
1. Dezember 2025 in Aktuelles
Leo XIV. erinnert am Märtyrerplatz in Beirut : Dialog wurzelt in der Liebe und Frieden verlangt tiefe theologische Wahrhaftigkeit. eine Vision für den Nahen Osten jenseits von Angst und Vorurteilen. Von Armin Schwibach
Beirut (kath.net/as) Der Märtyrerplatz im Herzen Beiruts ist seit Jahrzehnten ein verdichteter Ort der Geschichte und des Gedächtnisses. Zwischen Minaretten und Glockentürmen, die gemeinsam in den Himmel ragen, sprach Papst Leo XIV. am Nachmittag des 1. Dezember 2025 zu Vertretern verschiedener Religionen und christlichen Konfession. Seine Worte entfalten eine theologisch gegründete Vision des Friedens, deren Ausgangspunkt das biblische, geschichtliche und geistliche Erbe des Libanon ist.
Schon in der Eröffnung bekannte der Papst seine tiefe Bewegung angesichts eines Landes, das die Propheten priesen und dessen Zedern „Symbole der gerechten Seele“ seien. Der Libanon erscheine ihm als ein Raum, in dem „das Echo des Logos nie verstummt ist“, ein Satz, der den universalen Horizont seiner Ansprache markiert: Gott wirkt in allen, die ihn ehrlich suchen.
In diesem Geist zitierte Leo XIV. ausführlich aus Benedikts XVI. nachsynodalem Schreiben Ecclesia in Medio Oriente(2012): Dialog sei keine politische Strategie, sondern „basiert auf theologischen Fundamenten, die den Glauben anfragen“. Sodann deutete der Papst die religiöse Topografie Beiruts: Minarette und Glockentürme, gemeinsam emporsteigend, als Zeugnis des beständigen Glaubens an den einen Gott. Jeder Ruf zum Gebet - Glockenschlag oder Adhān - solle zu einer einzigen Hymne werden, die den Schöpfer preist und um sein Geschenk des Friedens bittet. Der Blick auf den Nahen Osten, so der Papst, sei oft von Beklommenheit geprägt. Doch gerade im Libanon zeige sich eine widerständige Hoffnung: Menschen verschiedener Religionen lebten – oft gegen die Umstände – vor, dass Angst, Vorurteil und Misstrauen nicht das letzte Wort haben. Diese Fähigkeit, „Zeugnis abzulegen für die bleibende Wahrheit“, sei eine geschichtliche und geistliche Aufgabe des Landes.
Hier knüpfte Leo XIV. an das Zweite Vatikanische Konzil an, insbesondere an Nostra aetate, das vor sechzig Jahren einen neuen Horizont eröffnete. Der Papst erinnerte daran, dass wahre Begegnung in der Liebe verwurzelt ist – der einzigen Grundlage für Frieden, Gerechtigkeit, Versöhnung, und dass Diskriminierung und Verfolgung niemals mit dem Glauben an Gott vereinbar sind.
Mit einer sorgfältig gewählten biblischen Wendung verwies Leo XIV. sodann auf die Begegnung Jesu mit der syro-phönizischen Frau (Mk 7,24–30). Der Ort - das Gebiet von Tyrus und Sidon - verwandle sich im Evangelium zu einem Raum, in dem Demut, Vertrauen und Beharrlichkeit alle Grenzen überspringen. Daraus leitete er eine präzise theologische Definition: Dies sei „der eigentliche Kern des interreligiösen Dialogs: die Entdeckung der Gegenwart Gottes über alle Grenzen hinweg und die Einladung, ihn […] gemeinsam zu suchen“.
Der Papst wandte sich dann einem zweiten großen Symbol zu: dem Olivenbaum. Seine Langlebigkeit und seine Fähigkeit, auch im Härtesten zu bestehen, mache ihn zum Sinnbild des Friedens. Dieser Baum, in allen abrahamitischen Traditionen verwurzelt, stehe für Heilung, Licht und Barmherzigkeit. Wie sein Öl Wunden heilt, so solle die Barmherzigkeit Gottes alle berühren, die im Nahen Osten leiden. Das Licht, das der Olivenbaum spendet, sei ein Bild für Herzen, die im Glauben und in der Demut hell werden. Die Libanesen seien über die ganze Welt verstreut wie die tiefreichenden Wurzeln der Zedern. Ihre Präsenz überall sei nicht nur ein Geschenk, sondern auch eine Berufung: In einer vernetzten Welt hätten sie die Aufgabe, „Friedensstifter“ zu sein, Intoleranz zu überwinden, Gewalt zu begegnen und Ausgrenzung zu verbannen, indem sie mit ihrem Glaubenszeugnis Wege der Einheit eröffnen.
Der Papst schloss seine Ansprache mit einem Hinweis auf den 25. März, den libanesischen Nationalfeiertag, an dem Christen und Muslime gemeinsam die Verkündigung feiern. In der ausgestreckten, mütterlichen Geste der Statue von Harissa sah Leo XIV. das Bild eines Volkes, das unter dem Schutz Mariens steht. Ihre Umarmung, so der Papst, möge das Geschenk der Versöhnung wie „eine Quelle lebendigen Wassers, das vom Libanon fließt“ (Hld 4,15) in den ganzen Nahen Osten und in die Welt tragen.
Papst Leo XIV. entfaltete damit auf dem Märtyrerplatz eine Vision, die weder naiv noch politisch verkürzt ist: eine theologische Anthropologie der Gemeinsamkeit, ein Bekenntnis zum Dialog aus Glauben und ein Aufruf, das Erbe der Zedern und Olivenbäume in konkrete Friedenswege zu übersetzen. Seine Rede steht in der Linie dessen, was der Libanon trotz aller Erschütterungen immer wieder hervorbringt: Hoffnung, die sich nicht erschöpft.
kath.net veröffentlicht die Ansprache von Papst Leo XIV. bei dem Ökumenischen und interreligiösen Treffen, Märtyrerplatz (Beirut)
Liebe Brüder und Schwestern!
Ich bin tief bewegt und sehr dankbar, mich heute unter euch zu befinden, in diesem gesegneten Land – einem Land, das von den Propheten des Alten Testaments gepriesen wurde, die in seinen hoch aufragenden Zedern Symbole der gerechten Seele sahen, die unter dem wachsamen Blick des Himmels gedeiht; einem Land, in dem das Echo des Logos nie verstummt ist, sondern von Jahrhundert zu Jahrhundert weiterhin in den Herzen all derer widerhallt, die Gott ehrlich suchen.
In seinem Nachsynodalen Apostolischen Schreiben Ecclesia in Medio Oriente, das 2012 hier in Beirut unterzeichnet wurde, betonte Papst Benedikt XVI., dass »das Wesen und die universale Berufung der Kirche erfordern, dass sie im Dialog mit den Anhängern der anderen Religionen steht. Dieser Dialog basiert im Nahen Osten auf den geistlichen und historischen Beziehungen, welche die Christen mit den Juden und mit den Muslimen verbinden. Dieser Dialog, der in erster Linie nicht von pragmatischen Erwägungen politischer oder gesellschaftlicher Art bestimmt ist, beruht vor allem auf theologischen Fundamenten, die den Glauben anfragen« (Nr. 19). Liebe Freunde, eure heutige Anwesenheit hier an diesem bemerkenswerten Ort, an dem Minarette und Glockentürme nebeneinanderstehen und beide gen Himmel ragen, zeugt vom beständigen Glauben dieses Landes und von der unerschütterlichen Hingabe seiner Menschen an den einen Gott. Möge sich in diesem geliebten Land jeder Glockenschlag, jeder Adhān, jeder Ruf zum Gebet zu einer einzigen, emporsteigenden Hymne vereinen – nicht nur, um den barmherzigen Schöpfer des Himmels und der Erde zu rühmen, sondern auch, um ein inniges Gebet um das göttliche Geschenk des Friedens aufsteigen zu lassen.
Seit vielen Jahren, und insbesondere in jüngster Zeit, sind die Augen der Welt fest auf den Nahen Osten, die Wiege der abrahamitischen Religionen, gerichtet und beobachten den beschwerlichen Weg hin zum kostbaren Geschenk des Friedens und das unermüdliche Streben danach. Angesichts solch komplexer und langjähriger Konflikte blickt die Menschheit manchmal mit einem Gefühl der Beklommenheit und Verzagtheit auf den Nahen Osten. Doch inmitten dieser Schwierigkeiten lässt sich ein Gefühl der Hoffnung und Ermutigung finden, wenn wir uns auf das konzentrieren, was uns verbindet: unser gemeinsames Menschsein und unser Glaube an einen Gott der Liebe und des Erbarmens. In einer Zeit, in der das Zusammenleben wie ein ferner Traum erscheinen mag, erinnern die Menschen im Libanon, die verschiedenen Religionen angehören, eindringlich daran, dass Angst, Misstrauen und Vorurteile nicht das letzte Wort haben und dass Einheit, Versöhnung und Frieden möglich sind. Es ist eine Aufgabe, die dieses geliebte Land durch die Geschichte hindurch stets begleitet: Zeugnis abzulegen für die bleibende Wahrheit, dass Christen, Muslime, Drusen und unzählige andere zusammenleben und durch Respekt und Dialog geeintes Land aufbauen können.
Vor sechzig Jahren eröffnete das Zweite Vatikanische Konzil mit der Promulgation der Erklärung Nostra aetate einen neuen Horizont für die Begegnung und den gegenseitigen Respekt zwischen Katholiken und Menschen anderer Religionen und betonte, dass wahrer Dialog und Zusammenarbeit in der Liebe wurzeln – der einzigen Grundlage für Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung. Dieser von der göttlichen Liebe inspirierte Dialog sollte alle Menschen guten Willens einbeziehen, Vorurteile, Diskriminierung und Verfolgung ablehnen und die gleiche Würde aller Menschen betonen.
Obwohl sich das öffentliche Wirken Jesu hauptsächlich in Galiläa und Judäa entfaltete, berichten die Evangelien auch von Begebenheiten in der Region der Dekapolis – hauptsächlich in der Umgebung von Tyrus und Sidon – wo er der syro-phönizischen Frau begegnete, deren unerschütterlicher Glaube ihn dazu bewegte, ihre Tochter zu heilen (vgl. Mk 7,24-30). Hier wird das Land selbst zu mehr als einem bloßen Ort der Begegnung zwischen Jesus und einer flehenden Mutter; es wird zu einem Ort, an dem Demut, Vertrauen und Beharrlichkeit alle Hindernisse überwinden und auf Gottes grenzenlose Liebe treffen, die jedes menschliche Herz umschließt. In der Tat ist dies »de[r] eigentliche[…] Kern des interreligiösen Dialogs: die Entdeckung der Gegenwart Gottes über alle Grenzen hinweg und die Einladung, ihn mit Ehrfurcht und Demut gemeinsam zu suchen«. [1]
Der Libanon ist bekannt für seine majestätischen Zedern, doch auch der Olivenbaum ist ein wichtiger Bestandteil seines kulturellen Erbes. Der Olivenbaum schmückt nicht nur den Platz, auf dem wir uns heute versammelt haben, sondern hat auch in den heiligen Schriften des Christentums, des Judentums und des Islam einen besonderen Stellenwert und gilt als zeitloses Symbol für Versöhnung und Frieden. Seine Langlebigkeit und seine besondere Fähigkeit, selbst in den rauesten Umgebungen zu gedeihen, symbolisieren Ausdauer und Hoffnung und spiegeln das unerschütterliche Engagement wider, das zum Gedeihen eines friedlichen Zusammenlebens erforderlich ist. Von diesem Baum stammt ein Öl, das heilt – ein Balsam für körperliche und seelische Wunden – und das ein Zeichen für die grenzenlose Barmherzigkeit Gottes gegenüber allen Leidenden ist. Sein Öl sorgt auch für Licht und erinnert uns, dass wir gerufen sind, unsere Herzen durch Glauben, Nächstenliebe und Demut hell werden zu lassen.
So wie die Wurzeln der Zedern und Olivenbäume tief in die Erde reichen und sich weit ausbreiten, so sind auch die Libanesen über die ganze Welt verstreut und doch miteinander verbunden durch die beständige Kraft und das zeitlose Erbe eurer Heimat. Eure Anwesenheit hier und überall bereichert die ganze Welt mit eurem jahrtausendealten Erbe, stellt aber auch eine Berufung dar. In einer immer stärker vernetzten Welt seid ihr dazu gerufen, Friedensstifter zu sein: Intoleranz zu bekämpfen, Gewalt zu überwinden und Ausgrenzung zu verbannen, indem ihr durch das Zeugnis eures Glaubens für alle den Weg zu Gerechtigkeit und Eintracht erleuchtet.
Liebe Brüder und Schwestern, jedes Jahr kommt ihr am 25. März, der in eurem Land als Nationalfeiertag begangen wird, zusammen, um Maria, Unsere Liebe Frau vom Libanon, in ihrem Heiligtum in Harissa zu verehren. Es ist mit einer beeindruckenden Statue der Jungfrau geschmückt, die mit ausgestreckten Armen das gesamte libanesische Volk umarmt.
Möge diese liebevolle und mütterliche Umarmung der Jungfrau Maria, der Mutter Jesu und Königin des Friedens, einen jeden von euch leiten, damit das Geschenk der Versöhnung und des friedlichen Zusammenlebens in eurer Heimat, im ganzen Nahen Osten und weltweit strömt wie „eine Quelle lebendigen Wassers, das vom Libanon fließt” (vgl. Hld 4,15), und allen Hoffnung und Einheit bringt.
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[1] Katechese anlässlich des 60. Jahrestags der Konzilserklärung Nostra aetate, 29. Oktober 2025
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