„Den 25.11.2024 notieren als den Todestag des Altarraums – nach langem, qualvollem Leiden. RIP“

29. November 2024 in Kommentar


„Meines Wissens ist die Hedwigskathedrale in Berlin die erste Bischofskirche in Deutschland, die mit der Abschaffung des Altarraumes die Abkehr sowohl vom 2. Vat. als auch vom Messbuch Pauls VI. vollzogen hat.“ Gastbeitrag von Pfr Wolfgang Tschuschke


Berlin (kath.net) Nun ist es endlich so weit. Nach langem, qualvollem Siechtum ist er endlich von seinem Schmerzenslager erlöst: Der Altarraum.

Die Älteren unter uns haben ihn in seiner vollen Blüte kennengelernt und erlebt. Das war die Zeit, als in unseren Kirchen noch die Kommunionbänke standen. Sie grenzten das Kirchenschiff von ihm, vom Altarraum ab – unübersehbar, mit einer klaren Aussage: Die Kirche ist gegliedert. Es gibt zwei Formen des Priestertums, das gemeinsame Priestertum der Gläubigen und das hierarchische Priestertum. Das eine wird allen Gläubigen in der Taufe anvertraut, das andere überträgt die Kirche nur wenigen mit der Priesterweihe. Das ist die beständige Lehre der Kirche. Im Zweiten Vatikanischen Konzil wurde sie noch einmal in aller Klarheit vorgetragen, nämlich in der dogmatischen Konstitution über die Kirche Lumen Gentium (LG). „Das gemeinsame Priestertum der Gläubigen und das Priestertum des Dienstes, das heißt das hierarchische Priestertum, unterscheiden sich zwar dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach. Dennoch sind sie einander zugeordnet: das eine wie das andere nämlich nimmt je auf besondere Weise am Priestertum Christi teil. Der Amtspriester nämlich bildet kraft seiner heiligen Gewalt, die er innehat, das priesterliche Volk heran und leitet es; er vollzieht in der Person Christi das eucharistische Opfer und bringt es im Namen des ganzen Volkes Gott dar; die Gläubigen hingegen wirken kraft ihres königlichen Priestertums an der eucharistischen Darbringung mit und üben ihr Priestertum aus im Empfang der Sakramente, im Gebet, in der Danksagung, im Zeugnis eines heiligen Lebens, durch Selbstverleugnung und tätige Liebe“. (LG 10)

Die Kirchenräume führten diese Struktur des Leibes Christi sinnfällig vor Augen. Unterscheidung und Zuordnung der beiden Formen des Priestertums waren für jeden Gläubigen in seiner Kirche erlebbar: der große Raum für das Volk und der kleine, buchstäblich „hervorgehobene“, ausgegrenzte Bezirk für den Priester und diejenigen, die an dessen „Priestertums des Dienstes“ (LG 10) teilhatten – die Ministranten, die Mess„diener“. Jeder konnte sehen, dass der Priester in der Person Christi das eucharistische Opfer vollzog und dass er es im Namen des ganzen Volkes Gott darbrachte. Jeder konnte an seinem Platz im Kirchenraum das tun, was ihm aufgetragen ist, nämlich an der eucharistischen Darbringung mitwirken.

Die nachkonziliare Messordnung bestätigte diese Gestalt des Kirchenraumes und schrieb sie bindend vor. In der Allgemeinen Einleitung zum Messbuch Pauls VI. (AEM) heißt es: „Das Volk Gottes, das sich zur Messfeier versammelt, hat eine gemeinschaftliche und hierarchische Ordnung, die sich in den verschiedenen Aufgaben und Handlungen in den einzelnen Teilen der Feier zeigt“ – Unterscheidung und Zuordnung entsprechend LG 10. Und nun die Folgerung für den Kirchenbau: „Der Kirchenraum soll so gestaltet sein, dass er den Aufbau der versammelten Gemeinde gleichsam widerspiegelt...“ (AEM 257). Das sollte geschehen durch die Unterscheidung von einem Raum für die Gläubigen und einem Raum für den Klerus, dem Altarraum. „Der Altarraum soll durch eine leichte Erhöhung oder durch eine besondere Ge­staltung und Ausstattung vom übrigen Raum passend abgehoben sein“ (AEM 258). Auch die Zuordnung der beiden Formen des Priestertums sollte erlebbar sein: „Wenn auch der Kirchenraum die hierarchische Gliederung der Gemeinde und die Verschiedenheit der Dienste andeuten soll, muss er doch ein geschlossenes Gan­zes bilden, damit die Einheit des ganzen heiligen Volkes deutlich zum Ausdruck ge­langt“ (AEM 257).

Man hätte meinen können, dass mit diesen Vorschriften im Messbuch der Altarraum als Zeichen für die hierarchische Struktur der Kirche auch in der nachkonzilaren Liturgie fest etabliert gewesen wäre. Aber sehr bald kamen die ersten Anzeichen der Krankheit, die jetzt schließlich zu seinem Tod geführt hat. Es begann mit der Aufstellung der Volksaltäre. Das 2. Vat. Konzil hatte nichts über den Volksaltar gesagt, das neue Messbuch hat ihn nicht gefordert, sondern als eine Möglichkeit in Betracht gezogen. Trotzdem ging eine große, alles erfassende Welle durch die katholische Welt: Volksaltar muss sein. Damit war das Gefüge des Altarraums empfindlich gestört. Im gleichen Atemzug wurden die Kommunionbänke hinausgeworfen. Auch hierfür konnte man sich weder auf das Konzil noch auf die neue Messordnung berufen. Es musste einfach sein. Ohne die Kommunionbank aber war die Grenze zwischen Altarraum und Raum für das Volk leicht zu übersehen. In den meisten Kirchen verließen die Priester zur Kommunionspendung den Altarraum. Statt dass sie die Gläubigen zu ihrem Recht verhalfen und sie in ihrem Recht bestärkten, zum Altar herzuzutreten, um die heilige Speise zu empfangen, stiegen sie die eine oder zwei verbliebenen Stufen herab und gingen noch ein paar Schritte in den Raum der Gläubigen hinein und teilten dort die hl. Kommunion aus. Der Kommunionhelfer (m/w/d) bezog gerne einen Platz noch tiefer im Kirchenraum, unter der Empore oder gar auf ihr. O, wie modern sind wir! Die Kirche ist ganz nahe bei den Menschen und geht sogar an die Ränder.

Nun, nachdem die Dinge so stehen, sind die alten Vorschriften des Messbuchs nur noch von antiquarischem Wert – von der Lehre der Kirche über das Priestertum ganz zu schweigen. Also weg damit! in neugebauten Kirchen sieht man störende und peinliche Stufen schon einmal gar nicht vor. Bei Renovierungen historischer Kirchbauten liegen die Dinge anders. Aber wenn genug Geld da ist, kann man auch hier alle Stufen beseitigen und so das neue Bild von Kirche verwirklichen.

So geschehen in Berlin, in der Hedwigskathedrale. Erzbischof Heiner Koch sieht in seiner umgebauten Kathedrale den „Gedanken der Synodalität“ verwirklicht. Er zeige sich, so sagte er in der Predigt bei der Einweihung am 25. November 2024 „nicht zuletzt in der Anordnung der Sitze und der Kniebänke in unserer Kathedrale: Um den Altar, um Christus als dem Zentrum und der Kraftquelle seiner Kirche versammelt sich die Gemeinschaft der Gläubigen mit dem Bischof, dessen Kathedra als Zeichen seines Hirtenamtes und seiner Lehrvollmacht in das Rund der Gläubigen um den Altar eingefügt ist. Gemeinsam sind wir als Kirche unterwegs, eben synodale Kirche.“ Hierarchisches Priestertum war gestern. Heute sind wir synodal. „Als synodale Kirche gehen wir gemeinsam auf dem Pilgerweg der Hoffnung für alle Menschen.“

Meines Wissens ist die Hedwigskathedrale in Berlin die erste Bischofskirche in Deutschland, die mit der Abschaffung des Altarraumes die Abkehr sowohl vom 2. Vatikanischen Konzil als auch vom Messbuch Pauls VI. vollzogen hat. Insofern kann man den 25. November notieren als den Todestag des Altarraums – nach langem, qualvollem Leiden. Requiescat in pace.

Was bleibt der kleinen Schar jener Gläubigen, die der überlieferten und beständigen Lehre der Kirche treu bleiben wollen? Sie haben in der synodalen Kirche nicht viele Möglichkeiten. Sie können jene Kirchenräume bevorzugt aufsuchen, die noch der katholischen Lehre entsprechen. Immerhin. Und sie können sich in der authentischen Lehre befestigen. Ich empfehle dazu die Sätze aus der Kirchenkonstitution des 2. Vat. Konzils, die ich oben zitiert habe. Man kann sie sich herausschreiben und meditieren. Die Unterscheidung zwischen dem gemeinsamen und dem hierarchischen Priestertum, dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach – und die Zuordnung beider. Der Auftrag des Priesters beim eucharistischen Opfer und die Aufgabe jedes einzelnen Gläubigen. Darüber kann man betrachtend und forschend trefflich nachsinnen. Wer diese Sätze als geistigen Besitz hat, ist gewappnet gegen alle Unsicherheiten, Zweifel und Verdrehungen, die das kirchliche Leben in dieser Zeit der Räte, der Synodalen Wege und der päpstlich verordneten Synodalität belasten. Schließlich aber können wir alle, Priester und Laien, immer wieder uns die Worte vergegenwärtigen, die man am besten auswendig lernt: „Die Gläubigen ... üben ihr Priestertum aus im Empfang der Sakramente, im Gebet, in der Danksagung, im Zeugnis eines heiligen Lebens, durch Selbstverleugnung und tätige Liebe“. (LG 10)

Foto (c) Peter Winnemöller


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