1. November 2024 in Spirituelles
Gedanken zum Fest Allerheiligen von Benedikt XVI.
Rom (kath.net)
Es erfüllt uns mit besonderer Freude, einander am Hochfest Allerheiligen zu begegnen. Dieses Fest läßt uns über den zweifachen Horizont der Menschheit nachdenken, den wir symbolisch mit den Worten »Erde« und »Himmel« zum Ausdruck bringen: die Erde versinnbildlicht den Weg durch die Geschichte, der Himmel die Ewigkeit, die Fülle des Lebens in Gott. Und so läßt uns dieses Fest an die Kirche in ihrer zweifachen Dimension denken: an die Kirche, die in der Zeit unterwegs ist, und an jene, die das Fest ohne Ende feiert, das himmlische Jerusalem. Diese beiden Dimensionen sind durch die Wirklichkeit der »Gemeinschaft der Heiligen« vereint: eine Wirklichkeit, die hier unten auf Erden ihren Anfang nimmt und zu ihrer Erfüllung im Himmel gelangt.
In der irdischen Welt ist die Kirche der Anfang dieses Geheimnisses der Gemeinschaft, das die Menschheit eint, ein Geheimnis, in dessen Mittelpunkt Christus steht: er ist es, der in das Menschengeschlecht diese neue Dynamik eingebracht hat, eine Bewegung, die sie zu Gott führt und gleichzeitig hin zur Einheit, zum Frieden im tiefen Sinne. Jesus Christus – so sagt das Evangelium des Johannes (11,52) – ist gestorben, »um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln«, und dieses sein Werk setzt sich in der Kirche fort, die untrennbar die »eine«, »heilige« und »katholische« Kirche ist. Christ zu sein, zur Kirche zu gehören, bedeutet, sich dieser Gemeinschaft zu öffnen, wie ein Samenkorn, das sterbend im Erdboden aufgeht und zur Höhe aufkeimt, zum Himmel hin.
Die Heiligen – jene, die die Kirche zu solchen erklärt, aber auch alle heiligen Männer und Frauen, die allein Gott kennt und die wir heute auch feiern – haben diese Dynamik intensiv gelebt. In einem jeden von ihnen ist Christus auf sehr persönliche Weise gegenwärtig geworden, kraft seines Geistes, der durch das Wort und die Sakramente wirkt. Mit Christus in der Kirche vereint zu sein hebt nämlich die Persönlichkeit nicht auf, sondern öffnet sie, verwandelt sie mit der Kraft der Liebe und verleiht ihr bereits hier auf Erden eine ewige Dimension. Im Grunde bedeutet dies, an Wesen und Gestalt des Sohnes Gottes teilzuhaben (vgl. Röm 8,29) und so den Plan Gottes zu verwirklichen, der den Menschen nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen hat.
Doch dieses Eingefügtsein in Christus öffnet uns – wie ich bereits gesagt hatte – auch für die Gemeinschaft mit allen anderen Gliedern seines mystischen Leibes, der die Kirche ist, eine Gemeinschaft, die vollkommen ist im »Himmel«, wo es keine Einsamkeit, keine Konkurrenz oder Spaltung gibt. Mit dem heutigen Fest bekommen wir einen Vorgeschmack auf die Schönheit dieses Lebens der völligen Offenheit für den Blick der Liebe Gottes und der Brüder, in dem wir gewiß sind, Gott im anderen und den anderen in Gott zu erreichen. Mit diesem hoffnungsvollen Glauben verehren wir alle Heiligen und bereiten uns vor, morgen der verstorbenen Gläubigen zu gedenken. In den Heiligen sehen wir den Sieg der Liebe über den Egoismus und den Tod: wir sehen, daß die Nachfolge Christi zum Leben führt, zum ewigen Leben, und der Gegenwart Sinn verleiht, in jedem Augenblick, der vergeht, da sie ihn mit Liebe, mit Hoffnung erfüllt. Allein der Glaube an das ewige Leben läßt uns wirklich die Geschichte und die Gegenwart lieben, doch ohne ihnen verhaftet zu bleiben, in der Freiheit des Pilgers, der die Erde liebt, dessen Herz im Himmel verankert ist.
Die Jungfrau Maria erwirke uns die Gnade, fest an das ewige Leben zu glauben und uns in wahrer Gemeinschaft mit unseren lieben Verstorbenen zu fühlen. (Angelus, 1. Nov. 2012)
© 2024 www.kath.net