Abschluss der 46. Apostolischen Auslandsreise mit Seligsprechung

29. September 2024 in Aktuelles


Franziskus: Offenheit, Gemeinschaft und Zeugnis. Wenn wir für die Zukunft säen wollen, auch auf sozialer und wirtschaftlicher Ebene, dann wird es gut sein, das Evangelium der Barmherzigkeit wieder zur Grundlage unserer Entscheidungen zu machen


Brüssel (kath.net) „Wenn wir für die Zukunft säen wollen, auch auf sozialer und wirtschaftlicher Ebene, dann wird es gut sein, das Evangelium der Barmherzigkeit wieder zur Grundlage unserer Entscheidungen zu machen“. Abschluss der 46. Apostolischen Auslandsreise des Pontifikats zusammen mit rund 40.000 Gläubigen. Nachdem er sich von den Mitarbeitern der Apostolischen Nuntiatur verabschiedet hatte, fuhr Papst Franziskus heute Morgen mit dem Auto zum König-Baudouin-Stadion, um dort die Heilige Messe zu feiern.

Bei seiner Ankunft bewegte sich Franziskus nach dem Umsteigen im Papamobil unter den rund 35.000 anwesenden Gläubigen.

Gegen 10.00 Uhr stand der Papst mit dem Ritus der Seligsprechung der Dienerin Gottes Ana de Jesús (26. Sonntag im Jahreskreis) vor.

„Die Gemeinschaft der Gläubigen ist kein Kreis von Privilegierten, sondern eine Familie Geretteter, und wir sind nicht aufgrund unserer eigenen Verdienste gesandt, das Evangelium in die Welt zu tragen, sondern aufgrund der Gnade Gottes, seiner Barmherzigkeit und seines Vertrauens, dass er in seiner väterlichen Liebe trotz all unserer Grenzen und Sünden weiter in uns hat. Er sieht in uns, was wir selbst nicht sehen können. Deshalb ruft er uns, sendet er uns und begleitet er uns geduldig Tag für Tag.“

„Der Egoismus ist, wie alles, was die Liebe verhindert, ein „Ärgernis“, weil er die Kleinen erdrückt, die Würde der Menschen erniedrigt und den Schrei der Armen erstickt (vgl. Ps 9,13). Das galt zur Zeit des heiligen Paulus genauso wie für uns heute. Wenn man dem Leben der Einzelnen und der Gemeinschaften allein die Prinzipien des Eigennutzes und allein die Gesetzmäßigkeiten des Marktes zugrundelegt (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 54-58), entsteht eine Welt, in der es keinen Platz mehr gibt für die, die in Schwierigkeiten sind, keine Barmherzigkeit für die, die Fehler machen, kein Mitgefühl für die, die leiden und nicht zurechtkommen. Denken wir zum Beispiel an die Situation der vielen Sans Papiers: Sie sind Menschen, Schwestern und Brüder, die wie alle anderen von einer besseren Zukunft für sich und ihre Angehörigen träumen und stattdessen oft ungehört bleiben und zu Opfern von Ausbeutung werden.“

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Heilige Messe im „König-Baudouin“-Stadion (Brüssel), Auszüge aus der Predigt

»Wer einem von diesen Kleinen, die an mich glauben, Ärgernis gibt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer geworfen würde« (Mk 9,42). Mit diesen Worten, die an die Jünger gerichtet sind, warnt Jesus vor der Gefahr des Ärgernisses, also davor, den Weg der „Kleinen“ zu behindern. Es ist eine starke, strenge Mahnung, über die wir nachdenken müssen. Ich möchte dies, auch im Licht der anderen Lesungen, mit euch tun anhand von drei Schlüsselwörtern: Offenheit, Gemeinschaft und Zeugnis.

Am Anfang steht die Offenheit. Die erste Lesung und das Evangelium sprechen davon und führen uns das freie Wirken des Heiligen Geistes vor Augen, der in der Exodus-Erzählung nicht nur die Ältesten, die mit Mose zum Zelt der Begegnung gegangen waren, mit der Gabe der Weissagung erfüllt, sondern auch zwei Männer, die im Lager geblieben waren.

Das gibt zu denken, denn wenn es zunächst ein Ärgernis war, dass sie nicht mit der Gruppe der Auserwählten mitgegangen waren, so ist es nach der Gabe des Geistes ein Ärgernis, ihnen zu verbieten, die Sendung, die sie dennoch empfangen hatten, auszuüben. Das hat Mose als demütiger und weiser Mann richtig verstanden, als er mit offenem Geist und offenem Herzen sagte: »Wenn nur das ganze Volk des Herrn zu Propheten würde, wenn nur der Herr seinen Geist auf sie alle legte« (Num 11,29). Ein wunderbarer Wunsch!

Das sind weise Worte, die bereits auf das hindeuten, was Jesus im Evangelium sagt (vgl. Mk 9,38-43.45.47-48). Hier spielt sich die Szene in Kafarnaum ab, und die Jünger wollen einen Mann daran hindern, im Namen des Meisters Dämonen auszutreiben, weil ̶ so behaupten sie ̶ »er uns nicht nachgfolgt« (Mk 9,38). Sie denken so: „Wer uns nicht nachfolgt, wer nicht ‚einer von uns‘ ist, kann keine Wunder tun, hat kein Recht dazu“. Aber Jesus überrascht sie ̶ wie immer ̶ und weist sie zurecht, indem er sie auffordert, ihre gewohnten Denkmuster zu verlassen und nicht an der Freiheit Gottes „Anstoß“ zu nehmen. Er sagt ihnen: »Hindert ihn nicht […] wer nicht gegen uns ist, der ist für uns« (Mk 9,39-40).

Betrachten wir diese beiden Szenen, die von Mose und die von Jesus, genau, denn sie betreffen auch uns und unser christliches Leben. Wir alle haben nämlich mit der Taufe einen Auftrag in der Kirche erhalten. Aber diese Mission ist ein Geschenk und nicht ein Grund sich zu rühmen. Die Gemeinschaft der Gläubigen ist kein Kreis von Privilegierten, sondern eine Familie Geretteter, und wir sind nicht aufgrund unserer eigenen Verdienste gesandt, das Evangelium in die Welt zu tragen, sondern aufgrund der Gnade Gottes, seiner Barmherzigkeit und seines Vertrauens, dass er in seiner väterlichen Liebe trotz all unserer Grenzen und Sünden weiter in uns hat. Er sieht in uns, was wir selbst nicht sehen können. Deshalb ruft er uns, sendet er uns und begleitet er uns geduldig Tag für Tag.

Wenn wir also mit offener und aufmerksamer Liebe am freien Wirken des Geistes mitwirken wollen, ohne mit unserer Anmaßung und Starrheit Ärgernis zu erregen, ohne ein Hindernis für irgendjemanden zu sein, müssen wir unseren Auftrag mit Demut, Dankbarkeit und Freude erfüllen. Wir dürfen also keinen Groll hegen, sondern müssen uns freuen, dass auch andere das tun können, was wir tun, auf dass das Reich Gottes wachse und wir alle eines Tages in den Armen des Vaters vereint sind.

Und das führt uns zu dem zweiten Wort: Gemeinschaft. Jakobus spricht zu uns davon in der zweiten Lesung (vgl. Jak 5,1-6) mit zwei starken Bildern: der Reichtum, der verfault (vgl. V. 3), und die Klagerufe der Erntearbeiter, die an die Ohren des Herrn dringen (vgl. V. 4). So erinnert er uns daran, dass der einzige Weg des Lebens der des Gebens ist, der Liebe, die im Miteinanderteilen vereint. Der Weg des Egoismus führt – indem er uns an Dinge kettet und uns von Gott und unseren Brüdern und Schwestern entfernt – nur zu Verschlossenheit, Mauern und Hindernissen ̶ zu „Ärgernissen“ also.

Der Egoismus ist, wie alles, was die Liebe verhindert, ein „Ärgernis“, weil er die Kleinen erdrückt, die Würde der Menschen erniedrigt und den Schrei der Armen erstickt (vgl. Ps 9,13). Das galt zur Zeit des heiligen Paulus genauso wie für uns heute. Wenn man dem Leben der Einzelnen und der Gemeinschaften allein die Prinzipien des Eigennutzes und allein die Gesetzmäßigkeiten des Marktes zugrundelegt (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 54-58), entsteht eine Welt, in der es keinen Platz mehr gibt für die, die in Schwierigkeiten sind, keine Barmherzigkeit für die, die Fehler machen, kein Mitgefühl für die, die leiden und nicht zurechtkommen. (In freier Rede: Appell gegen jede Form des Missbrauchs. Das Böse dürfe nicht verborgen oder vertuscht werden. Ein Missbraucher, wer es auch sei, müsse gerichtet werden).

Das Wort Gottes ist eindeutig: Es sagt, dass man die „Klagerufe der Erntearbeiter“ und den „Schrei der Armen“ nicht ignorieren darf, nicht auslöschen kann, als wären sie ein falscher Ton im perfekten Konzert der Welt des Wohlstands. Auch können sie nicht gedämpft werden durch Formen einer oberflächlichen Scheinwohltätigkeit. Im Gegenteil, sie sind die lebendige Stimme des Geistes, sie erinnern uns daran, wer wir sind ̶ wir sind alle arme Sünder ̶ und rufen uns zur Umkehr auf. Behindern wir nicht ihr prophetisches Rufen, indem wir sie durch unsere Gleichgültigkeit zum Schweigen bringen. Hören wir auf das, was Jesus im Evangelium sagt: Weg mit dem Auge, das Ärgernis gibt, da es den Elenden sieht und sich abwendet! Weg mit der Hand, die Anstoß erregt, da sie sich zur Faust ballt, um ihre Schätze zu verbergen, und sich gierig zu ihren Taschen bewegt! Weg mit dem Fuß, der Anstoß erregt, da er schnell läuft, aber nicht auf die Leidenden zu, um ihnen nahe zu sein, sondern um an ihnen vorbeizugehen und Abstand zu halten! All das muss weg: weit weg von uns! Denn nichts Gutes und Festes kann so entstehen! (…)

Wenn wir für die Zukunft säen wollen, auch auf sozialer und wirtschaftlicher Ebene, dann wird es gut sein, das Evangelium der Barmherzigkeit wieder zur Grundlage unserer Entscheidungen zu machen. (…) Andernfalls werden die Monumente unseres Überflusses, so imposant sie auch erscheinen mögen, immer Kolosse auf tönernen Füßen sein (vgl. Dan 2,31-45). Machen wir uns nichts vor: Ohne Liebe hat nichts Bestand, löst sich alles auf und zerfällt; werden wir zu Gefangenen eines flüchtigen, leeren und sinnlosen Lebens, einer haltlosen Welt, die jenseits der äußeren Fassade jede Glaubwürdigkeit verloren hat, weil sie bei den Kleinen Anstoß erregt hat.

(Und damit kommen wir zum dritten Wort: Zeugnis. Diesbezüglich können wir uns am Leben und Wirken der Anna von Jesus, Anne de Lobera, am Tag ihrer Seligsprechung orientieren. Diese Frau war in der Kirche ihrer Zeit eine der Protagonistinnen einer großen Reformbewegung, die in die Fußstapfen einer „Gigantin des Geistes“ - Teresa von Avila - trat, deren Ideale sie in ganz Spanien, Frankreich und sogar hier in Brüssel und in den so genannten Spanischen Niederlanden verbreitete.

In einer Zeit, die von schmerzhaften Skandalen innerhalb und außerhalb der christlichen Gemeinschaft geprägt war, konnten sie und ihre Gefährten mit ihrem einfachen und armen Leben des Gebets, der Arbeit und der Nächstenliebe so viele Menschen zum Glauben zurückbringen, dass jemand ihre Gründung in dieser Stadt als einen „geistigen Magneten“ bezeichnete.

Aus freien Stücken hinterließ sie keine Schriften. Stattdessen verpflichtete sie sich, das, was sie gelernt hatte, in die Praxis umzusetzen (vgl. 1 Kor 15,3), und trug durch ihren Lebenswandel dazu bei, die Kirche in einer Zeit großer Schwierigkeiten zu erheben.

Nehmen wir also dankbar das Modell der „weiblichen Heiligkeit“ auf, das sie uns hinterlassen hat (vgl. Apostolisches Schreiben Gaudete et Exsultate, 12), das zart und stark ist, aus Offenheit, Gemeinschaft und Zeugnis besteht. Empfehlen wir sie dem Gebet, ahmen wir ihre Tugenden nach und erneuern wir mit ihr unsere Verpflichtung, gemeinsam in den Fußstapfen des Herrn zu gehen.)

 


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