
19. Dezember 2025 in Kommentar
Sebastian Ostritsch und sein gecancelter Vortrag in der katholischen Hochschule für Philosophie München. Von Lothar Christian Rilinger
Hannover-München (kath.net) Das Christentum ist die einzige Religion, die auf der Grundlage, dass der Mensch als imago Dei, als Ebenbild Gottes, angesehen wird, von der Gleichheit aller Menschen ausgeht – unabhängig von seinem Geschlecht, seiner Abstammung, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen, wie es im Artikel 3 des deutschen Grundgesetzes festgeschrieben worden ist. Diese aus der religiösen Tradition hergeleitete Festlegung ist konstituierend für unsere Gesellschaften und für die westlichen Staaten. Aus dieser Forderung nach Gleichheit ist das Diskriminierungsverbot abgeleitet worden. Niemand darf aus den genannten Gründen benachteiligt werden. Damit ist durch das Grundgesetz geregelt worden, dass Personen tolerant sein müssen und den anderen so hinnehmen müssen, wie er ist. Die Grenze der Toleranz ist nur durch das Strafrecht kodifiziert, und damit ist sichergestellt, dass jeder seine Menschen- und Grundrechte ausüben kann. Auch diese Rechte sind nicht grenzenlos, sie sind nicht absolut, und erfahren ihre Einschränkung in den Rechten Dritter. Keinem ist es nach unserer Rechtsordnung gestattet, seine Rechte in überobligatorischer Weise zu Lasten Dritter auszuüben. Auch wenn die Menschen- und Grundrechte der Person durch den Staat garantiert werden – sie finden immer ihre Begrenzung in den Rechten Dritter.
Das Recht auf Gleichheit darf nicht dadurch in Frage gestellt werden, dass der Rechteinhaber politische Auffassungen vertritt, die man nicht teilt. Insofern leitet der Gleichheitssatz des Grundgesetzes über in das Menschenrecht auf Meinungsfreiheit. Danach darf die Meinungsfreiheit auf Grund eines weltanschaulichen Bekenntnisses nicht verletzt werden – weder vom Staat noch von Personen. Entsprechend der Grundrechtssystematik ist auch das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht grenzenlos, nicht absolut, sondern findet seine Grenze in den Rechten Dritter und im Strafrecht. Menschenrechte müssen immer für beide Seiten wirken können, für den Meinungsäußernden und seinen Kontrahenten. Aus dieser Grundrechtssystematik heraus ergibt sich, dass Meinungen, soweit sie nicht strafbar sind, toleriert werden müssen.
Und doch …! Das Menschenrecht auf Meinungsfreiheit läuft Gefahr, massiv eingeschränkt zu werden. Auf der einen Seite erfährt dieses fundamentale Menschenrecht, das den demokratischen Rechtsstaat konstituiert und damit die Grundlage unseres Staatswesens darstellt, Einschränkungen seitens der EU, die durch den Digital Services Act (DSA) die Einführung von inoffiziellen Zensurbehörden mit dem Namen Trusted Flagger eingefordert hat. Auf der anderen Seite wird eine Einschränkung der Meinungsäußerung dadurch erzwungen, dass das Äußern von Meinungen durch Gewalt von Zeitgenossen, die diese Meinungen nicht teilen, verhindert wird. Sollte die Meinung einer anderen Person nicht genehm sein, wird alles darangesetzt, dass diese Meinung nicht geäußert werden kann – nicht im Rahmen einer Diskussion, sondern durch Störungen und Behinderungen.
So jüngst geschehen im Fall des habilitierten Philosophen Sebastian Ostritsch, der aus ideologischen Gründen daran gehindert wurde, über Erkenntnisse aus seinem neuen Buch „Serpentinen. Gottesbeweise des Thomas von Aquin nach dem Zeitalter der Aufklärung“ vor Studenten der katholischen (sic!) Hochschule für Philosophie in München, einer Elitehochschule des Jesuitenordens, zu referieren. Ostritsch ist eingeladen worden, um über die Versuche vorzutragen, wie die Existenz Gottes bewiesen werden könnte. Auch wenn es schwierig ist, etwas zu beweisen, was nicht verifizierbar oder falsifizierbar ist, ist es gleichwohl in der Philosophie- und der Theologiegeschichte immer wieder versucht worden, die Existenz Gottes nicht nur zu glauben, sondern auch wissenschaftlich nachzuweisen. Er wollte also einen Vortrag über ein Thema halten, das ein ureigenes Thema dieser Hochschule sein müsste.
Doch Ostritsch ist nicht nur ein philosophischer Schriftsteller – es muss schließlich von irgendetwas leben –, er ist auch als Journalist für die katholische Wochenzeitung „Die Tagespost“ tätig und schreibt auf hohem Niveau über politische Entwicklungen, indem er in seinen Argumenten auf die Lehre der römisch-katholischen Kirche rekurriert. Seine Aufsätze stellen nicht die kirchliche Lehre in Frage, sondern er argumentiert vielmehr auf der Grundlage dieser Lehre, die, wie nun schon seit zweitausend Jahren, nicht immer den mainstream wiedergibt, sondern auch diesem zuwiderläuft – was aber dem links-grünen sozialistischen Milieu der Studentenschaft der dortigen Hochschule ein Dorn im ideologischen Auge darstellt. Sie wollte ihn deshalb daran hindern, einen Vortrag über ein ganz anderes theologisches Thema zu halten. Wer aber die Lehre der Kirche vertritt, wird in den Vorstellungen dieses Milieus als rechtsextremistisch gebrandmarkt und hat infolge dessen nichts an der Hochschule für Philosophie zu suchen – an der Hochschule, an der der Priesternachwuchs ausgebildet wird. Ostritsch argumentiert aber vom Prinzip der Lehre her, und dadurch erfährt seine Argumentation eine Stringenz, die nicht nur im wissenschaftlichen Diskurs notwendig ist, sondern auch im politischen. Er stützt sich damit auf eine Ordnung, die die hohen intellektuellen Ansprüche des Autors widerspiegelt und ein Niveau erreicht, das seine Aufsätze lesenswert erscheinen lassen.
Für Ostritsch ist der Mensch nach wie vor als imago Dei zu denken, als Ebenbild Gottes, dem Naturrechte innewohnen, also Rechte, die keiner dem Menschen nehmen oder auch verleihen kann. Sie sind dem Menschen intrinsisch, innewohnend von Anfang der Menschwerdung an. Deshalb verfügen sowohl geborene, als auch ungeborene Menschen über dieses Natur- und Menschenrecht auf Leben. Selbst wenn man sich weigern sollte, dem Menschen aus religiösen Gründen diese Rechte zuzuschreiben – das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt entschieden, dass der Mensch mit der Nidation zu existieren beginnt und ab diesem Zeitpunkt über Rechte verfügt, auch über das Recht auf Leben. Dieses Recht vertritt auch die Kirche, obwohl sie den Beginn menschlichen Lebens schon früher ansetzt, und deshalb argumentiert Ostritsch folgerichtig, dass er sich gegen die Abtreibung ausgesprochen hat. Dass das staatliche Recht eine andere Wertung vorgenommen hat, muss zwar auch die Kirche tolerieren, doch steht ihr das Recht zu, die staatliche Regelung zu kritisieren und abzulehnen. Wenn Ostritsch die Auffassung der Kirche vertritt, kann man im Diskurs dagegen argumentieren, um zu versuchen, ihn zu überzeugen. Doch er muss die Möglichkeit haben, seine Meinung vorzutragen, ohne dass er mundtot gemacht wird.
Gleiches gilt für das Eintreten von Ostritsch für eine Ehe zwischen Mann und Frau. Die kirchliche Lehre, die auf den Aussagen in der Bibel fußt, akzeptiert nur diese Form der Ehe, was ihr unbenommen ist. Wenn man stringent argumentieren will, muss man diesen strikten Standpunkt für richtig halten – als den Standpunkt, der durch die Heilige Schrift gedeckt ist und durch den die Gesellschaft fortgeführt werden kann. Dass staatlicherseits eine andere Regelung Gesetz geworden ist, muss toleriert werden, mehr aber nicht. Wenn Ostritsch die kirchliche Lehre von der Ehe zitiert, steht er auf dem Boden der kirchlichen Lehre, was ihn als guten Katholiken auszeichnet, der stringent zu argumentieren weiß.
Doch diese Auffassungen widersprechen dem momentan links-grünen Mainstream der Jesuiten-Hochschule, der sogar ein Menschenrecht auf Abtreibung einfordert und die „Ehe für alle“ als Ausdruck der Erlösung betrachtet. Da Ostritsch nicht bereit ist, seine Überzeugungen um des billigen Applauses dieser zukünftigen Priester – wenn überhaupt – zu opfern und sich ideologischen Vorgaben zu unterwerfen, wurde er von den Studenten der Hochschule für Philosophie als persona non grata verurteilt. Die Studentenvertretung hat deshalb aufgerufen, den beabsichtigten Vortrag massiv zu stören und den Vortragenden zu hindern, seine Thesen zu dem Gottesbeweis vorzutragen. Die Leitung der Hochschule unterwarf sich aus ideologischen Gründen diesen Forderungen der Studenten und lud Ostritsch wieder aus. Obwohl der Autor über Gottesbeweise sprechen und diskutieren wollte, wurde er aus sachfremden, aus rein ideologisch-politischen Gründen, daran gehindert, seine theologischen Thesen vorzustellen. Was soll man von einer katholischen Hochschule halten, die den Priesternachwuchs ausbildet und es gleichwohl für unerträglich hält, die kirchliche Lehre vortragen zu lassen. Wenn seitens der Hochschulleitung vorgetragen wird, man habe einer Konfrontation aus dem Wege gehen wollen, so kann dieses Schein-Argument nicht überzeugen. Dass links-grüne, sozialistische und kommunistische Studenten gerne Vorträge durch Lärm stören, zuweilen auch mit Gewalt, kennt derjenige gut, der in den Jahren nach 1968 studiert hat. Argumente, die oft genug mangels Wissens nicht vorgetragen werden können, werden durch lautstarke Störungen ersetzt, was nur als ein intellektueller Offenbarungseid angesehen werden kann. Eine Universität basiert schließlich auf dem freien Gedankenaustausch, auf dem Diskurs, um die beste Lösung zu finden.
Wenn der Vortragende in einer, angehenden Philosophen unangemessenen und niveaulosen Weise daran gehindert wird, seine Gedanken vorzutragen, stellen sich die Studenten selbst nichts anderes als ein Armutszeugnis aus und gleichzeitig erbringen die den Beweis, dass sie sich nicht dem Diskurs stellen können. Der Diskurs wird durch Zensur ersetzt – so wie es in autokratischen und diktatorischen Staaten üblich ist.
Dass Studenten zu diesem primitiven Mittel greifen, um jemanden mundtot zu machen, ist bedauerlich und dem Priesternachwuchs unwürdig. Doch dass sich die Hochschulleitung diesem Diktat unterwirft, anstatt Vorkehrungen zu treffen, um die Diskussion durchführen zu können, kann nur als ein erbärmliches Armutszeugnis angesehen werden. Von Jesuiten, die sich ja selbst als geistige Elite empfinden, hätte ich mehr Selbstbewusstsein und Durchsetzungskraft erwartet. Und Standhaftigkeit!
Auch wenn Ostritsch seinen Vortrag an anderer Stelle hat halten können – die Tatsache bleibt, dass ein Autor nicht die kirchliche Lehre an einer katholischen Hochschule vertreten darf. Sie lässt viele Gläubige daran zweifeln, ob der Weg richtig ist, den die deutsche Kirche begeht. Was wirklich tragisch ist. Aber noch gibt es Rom, und das wiederum ist tröstlich.
Lothar Rilinger (siehe Link) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht i.R., stellvertretendes Mitglied des Niedersächsischen Staatsgerichtshofes a.D., und Autor mehrerer Bücher.
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