Erfahrung heißt gar nichts

2. Oktober 2015 in Kommentar


Danneels, belgischer Kardinal und früherer Brüsseler Erzbischof, gestand: Er sei Mitglied des „mafia-ähnlichen“ Kardinals-Clubs gewesen, der gegen Benedikt XVI. opponierte. Auch Kardinal Kasper sei dabeigeweesen. Gastkommentar von Bernhard Müller


Kißlegg (kath.net/PURMagazin) Beginnen wir mit Kurt Tucholsky: „Wenn der Mensch ein Loch sieht, hat er das Bestreben, es auszufüllen. Dabei fällt er meist hinein.“ So erging es jetzt dem belgischen Kardinal und früheren Erzbischof von Brüssel, Godfried Danneels. Der Alt-Liberale konnte bei der öffentlichen Vorstellung einer Biografie über seine Person sein Geheimwissen nicht länger für sich behalten: Er sei Mitglied eines „mafia-ähnlichen“ Clubs von Kardinälen gewesen, der gegen Papst Benedikt XVI. opponierte. Die Gruppe habe den Namen „St. Gallen“ getragen und eine drastische Reform der Kirche zum Ziel gehabt, die sie „viel moderner“ gemacht hätte. Ihr Kandidat für die Führung dieser Kirche sei Jorge Kardinal Bergoglio gewesen, sagte Danneels bei der Buchpräsentation. Weitere Mitglieder sollen unter anderem Kardinal Kasper und Carlo Maria Kardinal Martini gewesen sein.

Nun bleibt es Danneels natürlich unbenommen, auf spektakuläre Weise Werbung für seine Biografie zu machen, das tun andere auch. Und es ist auch klar, dass es innerhalb der Kirche schon immer Seilschaften gab, die bestimmte kirchenpolitische Richtungen in Hinterzimmern durchsetzen wollten. Ob es allerdings klug ist, angesichts der gegenwärtigen innerkirchlich aufgeladenen Situation mit solcherlei Enthüllungen Verschwörungstheoretikern und Papstgegnern Munition zu liefern bleibt dahingestellt. Offenbar glauben Danneels und seine ebenfalls in die Jahre gekommenen hochrangigen Mitstreiter mit der Wahl von Papst Franziskus am Ziel ihres Reformwillens angekommen zu sein, so dass man sich nicht einmal scheut, seine eigenen jahrelangen verborgenen Aktivitäten als „mafia-ähnlich“ zu bezeichnen. Das hat nicht nur den Hauch des Konspirativen sondern mehr noch etwas von gefährlicher Untergrundarbeit, deren Früchte Jahre danach aufgehen und vor deren mutigen Avantgardisten die kirchliche Welt sich später verneigt, weil sie ihrer Zeit so weit voraus waren und die Kirche vom Reaktionären befreiten. Fühlt sich irgendwie gut an. Fast denkmalwürdig. Etwas eigenartig berührt nur, wenn ein solches Denkmal von den ehrwürdigen Bahnbrechern selbst errichtet wird.

Dabei muss man Danneels eines lassen: Er war seiner Sache, die Kirche umzugestalten immer treu geblieben. Der ehemalige Vorsitzende der Belgischen Bischofskonferenz, der sich über Jahrzehnte nicht ungern als papabile ansehen und sich als Intellektuellen und Kunstliebhaber feiern ließ, machte schon im Jahr 1990 Kirchenpolitik im Verborgenen. Damals hatte die belgische Koalitionsregierung unter dem Christdemokraten Wilfried Martens eines der liberalsten Abtreibungsgesetze Europas beschlossen. König Baudoin, ein praktizierender Katholik, weigerte sich aber aus Gewissensgründen, dieses Gesetz zu unterzeichnen und löste damit eine Verfassungskrise aus. In dieser Phase, so enthüllten im vergangenen April, 25 Jahre später, zwei ehemalige Politiker, hatte Danneels Druck auf den König ausgeübt, dieses Tötungsgesetz zu unterschreiben, was Baudoin dennoch nicht tat. 2010 geriet der in den Medien ansonsten oft gelobte Godfried Danneels kurzfristig in die Kritik und musste sogar zum Polizeiverhör, weil er als amtierender Erzbischof Kindesmissbrauch durch Priester vertuscht haben soll. Im Sommer 2013, als inzwischen 80jähriger, machte er noch einmal Schlagzeilen, als er die Einführung der zivilrechtlichen Homo-Ehe als eine positive Entwicklung begrüßte und die katholische Position hinterfragte: „Wie kann sich jemand nicht mit seiner Orientierung identifizieren? Ich glaube es gibt eine klare Entwicklung im Denken der Kirche“. Er verglich die Situation mit jener der Selbstmörder, die in früherer Zeit nicht kirchlich begraben wurden, während die Kirche heute die „Ganzheit der Person” sehe.

Dass Papst Franziskus schon im vergangenen Herbst ausgerechnet den emeritierten Erzbischof Danneels persönlich zum Synodalen der Familienkonferenz in Rom ernannte, hat viele verwundert. Manche meinten, Kardinal Danneels bringe dafür die nötige Erfahrung mit. Doch dazu kann man nur mit einem Satz Kurt Tucholskys enden, mit dem wir begonnen haben: „Erfahrung heißt gar nichts – man kann seine Sache auch 35 Jahre lang schlecht machen.“

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Katholische Presseschau von KIRCHE IN NOT: April 2015


Foto Kardinal Daneels (c) Wikipedia/Carolus
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