16. Juli 2025 in Kommentar
SPD-Fraktionsvorsitzender polarisiert in Causa Brosius-Gersdorf: „Überhaupt bin ich sehr empört, wie sich prominente Bischöfe, Kardinäle in diese Sache eingeschaltet haben“ – kath.net-Kommentar zur bischöflichen Meinungsfreiheit. Von Petra Lorleberg
Berlin (kath.net/pl) Dürfen Bischöfe in Deutschland künftig noch ihre Stimme kritisch zu politischen Vorgängen erheben? Diese Frage stellt sich, wenn man die Überreaktion des SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzenden Matthias Mirsch auf Kritik des Bamberger Erzbischofs Herwig Gössl zur Kenntnis nimmt. Gössl hatte als einer der wenigen katholischen Bischöfe in der Bundesrepublik den Mund aufgemacht, um für das volle Lebensrecht ungeborener Kinder einzutreten. Die Haltung der SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf für einen Richterposten am Bundesverfassungsgericht zum Lebensrecht ungeborener Kinder hatte Gössl in einer Predigt ungeschminkt als „innenpolitischen Skandal“ bezeichnet.
Miersch polarisiert daraufhin den koalitionsinternen Konflikt in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“: „Überhaupt bin ich sehr empört, wie sich prominente Bischöfe und Kardinäle in diese Sache eingeschaltet haben. Kirche kann durchaus politisch sein. Sich aber an dieser Hetze zu beteiligen, ist unchristlich.“ Miersch legt noch einen drauf: „Wenn der rechte Mob damit durchkommt, machen wir einen Riesenfehler.“
Es stellen sich Fragen:
Erstens: Ordnet Miersch den Bamberger Erzbischof ernsthaft dem „rechten Mob“ zu?
Zweitens: Sind Bischöfe in Deutschland zwar wahlberechtigt, aber nicht mehr berechtigt, in einer politischen Grundsatzfrage mahnend ihre Stimme zu erheben? Legen Bischöfe zwar öffentlich ihren Eid auf die Einhaltung der bundesdeutschen Verfassung ab, aber dürfen sie in ihrer aktuellen Form nicht mehr öffentlich verteidigen? Ist mit der Übernahme eines Bischofsamtes ein politischer Maulkorb verbunden?
Drittens: Worin soll die angebliche „unchristliche Hetze“ von Erzbischof Gössl eigentlich bestehen? Wer die unten angehängte aktuelle Version des § 218 StGB aufmerksam liest, stellt unschwer fest: Das Gesetz in Deutschland steht voll hinter dem Lebensrecht des ungeborenen Kindes, sieht aber in Konfliktfällen Ausnahmen vor in Anerkennung von Problemen der schwangeren Frau. Gössls Aussagen fußen damit letztlich auf dem deutschen Gesetz. Aber leider ist es ja kein Zufall, dass sich die SPD für eine mögliche künftige Bundesverfassungsrichterin verkämpft, die genau diesen § 218 StGB bereits schriftlich und bewusst in Frage gestellt hat, indem sie dem ungeborenen Kind einfach Menschenwürde und Menschenrechte bis unmittelbar vor seiner Geburt absprach. Warum wird es als „unchristliche Hetze“ eingestuft, wenn sich ein Bischof gemäß der deutschen Gesetzeslage äußert? Warum stuft Miersch nicht vielmehr eine mögliche Änderung der bestehenden Gesetzeslage durch Richter wie Brosius-Gersdorf als gefährlich ein?
Selbst die „Süddeutsche Zeitung“, der Miersch sein Interview gab, lässt eine gewisse Irritation gegenüber den Aussagen von Miersch erkennen. In einer Zusammenfassung kommentiert die (keineswegs als konservativ bekannte) SZ später wörtlich: Miersch habe dafür plädiert, „‚sachlich‘ an die Gespräche mit der Union heranzugehen. Er verwies auf Brosius-Gersdorfs Anerkennung in der Fachwelt und darauf, dass ihre Stellungnahmen etwa zum Schwangerschaftsabbruch ‚völlig verkürzt dargestellt‘ worden seien. Gleichzeitig nahm er sich und seiner Partei fast jeden Spielraum, indem er sagte: ‚Wenn der rechte Mob damit durchkommt, machen wir einen Riesenfehler.‘ Eine Argumentation, hinter die sich die SPD kaum mehr zurückziehen kann – es wäre gleichbedeutend mit einem Einknicken vor dem rechten Mob. Die Lage ist festgefahren“.
Um meine obige Frage zu beantworten: „Dürfen Bischöfe in Deutschland künftig noch ihre Stimme kritisch zu politischen Vorgängen erheben?“ Ich meine: ja. Erstens sind auch Bischöfe Staatsbürger. Zweitens schadet es einer Demokratie sehr grundsätzlich, wenn ausgerechnet gebildete und gut informierte Stimmen zum Verstummen gebracht werden. Und drittens: Wir leben in einer Demokratie, nicht in einer Ideologie. Wer Mahner grundsätzlich dem „rechten Mob“ zuordnet, muss sich fragen lassen, ob er die Grundprinzipien einer Demokratie verstanden hat.
Und last but not least: Wenn die Kirche sich nicht mehr für das volle Lebensrecht einsetzt (für Ungeborene, für Behinderte in jedem Lebensalter, für unheilbar Kranke, für Alte), dann ist sie Salz, das schal geworden ist. Das müssen alle jene katholischen Bischöfe in Deutschland bedenken, die bereits freiwillig in die Schweigespirale gegangen sind, weil sie nur die Würde und nicht die Bürde des Bischofsamtes zu tragen bereit sind.
Es ist bereits schlimm genug, dass sich die Leitungsebene der Evangelischen Kirche in Deutschland immer sichtbarer aus dem Lebensschutz ausklinkt – und damit übrigens in Gefahr ist, die gesamte Ökumene mit den katholischen und den orthodoxen Christen grundsätzlich aufzukündigen.
Die katholische Kirche hat auch in Deutschland offenbar noch immer die Kraft, ihr Gewissen lautstark auszudrücken. Dies zeigen die Wortmeldungen von Erzbischof Gössl sowie des Erzbischofs Rainer Maria Woelki, Bischof Stefan Oster, Bischof Helmut Dieser, Weihbischof Thomas Maria Renz und die mich besonders positiv überraschende Wortmeldung von Irme Stetter-Karp für das „Zentralkomitee der deutschen Katholiken“.
Für die Deutsche Bischofskonferenz hat Prälat Karl Jüsten nüchtern-korrekt formuliert: „Wenn ein nach Entwicklungsstufe und Lebensfähigkeit des Menschen abgestuftes Lebensschutzkonzept vertreten und die Menschenwürde des ungeborenen Lebens infrage gestellt wird, bedeutet dies einen verfassungsrechtlichen Paradigmenwechsel. Dieser beschränkt sich übrigens nicht nur auf den Schwangerschaftsabbruch, sondern kann Auswirkungen auf die Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens in verschiedenen Lebenssituationen haben. Darauf haben wir als Kirche wiederholt hingewiesen, sowohl im Hinblick auf den Bericht der Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin als auch auf den Anfang dieses Jahres vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs. Beiden lag der erwähnte verfassungsrechtliche Paradigmenwechsel zugrunde. Eine solche Position birgt zudem die Gefahr einer weiteren Polarisierung der Gesellschaft, die die Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD verhindern sollte.“
Gleichzeitig ist aber auch auffallend, wie schweigsam viele kirchlichen Leitungspersönlichkeiten zum Thema „Abtreibung“ inzwischen geworden sind. Das liegt keineswegs daran, dass sie womöglich ebenfalls eine Freigabe der Abtreibung bis kurz vor der Geburt vertreten würden: es ist davon auszugehen, dass dies auch der allerliberalste katholische Bischof in Deutschland nicht vertritt. Vielmehr zeigt es sich, dass der Shitstorm, den Bischöfe bei Pro-Life-Aussagen zu befürchten haben, inzwischen derart heftig ist, dass sie von selbst in die Schweigespirale gehen. Wie unendlich bitter!
Doch es gibt auch Positives aus diesem Eklat zu lernen: Bisher unbescholtene katholische Kleriker spüren es jetzt an sich selbst, wie unbekömmlich es in Deutschland geworden ist, sich zum verfassungsmäßig verbrieften Menschenrecht auf Leben zu bekennen. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass sich dies künftig auch darin zeigt, dass die katholischen Leitungspersönlichkeiten sich künftig auf dem Marsch für das Leben drängeln werden und sich ihre Grußworte stapeln werden...
Denn allen Katholiken (Klerikern und Laien) muss (in Abwandlung eines bekannten Wortes des Theologen Karl Rahner) ins Gewissen geschrieben stehen: „Die Kirche der Zukunft wird pro-life sein – oder sie wird nicht mehr sein.“
Ich lade deshalb alle Katholiken, alle Menschen guten Willens und ausdrücklich alle unsere katholischen Bischöfe ein zur Teilnahme am nächsten Marsch für das Leben in Berlin und in Köln am 20.9.2025!
Die Autorin Dipl.-Theol. Petra Lorleberg ist CvD bei kath.net und gehört dem Bundesvorstand der CDU-Menschenrechtsorganisation "Christdemokraten für das Leben" (CDL) an.
Foto: Marsch für das Leben (c) Bundesverband Lebensrecht
Nach Veröffentlichung dieses Kommentars nahm Erzbischof Gössl gegenüber der "Welt" im Video-Interview Stellung:
Lesetipp: Die gültige Version der Frage des Schwangerschaftsabbruchs im deutschen Strafgesetzbuch (StGB) (Link zur Quelle: Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz)
§ 218 Schwangerschaftsabbruch
(1) Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Handlungen, deren Wirkung vor Abschluß der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter eintritt, gelten nicht als Schwangerschaftsabbruch im Sinne dieses Gesetzes.
(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter
1. gegen den Willen der Schwangeren handelt oder
2. leichtfertig die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung der Schwangeren verursacht.
(3) Begeht die Schwangere die Tat, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.
(4) Der Versuch ist strafbar. Die Schwangere wird nicht wegen Versuchs bestraft.
218a
(1) Der Tatbestand des § 218 ist nicht verwirklicht, wenn
1. die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nach § 219 Abs. 2 Satz 2 nachgewiesen hat, daß sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen,
2. der Schwangerschaftsabbruch von einem Arzt vorgenommen wird und
3. seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind.
(2) Der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch ist nicht rechtswidrig, wenn der Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann.
(3) Die Voraussetzungen des Absatzes 2 gelten bei einem Schwangerschaftsabbruch, der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommen wird, auch als erfüllt, wenn nach ärztlicher Erkenntnis an der Schwangeren eine rechtswidrige Tat nach den §§ 176 bis 178 des Strafgesetzbuches begangen worden ist, dringende Gründe für die Annahme sprechen, daß die Schwangerschaft auf der Tat beruht, und seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind.
(4) Die Schwangere ist nicht nach § 218 strafbar, wenn der Schwangerschaftsabbruch nach Beratung (§ 219) von einem Arzt vorgenommen worden ist und seit der Empfängnis nicht mehr als zweiundzwanzig Wochen verstrichen sind. Das Gericht kann von Strafe nach § 218 absehen, wenn die Schwangere sich zur Zeit des Eingriffs in besonderer Bedrängnis befunden hat.
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