Gedenken an Judendeportationen in Rom - Meier: Ein Christ muss aktiv gegen Antisemitismus eintreten

16. Oktober 2024 in Chronik


Bischof Meier/DBK: „Nach dem 7. Oktober und dem Beginn des Krieges in Gaza ist der interreligiöse Dialog an vielen Orten verstummt und sind Freundschaften zerbrochen. Viele Juden fragen sich heute, ob sie wieder zu Fremden geworden sind.“


Berlin (kath.net/DBK) „Der Nationalsozialismus war eine antichristliche Ideologie und die Motive derer, die die Ermordung der europäischen Juden geplant und durchgeführt haben, widersprachen völlig allen christlichen Überzeugungen. Trotzdem dürfen wir nicht vergessen, dass die Shoah in Europa stattfand, in einer Kultur, die zutiefst vom Christentum geprägt ist. Alle, die an der Verhaftung, Deportation und Ermordung der Juden beteiligt waren, hatten die Zehn Gebote gelernt. Sie alle kannten das Gebot ‚Du sollst nicht töten!‘. Die Shoah bleibt ein schmerzhafter Stachel im Fleisch der Christenheit.“ Diese Auffassung hat heute (15. Oktober 2024) in Rom der Vorsitzende der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Bertram Meier (Augsburg), vertreten. Er sprach beim Gedenken der Initiative „Ricordiamo Insieme“ an die Judendeportationen in Rom 1943, das heute auf dem Peterplatz stattgefunden hat. Die Razzia der Nationalsozialisten in Rom war am 16. Oktober 1943 zu Beginn des jüdischen Laubhüttenfestes. Mehr als 1.250 Jüdinnen und Juden, vor allem Frauen, Kinder und alte Menschen, wurden aus ihren Wohnungen gezerrt, verhaftet und zum größten Teil nach Auschwitz-Birkenau transportiert.

„Die Erinnerung an die Razzia des 16. Oktober erfüllt mich als deutschen Bischof mit Scham. Denn es waren Deutsche, die die Razzia geplant und durchgeführt haben. Es waren Deutsche, die jüdische Menschen verfolgt und verhaftet haben, in klarem Bewusstsein, dass sie ermordet werden, und diese Razzia fand hier in Rom, im Herzen der katholischen Kirche, statt“, so Bischof Meier. Auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil habe die Kirche ihr Verhältnis zum Judentum in der Erklärung Nostra aetate grundlegend reformiert. Das bedeute heute, dass ein Christ aktiv gegen Antisemitismus eintreten müsse. Bischof Meier beklagte in seinem Grußwort, dass der Terrorangriff der Hamas und der Anstieg des Antisemitismus die jüdischen Gemeinden in Europa zutiefst verunsichere: „Nach dem 7. Oktober und dem Beginn des Krieges in Gaza ist der interreligiöse Dialog an vielen Orten verstummt und sind Freundschaften zerbrochen. Viele Juden fragen sich heute, ob sie wieder zu Fremden geworden sind.“ Deshalb bleibe der 7. Oktober auch eine Herausforderung für die Christen, so Bischof Meier. „Es ist unsere Pflicht, dem Antisemitismus im Alltag zu widersprechen, und es ist unsere Pflicht, Jüdinnen und Juden beizustehen, wenn sie angegriffen werden. Es bleibt unsere Aufgabe, den christlich-jüdischen Dialog und die Freundschaften, die zwischen Juden und Christen entstanden sind, weiter zu pflegen.“

Bischof Meier sprach auf dem Petersplatz bei der Gedenkveranstaltung der Vereinigung „Ricordiamo Insieme“. Sie ist eine Gründung von drei jüdischen Römerinnen, Grazia, Rivka und Sara Spizzichino, deren Großtante Settimia Spizzichino die einzige Frau war, die die Deportation am 16. Oktober 1943 überlebt hat, und dem deutschen Ehepaar Friederike und Tobias Wallbrecher. Seit 2012 erinnert „Ricordiamo Insieme“ mit verschiedenen Gedenkmomenten an die Shoah und an christlichen Antijudaismus. Der Gedenkveranstaltung auf dem Petersplatz schloss sich ein Fußweg zum ehemaligen Collegio militare an, wo die meisten Juden damals vor ihrer Deportation inhaftiert wurden.


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