Bischof Genn bei DBK: „Wie froh wären wir, Jesus zu sehen, von Angesicht zu Angesicht“

26. September 2024 in Aktuelles


„Wie wären wir sonst auf den Gedanken gekommen, Priester zu werden… wenn wir uns nicht von dieser Suche hätten anziehen lassen?“ „Jeder von uns, der einmal erfahren hat, dass dieser Gott ein personaler Gott ist… kennt diesen Wunsch: Ihn sehen“


Fulda (kath.net/DBK) kath.net dokumentiert die Predigt von Bischof Dr. Felix Genn (Münster) im Gedächtnisgottesdienst für die verstorbenen Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz zur Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am 26. September 2024 in Fulda in voller Länge – Koh 1,2–11; Lk 9,7–9.

Liebe Mitbrüder, liebe Schwestern und Brüder,
„Und er hatte den Wunsch, ihn zu sehen“ (Lk 9,9). Ist das nicht die Beschreibung einer Wirklichkeit, die wir kennen? Wie froh wären wir, Jesus zu sehen, von Angesicht zu Angesicht. Es ist ein tiefer, innerlicher Wunsch in unserem Herzen: Jesus sehen!

Wir kennen diese Sehnsucht aus dem Gebet der Psalmen. Es ist der Wunsch und die innerste Sehnsucht, vielleicht kann man hier sogar das Wort Berufung nutzen, das die Israeliten in diesen Gebeten ausdrücken. Es ist der Wunsch, Gott zu sehen, sein Antlitz zu schauen. Diese Berufung hängt zuinnerst mit unserer Berufung und Sendung zusammen. Liebe Mitbrüder, wie wären wir sonst auf den Gedanken gekommen, Priester zu werden, in den Dienst der Kirche zu treten, wenn wir uns nicht von dieser Suche hätten anziehen lassen? Liebe Schwestern und Brüder, jeder von uns, der einmal erfahren hat, dass dieser Gott ein personaler Gott ist, einer, der von einem Du mich anspricht, kennt diesen Wunsch: Ihn sehen.

Sind wir dann nicht, in diesem Sinne, Verwandte des Herodes? Oder vielleicht besser, in einer Linie mit vielen, die etwas von diesem Jesus gehört haben?

Denken wir an die Gestalt des Zöllners, der sogar auf einen Maulbeerfeigenbaum klettert, um Jesus zu sehen. Er war zu klein. Auch von ihm heißt es, dass er Jesus sucht, „um zu sehen, wer er sei“ (Lk 19,3). Und dann folgt in dieser Begegnung mit dem Zöllner ein bemerkenswertes Wort. Es wird etwas vom innersten Geheimnis Gottes offenbar: Er, Jesus, sei gekommen „um zu suchen und zu retten, was verloren ist“ (Lk 19,10). Jesus ist ein Menschensucher, nicht allgemein und irgendwie, sondern konkrete Menschen!

Die Erzählung über Herodes ist in die Aussendungserzählung der Jünger eingebettet (Lk 9). Jesus beauftragt die Jünger, überall das Evangelium zu verkünden und zu heilen. Es ist eine Passage zwischen Sendung durch Jesus und Rückkehr zu Ihm. Da sind auf der einen Seite die Jünger, auf der anderen Seite Herodes, der sich fragt, was er von dieser Jesus-Bewegung halten soll (vgl. Lk 9,7). Jesus hat es Herodes angetan. Dreimal ist von ihm die Rede: hier, dann ein paar Kapitel weiter, wenn die Pharisäer Jesus vor ihm warnen.

Er bezeichnet ihn als einen Fuchs, und wie wir das zu verstehen haben, leuchtet unmittelbar ein, weil wir ein solches Bild ebenfalls wählen, um Menschen zu charakterisieren, denen wir nicht trauen, bei denen wir nicht wissen, wo wir wirklich mit ihnen dran sind. Ob sie lauern und irgendwann zubeißen? Jesus hat dem gegenüber nur die Antwort, die seine Sendung beschreibt und diese Sendung als Botschaft dem Herodes übermitteln lässt (vgl. Lk 13,32). Er durchschaut die Absichten des Herodes. Dies wird in der Begegnung angesichts der Verurteilung Jesu vor Pilatus im Lukasevangelium geschildert. Da gelingt es Herodes, Jesus zu sehen, und er offenbart, worum es ihm geht: einmal zu erleben, wie er vor seinen Augen ein Wunder wirkt, als ob er ein Zauberer sei. Jesus hat ihn durchschaut, weil er von seiner Sendung überhaupt nichts versteht, im Gegenteil durch diese Sendung auch unsicher gemacht wird, sodass ihm nur noch der Spott eines Purpurmantels übrigbleibt, den er Jesus umlegt.

Liebe Schwestern und Brüder, das Stichwort Suchen bestimmt auch unsere kirchliche Pastoral und Verkündigung. Wir begegnen vielen Menschen, die auf der Suche sind, und wir sprechen auch davon, dass in den vielen Bewegungen religiöser und esoterischer Art eine große Suche und Sehnsucht des Menschen offenbar wird. Dabei sind wir in unserer Arbeit leicht geneigt, alle möglichen Suchbewegungen dahingehend zu interpretieren, als müssten wir den Menschen sagen, was sie denn eigentlich suchen, nämlich Gottes Angesicht, oder noch konkreter: Jesus.

Haben wir eigentlich das Recht dazu? Und stimmt es überhaupt? Wie breit ist die Sehnsucht des Menschen nach Glück gestreut – wir brauchen nur einen kleinen Blick in die Lesung des heutigen Tages aus dem Prediger Kohelet zu werfen, einem etwas dunklen Buch, das uns eher statt aufzurichten depressiv machen könnte. Aber es ist die Auseinandersetzung eines Gläubigen aus dem Geiste Israels, ob all diese Weisheiten, die im Rahmen der israelitischen Religion verkündet werden, so stimmen? Oder ob doch nicht alles Windhauch ist und kritisch hinterfragt werden muss? Dabei bejaht der Prediger, dass es das Ziel des Menschen ist, glücklich zu werden, und er untersucht die Bedingungen, wie man dorthin finden kann. Aber zu einer Lösung so ganz durchzustoßen, das gelingt ihm, meines Erachtens nur annähernd, selbst wenn der Glaubenshorizont von der Wirklichkeit des Gottes Israels nicht infrage gestellt wird.

Liebe Schwestern und Brüder, Herodes sucht Jesus zu sehen. Zachäus sucht Jesus zu sehen. Wir behaupten, dass auch wir Jesus zu sehen suchen. Tun wir das immer? Bisweilen sind wir schnell geneigt, uns als die zu bezeichnen, die Jesus suchen. Aber müssen wir nicht auch ehrlich zustimmen, dass wir Zeitgenossen unserer Schwestern und Brüder sind, die unterwegs sind in ihrer unbestimmten Suche nach Glück, sich hin- und hertasten, und denen gegenüber wir kein Recht haben, uns zu überheben. Vielleicht kommt uns unser Glaube, unsere vermeintliche Sehnsucht nach Jesus auch vor wie Windhauch.

Die heutige Verkündigung der Lesungen weist uns darauf hin, wie wichtig es ist, in unserem Suchen zu einer Unterscheidung zu finden. Unsere Suche nach Jesus zu reinigen von dem, was wirklich Windhauch ist und nicht trägt, und sich erfüllen zu lassen von dem Windhauch, der von Jesus ausgeht, dem Windhauch seines Geistes, der uns in Demut und Bescheidenheit immer neu in die Begegnung mit ihm hineinführt.

Dann aber darf Er mit Recht erwarten, dass wir uns in seine Sendung eingliedern, die niemals das Sensationelle sucht oder das uns Angenehme, Bequeme. Oder etwas, jemanden, der uns je neu zur Umkehr befähigt und verwandelt. Ja, wenn wir ehrlichen Herzens von der Suche nach Jesus sprechen, dann gehört es auch dazu zu bekennen, dass sie nicht immer die Grundmelodie unseres Lebens ist.

Im 27. Psalm vertraut der Beter seine Not Gott an. In diesem Zusammenhang erinnert er sich daran, dass Gott selber zu ihm gesagt hat: „Suchet mein Angesicht!“ (Ps 27,8). Der Beter stimmt sofort zu und sagt: „Dein Angesicht, Herr, will ich suchen“, und er fügt an: „Verbirg nicht dein Angesicht vor mir“ (Ps 27,8.9). Gründet unsere Sehnsucht, Jesus zu sehen, Gottes Angesicht zu schauen, nicht letztlich in der Sehnsucht Gottes, dass wir uns von ihm anschauen lassen?

Liebe Schwestern und Brüder, so leicht ist es nicht, wenn wir uns mit der Suche nach Jesus beschäftigen. Dafür hält das Leben viel zu viele Auseinandersetzungen, Abwechselungen, Auf-und Abstiege bereit. Wie gut ist es dann, wenn wir uns von zwei durchaus verschiedenen Typen, die sicher nicht Prototypen der Heiligkeit sind, in die Unterscheidung führen lassen, was es heißt, den Wunsch zu haben, Jesus zu sehen.
Amen.

Archivfoto Bischof Genn (c) Bistum Münster


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