27. September 2024 in Spirituelles
Predigt bei DBK-Vollversammlung: „Als Christen dürfen wir nie hinter das Kreuz zurückfallen. Im Gegenteil, wir stehen zum Kreuz und wollen als Brückenmenschen da sein. Dabei müssen wir nicht aus eigenen Kräften handeln.“
Fulda (kath.net/DBK) kath.net dokumentiert die Predigt von Erzbischof Dr. Stefan Heße (Hamburg) in der Schlussvesper zur Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am 26. September 2024 in Fulda in voller Länge:
Liebe Mitbrüder im bischöflichen Dienst,
liebe Schwestern und Brüder!
Brücken haben etwas Faszinierendes, denken Sie nur an die Golden Gate Bridge in San Francisco, die berühmte Brücke von Mostar oder an die Steinerne Brücke in Regensburg.
15 Tage ist es her, dass in Dresden die Carolabrücke mitten in der Nacht zusammenbrach. Immer dann, wenn eine solche Brücke beschädigt wird oder gar zusammenbricht, geht uns das nach. Zerstörte Brücken, abgebrochene Verbindungen zwischen zwei Stadtteilen oder Landstrichen – solche Bilder assoziieren wir intuitiv mit Kriegsbildern, wo die Zerstörung von Brücken als Schutztaktik, dann aber auch als ein gezieltes Schwächen der Infrastruktur geschieht.
Eine eingestürzte Brücke wird so schnell zum Symbol der Fragilität unseres Daseins. Wir merken: Das, was sonst verbindet und zusammenhält, kann jederzeit auseinanderbrechen. Unvorstellbar erschütternd der Gedanke an die Situation jener Menschen, die zur Zeit eines Einsturzes auf der Brücke waren – ganz drastisch etwa in Genua vor einigen Jahren.
Christen sind Brückenmenschen! Unser Erkennungszeichen ist das Kreuz. Das Kreuz ist eine Brücke, ja die Brücke schlechthin. Unsere Vorfahren haben das ausgedrückt in dem alten Passionslied „O du hochheilig Kreuze“, in dem es in einer Strophe über das Kreuz heißt: „Du bist die starke Brücke, darüber alle Frommen wohl durch die Fluten kommen“.
Die beiden Dimensionen des Kreuzes stehen für Verbundenheit und Miteinander. In der vertikalen Dimension sehen wir Christus ausgespannt zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und den Menschen. Am Kreuz wird auf existenzielle Weise deutlich: Er, der Sohn Gottes, lässt sich am Kreuz auf das ganze menschliche Leben, die ganze Armut bis hin zum Tod ein. Er geht an diesen äußersten Punkt und schreckt nicht davor zurück.
Und dann die horizontale Dimension: Jesus breitet am Kreuz die Arme weit aus, nach rechts und nach links, um alle miteinander zu verbinden und zu vereinen. Stellvertretend wird dies deutlich an dem einen Schächer, dem er zusagt: „Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,43). Und nicht zuletzt am römischen Hauptmann, der im sterbenden Christus nicht mehr den unliebsamen Untertanen, sondern einen Gerechten erkennt und Gott preist. Das Kreuz will verbinden, es schafft das große Miteinander unter uns Menschen.
Als Christen dürfen wir nie hinter das Kreuz zurückfallen. Im Gegenteil, wir stehen zum Kreuz und wollen als Brückenmenschen da sein. Dabei müssen wir nicht aus eigenen Kräften handeln. Wenn wir es genau betrachten, brauchen wir diese Brücke nicht zu bauen. Wir dürfen sie nutzen, wir können gleichsam über sie hinübergehen. Das entlastet uns ungemein. Wir sind gefragt, die Brücke mit zu pflegen, zu erhalten und immer wieder selbst zu beschreiten.
Dazu drei kurze Anregungen:
Pflegen wir in unserem persönlichen Glauben das, was wie eine Brücke die Verbindung zwischen Gott und uns Menschen stärkt. Spiritualität, geistliches Leben, oder einfach gesagt, Frömmigkeit besteht nicht darin, etwas zu absolvieren oder zu erfüllen, sondern hat den tiefen Sinn, eine Brücke zu Gott zu beschreiten. Wenn ich bete, in der Heiligen Schrift lese oder einfach still werde und mich Gott aussetze, bin ich längst auf dieser Brücke. Pflegen Sie stetig die Brücke, die Ihre Verbindung zu Gott lebendig hält!
Ein Zweites: Brücken haben es an sich, dass sie unterschiedliche Landschaften, manchmal gar verschiedene Länder verbinden, z. B. die Øresundbrücke zwischen Dänemark und Schweden oder in unserem Partnerbistum die Tancredo Neves Bridge der brasilianischen Stadt Foz do Iguaçu mit der argentinischen Stadt Puerto Iguazú über den Iguaçu-Fluss. Ich erlebe das als Erzbischof von Hamburg durch den hohen Anteil von Katholiken anderer Muttersprache. Über ein Drittel der Katholiken im Norden haben einen Migrationshintergrund und ihr Anteil steigt. Sie sind keine Gäste, erst recht keine Fremden. Der eine Glaube unserer Weltkirche verbindet uns zu einer Familie. Im Heiligen Geist gehören wir alle zu der einen Kirche in einem großen Miteinander.
Viel zu oft liegt in diesen Tagen der Fokus auf den Negativmeldungen, die leider sehr traurige Schlagzeilen schreiben. Doch wie viele positive Beispiele gibt es von zugewanderten Menschen, die sich mit ihrer ganzen Arbeitskraft und ihren Qualifikationen einbringen? Dort wo Integration gelingt, wird spürbar, dass wir zueinander gehören. Und „katholisch gewendet“ wird deutlich: Der eine Glaube unserer Weltkirche verbindet uns zu einer Familie.
Und ein Letztes: Eine Brücke ist nicht nur für mich, sondern für alle. Paulus spricht einerseits von dem pro me = für mich und dann wieder vom pro nobis = für uns. Deswegen dürfen wir nie individuell oder gar individualistisch bleiben, sondern sind eingeladen, immer universell zu denken. In einer Gesellschaft, die momentan eher in extremen Zuspitzungen lebt, brauchen wir immer wieder Brücken, die uns miteinander verbinden. Als Christen setzen wir uns für Einheit und Versöhnung ein, für Integration und Inklusion.
Übertragen auf das Bauwerk unserer Demokratie, bedarf es auch hier immer wieder der Instandsetzungsarbeiten, damit die Konstruktion auch weiterhin trägt. Wer jedoch dilettantische und grobe Ausbesserungen vorschlägt, wie wir es etwa in der aktuellen Asyldebatte sehen, gefährdet die Stabilität. Es bleibt ein Ringen um gute Lösungen, um der Komplexität der Thematik gerecht zu werden. Jesus Christus hat uns das vorgemacht: Er ist selbst zu dieser Brücke geworden und an den Punkt gegangen, wo die Verbindung am empfindlichsten gestört war: Leid, Sünde und Tod.
Vielleicht kann uns zum Abschluss ein letztes Bild Mut machen: Nicht alle Brücken müssen, damit sie tragen und ihren Zweck erfüllen, gemauert sein. Ich denke etwa an eine Hängebrücke: Sie überspannt oft den Abgrund zwischen zwei Stützpunkten. Dann und wann kann man durchblicken und sieht, welcher Abgrund zu überwinden ist. Hin und wieder schwankt sie und es ist ziemlich ungemütlich, sie zu überschreiten. Es gibt sicher Menschen, die es nicht schaffen, eine solche Brücke zu nutzen. Ich wünsche uns dazu die nötige Kraft und den nötigen Mut; unsere Brücke ist Christus und die steht! Wir brauchen sie nur zu überqueren.
Amen.
Erzbischof Heße während der Schlussvesper © DBK/Marko Orlovic
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