16. September 2025 in Spirituelles
Predigt des Kardinal in Mały Płock: „Der Schweizer Psychologe C. G. Jung, Sohn eines evangelischen Pfarrers, bezeichnete die Dogmatisierung von Mariä Himmelfahrt als ‚das wichtigste religiöse Ereignis seit der Reformation‘“.
Mały Płock (kath.net) kath.net dokumentiert die Festpredigt von Gerhard Ludwig Kardinal Müller zum Fest Mariä Himmelfahrt in Mały Płock (Bistum Łomża, Nordost-Polen) am 15. August 2025 in voller Länge – Arbeitsübersetzung © kath.net
Verehrte Priester, verehrte Schwestern, geliebte Schwestern und Brüder in Christus, dem Herrn!
Ich freue mich, am Fest Mariä Himmelfahrt hier im Heiligtum Unserer Lieben Frau vom Trost in Mały Płock zu sein.
Am 15. August feiert die Kirche das Fest Mariä Himmelfahrt, der Mutter Jesu. Am 1. November vor 75 Jahren erklärte Papst Pius XII. diese Wahrheit zum offiziellen Dogma. Damals waren viele, insbesondere evangelische Christen, schockiert. Wie kann der Papst etwas verkünden, worüber die Bibel nichts sagt?
Der Schweizer Psychologe C. G. Jung, Sohn eines evangelischen Pfarrers, bezeichnete diese offizielle Erklärung als „das wichtigste religiöse Ereignis seit der Reformation“. „Dies sollte nicht historisch, sondern psychologisch interpretiert werden“, schlug er vor. Dieser religiöse Glaube greift auf archetypische Bilder zurück, die tief in unseren Seelen verwurzelt sind. Die Frau wird in die göttliche Sphäre erhoben, und der Körper erhält göttliche Würde.
Aber reicht es nicht aus, Christi Himmelfahrt zu feiern? „In Christus“ wird der menschliche Leib in den Himmel erhoben. Maria hingegen repräsentiert uns, die irdischen Menschen. Sie ist der „Typos“ des von Jesus Christus erlösten Menschen. In ihr feiern wir, was allen Gläubigen in Jesus Christus verheißen ist. Heute, am 15. August, bekunden wir feierlich unseren Glauben. Im Tod fallen wir nicht in die Hölle. Wir sterben in den mütterlichen und väterlichen Armen Gottes. Natürlich wird unser Körper verwesen. Aber unsere ganze Person, die in diesem Körper zum Ausdruck kommt, wird in Gottes Herrlichkeit aufgenommen.
Deshalb ist Maria nach Jesus, dem Sohn Gottes und einzigen Retter der Welt, die wichtigste Person in der Heilsgeschichte. Durch ihr „Ja“ – als Antwort auf die Verkündigung des Engels – wurde sie in treuer Bereitschaft zur Mutter des ewigen Sohnes Gottes: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38). Von Maria aus nahm das Ewige Wort, das mit dem Vater und dem Heiligen Geist ein Gott ist, unsere menschliche Natur an.
Maria ist eine historische Gestalt, eine wahre Person, eine Tochter Israels. Doch was sie für Jesus ist und was sie für uns, seine Kirche, bedeutet, lässt sich heute nicht durch mythologische Metaphern oder existenziell-zeitlose Wahrheiten deuten. Entscheidend ist ihr Verständnis im Horizont von Gottes Heilsplan, den Gott historisch in Jesus Christus verwirklicht hat. Die Väter des Zweiten Vatikanischen Konzils fassen ihre Beschreibung der Rolle Marias in der Heilsökonomie mit folgenden Worten zusammen: „Schließlich wurde die unbefleckte Jungfrau, von jedem Makel der Erbsünde unversehrt bewahrt, nach Vollendung des irdischen Lebenslaufs mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen und als Königin des Alls vom Herrn erhöht, um vollkommener ihrem Sohn gleichgestaltet zu sein, dem Herrn der Herren und dem Sieger über Sünde und Tod“ (Lumen Gentium 59). Deshalb können wir als Glieder des Leibes Christi auf der Pilgerreise zum himmlischen Jerusalem unsere Gebete an sie richten. Denn sie ist mit Christus im Himmel. An der Spitze der himmlischen Gemeinschaft aller Heiligen vereint sie sich mit unseren Gebeten. Deshalb empfiehlt sie uns, unsere Familien, unsere Nation, alle Völker und die ganze Kirche Gott dem Vater durch ihren Sohn im Heiligen Geist. Die liturgische und private Verehrung Mariens, aus deren Schoß das Heil der Welt für uns geboren wird, zeigt uns deutlich, dass es außerhalb der sichtbaren Kirche, dem Leib Christi, keine Beziehung zu Gott gibt.
„Wer die Kirche nicht zur Mutter hat, kann Gott nicht zum Vater haben.“ (De unitate Ecclesiae 6). So formulierte es der heilige Bischof Cyprian von Karthago für all jene, die sich aus Arroganz oder auch nur aus Enttäuschung von der Kirche, ihrer Mutter, trennen – aufgrund der menschlichen Schwächen ihrer Vertreter. Die Kirche, als Braut und Leib Christi und Tempel des Heiligen Geistes, ist die sakramentale Gegenwart des Wortes Gottes, das aus Maria Fleisch annahm und unter uns wohnte. Hier findet die größte Vereinigung der Geschichte statt. Maria ist das wahre Symbol und ewige Paradigma der Erfüllung des Willens Gottes, der stets unser Heil und unser Glück wünscht.
Doch wenn nichts in der Welt ohne Gottes Willen geschieht, warum wenden wir uns dann überhaupt mit Gebeten und Bitten an IHN? Warum verstärken wir unsere Gebete zu Gott durch die Fürsprache Marias und aller Heiligen? Die Antwort ist ganz einfach: Weil Gott uns Menschen als Wesen mit Vernunft und freiem Willen geschaffen hat. Unsere Haltung gegenüber den Ereignissen ist weder fatalistisch noch titanisch, wie die von Prometheus, der den Göttern die Macht entreißen wollte, noch wie die der Kommunisten, die mit ihrem begrenzten menschlichen Verständnis ein Paradies auf Erden ohne Gott errichten wollten. „Gott, unser Retter, will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen.“ (1 Tim 2,4).
Deshalb können wir aus tiefstem Herzen nur sagen: „Gott sei Dank.“ „Gott sei Dank“ für Maria, unsere Fürsprecherin im Himmel. Sie ist unsere Hilfe und Wegweiserin auf unserem Weg zum Ewigen Leben. Mit ihrem Leben zeigt uns Maria den richtigen Weg. Durch ihre Fürsprache beschützt sie uns vor falschem Stolz, Eitelkeit und Arroganz.
Wenn wir uns das heute bewusst machen, kann das heutige Fest eine neue Bedeutung bekommen, vielleicht sogar für diejenigen, die mit Mariä Himmelfahrt nicht so recht etwas anfangen können. Wir feiern heute keinen bedeutungslosen und überholten Feiertag, sondern einen Tag der Hoffnung, des Trostes und der Freude.
Du warst von alters her Polens Königin, Maria!*
Bitte für uns, Maria,
Reiche dem Blinden deine Hand,
Jenen Leidenden, denen die Kraft ausgeht, verkürze die Qual,
Schütze dein Reich, Maria!
Du warst unter dem Kreuz deines Sohnes gestanden, Maria.
Du hast so viel gelitten, Mutter Maria,
Du hast das Sterben deines Sohnes gesehen,
Bitte um die Auferstehung der Herzen,
Gib Ausdauer den Vätern des Glaubens, Maria!
Du warst von alters her Polens Königin, Maria!
Bitte für uns, Maria,
Nimm unter deine Hut das ganze Land,
Es lebt für deinen Ruhm,
Möge das Land gedeihen, Maria!
AMEN
*Provisorische Übersetzung des Liedes „Z dawna Polski Tyś Królową, Maryjo - Du warst von alters her Polens Königin, Maria!“, zu dem noch keine Übersetzung ins Deutsch auffindbar ist – Für die Übersetzung © kath.net
Archivfoto: Kardinal Müller 2022
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