Erntedank: „Der Kosmos besteht um des Menschen willen“

30. September 2025 in Spirituelles


„Dieses Fest ist Anlass darüber nachzudenken, dass wir alles dem Heilswillen Gottes verdanken und dass wir uns als Person mit unserem ganze Leben als Dankesgabe an Gott zurückgeben“ – Predigt von Gerhard Kardinal Müller


Kitzbühel (kath.net) kath.net dokumentiert die Predigt von Gerhard Card. Müller (Archivfoto) in Kitzbühel zum Erntedankfest am 28.9.2025 in voller Länge und dankt S.E. für die freundliche Erlaubnis zur Weiterveröffentlichung:

Das kirchliche Erntedankfest steht im Zusammenhang mit den Festen, welche die Menschen in allen Kulturen seither gefeiert haben zum Dank an ihre „Gottheiten“ für die Ernte von Korn und Wein und im Staunen über die Fruchtbarkeit der Erde. Noch tiefer allerdings sind wir Christen verbunden mit den jüdischen Erntedankfesten, von denen das Laubhüttenfest das bekannteste ist. Während die Kontinuität zu den Festen der Heiden im Dank besteht für die lebensnotwendigen Gaben der Natur, zeigt sich unsere tiefere Verbindung zum erwählten Volk darin, dass wir Gott danken für die Rettung aus der ägyptischen Gefangenschaft, für die Führung seines Volkes durch die gefährliche Wüste in das Gelobte Land. Und diese heilsgeschichtliche Zuwendung Gottes gipfelt nach unserem christlichen Glauben in der Erlösung der ganzen Menschheit von der Sklaverei des Bösen, der Sünde und des Todes durch Jesus Christus. 

Unser Erntedankfest ist also wesentlich mehr als ein artiges Dankeschön für ein schönes Geschenk am Geburtstag. Dieses Fest ist Anlass darüber nachzudenken, dass wir alles dem Heilswillen Gottes verdanken und dass wir uns als Person mit unserem ganze Leben als Dankesgabe an Gott zurückgeben. Das ist Eucharistie, die große Danksagung der Kirche an Gott, den Vater, durch seinen Sohn Jesus Christus im Geist der Wahrheit und Liebe.

Wir verstehen die Welt als eine Schöpfung des lebendigen Gotte und damit als ein Gleichnis seiner unendlichen Weisheit und Liebe. Gott hat nicht wie ein Demiurg eine vorhandene Materie umgestaltet, sondern die Welt aus dem Nichts hervorbracht, damit sie allein durch Gottes Sein und Liebe existiert.

Darum widerspricht es der geistigen und mit dem freien Willen ausgestatteten Natur des Menschen, sich selbst als zufälliges Produkt einer planlos mit sich spielenden Materie herabzuwürdigen. Wenn wir auch aus der empirisch nachweisbaren Geschichte des Kosmos und der Entstehung des Lebens auf unserem Planeten wissen, dass unsere Spezies am Ende einer biologischen Evolution unserer leiblichen Natur steht, so gibt es jedoch keinen vernünftigen Grund, die Offenheit unseres Geistes auf den Grund und den Sinn des Seins in der Vernunft Gottes zu leugnen. „Im Anfang war das Wort und im göttlichen Logos ist alles geworden, was geworden ist“ (Joh 1, 1-3). Und im Licht der göttlichen Vernunft erkennen wir uns selbst in zweierlei Hinsicht: 1. Mit Hilfe des natürlichen Lichtes unserer Vernunft begreifen wir uns als personale Geschöpfe, die auf die Erkenntnis des Daseins Gott hin offen sind. Und 2. glauben wir im Lichte der geschichtlichen Selbstoffenbarung Gottes in seinem Sohn Jesus Christus, dass wir von Ewigkeit her erwählte und vorherbestimmte Söhne und Töchter Gottes sind, die in der Anschauung Gottes ihre Seligkeit und ihr Glück finden sollen.

Diese jüdisch-christliche Sicht auf die Schöpfung im Licht der Offenbarung Gottes in der Natur, der Geschichte und der Gemeinschaft der Menschen bewahrt uns vor einer idealistischen Selbst-Überhöhung, in der wir uns an die Stelle Gottes setzten; und zugleich schützt sie uns vor den Gefahren einer materialistischen Selbsterniedrigung, d.h. vor der deprimierenden Einsicht in die absolute Sinnlosigkeit des Seins. 

Der Kosmos besteht um des Menschen willen. Und Gott hat uns die Erde zugewiesen als das gemeinsame Haus oder einen Garten, den wir zu kultivieren haben. 

Das II. Vatikanum gibt uns in der Konstitution über die Kirche in der Welt von heute „Gaudium et spes“ einen sicheren Kompass: „Gott, der väterlich für alle sorgt, wollte, dass alle Menschen eine Familie bilden und einander in brüderlicher Gesinnung begegnen. Alle sind ja geschaffen nach dem Bild Gottes, der ‚aus einem alle Völker hervorgehen ließ, die das Antlitz der Erde bewohnen‘ (Apg 17,26), und alle sind zu einem und demselben Ziel, d.h. zu Gott selbst, berufen. Daher ist die Liebe zu Gott und zum Nächsten das erste und größte Gebot…“

Das ist offenkundig von höchster Bedeutung für die immer mehr voneinander abhängig werdenden Menschen und für eine immer stärker eins werdende Welt. Ja, wenn der Herr Jesus zum Vater betet, ‚dass alle eins seien ... wie auch wir eins sind‘ (Joh 17,20-22), und damit Horizonte aufreißt, die der menschlichen Vernunft unerreichbar sind, legt er eine gewisse Ähnlichkeit nahe zwischen der Einheit der göttlichen Personen und der Einheit der Kinder Gottes in der Wahrheit und der Liebe.

Dieser Vergleich macht offenbar, dass der Mensch, der auf Erden die einzige von Gott um ihrer selbst willen gewollte Kreatur ist, sich selbst nur durch die aufrichtige Hingabe seiner selbst vollkommen finden kann.“ (Gaudium et spes 24).

Nur im menschlichen Geist vermag die Schöpfung denkend zu sich zu kommen und dankend sich zu öffnen für ihren Schöpfer. Wir danken aber nicht nur für die Ernte die lebensnotwendigen Gaben der Natur, sondern auch dafür, dass wir durch die seine Heilstaten zur reif gewordenen Ernte Gottes gehören. „Die Ernte ist groß, aber der Arbeiter sind wenige. Bittet also den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende.“ (Mt 9, 37f). Jesus ist der Sämann, der das Heil in die Herzen der Menschen sät und die Jünger sollen die Ernte sammeln. Auf die Frage, wann die Ernte reif ist, antwortet Jesus: „Ich aber sage euch. Blickt umher und seht, dass die Felder reif sind, reif zur Ernte. Schon empfängt der Schnitter seinen Lohn und sammelt Frucht für das ewige Leben, so dass der Sämann und der Schnitter sich gemeinsam freuen.“ (Joh 4,35f). 


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