25. Juli 2025 in Aktuelles
Vatikan und Moskauer Patriarchat: Diplomatie auf dem Prüfstand. Gastbeitrag von Archimandrit Dr. Andreas-Abraham Thiermeyer
Rom/Moskau (kath.net) Kurz vor dem ersten offiziellen Treffen zwischen Papst Leo XIV. und einem hochrangigen Vertreter des Moskauer Patriarchats hat Metropolit Antonij bemerkenswerte Aussagen über den verstorbenen Papst Franziskus gemacht. Das Lob für Franziskus fällt deutlich aus – zugleich wird klar: Das Verhältnis zum Vatikan ist aus russischer Sicht neu zu justieren.
Strategisches Lob für Franziskus
Metropolit Antonij, Außenamtsleiter der russisch-orthodoxen Kirche, betonte die „ausgeglichene Haltung“ Franziskus’ zum russisch-ukrainischen Konflikt. Sein diplomatischer Kurs, so Antonij, sei in Moskau mit Dankbarkeit aufgenommen worden. Hervorgehoben wurde das historische Treffen 2016 mit Patriarch Kyrill I. in Havanna sowie Franziskus’ Kritik an ukrainischen Maßnahmen gegen das Moskauer Patriarchat.
Dieses Lob reflektiert weniger eine geistliche Übereinstimmung, sondern vielmehr den diplomatischen Nutzen, den Franziskus für Moskau darstellte. Er wurde als ein verlässlicher Gesprächspartner in einer Zeit wachsender geopolitischer Spannungen angesehen.
Vorsichtiger Umgang mit Leo XIV.
Anders fällt der Ton gegenüber Franziskus’ Nachfolger Leo XIV. aus. Antonij gab an, bisher keinen persönlichen Kontakt mit dem neuen Papst gehabt zu haben. Auch konkrete Gespräche über ein Gipfeltreffen blieben bislang aus. Die Wortwahl deutet auf eine prüfende Haltung hin: Leo XIV. wird beobachtet, sein Kurs ist aus Moskauer Sicht noch nicht einschätzbar.
Gleichzeitig wird seine Neutralität infrage gestellt – ein entscheidender Punkt für Moskau. Ein wirklicher Vermittler müsse sich neutral verhalten. Die Duldung antirussischer Aussagen ukrainischer Bischöfe durch den Vatikan gilt in Moskau als problematisch.
Maßstab Franziskus?
Das Lob für Franziskus wird somit zur indirekten Erwartung an Leo XIV. stilisiert. Die rhetorische Strategie: Wer sich wie Franziskus verhält, wird gewürdigt – wer sich kritisch äußert, riskiert Zurückhaltung und Distanz. Damit nutzt das Moskauer Patriarchat gezielt die öffentliche Bewertung früherer Beziehungen, um Einfluss auf zukünftige Begegnungen zu nehmen.
Orthodoxie und Machtpolitik
Patriarch Kyrill I. gilt als enger Verbündeter des Kremls. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat er seine Kirche aktiv mit der nationalen Ideologie verknüpft. Zahlreiche orthodoxe Gemeinden im Ausland distanzierten sich von dieser Linie.
Der Vatikan unter Franziskus versuchte dennoch, Gesprächskanäle offen zu halten – ein Weg, der ihm intern wie extern Kritik einbrachte. Papst Leo XIV. sieht sich nun der Herausforderung gegenüber, einen neuen Kurs zu bestimmen: Zwischen diplomatischer Kontinuität und moralischer Klarheit.
Ausblick
Das anstehende Treffen zwischen Papst Leo XIV. und Metropolit Antonij dürfte erste Hinweise darauf liefern, wie sich die vatikanisch-russischen Beziehungen künftig entwickeln. Ob sich Leo XIV. dem diplomatischen Muster seines Vorgängers anschließt oder eine eigenständige Linie etabliert, bleibt abzuwarten.
Klar ist: Die russisch-orthodoxe Kirche wird versuchen, ihren Einfluss geltend zu machen – nicht nur über theologische, sondern auch über politische und kirchenpolitische Kanäle im Vatikan: z. B. über das Staatssekretariat und den Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen, die in der Vergangenheit immer wieder dem „russischen Charme“ erlegen sind.
Über den Autor: Archimandrit Dr. Andreas-Abraham Thiermeyer (Link) ist Theologe mit Schwerpunkt auf ökumenischer Theologie, Ostkirchenkunde und ostkirchlicher Liturgie. Er studierte in Eichstätt, Jerusalem und Rom, war in verschiedenen Dialogkommissionen tätig, Konsultor der Ostkirchenkongregation in Rom, Gründungsrektor des Collegium Orientale in Eichstätt und veröffentlicht regelmäßig zu Fragen der Ostkirchen-Theologie, der Liturgie der Ostkirchen und des Frühen Mönchtums.
Archivfoto: Kyrill I. und Papst Franziskus
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