Pfarreien in Estland „konzentrieren sich auf das, was in unserem katholischen Glauben wichtig ist“

22. Oktober 2024 in Interview


Bonifatius-Generalsekretär Georg Austen: „Das ist vielleicht eine Form der Glaubenspraxis, von der wir uns in unserem Alltag bei aller Unterschiedlichkeit inspirieren lassen können.“ kath.net-Interview über Katholiken in Estland. Von Petra Lorleberg


Paderborn (kath.net/pl) „Als Bonifatiuswerk sind wir häufig in Estland und haben sehr gute Beziehungen dorthin. … Der Austausch geht aber in beide Richtungen, denn wir haben auch immer wieder Besuch der Katholiken aus Estland und auch aus Lettland hier in Deutschland. So können sich die Beziehungen gegenseitig intensivieren und bereichern, denn es ist für uns als Bonifatiuswerk wichtig, dass wir nicht nur über Papier und Anträge verbunden sind. Unsere Besuche und der enge Kontakt führen dazu, dass wir wissen, wo wir unterstützen und handeln können. Es ist uns ebenso wichtig, was wir in aller Unterschiedlichkeit als Weltkirche voneinander und miteinander lernen können.“ Das stellt der Generalsekretär des „Bonifatiuswerks der Deutschen Katholiken“, Msgr. Georg Austen, im Interview mit KATH.NET fest. Das Interview hatte zum Anlass die Nachricht, dass die bisherige Apostolische Administration Estland von Papst Franziskus jüngst zur Diözese Tallinn/Estland erhoben worden ist, für die Katholiken in Estland ein historischer Moment.

Msgr. Austen ist seit 2008 Generalsekretär und Hauptgeschäftsführer des Bonifatiuswerkes der deutschen Katholiken sowie Geschäftsführer des Diaspora-Kommissariates der deutschen Bischöfe/Diasporahilfe der Priester. 2023 wurde er durch Papst Franziskus als Konsultor (Berater) in das neugegründete Dikasterium für die Evangelisierung in der römischen Kurie, wo er in der Abteilung für Grundfragen der Evangelisierung in der Welt tätig ist. Austen war als Sekretär des XX. Weltjugendtages der Deutschen Bischofskonferenz in Köln von 2002 bis Juli 2006 maßgeblich an der Vorbereitung des katholischen Großereignisses im Jahr 2005 beteiligt. Er verantwortete die pastorale Vor- und Nachbereitung des Weltjugendtages, die Tage der Begegnung mit dem Tag des sozialen Engagements in allen deutschen (Erz-)Bistümern, das Kultur- und Jugendfestival beim Weltjugendtag in Köln sowie den Pilgerweg des Weltjugendtagskreuzes durch Europa und Deutschland.

kath.net: Msgr. Austen, Sie wussten vermutlich um den Wunsch der estnischen Katholiken, dass die Apostolische Administratur Estland zum eigenständigen Bistum erhoben werden möge. Kam diese Nachricht dann dennoch überraschend?

Msgr. Georg Austen: Natürlich wusste ich von Bischof Jourdan, dass dieser Wunsch schon lange gehegt wurde. Dass die aktuelle Nachricht jetzt kurz vor dem hundertjährigen Administratur-Jubiläum gekommen ist, war auch für mich überraschend. Ich habe sie aber mit großer Freude aufgenommen. Für die Glaubensbrüder und -schwestern in Estland ist die Erhebung der Apostolischen Prälatur zu einem eigenständigen Bistum eine sehr positive Entwicklung und ein Zeichen der Stärkung einer Diasporakirche.

kath.net: Kann man sagen, dass Sie häufig in Estland sind und die Kirche und die Katholiken dort sehr gut kennen?

Msgr. Austen: Als Bonifatiuswerk sind wir häufig in Estland und haben sehr gute Beziehungen dorthin. Vor zwei Jahren gab es eine Pressereise des Bonifatiuswerkes nach Estland sowie Lettland. Erst vergangenes Jahr war ich selbst dort, und jüngst im August haben wir eine Priesterreise nach Tallinn und Finnland organisiert.

Der Austausch geht aber in beide Richtungen, denn wir haben auch immer wieder Besuch der Katholiken aus Estland und auch aus Lettland hier in Deutschland. So können sich die Beziehungen gegenseitig intensivieren und bereichern, denn es ist für uns als Bonifatiuswerk wichtig, dass wir nicht nur über Papier und Anträge verbunden sind. Unsere Besuche und der enge Kontakt führen dazu, dass wir wissen, wo wir unterstützen und handeln können. Es ist uns ebenso wichtig, was wir in aller Unterschiedlichkeit als Weltkirche voneinander und miteinander lernen können.

kath.net: Die katholische Kirche in Estland ist eine der wenigen katholischen Kirchen in Europa, die eine positive Wachstumskurve vorzuweisen haben. Das kann man nicht ausschließlich damit erklären, dass der Katholizismus unter dem Sowjetregime so unterdrückt worden ist. Woran machen Sie die – in Zahlen messbare – Ausstrahlung der estnischen katholischen Kirche fest?

Msgr. Austen: Mit einem Anteil von unter einem Prozent an der Bevölkerung sind die Katholikinnen und Katholiken natürlich in einer extremen Minderheitensituation, aber diese Menschen haben Zuversicht und Ausstrahlungskraft. Das liegt sicherlich auch an den guten Projekten, die es in Estland gibt. Zum Beispiel gibt es zwei katholische Schulen, eine in Tallinn und eine in Tartu, die in der Bildungs-, Beziehungs- und Glaubensarbeit viel zum Wachstum der katholischen Kirche beitragen. Dass die Gemeinden wachsen und die Menschen sich, weiterhin als Minderheit unter immer noch sehr schwierigen Umständen, von der katholischen Kirche angesprochen fühlen, ist eine erfreuliche Entwicklung. Estland ist, ebenso wie die nordischen Länder, ein sehr stark säkularisiertes Land. Vor Ort ist es sicher nicht immer einfach, das Bewusstsein und das Verständnis für die katholische Kirche zu stärken. Trotzdem kommen mehr junge Menschen zur katholischen Kirche in Estland und beteiligen sich am Gemeindeleben. Es gibt für uns als Bonifatiuswerk also einige Gründe, warum es nun ein Bistum in Estland gibt.  

kath.net: Gibt es dabei auch für uns deutschsprachige Katholiken Ideen, von denen Sie denken: Davon könnten wir uns gern anstecken lassen?

Msgr. Austen: Für mich ist es immer wieder das Glaubenszeugnis der dort lebenden Menschen, das mich ansteckt und beeindruckt. Die Form und die Glaubenspraxis sind sehr häufig unterschiedlich zu dem, was wir aus Deutschland kennen. Ich habe in Estland einen starken Liturgiebezug und eine intensive Glaubensbildung erlebt. Die Gemeinden versuchen, auch als kleine Glaubensgemeinschaft in einem säkularen Umfeld authentisch und auskunftsfähig über die Inhalte des Glaubens zu sein. Sie konzentrieren sich auf das, was in unserem katholischen Glauben wichtig ist. Das ist vielleicht eine Form der Glaubenspraxis, von der wir uns in unserem Alltag bei aller Unterschiedlichkeit inspirieren lassen können.

kath.net: Sie kennen Bischof Jourdan, der nun Gründungsbischof des Bistums Tallinn ist, ja sehr gut. Haben Sie ihm gratuliert?

Msgr. Austen: Natürlich sofort! Wir haben uns sehr über die Nachricht gefreut und sowohl per Brief als auch persönlich gratuliert. Bei den Feierlichkeiten zur Gründung der Administratur vor 100 Jahren werden wir auch vom Bonifatiuswerk in Estland vertreten sein.

kath.net: Welche Chancen sehen Sie in diesen aktuellen Entwicklungen für die Kirche in Estland?

Msgr. Austen: Ich sehe die Chance einer Stabilisierung und auch die einer Intensivierung des Bewusstseins für die katholische Kirche in Estland. Mit der Ernennung zum Bistum sind die Anerkennung und die Wertschätzung für die zahlenmäßig kleine Kirche ausgedrückt worden. Die Diasporakirche wird nun im Kontext der Weltkirche sichtbarer.

Archivfoto: Msgr. Austen vor dem Paderborner Dom (c) Bonifatiuswerk/Wilfried Hiegemann

Links zu thematisch weiterführenden kath.net-Beiträgen:

- Estnische Bistumssprecherin Dr. Marge-Marie Paas im kath.net-Interview: „Das ist pure Freude! Das ist in der Tat ein historischer Moment!“ - „Ich hoffe, dass es jetzt viele neue Möglichkeiten für uns geben wird… Ich bin persönlich bereit, zu dieser Arbeit beizutragen“

- Neues Leben auf den Ruinen der Geschichte – Die katholische Kirche in Lettland und Estland: Die Kirche im Baltikum ist klein, jung und äußerst lebendig – Eindrücke aus einer Pressereise mit dem „Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken“.

- Msgr. Georg Austen/Bonifatiuswerk im kath.net-Interview nach Berufung als Konsultor ins Dikasterium für Evangelisierung: „Es ermutigt zu wissen, dass ‚Neuevangelisierung‘ Papst Franziskus ein wichtiges Anliegen ist“ - „Ich war sehr überrascht, als ich den Brief mit der Nachricht aus Rom bekam – damit rechnet man ja nicht.“


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