Papst Leo an Senioren und Großeltern: „Selig, wer seine Hoffnung nicht verloren hat“

11. Juli 2025 in Aktuelles


Botschaft des Heiligen Vaters zum 5. Welttag der Großeltern und älteren Menschen „Selig, wer seine Hoffnung nicht verloren hat“ (vgl. Sir 14,2)


Castel Gandolfo (kath.net) kath.net dokumentiert die Botschaft des Heiligen Vaters Leo XIV: zum 5. Welttag der Großeltern und älteren Menschen „Selig, wer seine Hoffnung nicht verloren hat“ (vgl. Sir 14,2) (27. Juli 2025) in voller Länge:

Selig, wer seine Hoffnung nicht verloren hat (vgl. Sir 14,2)

Liebe Brüder und Schwestern,

das Heilige Jahr, das wir gerade begehen, hilft uns zu entdecken, dass die Hoffnung immer und in jedem Alter eine Quelle der Freude ist. Wenn sie dann durch das Feuer eines langen Lebens widerstandsfähig geworden ist, wird sie zu einer Quelle seliger Erfüllung.

Die Heilige Schrift berichtet von mehreren Fällen, in denen der Herr Männer und Frauen in fortgeschrittenem Alter in seine Heilspläne einbezieht. Denken wir an Abraham und Sara: Da sie bereits alt sind, schenken sie dem Wort Gottes, der ihnen einen Sohn verheißt, wenig Glauben. Die Unmöglichkeit, Kinder zu zeugen, schien ihnen einen hoffnungsvollen Blick auf die Zukunft zu verwehren.

Nicht anders reagiert Zacharias auf die Ankündigung der Geburt Johannes des Täufers: »Woran soll ich das erkennen? Denn ich bin ein alter Mann und auch meine Frau ist in vorgerücktem Alter« (Lk 1,18). Alter, Unfruchtbarkeit und Verfall scheinen die Hoffnungen auf Leben und Fruchtbarkeit all dieser Männer und Frauen auszulöschen. Und auch die Frage, die Nikodemus Jesus stellt, als der Meister von einer „neuen Geburt“ spricht, klingt rein rhetorisch: »Wie kann ein Mensch, der schon alt ist, geboren werden? Kann er etwa in den Schoß seiner Mutter zurückkehren und noch einmal geboren werden?« (Joh 3,4). Doch jedes Mal, wenn eine Antwort offensichtlich scheint, überrascht der Herr sein Gegenüber mit seinem heilbringenden Eingreifen.

Ältere Menschen, Zeichen der Hoffnung

In der Bibel zeigt sich Gottes Vorsehung mehrere Male in seiner Hinwendung zu Menschen fortgeschrittenen Alters. So geschieht es nicht nur bei Abraham, Sara, Zacharias und Elisabet, sondern auch bei Mose, der im Alter von bereits achtzig Jahren berufen wurde, sein Volk zu befreien (vgl. Ex 7,7). Mit diesen Entscheidungen lehrt er uns, dass das Alter in seinen Augen eine Zeit des Segens und der Gnade ist und dass die älteren Menschen für ihn die ersten Zeugen der Hoffnung sind. »Was ist das bloß für eine Zeit, das Alter?« – fragt sich der heilige Augustinus diesbezüglich. »Hier antwortet dir Gott: „Oh, dass deine Kraft wirklich schwinde, damit meine Kraft in dir bleibe und du zusammen mit dem Apostel sagen kannst: Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“« (Super Ps. 70, 11). Der Umstand, dass heute die Anzahl der Menschen fortgeschrittenen Alters zunimmt, wird für uns zu einem Zeichen der Zeit, das wir erkennen müssen, um die Geschichte, in der wir leben, richtig zu verstehen.

Das Leben der Kirche und der Welt lässt sich nämlich nur in der Abfolge der Generationen verstehen, und wenn wir einen älteren Menschen umarmen, hilft uns das zu erkennen, dass die Geschichte nicht in der Gegenwart versiegt oder sich in flüchtigen Begegnungen und bruchstückhaften Beziehungen erschöpft, sondern sich in die Zukunft fortsetzt. Im Buch Genesis finden wir die bewegende Episode, in der der bereits alte Jakob seine Enkel, die Söhne Josefs, segnet: Seine Worte ermutigen sie zu einem hoffnungsvollen Blick in die Zukunft, die als eine Zeit der Verheißungen Gottes erscheint (vgl. Gen 48,8-20). Wenn es also wahr ist, dass die Gebrechlichkeit der Alten der Kraft der Jungen bedarf, dann ist es ebenso wahr, dass die Unerfahrenheit der Jungen das Zeugnis der Alten braucht, um die Zukunft mit Weisheit zu gestalten. Wie oft sind unsere Großeltern für uns ein Vorbild des Glaubens und der Frömmigkeit, bürgerlicher Tugenden und sozialen Engagements, der Erinnerung sowie der Beharrlichkeit in Prüfungen gewesen! Dieses schöne Erbe, das sie uns mit Hoffnung und Liebe hinterlassen haben, wird uns stets ein Grund zur Dankbarkeit und Nachahmung bleiben.

Zeichen der Hoffnung für ältere Menschen

Das Jubeljahr war von seinen biblischen Ursprüngen an eine Zeit der Befreiung: Sklaven wurden freigelassen, Schulden erlassen, Ländereien an ihre ursprünglichen Besitzer zurückgegeben. Es war ein Moment der Wiederherstellung der von Gott gewollten Gesellschaftsordnung, in dem die im Laufe der Jahre entstandene Ungleichheit und Unterdrückung beseitigt wurde. In Jesus ereignet sich diese Befreiung von neuem, als er in der Synagoge von Nazaret den Armen die frohe Botschaft verkündet, den Blinden das Augenlicht, den Gefangenen die Entlassung und die Zerschlagenen in Freiheit setzt (vgl. Lk 4,16-21).

Wenn wir in dieser Perspektive des Jubeljahres auf die älteren Menschen blicken, ist es auch an uns, zusammen mit ihnen eine Befreiung zu erleben, insbesondere von der Einsamkeit und vom Verlassensein. Dieses Jahr ist der richtige Zeitpunkt, dies zu verwirklichen: Die Treue Gottes zu seinen Verheißungen lehrt uns, dass es im Alter eine selige Erfüllung gibt, eine wirkliche Freude des Evangeliums, die von uns verlangt, die Mauern der Gleichgültigkeit einzureißen, hinter denen ältere Menschen oft eingeschlossen sind. Überall auf der Welt gewöhnen sich unsere Gesellschaften allzu oft daran, dass ein so wichtiger und reicher Teil ihres Gefüges an den Rand gedrängt und vergessen wird.

Angesichts dieser Situation ist eine Neuausrichtung vonnöten, die von einer Verantwortungsübernahme der gesamten  Kirche zeugt. Jede Pfarrei, jede Vereinigung, jede kirchliche Gruppe ist aufgerufen, sich aktiv an der „Revolution” der Dankbarkeit und Fürsorge zu beteiligen, indem sie ältere Menschen regelmäßig besucht, für sie und mit ihnen Netzwerke der Unterstützung und des Gebets aufbaut und Beziehungen knüpft, die denjenigen Hoffnung und Würde schenken, die sich vergessen fühlen. Die christliche Hoffnung spornt uns immer dazu an, mehr zu wagen, in großen Dimensionen zu denken und uns nicht mit dem Status quo zufrieden zu geben. Im vorliegenden Fall bedeutet dies, auf einen Wandel hinzuarbeiten, der den älteren Menschen wieder Wertschätzung und Zuneigung entgegenbringt.

Deshalb hat Papst Franziskus gewünscht, dass der Welttag der Großeltern und älteren Menschen vor allem durch die Begegnung mit denjenigen begangen wird, die einsam sind. Und aus dem gleichen Grund ist beschlossen worden, dass diejenigen, die in diesem Jahr nicht nach Rom pilgern können, »den Jubiläumsablass erlangen, wenn sie […] alte Menschen in Einsamkeit […] über einen angemessenen Zeitraum besuchen, so als ob sie zu Christus pilgern würden, der in ihnen gegenwärtig ist (vgl. Mt 25,34-36)« (Apostolische Pönitentiarie, Normen für die Gewährung des Jubiläumsablasses, III). Einen älteren Menschen zu besuchen ist eine Möglichkeit, Jesus zu begegnen, der uns von Gleichgültigkeit und Einsamkeit befreit.

Im Alter darf man hoffen

Das Buch Jesus Sirach sagt, dass denen Seligkeit zuteilwird, die ihre Hoffnung nicht verloren haben (vgl. 14,2), und lässt damit erkennen, dass es in unserem Leben – insbesondere wenn es lang ist – viele Gründe geben kann, den Blick eher zurück als nach vorne zu richten. Doch wie Papst Franziskus während seines letzten Krankenhausaufenthalts schrieb, ist »unser Leib [zwar] schwach, aber selbst so kann uns nichts daran hindern, zu lieben, zu beten, uns selbst zu verschenken, füreinander im Glauben leuchtende Zeichen der Hoffnung zu sein« (Angelus, 16. März 2025). Wir haben eine Freiheit, die uns trotz aller Schwierigkeiten nicht entrissen werden kann: die Freiheit zu lieben und zu beten. Wir alle können immer lieben und beten.

Das Gute, das wir unseren Lieben wünschen – dem Ehepartner, mit dem wir einen Großteil unseres Lebens verbracht haben, unseren Kindern und Enkelkindern, die unsere Tage mit Freude erfüllen –, wird nicht weniger, wenn die Kräfte nachlassen. Im Gegenteil, oft ist es gerade ihre Zuneigung, die unsere Kräfte wieder weckt und uns Hoffnung und Trost schenkt.

Diese Zeichen der Lebendigkeit der Liebe, die ihre Wurzel in Gott selbst haben, ermutigen uns und erinnern uns daran, dass »wenn auch unser äußerer Mensch aufgerieben wird, der innere […] Tag für Tag erneuert [wird]« (2 Kor 4,16). Lasst uns darum, insbesondere im Alter, stets auf den Herrn vertrauen. Lassen wir uns jeden Tag durch die Begegnung mit ihm im Gebet und in der heiligen Messe erneuern. Geben wir mit Liebe den Glauben weiter, den wir so viele Jahre lang in der Familie und in den täglichen Begegnungen gelebt haben: Lasst uns Gott stets für sein Wohlwollen preisen, die Einheit mit unseren Lieben pflegen, unser Herz für diejenigen öffnen, die fern sind, und insbesondere für diejenigen, die in Not leben. So werden wir in jedem Lebensalter Zeichen der Hoffnung sein.

Aus dem Vatikan, am 26. Juni 2025

LEO PP. XIV


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