
25. November 2025 in Chronik
Bericht zur politischen Lage in der Ukraine und in Europa. Gastkommentar von Archimandrit Dr. Andreas-Abraham Thiermeyer
Eichstätt (kath.net)
1. Einleitung: Zwei Präsidenten, ein Krieg – und Europa dazwischen
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist längst mehr als ein regionaler Konflikt. Er ist zum Brennpunkt geworden, an dem sich zeigt, wie Machtpolitik im 21. Jahrhundert funktioniert und wie unterschiedlich zwei zentrale Akteure, Donald Trump und Wladimir Putin, gegenüber Ukraine und Europa agieren.
Beide verbindet dabei ein Kernmotiv: Sie betrachten den Krieg nicht nur militärisch, sondern als Hebel, um die gesamte europäische Sicherheitsordnung neu zu justieren. Doch sie tun das auf sehr unterschiedliche, teilweise spiegelbildliche Weise:
- Trump: transaktional, unberechenbar, deal-orientiert, mit dem Ziel, US-Kosten zu minimieren, auch um den Preis einer Schwächung der Ukraine und Irritation der europäischen Verbündeten.
- Putin: langfristig, ideologisch aufgeladen, mit imperialem Anspruch und hoher Gewaltbereitschaft, bereit, hohe materielle und menschliche Kosten zu tragen, um die Ukraine zu unterwerfen und Europa zu spalten.
Die folgenden Überlegungen zeichnen die Verhaltens- und Vorgehensweisen Trumps und Putins nach, gegenüber der Ukraine, gegenüber Europa und im Umgang miteinander, und fragen, welche Risiken und Handlungsoptionen daraus für eine europäische Friedensordnung entstehen.
2. Trump: Der „Deal-Maker“ zwischen Druck, Ultimaten und „erratischer Diplomatie“, die zur Verunsicherung führt
Trump zeigt dabei immer wieder fehlende strategische Linie, wechselnde Prioritäten, Unvorhersehbarkeiten für Partner und Gegner, häufig personalisierte, impulsive Entscheidungen und Reaktionen anstelle institutionell abgestimmter Politik und langfristiger Planung, Widersprüche zwischen Ankündigungen und tatsächlichen Handlungen.
2.1 Grundmuster: „Deal statt Strategie“
Seit seiner Rückkehr ins Amt 2025 verfolgt Trump erklärtermaßen das Ziel, den Ukrainekrieg nicht durch langfristige Abschreckung und Unterstützung, sondern durch einen schnellen Deal mit Russland zu beenden. Neue Hilfspakete wurden zunächst nur zögerlich oder gar nicht mehr durch den Kongress geschleust; stattdessen setzte er auf: - das Abarbeiten bereits zugesagter Hilfen aus der Amtszeit Bidens, -die Erwartung, Europa müsse stärker zahlen und liefern, -die Ankündigung, er könne den Krieg „innerhalb von 24 Stunden“ beenden – ohne zu erklären, auf wessen Kosten dieser schnelle Frieden gehen würde.
Thinktanks und Juristen beschreiben diese Linie als „erratische Ukraine-Politik“, die von Phase zu Phase springt: von Druck auf Kiew, russische Maximalforderungen zu akzeptieren, über Zwischenphasen, in denen ein eingefrorener Status quo als „vernünftiger Ausgangspunkt“ erscheint, bis zur jetzigen Phase eines schnellen, riskanten Deals.
2.2 Das 28-Punkte-Papier: Druck auf Kiew, Überrumpelung Europas
Der im November 2025 geleakte 28-Punkte-Plan verkörpert diese Logik in konzentrierter Form:
1. gegenüber der Ukraine: - ein erheblicher Druck, Territorium dauerhaft aufzugeben,
- Begrenzung der Streitkräfte und damit langfristige Schwächung der Verteidigungsfähigkeit, - Ausschluss von einem NATO-Beitritt, also keine gleichberechtigte Einbindung in die westliche Sicherheitsarchitektur; - Verknüpfung des Plans mit einem Ultimatum: Zustimmung bis 27. November, sonst deutliche Reduktion von Waffenlieferungen und Geheimdienstkooperation.
2. gegenüber Europa: - Ausarbeitung des Plans in einem engen Washington–Moskau-Korridor, - europäische Regierungen erfuhren über Medienleaks von zentralen Inhalten, die ihre eigene Sicherheitsordnung betreffen, - Europa wurde zunächst in die Rolle des nachträglich konsultierten Statisten gedrängt, nicht des Mitschriftstellers.
In der Summe nutzt Trump die US-Militärhilfe als Hebel, um der Ukraine einen politischen Preis abzuverlangen und signalisiert Europa, dass Washington bereit ist, wesentliche Fragen europäischer Sicherheit (Grenzen, NATO-Erweiterung, Sanktionsregime) eigenständig mit Moskau vorzuverhandeln.
2.3 Kommunikationsstil: Demütigung, Rückzieher, „Re-Framing“
Charakteristisch ist nicht nur der Inhalt, sondern auch der derzeitige „amerikanische Ton“:
- öffentlich vorgetragene Vorwürfe mangelnder „Dankbarkeit“ der Ukraine,
- persönliche Herabsetzung Selenskyjs in Interviews und auf Social Media,
- der Versuch, die eigene Rolle als großzügigen Friedensstifter zu inszenieren und Kiew als „Spielverderber“, der einen angeblich vernünftigen Kompromiss blockiere.
Als der Plan auf massiven Widerstand stößt, in der Ukraine, in Europa, aber auch im US-Senat, wo er zeitweise als „Wunschliste der Russen“ bezeichnet wird, reagiert Trump typisch: Er erklärt, der Plan sei „nicht sein finales Angebot“, rückt formal von der rigiden Thanksgiving-Frist ab, hält aber an der Grundlogik des Drucks fest: Wer den US-Rahmen nicht akzeptiert, riskiert einen Hilfsentzug.
Dieses Muster: hartes Auftreten, maximalistische Forderung, anschließende teilweise Relativierung, ist ein wiederkehrendes Element seiner Außenpolitik. Es schafft innenpolitisch das Bild des durchsetzungsstarken „Deal-Makers“, erzeugt außenpolitisch aber Verunsicherung bei Partnern und Gegnern zugleich.
2.4 Umgang mit Europa: Partner, Publikum oder Kulisse?
Trumps Vorgehen gegenüber Europa oszilliert zwischen Anerkennung und brüsker Zurücksetzung:
Er betont öffentlich die Bedeutung der NATO, wirft europäischen Staaten aber zugleich vor, zu wenig für ihre Verteidigung auszugeben; er lädt europäische Spitzenpolitiker zu symbolträchtigen Treffen, etwa im Umfeld des Alaska-Gipfels und im Weißen Haus ein, trifft zentrale Entscheidungen zur Ukraine aber in engem US-russischem Rahmen; er signalisiert immer wieder: Europa kann mitreden, aber nicht mitentscheiden.
Die Folge ist eine eigentümliche Mischsituation: Die EU-Staaten sind weiterhin militärisch auf die USA angewiesen, erleben aber gleichzeitig, dass der wichtigste Verbündete bereit ist, ihre sicherheitspolitischen Grundinteressen (z. B. „offene Tür“ der NATO, Nichtanerkennung erzwungener Grenzverschiebungen) taktisch zu verhandeln.
3. Putin: Langfristige Machtprojektion, militärische Härte und instrumentalisierte Verhandlungen
3.1 Strategische Grundlinie: Der Krieg als Projekt zur Neuordnung Europas
Putins Vorgehen ist weniger unberechenbar als zielstrebig brutal. Seit der Vollinvasion 2022 verfolgt er im Kern drei Ziele:
1. Unterwerfung oder Zerstörung der ukrainischen Staatlichkeit, mindestens in Form einer territorial verstümmelten, politisch abhängigen Restukraine;
2. Anerkennung einer russischen Einflusszone in Osteuropa, die NATO-Erweiterungen stoppt und westliche Präsenz zurückdrängt;
3. Demonstration der Ohnmacht Europas, um die Attraktivität westlicher Ordnungsvorstellungen global zu schwächen.
Anders als Trump denkt Putin in Jahrzehnten, nicht in Wahlzyklen. Deshalb ist er bereit, hohe militärische Verluste, wirtschaftliche Einbußen und internationale Isolation in Kauf zu nehmen, solange er seine imperialen Minimalziele als erreichbar ansieht.
3.2 Militärische Vorgehensweise: Langsame Offensive unter hohem Druck
Militärisch setzt Russland auf zermürbende Offensive: Nach dem Alaska-Gipfel im August 2025 beschleunigte sich das Tempo russischer Vorstöße in der Ostukraine; laut dem Institute for the Study of War lag der durchschnittliche Geländegewinn zeitweise bei etwa 9,3 km² pro Tag. Gleichzeitig bleiben die strategischen Fortschritte begrenzt: Selbst bei diesem Tempo würde die vollständige Einnahme der Oblast Donezk voraussichtlich bis 2027 dauern, vorausgesetzt, das Tempo ließe sich halten, was angesichts der schweren Kämpfe in Großstädten wie Slowjansk und Kramatorsk fraglich ist. Zugleich setzt Moskau auf gezielte Terrorangriffe mit Raketen und Drohnen gegen zivile Infrastruktur (Stromnetze, Wohnhäuser, Energieanlagen), auch während diplomatischer Verhandlungen, etwa in Charkiw und Ternopil, ein bewusstes Signal, dass Russland seine militärische Gewalt nicht aussetzt, nur weil verhandelt wird.
3.3 Informations- und Verhandlungstaktik: Sieg- und Unausweichlichkeitsnarrativ
Auf der Propagandafront versucht der Kreml zwei Linien:
1. Innenpolitisch: Darstellung stetiger, historischer Geländegewinne, - Narrativ der „Unvermeidlichkeit des russischen Sieges“, - Dämonisierung der Ukraine als „Marionette des Westens“.
2. Außenpolitisch: Immer wird Gesprächsbereitschaft behauptet, aber gekoppelt an Vorbedingungen, die im Grunde eine Kapitulation der Ukraine verlangen (Anerkennung der Annexionen, Demilitarisierung, NATO-Verzicht).
Allen sollte klar sein, Verhandlungen sind für Putin kein Ziel, sondern ein Instrument: Waffenruhen dienen der Reorganisation der eigenen Streitkräfte, politische Gespräche dienen dazu, westliche Einigkeit zu testen und zu spalten, jede Anerkennung territorialer „Realitäten“ wird als Bestätigung der eigenen Strategie in die russische Öffentlichkeit kommuniziert.
3.4 Ökonomie und Druck: Krieg als Dauerzustand
Ökonomisch ist Russland angeschlagen, aber nicht am Rand des Zusammenbruchs:
Öl- und Gaseinnahmen als zentrale Finanzquelle des Staates sind 2025 deutlich gesunken; Reuters berechnet für November einen Rückgang um rund 35 % im Vergleich zum Vorjahr, was auch auf niedrigere Preise und einen stärkeren Rubel zurückgeht. Gleichzeitig gelingt es Moskau, durch Umgehungskanäle, neue Abnehmerstaaten und Anpassungen im Haushalt den Krieg weiter zu finanzieren, auf Kosten anderer Bereiche und der Bevölkerung.
Das Signal an den Westen lautet: Wir halten länger durch, als ihr denkt. Gerade deshalb ist Putin an einem Deal interessiert, der seine Kerngewinne (insbesondere territoriale) sichert, ohne ihn innenpolitisch als „Verlierer“ erscheinen zu lassen.
4. Trump und Putin im Spiegel: Konfrontation, Parallelität – und gefährliche Schnittmengen
4.1 Unterschiedliche Systeme, ähnliche Versuchungen
Auf den ersten Blick stehen sich zwei gegensätzliche Systeme gegenüber:
In den USA: der gewählte Präsident einer Demokratie mit innenpolitischem Druck; in Russland: der autoritäre Herrscher mit weitgehender Kontrolle über Medien und Institutionen.
Trotzdem gibt es Schnittmengen im Verhalten:
1. Beide betrachten die Ukraine nicht primär als Subjekt, sondern als Verhandlungsmasse in einem größeren geopolitischen Spiel.
2. Beide benutzen ihre Druckinstrumente:
Trump: Abhängigkeit von US-Hilfe, Fristen, öffentliche Demütigung; Putin: militärische Gewalt, Drohkulissen, Energie- und Migrationsinstrumente.
3. Beide sind bereit, europäische Interessen nachrangig zu behandeln, wenn sie der eigenen Agenda im Weg stehen.
Der entscheidende Unterschied liegt allerdings im normativen Bezugspunkt: Trump bleibt, bei aller Härte, im Rahmen einer demokratisch begrenzten, innenpolitisch kontrollierten Politik, deren maximalistische Entwürfe u. a. durch Kongress, Medien und Verbündete korrigiert werden können. Putin hingegen agiert in einem System, das kaum institutionelle Korrektive kennt; Gewalt, Repression und Propaganda sind integrale Bestandteile seines Herrschaftsmodells.
4.2 Der Alaska-Gipfel: Symbol und Wendepunkt
Der Gipfel in Alaska im August 2025 markiert einen wichtigen Moment der Interaktion: Trump und Putin treffen sich persönlich; Putin formuliert klar den Anspruch auf die gesamte Oblast Donezk als Vorbedingung für weitere Schritte; unmittelbar vor und nach dem Treffen intensiviert Russland seine Offensiven und Schläge gegen ukrainische Städte – ein deutliches Zeichen, dass Diplomatie und militärische Eskalation Hand in Hand gehen.
In der Folge verschiebt Trump seine Position: -weg von der früheren Forderung nach einem Waffenstillstand als Voraussetzung von Verhandlungen, - hin zu direkten Gesprächen mit Moskau ohne vollständige Feuerpause, was aus europäischer Sicht das Risiko erhöht, dass militärische Fakten politische Ergebnisse diktieren.
Putin konnte dies als Bestätigung lesen: Wer militärisch Druck macht, verbessert seine Verhandlungsposition, eine fatale Lernerfahrung, die über die Ukraine hinaus signalwirksam ist.
5. Auswirkungen auf Europa: Getestete Einheit, strukturelle Abhängigkeit, erzwungene Emanzipation
5.1 Europa als Objekt und Korrektiv zugleich
Für Europa ist das Zusammenspiel von Trump und Putin ein Stresstest:
1. Putin prüft die militärische und gesellschaftliche Resilienz Europas durch Energiekrisen, Desinformation und Drohkulissen.
2. Trump testet die politische Kohärenz der EU, indem er zentrale Sicherheitsfragen zunächst bilateral mit Russland verhandelt und Europa vor fertigen Entwürfen stellt.
Die bisherige Reaktion Europas ist zweigeteilt: Zunächst Überrumpelung und Empörung über das 28-Punkte-Papier; dann rasche Formierung eines Gegenentwurfs, der rote Linien markiert (Keine neuen Gebietsverluste, keine Amnestie für Kriegsverbrechen, keine formale NATO-Blockade, Nutzung eingefrorener russischer Vermögen für Wiederaufbau). In den Genfer Gesprächen gelingt es der EU, Teile dieser Linien in den „updated and refined framework“ einfließen zu lassen. Europa wird damit vom Objekt zum Korrektiv-Akteur, ohne jedoch die entscheidende Hebelgewalt über Waffen, Truppen und Sicherheitsgarantien zu besitzen.
5.2 Strukturelle Lehre: Ohne eigene Machtmittel keine echte Mitsprache
Aus europäischer Perspektive ist die zentrale Lehre bitter, aber klar: Solange die USA den größten Teil der militärischen Unterstützung für die Ukraine leisten, und solange die EU ihre eigene Verteidigungsindustrie und -bereitschaft nicht massiv ausbaut, wird Europa bei jeder größeren Sicherheitskrise auf die Entscheidungen des US-Präsidenten angewiesen sein, unabhängig davon, ob dieser Präsident kooperative Bündnispolitik oder transaktionale Deal-Logik verfolgt. Trumps Verhalten wirkt damit wie ein Katalysator: Er zeigt den Europäern schmerzlich, dass normative Überzeugungen („rule-based order“, Völkerrecht, Menschenrechte) ohne harte militärische und ökonomische Mittel politisch nur begrenzt durchsetzbar sind.
6. Analytische Perspektiven: Was folgt aus Trumps und Putins Vorgehen?
Zum Abschluss lassen sich einige analytische Linien ziehen, die über die Tagespolitik hinausweisen.
6.1 Für die Ukraine
- Gefahr der Doppel-Erpressung, von Russland durch militärische Gewalt, von Teilen der US-Politik durch Hilfsbedingungen und Fristen.
- Zentrale Aufgabe Kiews, sich trotz Abhängigkeit von US-Hilfe eine möglichst große politische Subjektrolle zu bewahren, europäische Unterstützung so zu nutzen, dass sie US-Druck abfedern hilft, jede Vereinbarung an der Frage zu messen: Bleiben Souveränität und Verteidigungsfähigkeit gewahrt, oder wird ein „Frieden auf Widerruf“ erkauft?
6.2 Für Europa
- Strategische Emanzipation, Ausbau eigener Rüstungs- und Munitionsproduktion, stärkere Koordinierung der Verteidigungsausgaben, Aufbau glaubwürdiger eigener Abschreckungsinstrumente – mit, aber notfalls auch neben den USA.
- Politische Klarheit, keine Akzeptanz erzwungener Grenzänderungen, keine Friedenslösung, die die Ukraine nur als „Problemfall“ verwaltet, und zugleich realistische Kommunikation gegenüber den eigenen Bevölkerungen, dass Sicherheit ihren Preis hat – finanziell, politisch, militärisch.
6.3 Für den Umgang mit Trump
Trumps Verhalten zeigt: dass er weder ein klassischer Isolationist noch ein verlässlicher Bündnisstratege ist; er ist ein transaktionaler Machtpolitiker, der Ergebnisse braucht, die er als innenpolitischen Erfolg verkaufen kann. Europa kann seine Entscheidungen nicht verhindern, aber beeinflussen – durch geschlossenes Auftreten, konkrete Alternativvorschläge und die klare Botschaft, dass bestimmte rote Linien (Völkerrecht, territoriale Integrität, NATO-Grundsätze) nicht zur Disposition stehen.
6.4 Für den Umgang mit Putin
Putins Verhalten zeigt: dass Appeasement ohne harte Abschreckung hochriskant ist. Jeder Kompromiss, der seine territorialen Gewinne anerkennt, sendet das Signal, dass Aggression sich lohnt. Gleichzeitig wird Russland durch Sanktionen und Kriegsfolgen langfristig geschwächt, allerdings nicht so schnell, dass dies kurzfristig sein Verhalten bricht.
Die Herausforderung besteht darin, eine Doppelstrategie zu entwickeln: Abschreckung und militärische Unterstützung, um weitere Aggression zu verhindern; Angebot eines realistischen Auswegs, der Russland einen Gesichtsverlust erspart, ohne die Grundprinzipien der europäischen Friedensordnung aufzugeben.
7. Schluss: Zwischen Deal-Logik und Machtprojektion – der Prüfstein Europa
Das Zusammenspiel zwischen Trumps und Putins Vorgehensweisen gegenüber der Ukraine ist kein Zufall, sondern Ausdruck zweier sehr unterschiedlicher, aber in Teilen kompatibler Logiken:
1. Trump will den Konflikt „schließen“, Kosten begrenzen und innenpolitisch als erfolgreicher Friedensstifter dastehen – notfalls, indem er die Ukraine und Europa zu schmerzhaften Zugeständnissen drängt.
2. Putin will den Konflikt so lange offenhalten, bis seine Kernziele erreicht sind; er nutzt jede Verhandlung, jeden Plan, jedes Ultimatum, um seine Position zu verbessern und die westliche Einheit zu testen.
Zwischen diesen beiden Logiken steht Europa – als unmittelbarer Nachbar, als Verbündeter der Ukraine, als Nutznießer und Garant einer regelbasierten Ordnung.
Ob der Krieg in der Ukraine in einen stabilen Frieden, einen eingefrorenen Konflikt oder einen „Frieden auf Widerruf“ mündet, hängt wesentlich davon ab, ob Europa den Schritt von der reagierenden zur gestaltenden Macht schafft – und ob es bereit ist, in der Auseinandersetzung mit sowohl Trumps Deal-Politik als auch Putins Gewaltpolitik für die eigenen Prinzipien mehr zu investieren als schöne Worte.
Archimandrit Dr. Andreas-Abraham Thiermeyer ist der Gründungsrektor des Collegium Orientale in Eichstätt. Er ist Theologe mit Schwerpunkt auf ökumenischer Theologie, ostkirchlicher Ekklesiologie und ostkirchlicher Liturgiewissenschaft. Er studierte in Eichstätt, Jerusalem und Rom, war in verschiedenen Dialogkommissionen tätig. Er veröffentlicht zu Fragen der Ökumene, des Frühen Mönchtums, der Liturgie der Ostkirchen und der ostkirchlichen Spiritualität. Weitere kath.net-Beiträge von ihm: siehe Link.
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