„Innerster Grund des Petrus-Dienstes ist die Vereinigung aller Bischöfe und Gläubigen im Bekenntnis“

28. April 2025 in Interview


Kardinal Müller: „Nicht vergessen, dass Christus die Kirche gestiftet hat als Sakrament des Heils der Welt, damit alle Menschen gerettet werden… durch den einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen …“ Interview mit Francesco Boezi/Il Giornale


Vatikan (kath.net) „Genau genommen handelt es sich bei den genannten Themen nicht um offene Fragen. Denn die Lehre der Kirche, die sich aus der Offenbarung Gottes aufgrund der Heiligen Schrift und der kontinuierlichen Lehrverkündigung der Kirche ergibt, ist klar und evident.“ Das antwortete Gerhard Kardinal Müller auf die Frage von Francesco Boezi nach „offenen Glaubensfragen“. Müller, emeritierter Präfekt der Glaubenskongregation, stimmberechtigter Teilnehmer des unmittelbar bevorstehenden Konklaves sowie stimmberechtigter Teilnehmer der beiden letzten Bischofssynoden des Vatikans, gab sein Interview der italienischen Tageszeitung „Il Giornale“ und hat es freundlicherweise kath.net zur Verfügung gestellt. Die Antworten des Kardinals dokumentiert kath.net im deutschsprachigen Original, die Fragen in eigener Übersetzung.

Francesco Boezi/Il Giornale: Eminenz, Sie sagten, mit dem Pontifikat von Papst Franziskus sei eine Ära zu Ende gegangen. Welche Ära soll Ihrer Meinung nach jetzt anbrechen?

Gerhard Kardinal Müller: Während der großartigen Predigt von Cardinal Re am Samstag mit Hundertausenden von Gläubigen haben die Menschen Beifall geklatscht, wenn von den sozialen und humanitären Gesten und Aktionen von Papst Francesco die Rede war.

Die überwältigende Anteilnahme an seinem Tod auf der ganzen Welt von Seiten sogar nichtchristlicher Gemeinschaften und kirchenkritischen Organisationen hat gezeigt, wie Papst Franziskus die moralische Autorität des Papsttums für den Frieden und das Bewusstsein der Einheit der ganzen Völkerfamilie zur Geltung und Anerkennung bringen konnte.

Darüber darf man aber nicht vergessen, dass Christus die Kirche gestiftet hat als Sakrament des Heils der Welt (II. Vatikanum, Lumen gentium 1: 48), damit alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen durch den einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen: den Menschen Christus Jesus (1 Tim 2, 4f). Denn er ist das Wort, das Fleisch geworden ist. Er ist der Sohn (im trinitarischen Leben Gottes), der am Herzen des Vaters ruht und uns Kunde gebracht (Joh 1, 14-18), indem er sich selbst offenbart in der personalen (=hypostatischen) Einheit seiner göttlichen und menschlichen Natur und Menschheit: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“ ( Joh 14, 6).

Der innerste Grund der Existenz des Petrus-Dienstes, also des Papsttums (ohne weltliche Herrschaftsansprüche, die nicht zu seiner Natur gehören), ist die Vereinigung alle Bischöfe und Gläubigen im Bekenntnis, das Simon, der erste der Apostel aufgrund der Offenbarung des himmlischen Vaters zu Jesus gesagt hat: „Du bist Christus (=Messias), der Sohn des lebendigen Gottes.“ (Mt 16, 16).

Il Giornale: Es gibt viele offene Glaubensfragen: von Geschiedenen und Wiederverheirateten über die Offenheit gegenüber Homosexuellen bis hin zum Verhältnis zu anderen Religionen, insbesondere zum Islam.

Kard. Müller: Genau genommen handelt es sich bei den genannten Themen nicht um offene Fragen. Denn die Lehre der Kirche, die sich aus der Offenbarung Gottes aufgrund der Heiligen Schrift und der kontinuierlichen Lehrverkündigung der Kirche ergibt, ist klar und evident.

Das kirchliche Lehramt hat die Pflicht im Namen Gottes, die atheistischen Ideologien, die auf einem falschen Menschenbild beruhen, zu entlarven und die Menschen vor den verheerenden falschen Moral zu schützen, die ihr Gift in einem süßen Kuchen versteckt hat.

Es geht aber darum, den Menschen mit existentiellen Schwierigkeiten persönlich zu helfen so wie Jesus der gute Hirte (pastoral), den guten Weg zu finden, der uns zu unserem Heil in Gott hinführt.

Der Dialog mit den real existierenden Religionen, ihren Lehren und Organisationen, darf nicht von einer Relativierung der Wahrheit ausgehen oder dazu hinführen.

Die religio ist eine moralische Tugend (Thomas von Aquin, Summa theologiae II-II q. 81), die jeden Menschen als geistig-moralisches Geschöpf umfassend auf Gott hin orientiert.

Wir als Christen sind der Überzeugung, dass Gott allen Menschen, die ihn suchen entgegengekommen ist in der Fülle der Zeit als der Sohn Gottes Mensch geworden ist bis zum Tod am Kreuz und dass er allen durch seine Auferstehung von den Toten die Tür zum ewigen Leben geöffnet hat (Apg 17 22-34). Der auferstandene Christus hat seine Apostel und ihre Nachfolger (die Bischöfe mit den Priestern) in die Welt gesendet um allen Menschen dieses Evangelium der universalen Erlösung zu verkünden und durch die Sakramente der Kirche konkret zu vermitteln.

Interreligiöser Dialog unterstellt sich der Wahrheit, die von Gott kommt und die der Mensch sucht, aber er relativiert die Wahrheit nicht und teilt sie wie die Stücke eines Kuchens den einzelnen Partnern zu.

Dass wir Christen die Andersgläubigen als Menschen mit ihren Gewissensentscheidungen ganz ernst nehmen, kann nicht heißen, dass wir unser eignes Wahrheitsgewissen, das uns Christus als die Wahrheit Gottes in Personen erkennen lässt, relativieren.

Il Giornale: Die Gefahr einer Kirchenspaltung wurde in den vergangenen Jahren mehrfach thematisiert. Es soll sich um ein anhaltendes Risiko handeln. Stimmt das?

Kard. Müller: Ein Schisma ist in ein gewaltiges historisches Ereignis. Aber wie die innere Emigration gibt es auch ein inneres Schisma, eine innere Emigration oder ein stiller Protest.

Das Lehramt hat die Aufgabe, die Gläubigen im geoffenbarten und von der Kirche verbindlich gekehrten Glauben zu bestärken.

Zu vermeiden sind ideologische Ersatzfunktionen gegenüber der authentischen Lehre des Evangeliums in der Heiligen Schrift und der Apostolischen Tradition – unter dem Vorwand der Neuinterpretation, die in Wahrheit nur eine modernistische Verfälschung des Glaubens ist.

Il Giornale: Wird die Vereinbarung zur Bischofsernennung mit China im Mittelpunkt des Konklaves stehen? Sprechen Sie innerhalb der Versammlungen darüber?

Kard. Müller: Ich weiß nicht, ob und wer dieses Thema anspricht. Auf jeden Fall darf sich die Kirche nie in die Abhängigkeit eines atheistischen Systems begeben.

Il Giornale: Wird sich die Kirche der Zukunft mit Relativismus und Säkularisierung auseinandersetzen? Oder wird sie zunehmend eine Kirche nach dem Vorbild einer NGO?

Kard. Müller: Die Kirche ist eine Stiftung Gottes und nicht eine von Menschen nach menschlichem Gutdünken Art gemachte Organisation

Il Giornale: Besteht die Möglichkeit, dass der nächste Papst ein weiteres Konzil einberuft, um alle noch offenen Lehrfragen zu behandeln?

Kard. Müller: Ein ökumenisches Konzil hat den Glauben der Kirche darzulegen und authentisch zu interpretieren. Viele Themen von heute müssen zuerst von den Theologen diskutiert werden. Ein Konzil muss eine lehramtliche Entscheidung treffen über die Geoffenbarten Wahrheiten, darf aber nicht verwechselt werden mit einem wissenschaftlichen allgemeinen Symposion über z.B. die Konsequenzen der KI oder über das Weltbild von Newton und Einstein, etc.

Ein Konzil ist in seiner Autorität bezogen allein auf die Offenbarung des universalen Heilswillens Gottes.

Archivfoto: Kardinal Müller (c) kath.net


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