Bischof Fürst kritisiert FDP-Downsyndrom-Tweet: „Ich war entsetzt“

12. April 2019 in Prolife


Rottenburger Bischof: „Katholische Kirche betrachtet und achtet den Embryo als Mensch von Anfang an, als Mensch ab der Verschmelzung von Ei und Samenzelle und so als Träger der Menschenwürde“ - Vortrag in voller Länge


Rottenburg (kath.net) kath.net dokumentiert den Vortrag von Bischof Dr. Gebhard Fürst/Diözese Rottenburg-Stuttgart: „Verantwortliches ärztliches Handeln am Lebensbeginn“ in der Klinik für Frauenheilkunde des Uni-Klinikums Ulm am 10. April 2019 in voller Länge und dankt für die freundliche Erlaubnis zur Veröffentlichung:

Sehr geehrte Damen und Herren!
gleich zu Beginn des Abends möchte ich mich bei Herrn Dr. Paulus herzlich für Ihre Einladung und die einleitenden Worte und bei Ihnen, sehr verehrte Damen und Herren, für Ihr reges Interesse und Ihr zahlreiches Kommen, bedanken!

Ich freue mich sehr, mit Ihnen heute über einige brisante wie sensible Themen sprechen zu können; Themen, die Mediziner sowie Ethiker und Theologen gleichermaßen herausfordern; Themen, die unser Menschsein, unser Menschenbild und die Frage nach der menschlichen Würde zwar auf verschiedene Weise und dennoch ganz grundsätzlich auf den Prüfstand stellen. Geht es doch darum, wie wir mit dem Leben insgesamt, aber vor allem an seinem Beginn umgehen. Wie wir das menschliche Leben in den Stadien seiner höchsten Verletzlichkeit schützen und wie wir Eltern, Mütter und Väter, angesichts der immer komplexer werdenden Möglichkeiten angemessen beraten und begleiten können.

Lassen Sie mich gleich mit einem aktuellen Beispiel beginnen:

Ich war entsetzt, als ich in der vergangenen Woche auf Twitter folgende Nachricht gesehen habe: Auf einem Bild zu sehen war ein Kleinkind, vielleicht 1 ½ Jahre alt. Vertrauensvoll lehnt es sich an die Mutter, die es ihrerseits liebevoll und beschützend festhält. Darunter der Satz: „Trisomie-21-Test muss Kassenleistung werden.“

Dies, meine Damen und Herren, war nicht etwa eine Meinungsäußerung einer Vereinigung am rechten Rand unserer Gesellschaft. Nein, der Tweet stammte von einer im Bundestag vertretenen Partei: der FDP! Nach einer großen Welle der Empörung wurde der Tweet bereits nach einigen Stunden gelöscht.

1. Leben am Anfang: Zwischen dem technisch Machbaren und dem Prinzip Verantwortung

Angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen in der Gentechnik und Biomedizin zeichnen sich seit Jahren tiefgreifende kulturelle und zivilisatorische Veränderungen ab. Dies bleibt nicht folgenlos, insbesondere für die Schwächsten, den Menschen am Anfang des Lebens. Die Fortschritte der Gentechnik, besonders der Humangenetik und Biomedizin erweitern unser Wissen über den Menschen dramatisch und wecken dadurch viele Erwartungen, Hoffnungen und Befürchtungen. Es geht dabei um die Frage, ob und wie wir technische Möglichkeiten nutzen sollen, das Leben des Menschen, sogar den Menschen selber, zu verändern.

Ich kann gut nachvollziehen, dass viele Menschen von den Möglichkeiten der Genanalyse und der Gentechnik fasziniert sind. Wenn wir aber darüber sprechen, welche Möglichkeiten wir nutzen sollten und welche nicht, was uns erlaubt ist und was nicht, dann geht es folglich nicht in erster Linie um wissenschaftliche oder technische Fragen. Wir müssen vielmehr Grundorientierungen beachten und Wertentscheidungen treffen. Neue Erkenntnisse und daraus resultierende Technologien fordern stets die Prüfung, ob deren Anwendung und Nutzung ethisch verantwortet werden kann.

Eine grundlegende Frage ist hierbei die nach dem Status des menschlichen Embryos und der daraus sich ergebenden Einstellung dem ungeborenen menschlichen Leben gegenüber, von allem Anfang an. Eine Frage, die umso wichtiger wird, je mehr die Machbarkeit menschlichen Lebens in unseren Händen liegt oder von uns ergriffen wird.

Aus christlicher Sicht ist jeder Mensch von allem Anfang an Person und besitzt damit die Würde des ganzen Menschen: Ob Mann oder Frau, jung oder alt, krank oder gesund, macht keinen Unterschied. Die Unantastbarkeit der Würde des Menschen zieht die volle und uneingeschränkte Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens in jeder seiner Existenzphasen nach sich.

Die Würde kommt jedem Menschen in gleicher Weise zu. Sie hängt nicht vom Plan der Eltern, vom gesellschaftlichen Stand, von der Bildung oder vom physischen Entwicklungsstand ab.

Die katholische Kirche betrachtet und achtet den Embryo als Mensch von Anfang an, als Mensch ab der Verschmelzung von Ei und Samenzelle und so als Träger der Menschenwürde, die unser ethisches Verhalten ihm gegenüber bestimmt. Deshalb verteidigt die Kirche mit dieser ihrer Position – der Embryo ist Träger der Menschenwürde – unisono in all ihren Gliedern der Kirche – der Deutschen Bischofskonferenz, dem Zentralkomitee der Deutschen Katholiken, der Katholisch-Theologischen Ethik – den Artikel 1, Absatz 1 des Grundgesetzes, der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt.“

Daraus folgt, dass wir Menschen die Existenz des Menschen von Anfang an nicht den eigenen Interessen unterordnen dürfen. Wir dürfen den Menschen nicht zur Verwirklichung unserer eigenen Zwecke – welcher auch immer – benutzen. Der Mensch – im Stadium der befruchteten Eizelle – wird nicht zum Menschen, sondern ist von Anfang an Mensch, Mensch im Werden, embryonaler Mensch.

Sehr geehrte Damen und Herren,
wohl wissend, dass ich in der vorgegebenen Zeit Themen lediglich ansprechen, nicht aber in aller Tiefe behandeln kann, möchte ich einige exemplarische Problemfelder herausgreifen, an denen die Brisanz des unbedingten Schutzes des Lebens an seinem Beginn deutlich wird.
Und hoffe, dass wir diese anschließend im gemeinsamen Gespräch weiter vertiefen können.

1. Präimplantationsdiagnostik
2. Pränataldiagnostik mittels Praenatest
3. Veränderung des Erbguts durch die Crispr/Cas9 Methode

1. Präimplantationsdiagnostik (PID)
Ich beginne mit der Präimplantationsdiagnostik (PID):
Mitte März hat der Deutsche Bundestag ein neues Gesetz für die medizinische Versorgung der Bevölkerung beschlossen. Ursprünglich sollte es auch dafür sorgen, dass Gentests an Embryonen durch die Krankenkassen gezahlt werden. Nach Protesten u.a. der Kirche wurde dieser Punkt aus dem Gesetzesentwurf gestrichen und soll nun neu diskutiert werden.

Für Aufsehen hatte im Vorfeld unter anderem ein Aspekt der Neuregelung gesorgt: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn schlug darin vor, die Präimplantationsdiagnostik (PID), also Gentests an Embryonen, zu einer gesetzlichen Kassenleistung zu machen.

Seit 2011 ist Präimplantationsdiagnostik in Deutschland eingeschränkt erlaubt, wenn Paare eine Veranlagung für eine schwerwiegende Erbkrankheit in sich tragen oder mit einer Tot- oder Fehlgeburt zu rechnen ist. Mit der Methode der PID werden Embryonen unter Vorbehalt gezeugt. Ihre Annahme wird dabei nicht von ihrer Existenz, sondern von einer genetischen Qualitätsprüfung vor der Übertragung in den Uterus abhängig gemacht. Die Paare müssen bislang die Untersuchung selbst zahlen. Diese Regelung ist umstritten.

Im Kontext von Künstlicher Befruchtung (IVF) und PID stellt sich die ethische Frage nach dem Verhältnis von elterlichem Kinderwunsch und dem embryonalen Lebensrecht. PID ist definiert als „genetische Untersuchung von Zellen eines Embryos in vitro vor seinem intra-uterinen Transfer.“

Zunächst dient die PID dazu, Paaren mit erkennbar erhöhtem genetischen Fortpflanzungsrisiko zu einem gesunden Kind zu verhelfen. Doch dies beschreibt lediglich einen Teilaspekt dessen, was tatsächlich im Rahmen einer PID-Behandlung passiert. Für eine gründliche Beurteilung der Ziele der PID möchte ich zunächst die verschiedenen Teilschritte betrachten, die bei der PID Anwendung finden:

Zunächst wird die Befruchtung der Eizelle im Reagenzglas vorgenommen. Der sich entwickelnde Embryo wird einige Tage außerhalb der Gebärmutter kultiviert. Und erst nach Biopsie des Embryos und deren Untersuchungsergebnissen wird die Entscheidung getroffen, ob der Embryo transferiert wird und die Chance auf Weiterentwicklung erhält, oder aber ob er entsorgt wird. Unzweideutig besteht das Ziel der PID darin, einen vermeintlich vorliegenden Krankheitsbefund oder eine Behinderung durch Selektion auszuschließen. PID nimmt einen hohen Verlust von Embryonen in Kauf. Damit wird erklärt, dass nicht jedes Leben bedingungslos anzunehmen ist, sondern nur das Leben, das gewissen, vordefinierten Qualitätskriterien entspricht.

Einordnung:
Bei der Beurteilung der PID hat die katholische Kirche selbstverständlich deutlich die Konfliktsituationen von Ehepaaren und Eltern vor Augen, die Angst vor einem (weiteren) Kind mit schwerer Behinderung haben, vor einer (weiteren) Fehl- oder Totgeburt oder einer drohenden Kinderlosigkeit. Der Wunsch nach einem gesunden Kind ist nachvollziehbar und überaus verständlich. Alle ethisch verantwortbaren Möglichkeiten, diesen Wunsch zu erfüllen, unterstützt die Kirche ausdrücklich. Bei der Frage der Anwendung der PID steht allerdings die große Sorge um das Schutzbedürfnis derer, die ihren eigenen Willen noch nicht äußern können, im Vordergrund. Hinzu kommt, dass trotz der Anwendung des Verfahrens der PID ein gesundes Kind nicht garantiert werden kann. Vollkommen ungeklärt ist in diesem Zusammenhang auch die Frage nach dem Umgang mit Nebenbefunden, die zwangsläufig auftauchen werden, wenn Embryonen „nur“ auf bestimmte Kriterien hin untersucht werden.

Ein weiterer anthropologischer Aspekt kommt hinzu: Auch ein behindertes Kind ist ein von Gott geschenktes Kind. Auch ein behindertes Kind hat ein Recht auf Leben. Weder Ärzte noch Forscher noch Eltern dürfen in eine Situation gebracht werden, in der sie gezwungen sind, zwischen lebenswertem und nicht lebenswertem Leben unterscheiden zu müssen. Jede Festlegung von Krankheiten, die mittels PID ausgeschlossen werden sollen, wäre nicht nur diskriminierend gegenüber Menschen, die mit diesen Krankheiten oder Behinderungen leben, sondern würde infolge diagnostischer Fortschritte ständig erweitert.

Wer bereit ist, Präimplantationsdiagnostik, und damit umfassende genetische Detektionsmethoden am Lebensanfang, zu befürworten und zu finanzieren, an deren Ende mit geradezu zwingender Logik die Verwerfung des gendefekten Lebens steht, der muss sich auch darüber klar werden, welches Bild des Menschen mit Behinderung generiert wird.

2. Pränataldiagnostik (PND) mittels „Praenatest“

Ich komme nun zum 2. Punkt: Die Möglichkeiten der Pränataldiagnostik:
Die Angebote der Pränataldiagnostik (PND) bieten werdenden Eltern die Möglichkeit, ihr Wissen mit Blick auf die Gesundheit des Ungeborenen zu erweitern. Seit 2012 ist in Deutschland ein nichtinvasiver Pränataltest (NIPT) auf dem Markt (auch „Praenatest“ genannt), bei dem anhand eines Bluttropfens der Schwangeren festgestellt wird, ob bei dem Embryo eine Behinderung vorliegt, z. B. Trisomie 21, 18 und 13. Der Eingriff erfolgt in der 9. Schwangerschaftswoche.

Ist ein Testergebnis mittels Praenatest positiv, wird eine zweite, invasive Untersuchung, meistens eine Fruchtwasseruntersuchung, durchgeführt, um den Befund weiter diagnostisch abzuklären.

Ich will hervorheben, dass diese Methode – im Gegensatz zur invasiven, für das Ungeborene und seine Mutter, risikoreichen Fruchtwasseruntersuchung – nahezu keine Risiken birgt. Andererseits wächst mit dieser neuen Methode der Druck auf werdende Eltern ein „perfektes Kind“ zu gebären – vor allem dann, wenn die Kosten für den Test, seine Durchführung und Auswertung von den Krankenkassen übernommen werden würden.

Im August 2016 hat der Gemeinsame Bundesausschuss für Ärzte und Krankenkassen das Prüfverfahren zur Frage eröffnet, ob Bluttests bei Risikoschwangerschaften als Kassenleistung ermöglicht werden sollen. Damit wäre der Weg zu einem Routine-Bluttest für alle Schwangeren eröffnet.

Einordnung:
Im Unterschied zur Präimplantationsdiagnostik (PID) und dem nichtinvasiven Pränataltest (NIPT), die derzeit nur Schwangeren mit einem erhöhten Risiko für Chromosomenstörungen angeboten werden, hat ein Teil der pränataldiagnostischen Maßnahmen (PND) sinnvolle therapeutische Konsequenzen. Störungen in der Entwicklung des Ungeborenen können im Ultraschall erkannt und vorgeburtlich, z. B. medikamentös, behandelt werden. Deshalb lehne ich PND nicht generell ab.

Gleichzeitig entsteht durch die Anwendung der PND ein großes Potential für Konflikte: So ist der für das medizinische Handeln grundlegende Zusammenhang zwischen Diagnostik und Therapie insofern nicht automatisch uneingeschränkt gegeben: Denn eine nachgewiesene chromosomale Abweichung als solche sagt in der Regel nichts über den Schweregrad der Manifestation krankhafter Befunde aus.

Darüber hinaus zeigen empirische Forschungen in anderen Ländern, dass der sog. Praenatest auch als Selektionsinstrument angewandt werden kann, das eine gesellschaftlich akzeptierte und erhöhte Rate an Schwangerschaftsabbrüchen in Gang setzt. Statistiken der Behindertenverbände legen offen, dass bereits jetzt ca. 90% der Trisomie-Verdachtsfälle zum Tod des Embryos führen.

Wenn man den gesellschaftlichen Druck auf Eltern behinderter Kinder hinzunimmt, ist zu befürchten, dass die Kostenübernahme des Bluttests durch die gesetzlichen Krankenkassen die Abtreibung von Embryonen mit abweichendem genetischem Befund in rasanter Weise befördern wird. Die Erfahrungen in anderen Ländern gehen eindeutig in diese Richtung. Ob demgegenüber, wie die Anbieter des Tests und auch die Bundesregierung argumentieren, der Test dazu dienen wird, werdende Eltern zu stärken, sich für ein behindertes Kind zu entscheiden und sie frühzeitig darauf vorzubereiten, erscheint doch mindestens zweifelhaft.

Die Selektion menschlichen Lebens nach genetischen Kriterien verstößt gegen die unbedingte Pflicht, die Würde des Menschen zu achten. Es ist jedoch anzunehmen, dass sich in der Bevölkerung Verschiebungen in der Einstellung zum Lebensrecht Behinderter ergeben, wenn ein risikoarmer Test zur Feststellung von Trisomie zur Routineuntersuchung einer Schwangeren wird. Leben mit Behinderung steht dann noch mehr in der Gefahr, als ein grundsätzlich zu vermeidendes Übel angesehen zu werden.

Insofern der Bluttest einer solchen Selektionsmentalität und Diskriminierung Behinderter Vorschub leistet, steht er in einem bizarren Widerspruch zu den vom Gesetzgeber und der Politik ansonsten zu Recht betonten gesellschaftlichen Zielen der Solidarität und Inklusion. Er müsste als eine schädliche Praxis im Sinne von Art. 8 der UN-Behindertenkonvention angesehen werden, zu deren Verhinderung der Staat verpflichtet ist.

Deutlich wird hier der Widerspruch zwischen der pränatalen Exklusion und der postnatalen Inklusionsrhetorik gegenüber Behinderten.

Damit Eltern in der Lage sind, sich ein eigenständiges Urteil über Einsatz oder Konsequenzen der PND zu bilden, braucht es umfassende medizinische und ethische Aufklärung und psycho-soziale Begleitung. Der Gesetzgeber hat einen Rechtsanspruch auf Information und psychosoziale Beratung während der Schwangerschaft und nach der Geburt geschaffen; dafür bieten die Kirchen ein flächendeckendes Netz an Schwangerschaftsberatungsstellen an. Diese wiederum sind vernetzt mit weiteren Hilfeangeboten von Diakonie und Caritas.
Aus Sorge um das ungeborene Leben, als auch um die Eltern, habe ich als Vorsitzender der Unterkommission Bioethik der Deutschen Bischofskonferenz deshalb bereits im Januar 2018 einen Brief an den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) verfasst, in dem ich deutlich auf die Gefahren des Tests und des Vorstoßes, ihn in den Leistungskatalog der Krankenkassen zu übernehmen, gewarnt habe.

3. Die Veränderung des Erbguts menschlicher Embryonen durch die Crispr/Cas9 Methode

Ich komme nun zum dritten Punkt: Die Veränderung des Erbguts menschlicher Embryonen durch das Verfahren mittels „Gen-Schere“.

Das deutsche Embryonenschutzgesetz verbietet die Herstellung oder Verwendung von Embryonen zu einem anderen Zweck, als dem, eine Schwangerschaft herbeizuführen. Die künstliche Veränderung menschlicher Keimbahnzellen ist grundsätzlich unter Strafe gestellt.
In Großbritannien hingegen dürfen Wissenschaftler seit 2016 zu Forschungszwecken das Erbgut menschlicher Embryonen verändern, um langfristig die Effizienz bei der künstlichen Befruchtung zu verbessern. Eingriffe in die menschliche Keimbahn durch die „Genschere“ Crispr/Cas9, wie sie von britischen Forschern durchgeführt werden können, verändern gezielt nicht nur die Keimzellen des betreffenden Menschen, sondern auch die Genstruktur aller nachfolgenden Generationen. Die genetische Veränderung von Embryonen durch Crispr/Cas9 ermöglicht es, jede beliebige Erbanlage auf viele Generationen hinaus zu optimieren – auch solche, die nicht auf einer der mehrere tausend Gene umfassenden Liste der schweren Erbkrankheiten stehen: die ‚Intelligenzgene‘‚ oder die ‚Schönheitsgene‘.“ Diese Methode birgt die Gefahr der genetischen Selbstoptimierung des Menschen, des sogenannten: „Enhancements“.

Ebenfalls wächst das Risiko, dass künftig die genetisch veränderten Embryonen auch für die Fortpflanzungsmedizin genutzt werden. Auch wenn es sich im Rahmen des britischen Forschungsprojekts zunächst um Grundlagenforschung handelt, ist dies ein ethisch-rechtlicher Dammbruch. Keimbahnveränderungen eröffnen Möglichkeiten der Optimierung des menschlichen Genoms. Somit rückt, streng genommen, die Kreation von „Designer-Babys“ in den Verfügungsbereich des Menschen.

Von einem nach bisherigem Forschungstand für undenkbar gehaltener Tabubruch auf diesem Gebiet hat die Öffentlichkeit schließlich im vergangenen November erfahren:
Ende 2018 verkündete ein chinesischer Wissenschaftler, es seien erstmals menschliche Babys – Zwillinge – zur Welt gekommen, deren Genom der Keimbahn er mittels der Crispr-Cas9-Methode gezielt verändert habe. Diese Nachricht löste eine allgemeine Welle der Empörung aus, nicht zuletzt unter Wissenschaftlern.

Sollte dieses Experiment wirklich gelungen sein, wurde leichtfertig der „slippery slope“ der Keimbahnmanipulation des Menschen betreten. Unbedachte Forschung in diesem Bereich ebnet den Weg für eine problematische Enhancement-Mentalität, der Mentalität der Selbstoptimierung des Menschen, deren Folgen für das Menschsein an sich verheerend wären.

Einordnung:
Durch die neuesten Versuche des Genom-Editing werden die Menschen zum Objekt von Forschungsinteressen. Neue Methoden müssen deshalb unter dem Gesichtspunkt geprüft werden, ob sie mit der gleichen Würde aller Menschen und der Unverfügbarkeit des Einzelnen vereinbar sind. Hier gelten die vier ethischen Prinzipien:
- der Selbstbestimmung
- der Schadensvermeidung
- der Fürsorge
- und der Gerechtigkeit.

Die Aufgabe, anderen Gutes zu tun, also ihrer Verletzlichkeit mit Empathie zu begegnen, der Gefährdung ihres Lebens Einhalt zu gebieten, Leid zu vermeiden, es zu überwinden oder wenigstens zu lindern – kurzum die Solidarität mit den Leidenden gebietet es, Möglichkeiten des Heilens zu entwickeln und zu nutzen. Gentechnische Verfahren sind dabei nicht gänzlich ausgeschlossen.

Im vorliegenden Fall ist allerdings davon auszugehen, dass menschliche Embryonen in erheblichem Umfang zu alleinigen Forschungszwecken zum „Verbrauchsmaterial“ gemacht wurden. Es ist anzunehmen, dass es eine große Zahl an Fehlversuchen bei solchen Experimenten gibt und dass Embryonen deshalb auch gezielt für die Fortführung der Experimente bzw. für die Implementierung in den Uterus einer Frau selektiert werden. Diese „Forschung“ dürfte deshalb in hohem Maß „embryonenverbrauchend“ sein.

Zur Natur des Menschen gehört auch und besonders die Weiterentwicklung seiner selbst und die Erweiterung seiner Grenzen. Aber, die Idee des perfekten Menschen und die Idee des im Einzelnen fortschreitenden Menschen unterscheiden sich erheblich. Darauf hat bereits Karl Rahner aufmerksam gemacht, der sich um eine theologische Integrierung von Fortschrittsgedanken bemühte. Zwischen beiden Optionen gibt es zwar Gemeinsamkeiten und Übergänge. Aber geht es dabei um „neue Grenzen“ oder um Grenzen, die man endgültig hinter sich lässt?

Schluss
„Aufstehen für das Leben“

All diese Verfahren – Präimplantationsdiagnostik, Pränataldiagnostik mittels Praenatest und die Veränderung des Erbguts menschlicher Embryonen durch die Crispr/Cas9 Methode, die ich soeben kurz skizziert habe, stehen exemplarisch für das, was sich die Diözese Rottenburg-Stuttgart bereits im Jahr 2003 als pastoralen Schwerpunkt selbst mit auf den Weg gegeben hat. „Aufstehen für das Leben“ – so lautet die vierte unserer Pastoralen Prioritäten. Dazu haben wir im Prioritätenpapier festgehalten: „Das Leben des Menschen in seiner einzigartigen Würde ist der Menschlichen Verfügungsmacht entzogen. Diese Grundüberzeugung wird heute besonders in Bezug auf den Beginn und das Ende des Lebens immer wieder in Frage gestellt. (…) Im Glauben an Jesus Christus, der der Freund des Lebens ist, treten Christinnen und Christen für die Menschenwürde in allen Phasen des Lebens ein. Christliche Solidarität gilt allen Menschen, insbesondere den Bedrohten und Leidenden.“

Der Kern einer theologischen Begründung der Menschenwürde liegt darin, dass Grund und Ziel des Menschen nicht in ihm selbst zu suchen sind. Menschenwürde gründet letztlich nicht in aufweisbaren Fähigkeiten und Qualitäten des Menschen. Die Würde des Menschen hat einzig und allein ihren Grund in etwas, was seiner eigenen Verfügung entzogen ist: in der Beziehung zu Gott, die sich im Sein als Ebenbild Gottes gründet. Nur eine so begründete Menschenwürde kann letztlich davon überzeugen, dass jeder Mensch in jeder Phase seiner Entwicklung schützenswert ist. Dazu gehören auch die Achtung und Anerkennung der Menschenwürde für das ungeborene oder behinderte menschliche Leben.

Ich freue mich nun auf die Erörterung des Themas aus medizinischer Sicht und freue mich nun auf den anschließenden Austausch mit Ihnen!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Zur Dokumentation: FDP-Bundestagsfraktion twitterte dieses Bild mit Forderung nach Bluttests als Kassenleistung und löschte es später wieder



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