Aufbrüche mitten im Niedergang

10. Februar 2025 in Kommentar


Die Säkularisation schreitet mir Riesenschritten voran. Das ist aber für Christen kein Grund zur Resignation. Im Gegenteil: Inmitten des scheinbaren Unterganges leuchten die missionarischen Aufbrüche. Der Montagskick von Peter Winnemöller


Linz (kath.net)

Es ist selten, dass katholische Bischöfe in Deutschland wirklich Klartext reden und sich nicht hinter orwellschen Wortwolken verstecken. Im Interview mit der Wochenzeitung „Die Tagespost“ sprach der Bischof von Eichstätt, Gregor Maria Hanke, von einem Prozess des Abbruchs in dem sich die Kirche befinde. Das ist mal eine klare Ansage, denn sie entspricht der Wirklichkeit. Aber im Gegensatz zu den vielen Propheten einer zeitgeistigen Kirche warnt der Bischof davor, irgendwie den abfahrenden Zug noch erreichen zu wollen und „noch irgendwo das letzte Trittbrett zu erlangen“. Der Bischof erklärt weiter, dass es auf das authentische Zeugnis ankomme und nicht darum gehe, sich dem Zeitgeist anzupassen. Im weiteren Verlauf kritisiert der Bischof die gegenwärtige akademische Theologie. Deren Zustand und der daraus folgende Einfluss auf den kirchlichen Schlamassel, im dem wir uns befinden, ist sicher einen eigenen Beitrag wert. Bemerkenswert an den Worten des Bischofs ist der Hinweis auf das Zeugnisgeben, welches seiner Ansicht nach die Fruchtbarkeit der frühen Kirche ausmachte.

Nicht nur der frühen Kirche, möchte man den Bischof ergänzen. Es ist unbestreitbar, dass die Kirche in Deutschland, wie im gesamten Okzident, sich in einem historischen Niedergang befindet. Die Volkskirche mit ihrer religiösen Rundumbetreuung hat ausgedient. Schon der Theologe Karl Rahner sah vorher, dass der Christ der Zukunft ein Mystiker sei. Heute würde man vielleicht eher sagen, ein Jünger sei. Vermutlich war genau das gemeint. Es geht darum, dass der Christ seine religiösen Angelegenheiten nicht mehr von einer Behörde erledigen lässt. Ein Kind ist gefälligst zu taufen, sonst ist es ein Heidenkind. Man geht in der dritten Klasse zur Erstkommunion und wird in der neunten oder zehnte Klasse gefirmt. In den engen – man muss leider sagen am Ende beengenden - Strukturen einer schon seit 50 Jahren sterbenden Volkskirche mag das funktioniert haben, weil die Sozialkontrolle dörflicher oder kleinstädtischer Strukturen über die Jugend und Adoleszenz hinaus weiter wirksam war. In Großstädten war das schon immer anders, zwar bildeten sich in manchen Stadteilen fast dörfliche Strukturen aus, diese betrafen aber im Wesentlichen bürgerliche und großbürgerliche Milieus.

Die jüngeren Sozialstudien, die meistens eher demoskopische Studien sind, die soziologisch interpretiert werden, geben ein eindeutiges Bild. Nur sehr wenige gesellschaftliche Milieus sind überhaupt noch religiös ansprechbar. Dabei ist zu bedenken, dass sich die Fragen eben entlang der überkommenen religionsbehördlichen Strukturen bewegen und den Aspekt von Jüngerschaft vollkommen ausblenden oder – was gerade üblich ist – als rechts anschlussfähig oder rechtspopulistisch framen und damit aus dem Diskurs ausschließen. Wer wissen will, warum die beamtete Kirche in ihren behördlichen Strukturen von den Aufbrüchen und von Neuevangelisierung vielfach nichts wissen will, wird genau hier fündig. Die derzeitige Mode ist alles, was nicht in den linken Vereinheitlichungsmainstream passt, rechts. Wer sich damit befasst, befleckt sich mit der unvergebbaren Kontaktschuld und wird so selbst zum Paria. Wer es nicht glauben will, lese die wenigen Stellungnahmen säkularer und (amts-)kirchlicher Medien zum Augsburger Zim Zum-Festival. Mit der Realität des Festivals hatten diese wenig zu tun.

Auch andere Aufbruchsbewegungen geraten schnell in den Nimbus des verfemten, wenn sie sich zum Beispiel gegen eine bestimmte Form kirchlicher Reformen aussprechen. Gemeint ist damit natürlich die Dekonstruktion wesentlicher Glaubensinhalte, wie sie zum Beispiel die Protagonisten des Synodalen Weges auf der Agenda haben. Der Synodale Weg als öffentliches Getöse ist zu Ende. Doch in den Ordinariaten und Generalvikariaten, in den Pastoral- und Seelsorgeämtern hält er inzwischen fröhliche Urständ. Kaum notwendig anzumerken, dass diese Strukturen inzwischen nur noch um sich selbst und das mit ihnen verbundene Funktionärswesen kreisen. Mit dem Glauben der Menschen – und hier ist es ganz gleich, ob er orthodox oder vollkommen säkular ist – haben die Religionsbeamten und ihr Zeitgeistglaube kaum etwas gemein. Hier jagt ein Pastoralplan den nächsten. Eine Aktion rast der folgenden voran. Bald arbeiten in der Kirche in Deutschland mehr Mitarbeiter in der Öffentlichkeitsarbeit als in der Seelsorge. In Zeiten des Wahlkampfes sehen wir es gerade besonders deutlich: Kirchliche Dienststellen machen Regierungspropaganda und beteiligen sich an Protesten gegen die Opposition. Es muss sich niemand wundern, wenn hier der Abbruch einfach nur noch mit einem Turbolader versehen wird.

Die Aufbrüche hingegen sind weitestgehend verborgen. Drei aktuelle Beispiele. In den Niederlanden fand vergangenen Samstag die „Missionaire Parochie“- Konferenz statt. Rund 1000 Teilnehmer beschäftigten sich einen Tag lang mit der missionarischen Pfarrei. Fast alle Bischöfe des Landes nahmen an dieser Konferenz teil. Hat irgendein (amts-)kirchliches Medium über dieses grandiose Event berichtet? Natürlich nicht. Den Leitgedanken, die Pfarrei als Subjekt der Mission, pflegt auch die Bewegung „Divine renovation“, die sich das Ziel gesetzt hat, 33.000 Pfarreien weltweit bis 2033 zu Missionspfarreien auszurüsten. Wie geht das? Nun, Katechese, Alpha Kurse, Anbetung und Lobpreis, aber vor allem Jüngerschaft. Das bedeutet Stärkung von Priestern und Laien, damit sie gemeinsam Zeugnis geben. Man frage mal im Ordinariat, wie die Pastoralabteilung diese Bestrebungen unterstützt. Etwas kleiner, aber nicht weniger beeindruckend war die Vorstellung eines neuen Buches, das ebenfalls in die Richtung Aufbruch/Erneuerung der Kirche ging. Fast 180 Teilnehmer fanden sich in der Kölner Hochschule für Katholisch Theologie ein, um an der Vorstellung des Buches „Urworte des Evangeliums“ teilzunehmen. Eingeladen dazu hatte die Initiative Neuer Anfang aus deren Reihen der Impuls für dieses Buch ausging. Das Konzept des Buches ist, neben einem kurzen, aber präzisen analytischen Teil, die Frage, was die Urworte sind, die sich aus dem Evangelium herauslesen lassen. Diese Urworte sind das, was die Kirche von Anfang an und zu jeder Zeit als Auftrag des Herrn angesehen und gelebt hat. Wo diese Urworte lebendig und bedeutsam werden, passiert auch das, was Bischof Hanke Zeugnisgeben nennt. Menschen werden zu Jüngern, weil sie im Gebet und in den Sakramenten eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus aufbauen. Sie werden dadurch zu Zeugen. Sie werden im Alltag und in einer säkularen Umgebung auskunftsfähig.

Genau das war es, was in der Antike das Christentum so stark machte. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass aus dem Glauben an und der Liebe zu Christus auch ein Handeln erwächst, dass sich von dem Handeln der Umgebung abhebt. Bei der oben genannten Vorstellung des Buches „Urworte des Evangeliums“ nannte Abt Maximilian Heim die Caritas eine Konkretisierung des Evangeliums. In Deutschland ist die Caritas ein gewinnorientiertes Unternehmen und einer der größten Arbeitgeber. Man vergleiche das eine mit dem anderen. Wer eine Beziehung zu Jesus Christus aufbaut, in dem wächst das Verlangen, den Armen zu dienen. Auch wenn wir heute wieder mehr materielle Armut haben, ist Dienst an den Armen auch und vor allem ein Dienst an den geistig Armen. Die Säkularität unserer Gesellschaft zieht logischerweise eine Verrohung der Sitten nach sich. So ergeben sich auf ganz natürlichem Wege Schnittmengen beispielsweise zwischen Lebensschutz und geistlichen Aufbrüchen.

Wer nach den Aufbrüchen in (amts-)kirchlichen Medien sucht, wird natürlich nicht fündig. Man muss sich schon die Mühe machen, selbst zu suchen. Leider ist nicht immer die Gemeinschaft der Wahl oder die missionarische Pfarrei gerade um die Ecke. Also sind auch Wege damit verbunden. Doch eines ist gewiss: es lohnt sich. Und wer weiß denn, was Gott mit einem vorhat, wenn man sich einverstanden erklärt, aufzubrechen. Die missionarische Pfarrei, das könnte in fünf Jahren auch die eigene Wohnortpfarrei sein. Sich dem Mainstream entgegenzustellen, ist schwer, aber immer eine gute Idee. Sich dem Wehen des Geistes zu verwehren ist nicht schwer, aber eben leider keine gute Idee. Wer den Aufbruch sucht, wird ihn finden. Es kann vermeintlich Jahre dauern, doch bei genauem Hinsehen werden auch diese Jahre sind schon Jahre des Aufbruchs. Man könnte ja mal zu einem Kongress oder zu einem Festival fahren. Das wäre doch ein erster Schritt. Der Bischof von Eichstätt hat Recht: Es geht darum Zeugnis zu geben, im Alltag, da wo wir sind, so gut wir es halt können. Mehr ist von uns nicht verlangt. Und auch das ist ein Aufbruch.

 

Bild oben: Einzug zur Eucharistiefeier bei der Konferenz „De missionaire parochie“ in Veendaal, Niederlande. Foto: Ramon Mangold/missionaireparochie.nl


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