Organspende: Nächstenliebe über den Tod hinaus?

4. März 2015 in Deutschland


Christliche Ethiker sind uneins über die Bedeutung des Hirntodes


Wetzlar (kath.net/idea) 864 Menschen in Deutschland haben im vergangenen Jahr nach ihrem Tod ihre Organe gespendet. Das ist ein neuer Tiefstand, so die Deutsche Stiftung Organtransplantation (Frankfurt am Main). 2010 gab es noch 1.296 Spender. Dabei warten fast 15.000 schwer kranke Menschen auf ein Organ, um zu überleben oder die Lebensqualität deutlich zu verbessern. Eine Organspende ist nur zulässig, wenn der Tod des möglichen Organspenders festgestellt ist. Eine Mehrheit im Deutschen Ethikrat erklärte Ende Februar, dass der Hirntod – das unumkehrbare Erlöschen aller Hirnfunktionen – dafür ein geeignetes Kriterium sei. Sollten Christen auf dieser Grundlage ihre Organe spenden, fragte die Evangelische Nachrichtenagentur idea (Wetzlar) evangelikale Ethiker.

Pro: Organspende ist eine zutiefst christliche Tat
Dafür ist Stephan Holthaus, Direktor des Instituts für Ethik und Werte an der Freien Theologischen Hochschule Gießen. „Seine Organe sterbenskranken Menschen zur Verfügung zu stellen, kann ein Inbegriff christlicher Nächstenliebe sein“, meint er. Dies sei eine zutiefst christliche Tat. Freilich sei die Frage, wann ein Mensch endgültig tot sei, immer umstritten gewesen. Es dauere Stunden, bis jedes Leben aus der letzten Zelle entwichen sei. Für wichtiger hält er die Frage, wann der Tod unumkehrbar eingetreten ist. Holthaus: „Hier ist der Hirntod eine begrenzte, aber die derzeit beste Todesdiagnose.“ Selbst die Kritiker der Hirntoddiagnostik hätten nichts gegen die Entnahme von Organen nach Hirntodfeststellung einzuwenden, wenn diese dem Willen des Spenders entspreche.

Voraussetzung für eine legitime Organspende sei, dass auf den Spender kein Druck ausgeübt werde, kein Geld fließe, mit dem Körper des Verstorbenen pietätvoll umgegangen und die Verteilung der Organe vor möglichem Missbrauch geschützt werde. Holthaus ist überzeugt, dass jeder Kritiker der Organspende umdenke, wenn er selber oder ein naher Angehöriger betroffen sei.

Kontra: Der „Hirntod“ ist nicht der Tod des Menschen

Anderer Ansicht ist der Dozent für Dogmatik und Ethik am Theologischen Seminar St. Chrischona (Bettingen bei Basel), Werner Neuer. Der Hirntod sei mit Sicherheit nicht der Tod des Menschen. Er werde in Deutschland diagnostiziert, wenn zwei Ärzte unabhängig voneinander das voraussichtlich Erlöschen aller Funktionen des Groß-, Klein- und Stammhirns feststellten. Neuer: „Damit ist zwar bei einer (leider nicht immer gegebenen!) richtigen Diagnose der Sterbeprozess eröffnet, aber noch keineswegs der Tod eingetreten.“ Der Körper des Hirntoten sei biologisch eindeutig noch am Leben: Denn mit Hilfe der Intensivmedizin seien etwa das Herz-Kreislauf-System, die Funktionen von Leber und Nieren sowie Wundheilung und Immunabwehr noch intakt. Selbst erfolgreiche Schwangerschaften seien nicht ausgeschlossen.

Aus diesen eindeutigen Lebenszeichen ergebe sich, dass der Hirntod als „Tod bei lebendigem Leib“ nicht der wirkliche Tod des Menschen sei. Der trete in der Transplantationsmedizin erst durch die Organentnahme ein. Sie müsse daher ethisch als Tötung bewertet werden, auch wenn sie mit Zustimmung des Patienten erfolge. Neuer: „Aus christlicher Sicht ist daher eine auf Hirntod beruhende Organtransplantation ethisch nicht zu bejahen.”


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