen wird und alles Leben, auch unsere heute unerfüllten Hoffnungen, in eine große Sinnfülle münden lässt. Auch das Scheitern hier auf Erden, unser Enttäuscht-Werden, ist geborgen in diesem großen Sinn und in den uns gegebenen Verheißungen Gottes.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der die meisten Menschen an solch eine von Gott eröffnete und geschenkte Zukunft nicht glauben und auf Gott nicht ihre Hoffnung setzen. Alles Hoffen zerfällt nach ihrer Welt- und Lebensanschauung spätestens im Tod zu Staub. Alle weiter reichende Hoffnung über den Tod hinaus auf einen alle und alles tragenden Sinn und eine alle und alles umfassende Sinnerfüllung ist in diesem Verständnis des Lebens eine trügerische Illusion. Der früher als Dramaturg im Deutschen Theater Berlin wirkende Professor John von Düffel schreibt in seinem Stundenbuch Das Wenige und das Wesentliche (Köln 2023, 3. Auflage): „Das Sinnbedürfnis des Einzelnen ist geblieben als Orientierungs- und Richtungslosigkeit“ (S. 121) und: „Auf den Abend folgt die Nacht, die völlige Dunkelheit“ (S. 199). So sein Fazit hinsichtlich der Hoffnung auf eine heilende, Erlösung schenkende Zukunft.

Damit zeigt es sich, dass es im menschlichen Hoffen auf eine alles umfassende, sinnvolle und lebenserfüllte Zukunft letztlich um die Frage nach Gott geht. Man kann es wenden, wie man will. Es bleibt dabei: Die alles entscheidende Frage im Leben des Menschen und im Leben der menschlichen Gemeinschaft ist die Frage nach Gott: Gibt es einen Gott oder gibt es ihn nicht? Und wenn es Gott gibt: Wer ist Gott? Ist er der, auf den wir unsere Hoffnungen ausrichten und von dem wir ihre Verwirklichung erwarten können? An der Beantwortung dieser Frage entscheidet sich alles, vor allem die Frage nach der Erfüllung unserer Lebenshoffnungen: Gibt es ein Leben nach dem Tod oder gibt es kein erfülltes, frohes und entfaltetes Leben miteinander nach dem Tod? Und damit: Gibt es einen Grund zur Hoffnung, die Mut macht, einerseits auf Erden ein oft auch unerfülltes Leben zu ertragen, und andererseits ein Leben aus der Hoffnung auf eine gute Zukunft kreativ und einsatzfreudig für das Leben aller Menschen zu führen von ihrer Empfängnis bis zu ihrem Tod, gerade auch für die, die auf der Schattenseite des Lebens stehen als Behinderte, als Flüchtlinge, als Vereinsamte oder als schuldig Gewordene?

Angesichts dieser Grundentscheidung des menschlichen Lebens und angesichts des von vielen unserer Zeitgenossen nicht gegebenen Vertrauens auf eine von Gott erfüllte, uns geschenkte Zukunft, ist es gerade in unserer heutigen gesellschaftlichen Umgebung die uns von Gott anvertraute Aufgabe, Zeichen der Hoffnung zu sein, Zeichen der Hoffnung zu setzen und unseren Weg hoffnungsvoll als Einzelne und als Kirche in dieser Gesellschaft zu gehen im Vertrauen auf den alles Leben erfüllenden Gott. Solches Hoffen sind wir als Christen Gott und den Menschen schuldig. Wer sollte diese Hoffnung zumindest andeuten, wenn nicht wir Christen? Alles andere mögen Menschen anderer Weltanschauungen und Lebensorientierungen vertreten und bezeugen können. Aber diese Hoffnung auf eine alles und alle bergende und ermöglichende Zukunft ist uns Christen anvertraut. Diese Hoffnung scheint mir heute von uns Christen um aller Menschen und um Gottes willen so sehr verlangt und von Gott so sehr erhofft zu sein wie keine andere Tugend.

Diese Hoffnung ist der Kern unseres Glaubens, den wir bei jeder Eucharistiefeier bekennen: Deinen Tod, o Herr, verkünden wir und deine Auferstehung preisen wir, deine Liebe bezeugen wir voller Hoffnung, bis du kommst in Herrlichkeit, bis du alle Hoffnungslosigkeit überführst in die erfüllte Zukunft, die du selber bist. Eine Kirche, die gerade heute in unserer gegenwärtigen kirchlichen Situation wahrlich nicht auf die eigene Leistungsfähigkeit und Stärke bauen kann, lernt heute vielleicht wieder viel tiefer und ehrlicher, ihre Hoffnung auf Christus zu setzen. Vielleicht ist das einer der Sinne für unsere gegenwärtige Glaubens- und Kirchenkrise.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der die christliche Hoffnung eine Hoffnung einer Minderheit ist. Deshalb ist es notwendig, dass wir uns und gerade auch die jungen Menschen stärken, stützen und kräftigen in einer die Hoffnung auf Gott tragenden Gemeinschaft. Denn eins steht fest: Alleine als Hoffnungsindividualisten wären wir als Träger der Gotteshoffnung völlig überfordert.

Das galt auch für Bruder Klaus. Seine Frau Dorothea war für ihn eine Brücke zur in seinem Leben neu gefundenen Hoffnung auf Gott. Seine Gespräche und das Ringen mit ihr und ihren Überlegungen führten ihn in die Ruhe der Entscheidung zur Zurückgezogenheit in der Ranft, um dort sein Leben in der Gemeinschaft mit Gott und den Menschen zu leben. Ohne seine Frau Dorothea hätte es keinen Bruder Klaus und keine Glaubenshoffnung in ihm gegeben. Das wäre auch ein Grund für ihre Heiligsprechung.

Archivfoto Erzbischof Koch (c) Erzbistum Berlin


© 2024 www.kath.net