11. November 2016 in Kommentar
Ich bin erschüttert, wie Christen über Trump reden. Nein, ich habe ihn selbst zu keiner Zeit unterstützt. Doch Jesus lehrte uns, wir sollen selbst die Feinde lieben - Kommentar von Johannes Hartl
Augsburg-Washington D.C. (kath.net/Gebetshaus Augsburg/jh) Tod und Leben stehen in der Macht der Zunge; wer sie liebevoll gebraucht, genießt ihre Frucht. (Spr 18,21) Worte haben Macht. Man kann vieles aus dem US-Wahlkampf lernen, doch vielleicht am meisten, wie wichtig Worte sind. Trump hat sich in unzähligen Statements auf unmögliche Weise über andere Menschen geäußert, sie beleidigt und erniedrigt. Diese Worte hatten giftige Macht. Clinton wählte ihre öffentlich geäußerten Worte viel bedächtiger, geriet jedoch auf Grund ihrer großen Nähe zu finanzstarken Sponsoren und arabischen Geldgebern in den Ruf der Korruption. Auch hier: im Geheimen gesprochene Worte, dennoch wirksam.
Wer das kleinere Übel von beiden ist, darüber wurde und wird eifrig gestritten. Ich selbst war schockiert, als Trump sich gegen seine republikanischen Konkurrenten (von denen ich einige für ganz gut gehalten hatte) durchsetzen konnte. Allerdings hielt ich Clinton im Gegensatz zu vielen zu keiner Zeit für eine ideale Alternative. Nun ist es Trump. Ich saß im Flugzeug, als der Pilot den Ausgang der Wahl verkündete. Und ein Raunen ging durch die Lufthansa-Maschine. Es kam aber überwiegend von den Deutschen, denn wir wissen in der Regel überaus genau Bescheid, wie man in den USA wählen sollte und wie nicht. Einige Gedanken:
1. Die Reaktionen, als Obama Präsident wurde, waren in einem Maße euphorisch, über das man im Abstand von acht Jahren nur den Kopf schütteln kann. Wofür genau hat er nochmal den Friedensnobelpreis bekommen? Man kann über seine Legislaturperiode denken, was man will: der Messias, als der er dargestellt wurde, war er nicht. Ebenso wenig ist anzunehmen, dass Trump sich als der Vollidiot entpuppen wird, als der er in den deutschen Medien dargestellt wurde.
2. Möglich wäre es aber. Und hier frage ich nach unserer Verantwortung als Christen. Ich bin erschüttert, wie Christen über Trump reden. Nein, ich habe ihn selbst zu keiner Zeit unterstützt. Doch Jesus lehrte uns, wir sollen selbst die Feinde lieben und spricht relativ deutlich darüber, wie wir über Menschen sprechen sollen: und wer zu seinem Bruder sagt: Du Dummkopf!, soll dem Spruch des Hohen Rates verfallen sein (Mt 5,22).
Wie sprechen wir über Politiker? Könnte es sein, dass unsere Worte geistliche Macht haben? Fluchen bedeutet auf Lateinisch maledicere: schlecht reden. Wer über jemanden schlecht redet, verflucht ihn.
Ja, ich sehe all die problematischen Seiten an Trump ebenso wie jeder hier. Doch wir sollen einander so behandeln, wie wir selbst behandelt werden wollen (Mt 7,12): würdest du wollen, dass jemand all deine negativen Seiten exzessiv hervorhebt und die positiven nie erwähnt? Es ist so normal geworden, Trump Rassist, Hetzer oder homophoben Egomanen zu nennen. Ist das wirklich nötig? Wäre es nicht genauso möglich, verbal etwas abzurüsten, und einfach zu sagen, welche Aussage genau er gemacht hat und warum man sie für falsch hält? Sexist und Rassist sind so in etwa die vernichtendsten Schimpfwörter in unserer Kultur. Oder sehr beliebt auch: der deeskalierende Hitler-Vergleich. Ganz toll. Erstaunlich, wie schnell wir zu den wüstesten Beschimpfungen zu greifen versucht sind. Oft ersetzen sie nur das Argument.
3. Was sollte die Reaktion von Christen auf die Wahl von Trump sein? Ganz einfach: für ihn beten. Er wird es dringend brauchen. Es könnte sonst echt ziemlich danebengehen. Ich weiß aus sicheren Quellen, dass Trump umgeben ist von einigen sehr guten, tief gläubigen Christen, die ihn beraten. Nicht immer hat er auf ihren Rat gehört, doch es scheint, als würde er zunehmend ihre Nähe suchen.
Warum beten wir nicht, dass Gott sein Herz verändert? Seinen Stolz und seine Arroganz erweicht? Woher wissen wir, dass Trump nicht das Potenzial hat, tatsächlich ein zweiter Reagan zu werden über den sich die deutschen Medien damals genauso ereiferten?
4. Amerikaner sind, entgegen des deutschen Vorurteils, nicht blöder als wir. Doch sie haben mitunter andere Werte. Für amerikanische Christen ging es in dieser Wahl zum großen Teil um ganz andere Themen als wir wahrnehmen. Hillary Clinton ist große Förderin von Planned Parenthood, einer Organisation, die große Summen von Geld durch Abtreibungen macht. Sie kam zuletzt stark unter Beschuss, weil nachgewiesen wurde, dass Körperteile abgetriebener Babys von Planned Parenthood verkauft werden. Klingt scary, ist es auch.
Für viele Christen fiel der Groschen in der letzten der drei TV-Duelle. Clinton stellte sich hinter die Praxis der Late-Term-Abortion. Trump bezeichnete sie als entsetzlich. Die Praxis der partial birth abortion ist: unmittelbar vor der Geburt wird dem Baby durch den Nacken gestochen und das Gehirn aus dem Kopf gesaugt, während der Rest des lebensfähigen Körpers des Babys schon entbunden ist. Klingt nach einem Horrorfilm? Ist tausendfache Realität in den USA.
Und hier hört für viele Christen die Diskussion auf: eine Regierung, die das Vergießen unschuldigen Blutes als rechtens bezeichnet, kann und darf nicht gewählt werden.
Bei der Wahl ging es in erster Linie um die Besetzung des Supreme Courts, dessen Richter auf Lebenszeit berufen werden. Also Auswirkungen weit über die Amtszeit eines Präsidenten hinaus. Ein liberaler Supreme Court hätte die Freiheit christlicher Prediger, von der Kanzel über bestimmte Themen frei zu sprechen, einschränken können. Und genau das wollten Christen verhindern, indem sie den Mann wählten, der versprach, konservative Richter einzusetzen: Trump. Man mag diese Entscheidung für einseitig halten oder rundwegs anderer Meinung sein, doch es ist nicht so, dass nur Dummköpfe und Rassisten Trump gewählt haben.
5. Die lieben Medien. Wenn irgendwer die Wahl wirklich verloren hat, dann sie. Sie lagen so komplett daneben. Mich persönlich schockierte, wie einseitig sowohl die amerikanischen als auch die deutschen Medien Pro-Clinton berichteten. Mittlerweile ist bekannt, dass CNN Clinton die Fragen von TV-Duellen im Vorhinein zukommen oder sie sogar formulieren ließ. Es gab wirklich viel Bedenkliches über Trump zu berichten. Doch über Hillarys durchaus bemerkenswert reichhaltiges Register an dubiosen Tricksereien und Verflechtungen hörte man erstaunlich wenig. Wie schade, dass die Medien immer wieder Wasser auf die Mühlen jener gießen, die ihnen grundsätzlich mangelndes Interesse an der Wahrheitstreue unterstellen.
6. Etwas Schönes ist nach der Wahl passiert. Sowohl Clinton, als auch Obama reagierten auf unpolemische und demütige Weise auf das Wahlergebnis. Menschliche Größe gehört definitiv zu einem solchen Verhalten! Doch auch Trumps Siegesrede war keine Selbstinszenierung, sondern von einer Bescheidenheit und Versöhnlichkeit, die man von ihm nicht kennt. Ich freue mich nach diesem überaus aggressiven Wahlkampf über diese feinen Gesten. Könnte dieses Klima in den USA etwas zunehmen? Wir sollten dafür beten. Wer weiß, vielleicht steht ein wenig mehr Demut uns allen ganz gut. Ein wenig mehr Zurückhaltung mit der Alleswisser-Haltung. Stattdessen: für die beten, die einen nerven. Amerika braucht unser Gebet. Wir haben ihnen viel zu verdanken.
Dr. Johannes Hartl (Foto) ist katholischer Theologe und leitet das Gebetshaus Augsburg. Er ist verheiratet und Familienvater.
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