Auseinandersetzung um Kardinal Kaspers Theologie der Barmherzigkeit

28. März 2015 in Weltkirche


Kardinal Kasper hat auf die Kritik von Daniel Moloney ausführlich geantwortet. Moloney hat darauf repliziert.


Vatikan/New York (kath.net/jg)
Daniel Moloney, ein Priester der Erzdiözese Boston, hat die Kardinal Walter Kaspers Auffassung der göttlichen Barmherzigkeit kürzlich in einem Artikel für das Magazin First Things kritisiert. Kath.net hat davon eine Zusammenfassung gebracht. Kardinal Kasper hat darauf mit einer Richtigstellung reagiert, die sich auf den Artikel von kath.net bezogen hat.

In der Zwischenzeit hat Kasper auch auf den Artikel von Moloney geantwortet. Kath.net bringt in der Folge eine Zusammenfassung seiner ausführlichen Erwiderung und der Antwort Moloneys.

Walter Kardinal Kasper

Die Barmherzigkeit Gottes ist selbst eine offenbarte Wahrheit, die sich nicht von den anderen Offenbarungswahrheiten trennen lasse. Ein Gegensatz zwischen Barmherzigkeit und Wahrheit sei daher „theologischer Nonsens“. Es sehe hier eine gemeinsame Basis für einen Dialog zwischen ihm und Moloney, schreibt der Kardinal.

Er sei nicht der Impulsgeber für die gegenwärtige innerkirchliche Diskussion über die Barmherzigkeit gewesen, schreibt Kasper. Diese Ehre gebühre nicht ihm, sondern den Päpsten Johannes XXIII., Johannes Paul II. und Benedikt XVI. sowie der heiligen Schwester Faustyna Kowalska. Franziskus stehe in deren Tradition, ist Kasper überzeugt.

Er habe auch nicht gesagt, dass die Tradition das Thema Barmherzigkeit sträflich vernachlässigt habe, wie es Moloney verstanden habe. Er habe diesen Vorwurf nur gegen theologische Handbücher und Lexika der letzten Jahrzehnte erhoben. Die kirchliche Tradition sei tiefer als die häufig aus der neuscholastischen Richtung kommenden Handbücher.

Als nächstes führt der Kardinal Thomas von Aquin zur Unterstützung seiner Thesen an. In der 21. Frage des ersten Teils seiner Summa theologica schreibe Thomas von Aquin in den Absätzen 3 und 4 Gott die Barmherzigkeit als höchstes Attribut zu, das Vorrang vor der Gerechtigkeit habe. Barmherzigkeit setze die Gerechtigkeit voraus und sei ihre Fülle. Hinsichtlich der Barmherzigkeit als „Krone des christlichen Lebens“ verweist Kasper auf den 4. Absatz der 30. Frage im II. Teil des II. Buches der Summa.

Thomas von Aquin habe zwischen der inneren Natur Gottes und den göttlichen Attributen hinsichtlich der Akte Gottes nach außen unterschieden. Letztere würden die göttliche Natur widerspiegeln. In diesem Sinne sei die Barmherzigkeit ein „Spiegel der Trinität“, wie er es in einer Kapitelüberschrift seines Buches (Kapitel V.2., Anm.) ausgedrückt habe. Er verstehe daher nicht, wie Moloney das Gegenteil annehmen könne und dieses bis zu einer reductio ad absurdum weiterführe. Er kenne keinen Theologen, der die Ansicht vertrete, Gott der Vater sei gegenüber dem Sohn oder dem Heiligen Geist barmherzig.

Dogmatische Theologie habe nicht nur mit ewigen Wahrheiten zu tun, schreibt Kasper am Ende seiner Ausführungen. Ewige Wahrheiten seien in dem Sinne zu verstehen, dass sie eschatologisch für alle Zeiten gültig seien, aber vom Volk Gottes „jederzeit neu in ihrer ewigen Neuheit“ entdeckt werden müssten. Ewige Wahrheiten seien keine abstrakten, ewigen Prinzipien. Sie seien in einem historischen Zusammenhang von Gott in dialogischer Weise in Worten und Taten offenbart und von der Kirche in ihrer lebendigen Tradition bezeugt und entwickelt worden. Die Dogmatik könne sie nicht ohne Bezug zur Vergangenheit und Gegenwart erklären. Hier unterscheide sie sich von Ideologien, die den Kontakt mit der menschlichen Geschichte und dem Leben verlieren würden. Er sehe die Gefahr, dass Moloney in diese „Falle“ tappen könnte, schreibt Kasper.

Moloneys abschließende Überlegungen zur Barmherzigkeit und dem Schutz Minderjähriger würden zwei verschiedene Fragen durcheinander bringen. Ein Priester, der solche abscheulichen Taten begangen habe, könne durch Umkehr und sakramentale Lossprechung die Barmherzigkeit Gottes erfahren. Etwas anderes sei es, ihn noch einmal mit den normalen priesterlichen Aufgaben zu betrauen. Dies sei abzulehnen, weil es sich dabei im Hinblick auf die Opfer und mögliche zukünftige Opfer um eine Pseudo-Barmherzigkeit handle, schreibt Kasper.


Daniel Moloney

Kardinal Kasper beanstande, dass er, Moloney, ihm unterstelle, in der innertrinitarischen Beziehung der göttlichen Personen gebe es Barmherzigkeit. In dem angegebenen Kapitel des Buches (Kapitel V.2., „Barmherzigkeit als Spiegel der Trinität“, Anm.), auf das Kasper sich beziehe, gebe es tatsächlich keinen Hinweis auf diese Behauptung. Seine Kritik habe sich aber auf das vorhergehende Kapitel bezogen, das den Titel „Die Barmherzigkeit als Grundeigenschaft Gottes“ trage. Er habe zeigen wollen, dass die dort von Kasper geäußerte Ansicht zu der Schlussfolgerung führe, es gebe innerhalb der Trinität Barmherzigkeit. Kasper und er selbst würden diese Folgerung beide als absurd bezeichnen. Da alle drei Personen derselben göttliche Natur seien, müsse das was für die göttliche Natur zutreffe auf jede der Personen zutreffen, schreibt Moloney.

Moloney führt den Kern seines Argumentes noch einmal an. Kasper schreibe in seinem Buch, man müsse „die Barmherzigkeit als die grundlegende Eigenschaft Gottes bezeichnen.“ (S. 94) „Seine Wesensbestimmung ... ist seine Barmherzigkeit. Sie ist ... sein heiliges Wesen.“ (S. 58) In diesem Punkt werfe er dem Kardinal ein Abweichen von der theologischen Tradition vor. Diese unterscheide zwischen den göttlichen Attributen im Allgemeinen, die alle Eigenschaften umfassen würden, die man Gott zuschreiben könne und den „reinen Vollkommenheiten“, also den Attributen, die keine Unvollkommenheit in ihrem Begriff enthalten. Nur die reinen Vollkommenheiten könnten Wesensbestimmungen Gottes sein, schreibt Moloney mit Verweis auf Augustinus’ „De trinitate“, Buch V.

Die Barmherzigkeit könne keine reine Perfektion sein, weil sie jemanden voraussetze welcher der Barmherzigkeit bedürfe, also jemanden, der in irgendeiner Weise unvollkommen sei. Wäre die Barmherzigkeit wesentlich für Gott, könnte Gott nicht ohne ein Geschöpf existieren, das der Barmherzigkeit bedürfe. Vor der Schöpfung habe es nur Gott gegeben und es sei „absurd“ anzunehmen, dass Gott sich selber gegenüber barmherzig sein könne.

Aus der Antwort von Kasper auf seinen ersten Artikel habe er den Eindruck, als würde der Kardinal nicht behaupten, dass die Barmherzigkeit wesentlich für Gott sei, sondern nur der Spiegel der innergöttlichen Liebe. Diese Aussage stimme mit der traditionellen Ansicht überein, dass nur reine Perfektionen zum Wesen Gottes gehören.

Die Behauptung, die Barmherzigkeit sei ein Wesensmerkmal Gottes sei auch der Schlüssel für Kaspers These, die Barmherzigkeit „überbiete“ die Gerechtigkeit. Die Barmherzigkeit sei „bei der Behandlung der Eigenschaften Gottes nicht als Anhängsel zu behandeln, sondern sie zur organisierenden Mitte der Eigenschaften Gottes zu machen und die anderen Eigenschaften um sie herum zu gruppieren.“ (S. 94) „Wenn die Barmherzigkeit die Grundeigenschaft Gottes ist, dann kann sie nicht ein Unterfall der Gerechtigkeit sein, vielmehr muss umgekehrt die Gerechtigkeit Gottes von der Barmherzigkeit Gottes her verstanden werden.“ (S. 95) Diese Aussagen hätten ihn dazu veranlasst, in Kaspers Denken die Barmherzigkeit als Wesensmerkmal Gottes zu sehen.

Kardinal Kasper ziehe Thomas von Aquin zur Unterstützung seiner Position heran, fährt Moloney fort. II-II,30,4 der Summa theologica beziehe sich auf die menschliche, nicht die göttliche Barmherzigkeit. Mit dem heiligen Paulus sehe Thomas die Liebe und nicht die Barmherzigkeit als höchste Tugend des Menschen. I,21,3-4 behandle die göttliche Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, aber im Hinblick auf Gottes Wirken gegenüber der Schöpfung und nicht im Hinblick auf das Wesen Gottes.

Es gebe bei Thomas einige Stellen, welche die Position von Kasper zu unterstützen scheinen: „Ein Werk der göttlichen Gerechtigkeit indes setzt immer ein Werk der Barmherzigkeit voraus und gründet in ihm.“ (I,21,4) Kasper zitiere Johannes Paul II., Benedikt XVI. und andere Autoren, die Formulierungen wie „die Barmherzigkeit übertrifft die Gerechtigkeit“ verwenden würden. Diese Aussagen können richtig verstanden werden, wenn mit Gerechtigkeit die unvollkommene, weltliche, menschliche Gerechtigkeit gemeint sei, nicht die göttliche Gerechtigkeit, bei der es sich um eine reine Perfektion handle.

In seinem Artikel habe er die Ansicht vertreten, die Apologetik solle nicht die Entwicklung der dogmatischen Theologie bestimmen. Letztere befasse sich mit zeitlosen Wahrheiten. Kasper sehe darin eine „Falle“, doch vermute er, Moloney, dass er und Kasper hier aneinander vorbei reden würden. Er stimme dem Kardinal zu, dass die Theologie von Menschen betrieben würde, die eine persönliche und geistige Geschichte hätten. Sie sei keine Teilhabe an einer Platonischen Ideenwelt. Doch wenn es etwas gebe, das der Unveränderlichkeit der Ideenwelt Platons nahekommen solle, sei es die Theologie über Gottes unveränderliche Attribute.

Er hätte sich von Kardinal Kasper mehr zur pastoralen Anwendung der Barmherzigkeit gewünscht, schreibt Moloney abschließend. Er habe in seinem Artikel auf gewisse Parallelen hingewiesen, die zwischen einem Priester, der Kinder missbraucht und einem Ehemann, der seine Familie verlässt, bestehen würden. Kasper vertrete den Standpunkt, dass man aus Sorge vor einer Wiederholung kein Priester wieder in den normalen Seelsorgedienst zurückkehren sollte, wenn er sich des Missbrauchs schuldig gemacht habe. Das gleiche Argument könne man bei wiederverheirateten Geschiedenen anwenden. Ein Mann, der einmal seine Familie im Stich gelassen habe, könne dies auch ein weiteres Mal tun. Scheidungsstatistiken in den USA würden zeigen, dass zwei Drittel der Zweitehen und drei Viertel der Drittehen erneut in einer Scheidung enden würden. Das sei eine hohe Rückfallquote. Kasper lasse offen, warum er im Fall der verurteilten Kleriker eine „Nulltoleranzpolitik“ vertrete, bei den geschiedenen Wiederverheirateten aber nicht.


Link zur Debatte Kasper – Moloney in First Things (englisch):
Cardinal Kasper responds

Foto Kardinal Kasper (c) kath.net


© 2015 www.kath.net