Luther, die Juden und die beschämenden Folgen einer Hassschrift

1. September 2016 in Kommentar


Sommertagung der Gustav-Siewerth-Akademie endete mit Vergebungsbitte für Luthers Judenhass. Gastbeitrag von Yuliya Tkachova


Bierbronnen (kath.net) Ein Jahr vor dem Reformationsjubiläum widmete sich der Theologische Sommerkurs der Gustav Siewerth-Akademie, einer kleinen aber feinen katholischen Hochschule, dem „Gottes- und Menschenbild Martin Luthers“. Eine ganze Woche lang präsentierten Theologen, Historiker und Vertreter anderer Wissenschaften in Bierbronnen/Schwarzwald ihre Erkenntnisse zur Biographie und Theologie des Urhebers der Thesen von Wittenberg. So widmete sich Mons. Dr. Winfried König aus Rom „Der göttlichen Barmherzigkeit im Streit zwischen Erasmus und Luther“ und Prof. Dr. Arturo Ruiz Freites, ebenfalls aus Rom, dem Thema „Erlösung und Vermittlung im Denken Martin Luthers“, während sich Dr. Josef Wieneke aus Berlin „Luthers Frauenbild“, Prof. Dr. Roland Süßmuth „Luthers Menschenbild im Licht der Humantheologie und naturwissenschaftlicher Erkenntnisse“ und Prof. Dr. Berthold Wald dem „Personbegriff und Handlungssinn bei Martin Luther“ auf den Grund ging. Prof. Dr. Jaques Cabaud untersuchte die psychologischen Ursachen von Luthers Gottes- und Menschenbild, während die Akademiegründerin, die bekannte Philosophin Prof. Dr. Alma von Stockhausen, es auf den Punkt brachte: „Luthers Theologie – Eine Autobiographie“ lautete der Titel ihres Vortrages, in dem sie nachwies, wie untrennbar Luthers Neudefinition des Christentums und Absage an den freien Willen von seiner tragischen Lebensgeschichte geprägt sind. Der Rektor der Gustav Siewerth-Akademie, Albrecht Graf von Brandenstein-Zeppelin schließlich stellte eindrucksvoll die Auswirkungen Luthers auf die deutsche Philosophie dar.

Doch kein Vortrag löste so viel Betroffenheit aus wie der des Düsseldorfer Historikers Michael Hesemann, der sich Luthers Verhältnis zu den Juden widmete. Während der Reformator anfänglich auf die Juden setzte und hoffte, durch ihre Bekehrung die Wahrheit seiner Theologie beweisen zu können, führte die Skepsis gelehrter Rabbiner, die ihm zahlreiche Fehler bei seiner Bibelübersetzung nachwiesen, bald zu einer extremen Gegenreaktion, die Hesemann auf eine „narzisstische Kränkung“ zurückführt. Plötzlich sah Luther in den Juden seine persönlichen Feinde, die er auf ähnlich heftige Weise in seinen Schriften verteufelte wie vor ihnen „Papisten“, Türken und aufständische Bauern. Doch es blieb nicht bei dem berüchtigten „Lutherzorn“ und deftigen Schimpfkanonaden. In seiner Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ forderte Luther auch offen von den Fürsten des Reiches Maßnahmen , „dass ihr und wir alle der unleidlichen, teuflischen Last der Juden entladen werden“ – darunter Niederbrennung aller Synagogen und Zerstörung ihrer Schriften, Enteignung, Zerstörung ihrer Häuser, Schikanen wie Bewerfung mit „Saudreck“, Internierung in Baracken und Zwangsarbeit sowie die Hinrichtung aller Rabbiner und öffentlich betenden Juden – eine Liste, die Karl Jaspers zu der Feststellung bewegte: „Was Hitler getan, hat Luther geraten, mit Ausnahme der direkten Tötung durch Gaskammern.“

Doch es blieb nicht bei dieser Hass-Schrift, die mit einer wahren Schimpfkanonade endete: „Pfu euch hie, pfu euch dort, und wo ihr seid, ihr verdammten Juden, daß ihr die ernste, herrliche, tröstliche Wort Gottes so schändlich auf euern sterblichen, madigen Geizwanst ziehen düret, und schämet euch nicht, euern Geiz so gröblich an den Tag zu geben! Seid ihr doch nicht wert, daß ihr die Biblia von außen sollet ansehen, schweige daß ihr drinnen lesen sollet! Ihr solltet allein die Biblia lesen, die der Sau unter dem Schwanz stehet, und die Buchstaben, die daselbs heraus fallen, fressen und saufen.“ Nur zwei Monate später legte Luther nach und veröffentlichte seine wohl widerlichste Schrift, „Vom Schem Hamphoras“, die dem allen Juden hochheiligen Gottesnamen gewidmet ist. Darin kommt Luther auch auf die „Judensau“ an der Wittenberger Pfarrkirche, ein Relikt des mittelalterlichen Antijudaismus, zu sprechen, die er wie folgt beschreibt: „Es ist hier zu Wittenberg an unserer Pfarrkirchen eine Sau in Stein gehauen, da liegen junge Ferkel und Juden drunter, die saugen. Hinter der Sau stehet ein Rabbiner, der hebt der Sau das rechte Bein empor, und mit seiner linken Hand zeucht er den Bürzel über sich, bückt und kuckt mit großem Fleiß der Sau unter dem Bürzel in den Talmud hinein, als wollt er etwas Scharfes und Sonderliches lesen und ersehen. Daselbst her haben sie gewißlich ihr Schem Hamphoras“ – den „allerheiligsten, ausgeführten“ und für jeden gläubigen Juden unaussprechbaren Gottesname, den Luther so erklärt: „Also spottet der leidige böse Geist seinen gefangenen Juden, läßt sie lassen sagen Schem Hamphoras und große Dinge drin glauben und hoffen. Er aber meinet ‚Scham Haperes‘, das heißt: Hie Dreck, nicht der auf der Gassen liegt, sondern aus dem Bauch kommt.“ Diese bewusste und blasphemische Schmähung Gottes und der jüdischen Religion, die Gleichsetzung Seines heiligen Namens mit (für Juden absolut unreinem) Schweinekot, veranlasste Hesemann, von einem Lutherschen „Fäkalantisemitismus“ zu sprechen. Dass eine solch geschmacklose Polemik auch im 16. Jahrhundert unüblich war, belegen die schockierten Reaktionen auch anderer Reformatoren auf Luthers Pamphlet. Schnell bemühte man sich um Schadensbegrenzung und versuchte, leider erfolglos, die Verbreitung der Schmähschrift zu verhindern. So aber wurde, davon ist nicht nur Hesemann überzeugt, ein Antisemitismus, der weit über den unseligen katholischen Antijudaismus hinaus ging, da er nicht die jüdische Religion, sondern den Juden selbst buchstäblich verteufelte (Luther: „Die Juden sind junge Teufel, zur Hölle verdammt“), in protestantischen Kreisen etabliert. Luther galt im Protestantismus als prophetische Gestalt, als zweiter Paulus, der nicht hinterfragt werden durfte. Daher sei wenig verwunderlich, so der Historiker, dass speziell protestantische Wähler auch für den Antisemitismus der Nationalsozialisten empfänglich waren. Wie der Wahlforscher Jürgen Falter ermittelt hat, verdankte Hitler sein gutes Ergebnis bei den Reichstagswahlen von 1932 den evangelischen Wählern. Von ihnen hatte sich jeder Zweite für die NSDAP entschieden, von den Katholiken dagegen nur jeder Fünfte.

Schließlich zitierte Hesemann den Hannoveraner Kriminologen und ehemaligen Justizminister Christian Pfeiffer, der 2014 in einem Beitrag für das Magazin „Cicero“ feststellte: „Martin Luthers Hass auf die Juden machten sich die Nationalsozialisten zunutze. Es waren mehr Protestanten als Katholiken, die Adolf Hitler zur Macht verhalfen. Die evangelische Kirche sollte im Rahmen des Reformationsjubiläums ihre eigene Geschichte selbstkritisch aufarbeiten.“ Die Nazis waren sich der „Schützenhilfe“ durch Luther durchaus bewusst. So erklärte Adolf Hitler schon 1923 in einem Dialogbuch, das er mit seinem Lehrer Dietrich Eckart veröffentlichte: „Luther war ein großer Mann, ein Riese. Mit einem Ruck durchbrach er die Dämmerung, sah den Juden, wie wir ihn erst heute zu sehen beginnen.” Als tatsächlich am 9. November 1938 im ganzen Reich die Synagogen brannten, war es der protestantische Landesbischof von Eisenach, Martin Sasse, der nicht nur den „gottgesegneten Kampf des Führers zur völligen Befreiung unseres Volkes“ rühmte, sondern auch Luther zum „größte(n) Antisemit(en) seiner Zeit“ und „Warner seines Volkes wider die Juden“ erklärte.

Schnell war man sich nach Hesemanns Vortrag an der Gustav Siewerth-Akademie einig, dass man es nicht bei der reinen Kenntnisnahme von Luthers widerwärtiger antisemitischer Polemik und ihren fatalen Folgen belassen konnte. Gerade weil der Reformator im nächsten Jahr auch von Katholiken als „Lehrer im Glauben“ (so Kardinal Karl Lehmann) gefeiert werden soll, konnte man es nicht verantworten, dieses dunkle Kapitel im Leben und Wirken des Reformators unter den Tisch zu kehren. Es musste nicht nur wissenschaftlich, sondern auch geistlich aufgearbeitet werden. So entschied Graf Brandenstein als Rektor der Gustav Siewerth-Akademie, den Abschlussgottesdienst der Sommertagung, der von Bischof Dr. Walter Mixa ausgerechnet am Fatima-Tag (13. August) in der Fatima-Kapelle von Bierbronnen zelebriert wurde, mit einer Vergebungsbitte zu beschließen. Damit sollte ein eindeutiges Zeichen gegen jeden Antisemitismus im Namen des christlichen Glaubens gesetzt werden – eine Geste, die man auch den Verantwortlichen des „Reformationsjubiläums“ empfahl.

kath.net dokumentiert exklusiv den Text der Vergebungsbitte zum Abschluss der GSA-Sommertagung:
„Dreifaltiger Gott, als römisch-katholische Christen und Teilnehmer des Sommerkurses der Gustav Siewerth Akademie zum Thema „Das Gottes- und Menschenbild Martin Luthers“ bitten wir im Namen Jesu Christi, des Sohnes Davids, um Vergebung für Martin Luther und seine verächtlich machenden Schriften über die Juden.

Wir bitten Dich, oh Herr, um Vergebung für alle Ungerechtigkeiten, Schmähungen, Diskriminierung und Gewalt, die den Juden, Deinem auserwählten Volk und unseren älteren Brüdern im Glauben, durch die unsäglichen Schriften Martin Luthers und die durch sie inspirierten Taten seiner Anhänger in den letzten 500 Jahren, gipfelnd aber im vergangenen Jahrhundert, widerfahren sind.

Wir überantworten diese Schriften und ihre Anhänger Deiner göttlichen Barmherzigkeit. Reinige alles mit Deinem kostbaren Blut, erleuchte unsere Herzen mit Deinem göttlichen Licht und erfülle uns mit Deiner göttlichen Liebe, auf dass wir uns als Christen und Juden in Zukunft in Brüderlichkeit begegnen können.

Auf die Fürsprache der Gottesmutter von Fatima, die im 400. Jahr der Reformation erschien, aller Engel und Heiligen, insbesondere der hl. Edith Stein, der Patronin Europas und auch unserer Akademie, schenke Du Vergebung und Versöhnung.“

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